"Sakko und Jacketti" schauen aufs Humboldt-Forum
Bronzenes Marx-Engels-Denkmal von 1986 erhielt im September 2010 neuen Standplatz in der Mitte Berlins







Im September 2010 wurde das Marx-Engels-Denkmal aus Bronze zersägt und in zwei Teilen an einen neuen Platz nahe dem Spreeufer gebracht. Mit Blick auf das Humboldt-Forum halten die "Begründer der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse", wie es in DDR-Zeiten hieß, am Spreeufer Wache.



In den kommenden Jahren sollen das Marx-Engels-Denkmal, das von Werner Stötzer geschaffene Relief und weitere Objekte auf den alten Standort zurück kehren, doch ob diesbezügliche Planungen gelingen, hängt von politischen Konstellationen im Bund und im Land Berlin ab.



Ludwig Engelhardts frühes Modell lässt erkennen, das er die Figuren seines Marx-Engels-Denkmals einander zugewandt vorgestellt hatte, wie in ein Gespräch vertieft. Stattdessen warten die in Freundschaft verbundenen Kämpfer für eine bessere Welt warten, in Bronze gegossen und starren Blicks in eine imaginäre Ferne, auf die große Revolution.



Die DDR und Bundesrepublik Deutschland brachten 1963, 1970 und 1983 unterschiedlich mit Porträts von Marx und Engels geschmückte Gedenkmünzen heraus. Der höchste DDR-Orden ist nach Karl Marx benannt, der Friedrich-Engels-Preis wurde vom Minister für Nationale Verteidigung an Militärangehörige in drei Klassen verliehen. (Fotos/Repros: Caspar)

Erst wurden sie am 27. September 2010 mit Metallsägen voneinander getrennt, dann einzeln von einem Kran an den Haken genommen, auf einen Tieflader gehoben und schließlich zu einem neuen Standplatz an der Spree in Berlin gefahren - Karl Marx und Friedrich Engels. Die Umsetzung des Bronzedenkmals war nötig, weil das kreisförmig angelegte Marx-Engels-Forum, auf dem das Duo seit 1986 steht, für die neue U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof als Bauplatz benötigt wurde und die von dem DDR-Bildhauer Ludwig Engelhardt geschaffene Gruppe sowie die dazu gehörenden Stelen und Reliefs im Wege stehen.

Da auf dem neuen Standort nicht viel Raum zur Verfügung steht, wurden das Marx-Engels-Denkmal und die flankierenden Elemente aneinander gerückt, was ihre Wirkung beeinträchtigt. Außerdem beeinträchtigt das dichte Laub der Bäume die Sicht auf das Ensemble. In Richtung Westen auf das Humboldt-Forum mit der Fassade des 1950 auf Befehl der SED abgerissenen Hohenzollernschlosses blickend, bilden die Autoren des "Kommunistischen Manifests" und weiterer Grundsatzschriften des Sozialismus und Kommunismus ein beliebtes Fotomotiv.

Kein Abbau und Versetzung auf Friedhof

Das in der DDR enthusiastisch gefeierte und am 4. April 1986, am Vorabend des XI. (und letzten) SED-Parteitags, mit großem zeremoniellem Aufwand vom SED-Chef und DDR-Staatsrats-vorsitzenden Erich Honecker eingeweihte Monument dient den Berlinern und Besuchern der Stadt als eine Art Glückbringer, denn angeblich verspricht das Blankputzen der Bronze einen gute, erfolgreiche Zeit. "Karl Marx und Friedrich Engels ehren wir als die beiden großen Revolutionäre und genialen Wissenschaftler, deren weltgeschichtliche Bedeutung vor allem darin besteht, dass sie die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft aufgedeckt und den gesetzmäßigen Sieg des Sozialismus nachgewiesen haben."

Im Januar 2012 forderte Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU), die Bronzefiguren auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde zu entsorgen, denn dort befinde sich "so eine Art sozialistisches Reste-Zentrum". Sein unbedachter Vorstoß kam nicht gut an. Der Berliner Senat erklärte, das Denkmal gehöre als "historisches Zeitdokument" zur Stadtgeschichte, Bausenator Michael Müller (SPD), der spätere Regierende Bürgermeister, nannte Ramsauers Idee "geschichtsvergessen". Einer seiner Vorgänger, Eberhard Diepgen, sprang ihm bei und erklärte, Ramsauer habe "ins Wespennest der Empfindlichkeiten" gestochen. Es sei falsch, die Protagonisten der deutschen Geschichte nach Friedrichsfelde oder in die Dauerausstellung "Berlin und seine Denkmäler" auf der Spandauer Zitadelle zu bringen. Das Denkmal in seiner großangelegten Form stehe aber für den Herrschaftsanspruch des Sozialismus und widerspreche damit pluralistischen Werten, weshalb er sich dafür aussprach, das Denkmal weniger dominant in den bisherigen Stadtraum einzufügen. Das ist inzwischen Vergangenheit, denn nach Abschluss der Arbeiten an der U-Bahnlinie 5 soll das Denkmal etwa 2024 an den alten Platz zurückkehren.

