Gedenktafel für Lotte Eisner
Bedeutende Filmjournalistin udn Chronistin wird an ihrem letzten Wohnort in der Berliner Künstlerkolonie geehrt



Die Gedenktafel für Lotte Eisner (1896-1983) an ihrem letzten Wohnhaus Marbacher Straße 18 ehrt eine Frau, die dem deutschen Stummfilm ein bis heute gültiges Denkmal setzte.



Der monumentale Stummfilm "Metropolis" von 1927 in der Regie von Fritz Lang spielt in einer futuristischen Großstadt mit ausgeprägter Zweiklassengesellschaft. Er gilt als eines der bedeutendsten Werke der Filmgeschichte. Er fiel bei Kritikern durch und hatte auch beim Publikum keinen Erfolg und wurde 2001 als erster Film in das Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen. Der Gruselfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" von 1920 in der Regie von Robert Wiene mit Werner Kraus als Hauptdarsteller gilt als Meilenstein der Filmgeschichte.





Der Gedenkstein auf dem Ludwig-Barnay-Platz ist den politisch Verfolgten der Künstlerkolonie gewidmet.





Außer den Porzellantafeln der KPM gibt es in der Künstlerkolonie, und nicht nur dort, weitere Gedenktafeln, die etwas anders gestaltet sind und im Auftrag von Vereinen und auch Privatpersonen angebracht wurden. Diese ehren in der Bonner Straße 2 die Widerstandskämpferin Helene Jacobs und in der Bonner Straße 9 die Schauspielerin Steffie Spira.





Ernst Busch, Georg Hermann und andere Bewohner der "Roten Tintenburg" werden durch Berliner Gedenktafeln geehrt.



Ein vor dem Haus Ludwig-Barnay-Platz 2 ausgelegter Stolperstein ist dem Schauspieler und Widerstandskämpfer Hans Meyer-Hanno gewidmet, der von den Nationalsozialisten unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ermordet wurde. Davon, dass die Künstlerkolonie nach dem Krieg in das West-Berliner Aufbauprogramm einbezogen war, berichten mit dem Bären geschmückte Eisentafeln.(Fotos/Repros: Caspar)

Zu ihrem 125. Geburtstag wurde im März 2021 Lotte Eisner, die bedeutende Filmjournalistin und Sammlungskuratorin der Cinémathèque française, mit einer Gedenktafel aus Porzellan an ihrem letzten Wohnort in der Marbacher Straße 18 in Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf geehrt. Sie flüchtete von hier aus vor den Nationalsozialisten nach Paris. Sie gilt als bedeutende Chronistin des deutschen Stummfilms. In Berlin geboren, wuchs Lotte Eisner in einem wohlhabenden jüdischen, kulturinteressierten Milieu auf, studierte Kunstgeschichte und wurde 1924 promoviert. In Berlin schrieb sie Kultur- und Theaterkritiken, ab 1927 arbeitete sie für die Zeitschrift "Film-Kurier".

Nach der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 flüchtete sie nach Paris, wo sie sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt. Als jüdischer Flüchtling wurde sie nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht verfolgt und drei Monate in das südfranzösische Konzentrationslager Gurs verschleppt, aus dem sie fliehen konnte. Sie überlebte die Zeit bis zur Befreiung mit falschen Papieren. Gemeinsam mit dem Filmenthusiasten und -sammler Henri Langlois gründete sie das Filminstitut Cinémathèque française. Als dessen Chefkonservatorin trug sie in der ganzen Welt Kostüme, Fotos, Drehbücher, Ausstattungsstücke, Kameras und andere Utensilien zusammen. Das Museum wurde im Juni 1972 im Palais de Chaillot in Paris eröffnet und ist seither ein Mekka für alle, die sich für Filmgeschichte und ihre Stars interessieren. Ihre Bücher "Dämonische Leinwand" über den expressionistischen Film sowie über die Regisseure Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang und weitere Werke beeinflussten den Neuen Deutschen Film.

