Ehrung an Matthias Erzberger
Der Berliner Bildhauer Bertrand Freiesleben schuf für den Deutschen Bundestag eindrucksvolle Büste des vor einhundert Jahren ermordeten Politikers





Vor dem zum Deutschen Bundestag gehörenden Gebäude Unter den Linden 71 in Berlin steht eine von Bertrand Freiesleben geschaffene Büste des vor einhundert Jahren, am 26. August 1921, von Rechtsextremisten ermordeten Politikers Matthias Erzberger, darunter die Signatur des Künstlers. Bei der Enthüllung am 17. Mai 2021 vor dem nach Erzberger benannten Gebäude betonte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Ehrung sei überfällig gewesen. Deutschland und seine Hauptstadt seien bisher nicht sonderlich generös mit dem Zentrumspolitiker umgegangen, der einen "gewaltigen Anteil am geordneten Übergang der Deutschen vom Kaiserreich zur Republik hatte, was ihm aber nicht gedankt wurde."



Neben dem Eingang zum Matthias-Erzberger-Haus Unter den Linden 71 in Berlin informiert die blaue Tafel über wichtige Daten aus dem Leben des lange geschmähten und verkannten Politikers.



Die Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten im Ersten Weltkrieg 1918 wurde von politischen und militärischen Führern und den Propagandisten der "Dolchstoßlegende" angeblichen Vaterlandsverrätern in die Schuhe geschoben. Ganz oben auf der Mordliste stand Matthias Erzberger, der am 26. August 1921 an seinem Urlaubsort Bad Griesbach im Schwarzwald einem Attentat zum Opfer fiel. Einer der Mörder, Fähnrich Ottwig von Hirschfeld, kam mit 18 Monaten Gefängnis davon, weil ihm "vaterländisches Interesse" zugebilligt wurde.



Georg Elser und Edith Stein in einer Reihe mit Albert Einstein und anderen "Helden ohne Degen", das das gibt es nur in der an der Spree gelegenen Straße der Erinnerung im Berliner Ortsteil Moabit. (Fotos/Repro: Caspar)

Die Weimarer Republik wird nach dem Nachkriegsparlament benannt, das am 11. Februar 1919 in der thüringischen Klassikerstadt Weimar zusammentrat, weit weg von der durch revolutionäre Unruhen geschüttelten Reichshauptstadt Berlin. Die von der Nationalversammlung angenommene und am 11. August 1919 vom neu gewählten Reichspräsidenten Friedrich Ebert unterzeichnete Weimarer Verfassung definierte das Deutsche Reich als parlamentarisch-demokratische Republik und knüpfte an Forderungen an, die schon in der Revolution von 1848/49 erhoben, aber nicht verwirklicht wurden. Die Verfassung von 1919 wies gravierende Mängel auf, vor allem was die starke Stellung des für jeweils sieben Jahre direkt vom Volk gewählten Reichspräsidenten betrifft. Er konnte den Reichstag unter bestimmten Umständen auflösen, Neuwahlen ansetzen und mit Notverordnungen regieren.

In der Spätphase der Republik erwiesen sich diese Bestimmungen als verhängnisvoll, weil sie den Reichstag entmachteten und das ohnehin gering entwickelte Vertrauen in die parlamentarische Demokratie weiter untergruben. Nach der Überwindung der Inflation Ende 1923 durch die Einführung der Rentenmark erlebte Deutschland eine Phase relativer Stabilität. In den so genannten "Goldenen Zwanzigern" gab es einen bemerkenswerten Aufschwung von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik. Nach 1933 hatten die Errungenschaften der Weimarer Republik in den Augen der Nationalsozialisten keinen Wert mehr. Sie hatten von Anfang an das Weimarer "System" bis aufs Messer bekämpft und nannten die Zeit zwischen 1918 und 1933 verächtlich nur Systemzeit.

Als Vaterlandsverräter und Erfüllungspolitiker abgestempelt

Die führenden Politiker der Weimarer Republik waren für deren Feinde nichts anderes als Novemberverbrecher und Erfüllungspolitiker. Eine besondere Hassfigur war Matthias Erzberger, der seit 1903 Abgeordneter im Reichstag war, die kaiserliche Kolonialpolitik bekämpfte und mehrere Kolonialskandale aufzudecken half. Im Sommer 1917 forderte der Zentrumspolitiker angesichts der alarmierenden Lage an den Fronten, den Gegnern des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten einen bedingungslosen "Verständigungsfrieden" ohne Annexionen anzubieten, was aber von der Reichsleitung und dem Militär abgelehnt wurde. Im Oktober 1918, noch in der Endphase des Kaisertums und des Ersten Weltkriegs, wurde Erzberger Minister ohne Geschäftsbereich, und im November 1918 unterzeichnete er als Bevollmächtigter der Reichsregierung und Leiter der Waffenstillstandskommission in Compiègne das von Frankreich diktierte Waffenstillstandsabkommen, mit dem die Kampfhandlungen eingestellt wurden. Die Oberste Heeresleitung mit Hindenburg und Ludendorff an der Spitze hatte absichtsvoll einen Zivilisten zu den Verhandlungen entsandt, um später sagen zu können, mit den ausgehandelten Bedingungen nichts zu tun zu haben und sich damit jeglicher Verantwortung zu entziehen. Eine Hetzkampagne des deutschnationalen Politikers Karl Helfferich und ein damit verbundene Prozess zwangen Erzberger zum Rücktritt. Seine Feinde beschuldigten ihn, ein Vaterlandsverräter und mitverantwortlich für den "Dolchstoß" zu sein, mit dem das deutsche Heer angeblich um seinen Sieg gebracht wurde.

