"Stimme und Faust der Nation"
Thälmann an der Greifswalder Straße in Berlin trotzte Abrissversuchen und wurde um künstlerische Elemente ergänzt



Letzte Arbeiten am 19. November 2021 vor dem Thälmann-Denkmal, dessen Inschrift ERNST THÄLMANN bunt übermalt und damit aus unerfindlichen Gründen unkenntlich gemacht ist. Mit den roten Betonquadern davor werden Bezüge zu dem Monument und der Geschichte des Ortes hergestellt. Die Frage ist, ob das nötig ist und wie lange die Quader unbeschmiert bleiben.



Das Bezirksamt Pankow hatte 2019 einen deutschlandweit offenen, zweiphasigen Kunstwettbewerb zur Künstlerischen Kommentierung des Denkmals ausgelobt. Am Verfahren hatten sich 110 Künstler und Künstlerinnen beteiligt. Für die Umsetzung der Kommentierung durch Betina Kuntzsch standen 180.000 Euro zur Verfügung. Das Projekt wird durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin im Rahmen des Programms "Stadtumbau" gefördert.



Das 1986 eingeweihte Denkmal spielte in der Erinnerungskultur der DDR eine wichtige Rolle. Der Ostberliner Volksmund nannte es wegen der Ähnlichkeit des Thälmannkopfes mit dem von Lenin scherzhaft "Ernst-Lehmann-Denkmal".



Die Inschriftenstelen sind in der Spandauer Zitadelle ausgestellt. Dass sie beschmiert wurden, sieht man ihnen auch heute an.





Als die Gasometer (oben historischer Zustand) am 28. Juli 1984 gesprengt wurden, hat die Stasi Pfiffe und Protestrufe registriert. Fotos werden im S-Bahnhof Greifswalder Straße gezeigt.



Ernst Thälmann und der antifaschistische Widerstandskampf waren die DDR so wichtig, dass sei Gedenkmünzen zu zehn und 20 Mark in hoher Auflage prägen ließ, hier das von Fritz Cremer geschaffene Buchenwalddenkmal (1971) sowie Szene mit Thälmann an der Spitze eines Demonstrationszuges (1986) und mit dem Kopf des KPD-Vorsitzenden (1971). (Fotos/Repros: Caspar)

Als im Winter 1991/92 das von dem sowjetischen Bildhauer Nikolai W. Tomski geschaffene riesige Lenindenkmal von 1970 aus rotem Granit auf dem Leninplatz in Berlin, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, abgerissen wurde, schien auch das Schicksal des von seinem Kollegen Lew Kerbel entworfenen Thälmann-Denkmals von 1986 besiegelt zu sein. Doch eifrige Bilderstürmer kamen nicht zum Zug. Den Vorsitzenden der 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands anzutasten, hätte vielen Leuten in der ehemaligen DDR, die ja als Thälmann-Pioniere aufgewachsen waren und Thälmanns Biographie kannten, nicht gefallen. Es wäre einer zweiten Hinrichtung gleich gekommen. Deshalb blieb das Monument im Thälmann-Park an der Greifswalder Straße ungeachtet mancher Proteste und Veränderungsversuche stehen. Dabei fand das dem am 18. August 1944 im KZ Buchenwald von den Nazis ermordeten Vorsitzenden der KPD gewidmete Memorial nie viel Sympathie. Es ist viel zu groß geraten und erinnert irgendwie an die riesigen Präsidentenköpfe, die aus einem Felsen im amerikanischen South Dakota ragen.

