Glockenspiel aus turbulenten Zeiten
Nachbau des Carillons von der Potsdamer Garnisonkirche in steht jetzt unter Denkmalschutz



Seit 1991 erhebt sich das jetzt unter Denkmalschutz gestellte Stahlgerüst mit den nachgegossenen Bronzeglocken auf der Plantage unweit der Garnisonkirche.





Die Glocken aus dem frühen 18. Jahrhundert hingen im Turm der Potsdamer Garnisonkirche, die am 14. April 1945 Opfer eines britischen Luftangriffs wurde wie große Teile der Innenstadt auch.



Die NS-Propaganda und Tourismuswerbung nutzten die Potsdamer Garnisonkirche weidliche für ihre Zwecke aus. Das Fünfmarkstück von 1934 und die Medaille erinnern mit der Darstellung der Garnisonkirche und dem Datum 21. März 1933 an den "Tag von Potsdam".



Diese Postkarte und andere Hinterlassenschaften aus der NS-Zeit sind im Potsdam-Museum am Alten Markt ausgestellt.



Das Buch der Denkmalpflegerin Franziska von Preuschen über den Griff der SED und ihres allmächtigen Chefs Walter Ulbricht über den Umgang mit kriegszerstörten Kirchenbauten in der DDR erschien 2011 in der Wernerschen Verlagsgesellschaft, Worms 2011.



Nichts sollte den Abriss der verhassten Garnisonkirche 1968 überdauern, dennoch haben mutige Potsdamer das eine oder andere Bruchstück gerettet und gehütet. Verschiedene Spolien kann man im Potsdam-Museum betrachten.



Die Medaille wirbt für den Wiederaufbau der Garnisonkirche, der Reinerlös kam diesem zugute. (Fotos/Repros: Caspar)

Das in den 1980er Jahren geschaffene und 1991 nahe des historischen Standorts der Potsdamer Garnisonkirche auf einer Plantage genannten Grünanlage aufgestellte Glockenspiel wurde am 19. Juli 2021 in die Denkmalliste des Landes Brandenburg aufgenommen. Die Begründung dafür nahm das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologische Landesmuseum (BLDAM) vor. Als freistehendes Objekt im öffentlichen Raum wird dem Glockenspiel städtebauliche Bedeutung bescheinigt. Mit 40 hochwertig gegossenen und klingenden Glocken besitze es musikgeschichtliche und -technische Bedeutung. Wesentlich und vielschichtig sei die geschichtliche Bedeutung des Glockenspiels. Wertvoll für das Verständnis der Fakten ist das im Jahr 2020 von der Landeshauptstadt Potsdam in Auftrag gegebene und im Frühjahr 2021 abgeschlossene Gutachten des Historikers Dominik Juhnke vom Leibniz-Institut für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Christine Onnen, Dezernatsleiterin Inventarisation und Dokumentation im BLDAM erklärte: "Das Glockenspiel ist als eigenständiges Denkmal der jüngeren Zeitgeschichte zu sehen und zu bewerten, auch wenn es im historischen Kontext der Geschichte der Garnisonkirche steht. Als zeithistorisches Zeugnis der Vor- und Nachwendezeit um 1989 dokumentiert es die gesellschaftlichen Debatten in Potsdam und die der rechtskonservativen Kreise in Westdeutschland. Seine Existenz muss dazu beitragen, am Original diese jüngste Geschichte auch künftig aufzuarbeiten." Im Gutachten wird empfohlen, das Glockenspiel auf der Plantage zu belassen sowie dort in geeigneter Weise den historischen Hintergrund des Vorbilds aus dem frühen 18. Jahrhundert und des Nachbaus darzustellen. Die Potsdamer Stadtgesellschaft besitze die Chance, sich anhand originaler Substanz ihrer jüngsten Geschichte zu vergewissern und diese weiter zu erforschen.

