Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) betrieben die Hohenzollern eine aktive Einwanderungspolitik, um das ausgeblutete Kurbrandenburg wieder aufzurichten. Unterm Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seiner aus Holland stammenden Gemahlin Luise Henriette von Oranien waren es zunächst niederländische Ingenieure, Künstler und Landwirte, die dem geschundenen Land auf die Beine halfen, Nach Erlass des Edikts von Potsdam (1685) brachten französische Hugenotten technisches und wissenschaftliches Know-how und feine Sitten mit, und es wurde Mode, in französischer Sprache zu parlieren. Die Aufnahme der Refugiés würdigt an der Ecke Friedrichstraße und Claire-Waldoff-Straße in Berlin-Mitte seit 1994 ein Pelikan aus Bronze auf einer hohen Säule. Der Vogel ist ein altes Sinnbild für Mildtätigkeit und Opferbereitschaft, denn ihm wurde nachgesagt, er würde seine Brust öffnen, um mit dem ausfließenden Blut die um Nahrung bettelnden Jungen zu speisen.
Der Pelikan steht an der Stelle, wo im späten 17. Jahrhundert das Französische Hospital und andere soziale und karitative Einrichtungen gegründet wurden. Im Hof des Hauses Friedrichstraße 128 gibt es einen noch von der Kurfürstin Sophie Dorothea, der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, im späten 17. Jahrhundert gepflanzten Maulbeerbaum. Das seltene Naturdenkmal ist schon so hinfällig, dass es von Stahlträgern gestützt werden muss, aber immer noch Blätter treibt. Der Baum ist der lebendige Beweis für die in der Barockzeit blühenden Seidenindustrie im Reich des schwarzen Adlers. Dort hatte man die Fäden von den Kokons der sich von Maulbeerblättern ernährenden Seidenraupen massenhaft in feine Stoffe verarbeitet.
Soldatenkönig heißt Glaubensflüchtlinge willkommen
Auf dem Richardplatz an der Kirchstraße im Berliner Ortsteil Neukölln erhebt sich ein Denkmal des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., der von 1713 bis 1740 regierte. "Die dankbaren Nachkommen der hier aufgenommenen Böhmen" lautet die Widmung auf der Rückseite des Granitsockels. Der König in Uniform mit Dreispitz, Zopf und Degen zur Seite lädt mit offenen Armen die Glaubensflüchtlinge ein, in sein Reich zu kommen. Geschaffen vom Bildhauer Alfred Reichel, erinnert das 1912 enthüllte Denkmal an einen Monarchen, der böhmische Glaubensflüchtlinge sowie solche aus dem Erzbistum Salzburg als Freunde und Helfer aufnahm und sie damit vor religiös motivierter Verfolgung im Herrschaftsbereich der Habsburger bewahrte.
Mit der Aufstellung des Bronzedenkmals 175 Jahre nach der Einwanderung und zeitgleich mit der Umbenennung von Rixdorf in Neukölln erwiesen die Nachkommen jener Zuwanderer dem Soldatenkönig ihre Reverenz, der mit der Aufnahme von Böhmen, Salzburgern und anderen aus katholischen Ländern geflohenen Menschen die Einwanderungspolitik seiner Vorfahren fortsetzte und dies auch im Falle der Salzburger durch Medaillen feiern ließ.
In Böhmen reichen die religiösen Konflikte ins 15. und 16. Jahrhundert zurück. In ihnen ging es stets auch darum, dass die Untertanen der Könige von Böhmen gegen die Dominanz der in Wien und auf der Prager Burg residierenden Herrscher Kaiser wehrten. Der Konflikt gipfelte 1618 im Prager Fenstersturz, mit dem der Dreißigjährige Krieg begann. Zwei Sockelreliefs zeigen das Böhmische Dorf im 18. Jahrhundert und den Zug ärmlicher und beladener Flüchtlinge ins rettende Preußen. Dort waren sie als Handwerker und Landwirte willkommen und erhielten vielfältige Vergünstigungen.
Neue Heimat in Rixdorf gefunden
Der Soldatenkönig gewährte 350 böhmischen Glaubensflüchtlingen in Rixdorf, dem heutigen Berlin-Neukölln, unter Zusicherung freier Religionsausübung Asyl. Sie erhielten Steuerfreiheit und Befreiung vom Militärdienst sowie eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Außerdem konnten sie die Dorfkirche am Richardplatz nutzen und besaßen eine eigene Schule und einen eigenen Friedhof. Der 1751 angelegte Gottesacker am heutigen Karl-Marx-Platz besitzt zahlreiche historische Grabsteine. Es gab die Herrnhuter Brüdergemeinde, die reformierte Bethlehemsgemeinde und die böhmisch-lutherische Kirchengemeinde mit der Rixdorfer Bethlehemskirche, die 2005 mit lutherischen Nachbargemeinden fusionierte.