Despektierliche Spitznamen

Wann immer Denkmäler geschaffen wurden, haben die Auftraggeber den Künstlern mehr oder weniger harte Vorschriften dafür gemacht, wie das Resultat aussehen soll. Davon war auch Ludwig Engelhardt nicht verschont. Wenig bekannt ist, dass sein Gipsmodell etwas anders aussehen sollte als der endgültige Guss. Denn ursprünglich hatte der Künstler vorgesehen, dass der stehende Engels seine rechte Hand freundschaftlich auf die Schulter von Marx legt und die Kampfgefährten sich einander zuwenden. Diese Geste hat den Genossen im SED-Politbüro nicht gefallen, sie war ihnen wohl zu menschlich und zu wenig heroisch. Prominente DDR-Künstler konnten Honecker & Co. nicht davon überzeugen, dass freundlicher Engelhardts Blick auf Marx und Engels stimmt, wie man immer sagte. Allerdings wurden dem Bildhauer Korrekturen abverlangt, und so kommt es, als ob die beiden vollbärtigen Herren aussehen, als hätten sie nichts miteinander zu tun.

Denn sie nehmen eine Haltung ein, als würden sie gelangweilt einer Haltestelle auf den nächsten Bus warten, wie man in DDR-Zeiten hinter vorgehaltener Hand bemerkte. Dieser Missstand fiel in der späten DDR-Zeit auf, und so nannte man die beiden Vordenker des Marxismus-Leninismus auch despektierlich Lahmärsche, Plisch und Plum, Max und Moritz, Dick und Doof oder nach der Art ihrer Kleidung Sakko und Jacketti in Analogie zu den beiden italienischen Einwanderer Ferdinando Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die 1927 in den USA wegen angeblicher Beteiligung an einem Raubmord hingerichtet hat. Der politisch motivierte Justizmord löste in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus massive Proteste aus und war für die Arbeiterbewegung ein willkommener Grund, gegen die, wie es hieß, imperialistische Klassenjustiz vorzugehen.

Jubelgesänge im Neuen Deutschland

Von Distanz und schon gar nicht von den Querelen, die mit der Schaffung des Marx-Engels-Denkmals verbunden waren, war 1986 im Parteiorgan "Neues Deutschland" (ND) und der von der SED kontrollierten Presse natürlich nichts zu finden. Überschwänglich wurde das Monument als beeindruckend in seiner klaren Gliederung gelobt, und es war von einer spannungsvoll geführten, schnörkellosen Kontur die Rede. Schaut man sich allerdings die Entstehungsgeschichte des Denkmals an, dann liest sich diese anders. Honecker und Genossen hatten sich die Figurengruppe anders vorgestellt, denn sie hätten ihre "Ahnherren" irgendwie heroischer und Achtung gebietender, vielleicht mit geballten Fäusten wie beim Thälmann-Denkmal gesehen.

Ludwig Engelhardt ließ sich umstimmen. Engels nahm seine Hand von Marx' Schulter, die die beiden Freunde blickten geradeaus. Allerdings blieb es nicht bei der Bronzegruppe, denn es kamen acht von Margret Midell gestaltete Stelen aus Stahl mit einmontierten Fotos zum Thema "Kampf für den Frieden und den Sieg des Sozialismus" sowie marmorne Reliefs des Bildhauers Werner Stötzer hinzu, die das "kraftvoll gestaltete Plastik-Monument" inhaltlich ergänzen, wie das Neue Deutschland mit unfreiwilliger Komik schrieb. Die gestelzte Interpretation liest sich so: "Es entspricht dem weit in die Geschichte zurückgreifenden Anspruch dieser Arbeit, daß sie symbolhaft das sich langsam formende Bild vom Menschen zur Anschauung bringt. Der weitgehend nur grob zugehauene Stein verweist schon in der künstlerischen Sprache gleichnishaft auf jenes mühevolle Menschwerden, auf jenes Profilgewinnen des Menschen im Prozess seiner historischen Selbstverwirklichung, von dem Marx und Engels in ihren Werken schrieben". Das ebenfalls 1986 enthüllte Thälmann-Denkmal im Bezirk Prenzlauer Berg, ein Werk des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel, stand als Kulisse für Kundgebungen weitaus höher im Kurs.

Palast der Republik im Hintergrund

Bleibt anzumerken, dass das Denkmal ursprünglich auf dem Marx-Engels-Platz, dem heutigen Schlossplatz zwischen Staatsratsgebäude und dem inzwischen verschwundenen Palast der Republik, inmitten einer Grünanlage aufgestellt werden sollte. Doch da dieser Raum ein wichtiger Aufmarschplatz war und zudem noch als Parkplatz von Palast- und Berlinbesuchern genutzt wurde, schien es den "führenden Genossen" nicht opportun, die Gruppe dort aufzustellen. Man wählte einen Freiraum auf der anderen Seite der Spree, und so kam es, dass man immer dann, wenn man Marx und Engels fotografieren wollte, auch die Spreeseite vom Palast der Republik, auch "Erichs Lampenladen" genannt, im Objektiv hatte. A

us den frühen Nachwendejahren wird manchen Betrachtern vielleicht noch eine aufgesprühte Sockelinschrift in Erinnerung sein. Sie legt Marx und Engels eine Entschuldigung für das in den Mund, was in der DDR-Zeit aus ihrer Lehre gemacht wurde. Umfragen nach dem Ende der DDR ergaben, dass nur ein Viertel der Bewohner des zweiten deutschen Staats für den Abriss des Marx-Engels-Denkmals war. Daran hat wohl auch niemand ernsthaft gedacht, und so überlebte es als schwergewichtiges Zeugnis aus einer untergegangenen Epoche. Marx und Engels hatten mehr Glück als Wladimir Iljitsch Lenin, dessen monumentales Granitdenkmal auf dem Leninplatz im Herbst 1991 abgebaut wurde. Zumindest der monumentale Kopf des Gründers des Sowjetstaates ist seit einigen Jahren im Skulpturenmuseum auf der Spandauer Zitadelle mit weiteren von Berliner Straßen entfernten Denkmälern zu sehen.

20. November 2021

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"