Mit Freude und Dank angenommen

Das aus 40 großen und kleinen Glocken bestehende Instrument ist ein Nachbau des historischen Carillons im Turm der Potsdamer Garnisonkirche, die 1722 bis 1735 im Auftrag des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. erbaut und am 14. April 1945 und 1968 auf Befehl der SED abgetragen wurde. Der Auftrag für das in einem hohen Stahlgerüst eingehängte Instrument kam von einer privaten Initiative in Nordrhein-Westfalen. Sie hatte die Absicht, es im Falle der deutschen Wiedervereinigung der Stadt Potsdam zu schenken, dorthin zu überführen und später in der wiederaufgebauten Kirche zu installieren. Am 17. Juni 1987, dem 34. Gedenktag an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953, wurde es in der Iserlohner Kaserne feierlich eingeweiht. Als die deutsche Einheit kam, erhielt Potsdam das Glockenspiel als Geschenk und stellte es auf der Plantage neben dem Standort der ehemaligen Garnisonkirche auf. Am 14. April 1991, dem 46. Jahrestag des Luftangriffs auf Potsdam, eingeweiht, wirbt es seither für den Wiederaufbau des Turms dieses Gotteshauses. Bereits im Oktober 1990 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Gabe aus Iserlohn mit diesen Worten begrüßt: "Mit Freude und Dank nehmen wir die Initiative der ,Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.' zugunsten der Garnisonkirche zur Kenntnis, die dem Bedürfnis, die alte Schönheit der Stadt Potsdam wiederherzustellen, entspricht. […] Der mögliche Wiederaufbau der Garnisonkirche wird in einer wirtschaftlich gesicherten Zukunft unserer Stadt seinen Platz finden."

Der zeitgeschichtliche und politische Hintergrund des Geschenks aus der westdeutschen Stadt Iserlohn war und ist mehr als bedenklich, denn eine der Glocken war mit einer Karte des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 versehen. Das schon wirft ein eigenartiges Licht auf die im rechten politischen Spektrum angesiedelten Initiatoren um den Bundeswehroberst Max Klaar. Die völkerrechtlich abgeschlossenen und geltenden Verträgen Hohn sprechende Dekoration wurde vor der Installation von der Stadt Potsdam entfernt, ebenso Widmungen für die ehemaligen deutschen Ostgebiete jenseits der schon 1950 von der DDR und Polen fixierten und außerdem im Potsdamer Abkommen von 1945 festgelegten Oder-Neiße-Grenze. Gegen diese wurde im deutschen Westen heftig polemisiert, und das mag auch ein Grund gewesen sein, die Glocken entsprechend zu dekorieren. Andere Texte blieben bestehen.

Anstößige Bilder und Widmungen

Die Geburt des Glockenspiels war von merkwürdigen Umständen begleitet. Bei seiner Einweihung am 17. Juni 1987 in einer Iserlohner Kaserne hatte Gerhard Wessel, Präsident des Bundesnachrichtendienstes a. D. und ehemaliger Oberstleutnant der Wehrmacht, zustimmend aus Paul von Hindenburgs im Mai 1934 veröffentlichtem Buch "Pflichten des Deutschen Soldaten" erklärt: "‚Größten Lohn und höchstes Glück findet der Soldat im Bewusstsein freudiger Pflichterfüllung.' […] Aus diesen Worten sprechen große ethische Werte. Sie gelten auch heute und morgen. Und ich bin überzeugt davon, dass es diese Werte und diese Haltungen waren, die uns bewogen, für das Potsdamer Glockenspiel […] zu spenden. Nach mehr als vier Jahrzehnten erlebt eine schon für immer zerstörte und vernichtet geglaubte Tradition ihre Auferstehung."

Eine der Glocken war der 121. Infanteriedivision der Wehrmacht gewidmet, die unter anderem 1941/1942 an der Belagerung von Leningrad beteiligt war, durch die eine Million Menschen infolge von Hunger und Krankheit starb. Eine weitere Glocke huldigte dem Wehrmacht-Luftwaffenoffizier Joachim Helbig, der nicht nur hunderte Fliegerangriffe in vielen Teilen Europas geflogen hatte, sondern auch noch nach Hitlers Selbstmord in den letzten Tagen NS-Reichs diesem die Treue hielt und für die Regierung Dönitz im Einsatz war. Mit dem berüchtigten Kyffhäuserbund ehrte eine weitere Glocke einen nach einen Berg in Thüringen benannten antidemokratischen Soldatenverein, der in der Weimarer Zeit zahlreiche Gedenkfeiern in der Garnisonkirche abgehalten hatte. Ob die anstößigen Widmungen noch existieren, müsste vor Ort geklärt werden.