Rund um den Ludwig-Barnay-Platz

Werner Herzog, einer der bedeutendsten deutschen Regisseure, Produzenten und Schauspieler und zugleich einer der wichtigsten Vertreter des internationalen Autorenfilms und des Neuen Deutschen Films, schrieb in seinem Erinnerungsbuch "Ich hatte einst ein schönes Vaterland" (1984):"Die Eisnerin, wer war das für den neuen deutschen Film? Wir sind eine Generation von Waisen, es gibt keine Väter, allenfalls Großväter, auf die wir uns beziehen konnten, also Murnau, Lang, Pabst, die Generation der 20er Jahre. Es ist ja seltsam, dass die Kontinuität im deutschen Film durch die Barbarei der Nazi-Zeit und die darauf folgende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs derart radikal abriss. Der Faden war zuende, eigentlich vorher schon. Der Weg führte ins Nichts. Da klaffte eine Lücke von einem ganzen Vierteljahrhundert. In der Literatur und in anderen Bereichen war das keineswegs so dramatisch spürbar. Deshalb hat uns Lotte Eisners Anteilnahme an unserem Schicksal, also an dem der Jungen, eine Brücke in einen geschichtlichen, einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang geschlagen."

Die Gedenktafel für Lotte Eisner ist nicht die einzige, die man in ihrem Wohnumfeld sieht. Weitere erinnern an prominente Männer und Frauen, die hier in der Künstlerkolonie rund um den Ludwig-Barnay-Platz zwischen Südwestkorso und Kreuznacher Straße gewohnt haben. Die weißen Tafeln mit blauer Schrift sind Ergebnisse des Förderprogramms Historische Stadtmarkierungen des Berliner Senats und werden in der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) hergestellt. Recherche und Organisation des Programms erfolgt durch den Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., der sich seit 2013 bei der Umsetzung der Aktion engagiert, deren Hauptsponsorin die GASAG AG ist.

So wie es ist, bleibt es nicht

Zwischen 1927 und 1930 hatten die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und der Schriftsteller-Schutzverband rund um den Laubenheimer Platz in der Nähe des Berliner Südwestkorsos eine Siedlung für notleidende Künstler und Autoren errichtet. Anlässlich der 80. Wiederkehr der Gründung des Deutschen Theaters erhielt er 1963 den Namen von Ludwig Barnay, der zu den Gründervätern dieser renommierten Spielstätte gehörte. Der aus Budapest stammende Schauspieler und zeitweilige Direktor des Königlichen Schauspielhauses in Berlin war Gründer und Ehrenpräsident der Bühnengenossenschaft, die die Künstlersiedlung nach Plänen von Ernst und Günther Paulus und anderer Architekten errichten ließ. Die Gedenktafeln an verschiedenen Gebäuden rings um den Platz und den Straßen der Umgebung erinnern an den Philosophen Ernst Bloch, den Interpreten proletarischer Lieder Ernst Busch, den Schriftsteller Johannes R. Becher, der es in der DDR zum Kulturminister brachte und von dem der Text zur DDR-Hymne stammt, ferner an Dichter, Journalisten und Interpreten wie Axel Eggebrecht, Walter Hasenclever, Peter Huchel, Alfred Kantorowicz und Erich Weinert.

Aus dem Rahmen fällt eine Tafel für Helene Jacobs, die verfolgte Juden bei sich versteckt hat. Ebenfalls mit einer Gedenktafel wird die Schauspielerin Steffie Spira geehrt, die am 4. November 1989 in die Geschichte einging, als sie fünf Tage vor dem Fall der Mauer auf dem Berliner Alexanderplatz in einer Rede vor rund einer halben Million Menschen die Arroganz der SED-Führung angriff und sich für ihre Urenkel wünschte, "dass sie aufwachsen ohne Fahnenappell, ohne Staatsbürgerkunde und dass keine Blauhemden mit Fackeln an den hohen Leuten vorübergehen!" Das Motto der Tafel "So wie es ist, bleibt es nicht!" ist dem Gedicht "Lob der Dialektik" von Bertolt Brecht entnommen, in dem es heißt: "Wer noch lebt, sage nicht: niemals! / Das Sichere ist nicht sicher. / So, wie es ist, bleibt es nicht. / Wenn die Herrschenden gesprochen haben, / Werden die Beherrschten sprechen."