Inschriften auf rot gestrichenen Betonquadern

Auf dem Vorplatz hat die Fotografin, Filmemacherin und Videokünstlerin Betina Kuntzsch unter dem Motto "Vom Sockel denken" fünf rot angestrichene Betonelemente, die den Denkmalssockel maßstabgerecht verkleinern, aufgestellt. Beschriftungen wie KOPF FAUST FAHNE, HALSTUCH, ICH SEHE WAS, EINAUSBLICK oder GASOMETER stellt inhaltliche Bezüge zu dem riesigen Thälmann mit erhobener Faust vor einer Fahne her. Die Künstlerin will mit der Aktion Interesse wecken, sich mit dem Ort und seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Bestandteil der Arbeit sind überdies in der "Wabe" gezeigte Kurzfilme mit Ausblicken auf das Thälmanndenkmal, in denen die Künstlerin Archivmaterial mit eigenen Fotos, Filmaufnahmen und animierten Zeichnungen kombiniert. Als die Installation am 18. November 2021 eingeweiht wurde, erklang das Kuba (Kurt Barthel) gedichtete Thälmann-Lied mit dem Refrain "Thälmann und Thälmann vor allen! Deutschlands unsterblicher Sohn. Thälmann ist niemals gefallen, Stimme und Faust der Nation." Es wurden KPD-Fahnen geschwenkt und Reden gehalten. Nicht alle Teilnehmer fanden die Neugestaltung gut und nannten die beschrifteten Betonelemente eine Schmähung für Thälmann. Er brauche keine zusätzlichen Einordnungen. Bei Kurfürsten- und Königsdenkmälern sei das auch nicht üblich, war am Rande der Feierstunde zu hören.

Dass das Zentralkomitee der SED mit Erich Honecker an der Spitze in den frühen 1980er Jahren Lew Kerbel mit dem Denkmal beauftragte, war für viele Künstler der DDR ein Ärgernis. Es gebe im Lande genug renommierte und international anerkannte Bildhauer für einen solchen Auftrag. Ein schon lange geplantes Thälmann-Denkmal der Bildhauerin Ruthild Hahne verschwand in der Versenkung. Sie hatte ein figurenreiches Monument im Stil des sozialistischen Realismus mit einem kämpferisch auftretenden Thälmann im Mittelpunkt gestaltet, kam damit aber nicht bei der Partei- und Staatsführung nicht durch.

Abriss kam nach 1990 nicht infrage

Der Verband der bildenden Künstler der DDR, den SED- und Staatschef Erich Honecker bei der Auftragsvergabe an Kerbel übergangen hatte, musste sich mit der Bevorzugung des sowjetischen Künstlers abfinden. Vergeltung kam erst nach der so genannten Wende 1989/90, als man Kritik frei anbringen konnte und Forderungen nach Abbau laut wurden. Da das Geld fehlte, den 50 Tonnen schweren Bronzekoloss zu zerlegen und abzutransportieren und außerdem der KPD-Führer weiterhin populär war und ist, blieb er stehen. In der Diskussion um das Denkmal spielte das Argument eine Rolle, dass der KPD-Vorsitzende vom Beginn der Hitlerdiktatur 1933 bis zu seiner Ermordung am 18. August 1944 im KZ Buchenwald Gefangener der Nazis war und der Abbruch des Denkmals einer zweiten Hinrichtung gleich gekommen wäre.

In Erinnerung ist bis heute, dass dem Koloss die riesigen Gasometer in der Nähe geopfert wurden. Der Ostberliner Denkmalschutz hatte nicht die Kraft, die Vernichtung des Industriedenkmals aus der Kaiserzeit zu verhindern. Ein runder Kopf und ein runder Gasbehälter - das schien den SED-Politbürokraten und dem sowjetischen Starkünstler Kerbel zuviel zu sein. Bei der Sprengung des Gasometers zeigte sich unter den Schaulustigen so etwas wie Opposition, und es gab sogar Pfiffe, als das riesige Gewölbe nach vergeblichen Sprengversuchen in sich zusammenfiel. Die Stasi hatte sich unter die Schaulustigen gemischt und berichtete ihrem Anführer, Minister Erich Mielke, wer was rief. Ob es Verhaftungen gab, müsste aus den zu dem Vorgang angelegten Akten hervorgehen.