Abriss auf Ulbrichts Befehl

Gut drei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 14. April 1945 die alte preußische Residenz- und Garnisonstadt Potsdam von britischen Bombern zerstört. Tausende Menschen starben im Feuersturm, wertvolles Kulturgut ging zu Grunde. Bei der Erstürmung der von den Nationalsozialisten kurz vor Toresschluss noch zur "Festung" erklärten Stadt durch die Rote Armee wurden Ende April 1945 weitere Gebäude in Trümmer gelegt. In den frühen Fünfzigerjahren begann der zaghafte Wiederaufbau der in Trümmern liegenden barocken Innenstadt. Doch wurden die Arbeiten aus ideologischen Gründen vom SED-Chef Walter Ulbricht gestoppt. So wenig wie möglich sollte in der "sozialistischen Bezirkshauptstadt" Potsdam an die alte, die verhasste Preußenzeit erinnern. Der allmächtige Staats- und Parteichef machte historische Bauwerke für das verantwortlich, wer dort lebte und was in ihnen beschlossen und befohlen wurde. Und so veranlasste er den Abriss des im 17. und 18. von den brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Königen erbauten Stadtschlosses in Potsdam, für dessen Wiederaufbau bereits Pläne vorlagen. Außerdem verfügte er den Abriss der Ruine der unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. "zur Ehre Gottes" erbauten Garnisonkirche, wie es auf einer Inschriftenplatte über dem Portal hieß.

Für das Gotteshaus gab es Wiederaufbaupläne, doch wurden sie vom Tisch gefegt und alle Befürworter der Neugeburt dieses auch für die Stadtsilhouette wichtigen Gotteshauses mundtot gemacht. In ihm wurden 1740 und 186 zwei Preußenkönige - Friedrich Wilhelm I., der Bauherr, und sein Sohn Friedrich II. den man den Großen nannte, bestattet. Vor den Gräbern schworen der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. und der russische Zar Alexander I. 1805 einander ewige Treue, ein Jahr später soll der französische Kaiser Napoleon I. beim Besuch der Königsgruft mit dem Blick auf den Sarg Friedrichs des Großen gesagt haben, wenn dieser noch lebte, stände er, Napoleon I., nicht hier.

Gotteshaus in Kultstätte der Nazis umgewandelt

Münzsammlern ist das Gotteshaus mit seinem 88 Meter hohen Turm vor allem durch silberne Zwei- und Fünfmarkstücke bekannt, die 1934 zur Erinnerung an den berühmt-berüchtigten "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 geprägt wurden. Damit wurde in der NS-Zeit jener Tag bezeichnet, an dem in einem feierlichen, durch den Reichsrundfunk in alle Himmelsrichtungen übertragenen Staatsakt in der Garnisonkirche der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg symbolisch die exekutive Gewalt in die Hände des von ihm bereits am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannten Führers der NSDAP Adolf Hitler übertrug. Der vom Propagandaminister Joseph Goebbels vorbereitete und breit in allen Medien ausgeschlachtete Handschlag zwischen beiden Männern fand auch im Ausland große, meist positive Aufmerksamkeit. An der Bahre des großen unsterblichen Friedrich beginne das neue Werk des Wiederaufbaues, versprach Hitler bei dem Staatsakt und meinte die unbarmherzige Verfolgung jedweder Opposition und die Errichtung seines ganz auf Diktatur und Unterdrückung ausgerichteten Führerstaates. Propagandaminister Joseph Goebbels fand in seinem Tagebucheintrag vom 22. März 1933 pathetische Worte: "Ein geschichtlicher Augenblick. Das Schild der deutschen Ehre ist wieder reingewaschen. Die Standarten mit unseren Adlern steigen hoch."

Wenige Tage nach jenem Staatsakt in der zu einer Nazikultstätte umgewandelten Garnisonkirche begann am 1. April 1933 der Boykott jüdischer Geschäfte sowie die Ausgrenzung und Verfolgung aller Bürger, die nicht ins politische und rassistische Konzept der Nationalsozialisten passten. Systematisch wurde im Deutschen Reich aufgerüstet und ein neuer Krieg mit dem Ziel der Eroberung neuer "Lebensräume" und der Vernichtung ganzer Völker vorbereitet. Angesichts des Wiederaufbaus des Turms der Garnisonkirche und des nachgebauten Glockenspiels daneben sollten die grauenhaften Fakten stets in Erinnerung bleiben.

5. August 2021

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