Wie schon zuvor Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber auch Kurt Eisner und 1922 auch Walther Rathenau wurde Erzberger am 26. August 1921 Opfer eines hinterhältigen Mordanschlags der rechtsterroristischen Organisation Condor. Der spätere Bundespräsident Theodor Heuss urteilte später über Erzbergers Rolle in Compiègne beim Abschluss des Waffenstillstands: "…dass er dies tat, war sachlich und menschlich eine fehlerhafte Entscheidung. Denn diese Aufgabe wartete auf ein Mitglied der Obersten Heeresleitung, die für den Ablauf der Kriegshandlungen verantwortlich gewesen. Dies aber war nun, wenn man so will, Erzbergers ´Schwäche´, eine betriebsame, bedenkenlose, auch mutige Verantwortungswilligkeit…"

Finanzreform und einheitliches Bahnsystem

Matthias Erzberger bleibt bis heute durch eine nach ihm benannte Finanzreform und die Schaffung eines reichseinheitliches Bahnsystems in guter Erinnerung. Mit dem preußischen Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 war erstmals ein grundsätzlich progressiver Einkommensteuertarif eingeführt worden. Dieser sah ein steuerfreies Existenzminimum von 900 Mark und in absoluten Beträgen gestufte Steuersätze vor. Als sogenannter Höchststeuersatz stieg die Steuer bei Einkommen über 105000 Mark in Stufen von 5000 Mark um je 200 Mark, was zum Anstieg des Durchschnittssteuersatzes führte. Im Rahmen der nach Erzberger benannten Finanzreform wurde das Einkommensteuergesetz vom 29. März 1920 mit dem unter anderem eine Haushaltsbesteuerung in Kraft trat. Erfasst wurden dabei nicht nur die Einkommen der Eheleute, sondern auch die zum Haushalt zählenden minderjährigen Kinder. Dass sich Erzberger mit dieser Art der Besteuerung höherer und hoher Einkommen nicht überall Freunde machte, liegt auf der Hand. Seit März 2017 ist das Bundestagsgebäude Unter den Linden 71 nicht weit vom Brandenburger Tor in Berlin entfernt nach Matthias Erzberger benannt. Die Namensgebung erfolgte am 23. März 2017, dem 84. Jahrestag des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933 durch den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Zeitgleich bekam auch das schräg gegenüberliegende Otto-Wels-Haus des Deutschen Bundestages dessen Namen. Die von Bertrand Freiesleben geschaffene Porträtbüste schmückt seit dem 17. Mai 2021 den Eingang, und zwar nicht im Gebäude sondern davor. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte bei der Einweihung, Deutschland und seine Hauptstadt seien bisher "nicht sonderlich generös" mit Erzberger umgegangen. Dieser sei vermutlich kein einfacher und auch kein unbedingt sympathischer Mensch gewesen, aber er habe einen gewaltigen Anteil am geordneten Übergang seines Landes vom Kaiserreich in die Republik gehabt. Erzberger habe sich vom leidenschaftlichen Anhänger des Krieges zu dessen Gegner gewandelt. Maßgeblich sei er an der Friedensresolution des Reichstags vom 6. April 1917 beteiligt gewesen. Als man ihn deshalb der Prinzipienlosigkeit bezichtigte, erklärte er, nur ein politischer Idiot könne "im Jahre 1917 das Kriegsziel noch so stecken wie 1914/15".