Bedrohung durch Nazischläger

Beginnend mit dem Wahlkampf für die Reichstagswahl 1930 wurden die Bewohner der Künstlerkolonie Ziel nationalsozialistischer Provokationen und Übergriffe. Es wurde zunehmend gefährlich, abends allein den Heimweg vom nahe gelegenen U-Bahnhof Breitenbachplatz anzutreten. Die Bewohner der Künstlerkolonie gründeten deshalb einen Selbstschutz, der als bewaffneter Geleittrupp im Konvoi-System von bestimmten späten U-Bahn-Zügen die Bewohner abholte und nach Hause begleitete. Etwa 400 der rund 1000 Bewohner der Künstlerkolonie beteiligten sich am organisierten Selbstschutz. Schon vor der Errichtung der NS-Diktatur war das Viertel, das wegen der dort wohnenden linken Intellektuellen "Rote Tintenburg" genannt wurde, Ziel von Schlägertrupps der Nationalsozialisten. In der Nazizeit wurde die aus dunkelroten Backsteingebäuden rund um den Platz bestehende Siedlung von der Geheimen Staatspolizei, der Gestapo, beobachtet.

Nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 durchlitten die Bewohner der Künstlerkolonie schwere Zeiten. Bereits Februar 1933 führte die SA, die als "Hilfspolizei" oder "Schutzpolizei" von jeder Strafverfolgung ausgenommen wurde, Überfälle, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch. Der Reichstagsbrand war für die Terrortruppe ein willkommener Anlass für Repressalien. Die Künstlerkolonie wurde abgeriegelt, zahlreiche Wohnungen wurden durchsucht. Wenn der Polizei nicht geöffnet wurde, drang sie gewaltsam in die Wohnungen ein. Vierzehn Personen wurden festgenommen, eine unbekannte Anzahl ausländischer Staatsangehöriger, die sich nicht ausweisen konnten, wurden zur Personenfeststellung auf das Polizeipräsidium gebracht. Mehrere Lastwagen voller Akten wurden beschlagnahmt, ebenso wie zahlreiche Waffen. Literatur, die die Nationalsozialisten für kommunistisch, marxistisch oder "verjudet" hielten, wurde auf den Laubenheimer Platz geschafft und verbrannt, womit das Autodafé vom 10. Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz und an anderen Orten vorweg genommen wurde.

Neugestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg

Zahlreiche Bewohner der Künstlerkolonie wie Ernst Bloch, Ernst Busch, Walter Hasenclever, Alfred Kantorowicz, Arthur Koestler, Susanne und Wolfgang Leonhard, Gustav Regler, Günter Ruschin, Manès Sperber, Steffie Spira, Walter Zadek und Hedda Zinner verließen noch 1933 Deutschland. Andere organisierten trotz aller Gefahren und das eigene Leben riskierend den politischen Widerstand. So gründete Alexander Graf Stenbock-Fermor in seiner Wohnung im Herbst 1940 zusammen mit Beppo Römer und Willy Sachse die Widerstandsgruppe Revolutionäre Arbeiter und Soldaten (RAS). Weitere Mitglieder der Organisation waren Irene und Hans Meyer-Hanno, Fritz Riedel und Alja Blomberg. Stenbock-Fermor vermerkte zur Arbeit der Gruppe in seinen Erinnerungen: "Wir trafen uns abwechselnd bei mir, in der Wohnung von Alja Blomberg am Südwestkorso und oft bei Meyer-Hannos am Laubenheimer Platz 2. Hans Meyer-Hanno und seine Frau Irene wurden die eifrigsten Mitarbeiter.". Die Porzellantafel am Haus Bonner Straße 2 würdigt den Mut von Helene Jacobs, die verfolgte Juden bei sich versteckte und zur Flucht verhalf.

Ende der 1950er Jahre hat man den von vier- bis fünfgeschossigen Häusern mit dunkelroten Klinkerfassaden flankierten Platz neu gestaltet und ihm Rasenflächen, Blumenrabatten und Kinderspielecken geschenkt. Auf dem Platz steht gegenüber der Einmündung zur Bonner Straße ein Findling, der 1988 enthüllt wurde. Die kleine Bronzetafel erinnert an die "politisch Verfolgten der Künstler-Kolonie" und meint damit vor allem linksorientierte Bewohner des Viertels, die nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 von den Nazis mit Arbeitsverbot belegt, ins Exil gedrängt, in die Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden.

26. April 2021

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