Zwischen 1987 und 1992 wurde unweit des Böhmischen Dorfs in Neukölln eine Anlage geschaffen, die in Berlin ihresgleichen sucht - der Comenius-Garten. Benannt nach dem Theologen und Lehrer Johann Amos Comenius (1592-1670), lehnt sich dieses nur 7000 Quadratmeter große Paradies abseits des brausenden Großstadtverkehrs auf der Karl-Marx-Straße an pädagogischen und aufklärerischen Vorstellungen des Universalgelehrten und letzten Bischofs der Böhmischen Brüdergemeinde an. Comenius forderte systematischen Unterricht in der Aufeinanderfolge von häuslicher Erziehung, Volksschule, Lateinschule und Universität. In seinen Schulen wurden Kinder unabhängig von Geschlecht und Herkunft unterrichtet, wobei statt Latein die Muttersprache verwendet wurde. Comenius' Buch "Orbis sensualium pictus" (Die sichtbare Welt, Nürnberg 1658) war das erste europäische Schulbuch mit Texten und Bildern.
Comenius als Lehrer und fürsorglicher Vater
Obwohl schon einige Jahrzehnte tot, war Comenius für die hier vor den Toren der preußischen Residenz angesiedelten böhmischen Glaubensflüchtlinge geistlicher Vater und moralischer Halt. An den Gelehrten, der im Tschechischen Jan Amos Komenský heißt, erinnert seit 1987 ein Granitfindling mit bronzener Bildnisplakette von des Geistlichen an der Ecke Kirchgasse/Richardstraße, während er überlebensgroß, ein Käppchen auf dem Kopf und mit einem langen Mantel bekleidet auf einem flachen Sockel mitten in dem nach ihm benannten Garten gleichsam als Lehrer, Wächter und fürsorglicher Vater steht. Die die bronzene Skulptur wurde von Josef Vajce geschaffen. Er hat das langbärtige Oberhaupt der Brüdergemeinde mit einer freundlichen Handbewegung dargestellt, als wolle er den Flaneur zu einer Disputation oder zum Besuch des Gottesdienstes einladen. Gemälde und in Kupfer gestochene Porträts, die Comenius mit einer solchen Geste darstellen, sind aus dem 17. Jahrhundert überliefert und dienten Vajce als Vorlagen.
Der Comenius-Garten ist alles andere als eine edel gestaltete barocke Anlage mit kostbaren, penibel gepflegten Gewächsen. Am Eingang am Karl-Marx-Platz/Richardplatz beginnend, gibt es im Uhrzeigersinn einen Rundgang durch das Leben des Menschen: von der Schule des vorgeburtlichen Werdens, wie Comenius sagte, über die Mutterschule, die Gemeine Schule, die Lateinschule und den Akademiebereich bis hin zur Schule des Berufs und zur Greisenschule, die in der Seniorentagesstätte angesiedelt ist. Endpunkt ist der Böhmische Friedhof, der als Schule des Todes aufgefasst ist. Ergänzt wird der auch mit einigen wissenschaftlichen Messgeräten aus Comenius' Zeiten ausgestattete Garten von einem Labyrinth, dem Seelenparadies und dem Seminargebäude, von dem es nur wenige Schritte zum Comeniusdenkmal sind.
Stahlrohre symbolisieren Bethlehemskirche
Wer die Mitte Berlins durchstreift, kommt vielleicht zu einer riesigen Stahlskulptur an der Ecke Mauer- und Krausenstraße. Bei näherer Betrachtung erweist sich das Gerippe als Symbol der 1737 geweihten Bethlehemskirche, die unter Friedrich Wilhelm I. für die böhmische Exulanten erbaut wurde. Die Spinner und Weber hatten sich nicht nur in Rixdorf angesiedelt, sondern wohnten und arbeiteten auch in der Berliner Friedrichstadt und besaßen hier ein eigenes Gotteshaus. Diese auf kreisrundem Grundriss nach Plänen von Friedrich Wilhelm Diterichs erbaute Bethlehemskirche hatte einen Durchmesser von 15,70 Metern, war 36,40 Meter hoch und bot Platz für 600 Gläubige. 1943 wurde sie Opfer eines alliierten Luftangriffs. Die Ruine stand lange leer und wurde in DDR-Zeiten abgetragen. Die Bethlehemskirche stand an der Einmündung der Krausenstraße in die Mauerstraße auf einem Platz, den man im 18. Jahrhundert Hammelmarkt nannte. 1999 wurde die bis dahin namenlose Kreuzung zur Erinnerung an die Bethlehemskirche in Bethlehemkirchplatz umbenannt.
Der spanische Konzeptkünstler Juan Garaizabal hat im Rahmen seines internationalen Projektes "Memorias Urbanas" eine Nachbildung der Kirche im maßstabstreuen Umriss als Lichtinstallation geschaffen. Das Skelett aus Stahlrohren ruht auf 21 Säulen und acht Rundbögen, die in Blöcke aus Beton verankert sind. Das in der Dunkelheit durch LED-Röhren dezent beleuchtete Kunstwerk wurde im Sommer 2012 eingeweiht und sollte nur wenige Monate bleiben. Doch dann setzten sich Befürworter durch, die Skulptur dauerhaft stehen zu lassen, und so kann man sie, von Statikern auf ihre Festigkeit geprüft, bis zum heutigen Tag betrachten. Schrift- und Bildtafeln nebenan berichten über die Geschichte des Gotteshauses und seine Zerstörung, und es gibt auch einen Hinweis zum Böhmischen Dorf in Rixdorf/Neukölln.
Siehe auch Eintrag auf dieser Internetseite (Museen, Ausstellungen) vom 5. November 2021
23. November 2021
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