Des Bildhauers Kampf für die Porträtbüste

Bei der Feier zur Einweihung der Erzberger-Büste sagte Lammert, alle Häuser des Deutschen Bundestages bekämen einen Namen und ein Gesicht in Gestalt einer von jeweils einem anderen Künstler gestalteten Büste. Jetzt können Spaziergänger Matthias Erzberger in die Augen schauen, wenn sie am Haus Unter den Linden 71 vorüber gehen oder es besuchen. Eine Bild-Text-Tafel neben dem Eingang macht in knapper Form mit der Biographie des lange vergessenen und geschmähten Politikers bekannt. Nach seiner Idee für die Schaffung der Erzberger-Büste gefragt, sagte der auf diesem Gebiet überaus erfolgreiche Bildhauer und Porträtist Bertrand Freiesleben, es sei ihm weniger um einen Staatsmann und Standardpolitiker gegangen, sondern vielmehr um einen sensiblen, einfühlsamen Mann, als der Erzberger geschildert wird. Da das Foyer des aus DDR-Zeiten stammenden, ehemals als Volksbildungsministerium genutzten und später umgebauten Hauses Unter den Linden 71 architektonisch eine Katastrophe ist, konnte die Büste dort nicht aufgestellt werden. "So kam es, dass sie einen Standort vor dem Eingang bekam, wie keine zweite in Deutschland ihn hat. Das freut mich zusätzlich, denn ich kämpfe seit 30 Jahren gegen das Verschwinden der Portraitbüste in Deutschland an", sagte er 1967 in Lübeck geborene Künstler, der Bildhauerei in Kiel und Kunstgeschichte in Berlin studiert hat und sich mit zahlreichen anderen Porträtbüsten einen Namen gemacht hat. Neben Köpfen berühmter Dirigenten wie Claudio Abbado oder Kurt Masur hat Freiesleben, der auch Mitglied der Schadow-Gesellschaft Berlin e. V. ist und sich für die Wiederbelebung der Porträtplastik einsetzt, auch frühere Bundespräsidenten wie Walter Scheel, Roman Herzog Richard von Weizsäcker und Christian Wulff sowie Künstlern wie Dieter Hallervorden und Harald Juhnke und vielen anderen Persönlichkeiten ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.

Helden ohne Degen im Spreebogen Wer durch Berlin geht, sieht an vielen Hauswänden weiße Porzellantafeln, die an mehr oder weniger berühmte Politiker, Künstler und Wissenschaftler, aber auch Vertreter des Widerstands gegen das Hitlerregime und andere Persönlichkeiten erinnern. Da und dort sind auf Straßen und Plätzen sowie in und vor Gebäuden, wie am Beispiel von Matthias Erzberger geschildert, auch Büsten meist aus Bronze aufgestellt. In der Straße der Erinnerung im Spreebogen im Ortsteil Moabit werden "Helden ohne Degen" geehrt. Unter ihnen ist Albrecht Haushofer (1903-1945), der sich von einem Befürworter der geopolitischen Ziele der NS-Führung zu einem entschiedenen Gegner des Regimes entwickelte und zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 gehörte. Bekannt wurde Haushofer vor allem durch seine in der Gestapohaft geschriebenen "Moabiter Sonette", in denen er sich einen "Kassandro" nannte, "weil ich der Seherin von Troja gleich, / die ganze Todesnot von Volk und Reich / durch bittre Jahr schon vorausgekannt". Nach dem gescheiterten Anschlag des Grafen Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auf Hitler untergetaucht, wurde Haushofer Anfang Dezember 1944 von der Gestapo verhaftet. Im Gefängnis Moabit wartete er auf sein Gerichtsverfahren und das Todesurteil. "Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt. / Dann sinds die besten Köpfe, die man henkt", schrieb er. Unmittelbar vor Kriegsende, als schon die Rote Armee in die Berliner Außenbezirke drang, wurde Haushofer mit zwölf Mithäftlingen in der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 in der Nähe des Gefängnisses Lehrter Straße von der SS erschossen.

Eine weitere Büste ehrt Berliner Ingenieur und Maschinenbauer Konrad Zuse (1910-1995), der sich als Vater des Computers einen Namen machte. Eine Bronzetafel zitiert ihn mit den Worten: "Durch die Maschine wird dem Ingenieur die die mechanische Rechenarbeit nicht nur abgenommen, sondern ihr Umfang kann enorm gesteigert werden". Nach und nach hat die Ernst-Freiberger-Stiftung die Uferpromenade in eine Straße der Erinnerung umgewandelt. Platz für insgesamt zwölf Büsten ist vorhanden. Zu ihnen gehören der frühere deutsche Außenminister und Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann (1878-1929), der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1886-1955) sowie der Vertreter der Moderne der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) und die Bildhauerin und Malerin Käthe Kollwitz (1867-1945). Weitere Denkmäler erinnern an Albert Einstein (1879-1955), den Kämpfer gegen das Hitler-Regime Georg Elser (1903-1945), dessen Attentat auf Hitler am 8. November 1939 scheiterte, an den Industriellen und Reichsaußenminister Walter Rathenau (1867-1922), der wie Erzberger einem Attentat von Angehörigen nationalistisch und antisemitisch ausgerichtete Terror-Organisation Consul zum Opfer fiel, den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955) und Edith Stein (1891-1942), die aus einer jüdischen Familie stammte, zum Katholizismus übertrat, als Märtyrerin in Auschwitz starb und 1998 heilig gesprochen wurde. Ferner erinnert die Straße der Erinnerung an den Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897-1977), der als Vater des Wirtschaftswunders bis heute hohes Ansehen genießt, und an Bundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017), der sich um die deutsche Wiedervereinigung 1990 verdient gemacht hat. Geehrt werden mit der Bronzeskulptur "Wir sind das Volk" auch jene Unbekannten, die im Herbst 1989 für den Fall der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze gesorgt und das SED-Regime in der DDR zu Fall gebracht haben. Zu sehen sind Menschen, die sich durch die Grenzanlagen den Weg in die so lange in der DDR vermisste Freiheit bahnen.

30. Mai 2021

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"