Kundgebungen und Kranzniederlegungen

Als die Teile des Denkmals im VEB Schwermaschinenbau Lauchhammerwerk gegossen wurden, war anderen Bildhauern in der DDR kein Bronzeguss möglich, da für das Monument die gesamte DDR-Jahresproduktion an Bronze gebraucht wurde. Im Februar 1982 begannen die Vorarbeiten für den Bau des Denkmals. Eigens für die Herstellung der Einzelteile des Denkmals wurde in Lauchhammer eine 18 mal 18 Quadratmeter große und 15 Meter hohe Halle errichtet, die man später als Sporthalle nutzte. Insgesamt wurden 277 Gipselemente als Gussvorlagen hergestellt. Die Auslieferung der Gussstücke erfolgte vom August bis Oktober 1984, ihre Montage wurde im November 1985 abgeschlossen, und im Februar 1986 waren letzte Arbeiten geschafft.

Zum Denkmal gehören Bronzestelen auf dem Vorplatz mit Zitaten von Ernst Thälmann und Erich Honecker, der sich damit quasi zum Vollstrecker des Thälmann'schen Vermächtnisses aufspielte. Der Rat des Stadtbezirks Prenzlauer Berg ließ 1990 die Inschriften "Mein Leben und Wirken kannte und kennt nur eines: für das schaffende deutsche Volk meinen Geist und meinen Willen / meine Erfahrungen und meine Tatkraft / ja mein Ganzes / die Persönlichkeit zum Besten der deutschen Zukunft für den siegreichen sozialistischen Freiheitskampf im neuen Völkerfrühling der deutschen Nation einzusetzen! Ernst Thälmann" und "Mit der Gestaltung des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik setzen wir Ernst Thälmann / dem kühnen Streiter für Freiheit / Menschlichkeit und sozialen Fortschritt unseres Volkes / ein würdiges Denkmal. Erich Honecker" entfernen. Die ungeliebten Inschriftenstelen kamen in die Zitadelle Spandau und werden in der Dauerausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" gezeigt. Vor dem Thälmanndenkmal wurden bis zum Ende der SED-Herrschaft Kranzniederlegungen, Kundgebungen und Vereidigungen veranstaltet, mit denen sich die Staatspartei als Vorkämpferin und Garant des Antifaschismus sowie für Frieden und Völkerverständigung in Szene setzte. Viele Menschen, die zum Thälmann-Denkmal bestellt wurden, haben die Aufmärsche in unangenehmer Erinnerung, und manche mögen es klammheimlich begrüßt haben, dass es durch Graffiti verunstaltet wurde. Andere fanden das empörend und forderten Polizeischutz.

Eingekerkert - ermordet - beschmiert

Gelegentlich gab es Vorstöße, das umstrittene Bronzemonument zu verfremden ohne es zu beseitigen. Rettungsversuche etwa durch Begrünung mit rankenden Pflanzen hatten keinen Erfolg. Während Lenin ziemlich leicht zu demontieren war, blieb Thälmann erhalten, und heute regt sich kaum jemand noch über das bronzene Ungetüm mehr auf. Allerdings haben sich Graffiti-Sprayer seiner bemächtigt, wogegen Unbekannte mit der aufgemalten Inschrift "Eingekerkert - ermordet - beschmiert" protestierten. Da der Senat und der Bezirk Prenzlauer Berg kein Geld haben, das Memorial beispielsweise durch Anlage eines künstlichen Gewässers weiter zu verfremden, wie es dem Grafiker und Retter von gefährdeten Denkmälern Manfred Butzmann vorschwebte, und wirksamer Schutz nicht gewährt wird wie auch bei anderen Freiplastiken nicht, bleibt es bei gelegentlichen Farbattacken mit anschließend aufwändiger Reinigung. Ob die roten Betonquader unbeschmiert bleiben, wird sich zeigen.

19. November 2021

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