Wer durch die nach dem ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Justus von Gruner benannte Grunerstraße oberirdisch oder durch einen aus DDR-Zeiten stammenden Tunnel aus der Stadt oder in sie hinein fahren will, muss das wegen der Verkehrseinschränkungen auf geschlängelten Wegen tun und viel Zeit mitbringen. Von einer Straßenseite zur anderen zu kommen, ist nur an wenigen, durch Ampeln ausgewiesenen Stellen möglich. Die Arbeiten erfolgen im Zusammenhang mit der Um- und Neugestaltung des Molkenmarkts, der zu den ältesten Bereichen Berlins gehört. Geplant ist der Bau eines neuen, kleinteilig gestalteten Stadtquartiers, dessen Grundrisse und Traufhöhen sich an historische Situationen anlehnen sollen.
Matthias Wemhoff, der Berliner Landesarchäologe und Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, spricht von der einmaligen Chance, das Jahrhunderte alte Erbe Berlins durch die Grabungen ans Tageslicht zu holen. Denn wenn erst einmal am Molkenmarkt und anliegenden Arealen die Wohn- und Geschäftshäuser im Zusammenhang mit der Errichtung eines neuen Stadtquartiers mit den historischen Strukturen nachempfundenen Grundsrissen und Haushöhen Tiefgaragen gebaut werden, sei das uralte Berlin, "final" vernichtet. Wemhoff plädiert dafür, die Keller des Alten Berliner Rathauses, dessen Fundamente direkt vor dem Roten Rathaus liegen, sichtbar zu machen. Bei Ausgrabungen waren sie vor einigen Jahren im Zusammenhang mit dem Bau der U-Bahnlinie 5 in gutem Zustand freigelegt worden. Darunter waren auch die mächtigen Backsteinpfeiler, die die Gewölbe trugen. Aus alten Berichten ist bekannt, dass in der unterirdischen Halle Wein und Bier verkauft und getrunken und verkauft wurde, während im Erdgeschoss Tuchhändler und Gewandschneider ihre Ware feil boten.
Früher besiedelt als angenommen
Es hat lange gedauert, bis die Ausgrabungen im historischen Zentrum der Stadt in Angriff genommen werden konnten. Einige Jahre nach der Wiedervereinigung 1990 begannen die Grabungen stets im Zusammenhang mit Baumaßnahmen und der Verlegung von Leitungen am Petriplatz, am Schloss und am Dominikanerkloster, vor dem Roten Rathaus, im Klosterviertel und auf dem Jüdenhof, an der Spandauer Straße und Breiten Straße sowie rund um die Marienkirche, die Nikolaikirche und an der Friedrichswerderschen Kirche. Erst vor kurzem wurden die Untersuchungen auf der Fischerinsel abgeschlossen, wo Hochhäuser gebaut werden. Die Grabungen ergaben, dass die Stadt viel früher gegründet wurde als bisher angenommen. Vor ihrer erstmaligen Erwähnung in Urkunden aus den Jahren 1237 und 1244 gab es an der Spree schon eine Siedlung.
Wie es sich in der alten Doppelstadt Berlin-Cölln lebte, soll anhand eines archäologischen Lehrpfades geschildert werden. Beim Richtfest im Sommer 2021 sagte Kultursenator Klaus Lederer, der Petriplatz nehme "an Fahrt auf. Nebenan wurde der Grundstein für das House of One gelegt, hier entsteht ein neues Zuhause der Berliner Archäologie. Es bietet Teilhabe an, öffnet sich Besucherinnen und Besuchern und präsentiert Funde und Forschungen." Wenn das Archäologische Fenster entsteht, wird zu sehen sein, dass Berlin eine lebendige Bürgerstadt war, bevor sie im 13. Jahrhundert und danach unter die Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg geriet.
Funde unter einem Parkplatz
Auf dem Großen Jüdenhof zwischen Alexanderplatz und Klosterstraße haben Archäologen Reste uralter Keller und Hausmauern freigelegt. Sie gehören zu einer Periode, als hier keine Juden ansässig waren, diese wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts vertrieben und durften sich erst im ausgehenden 17. Jahrhundert auf Einladung des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, aus Wien kommend, in Berlin ansiedeln. Am Großen Jüdenhof, dessen Name nicht verändert wurde, lebten christliche Handwerker. Die Funde deuten auf Metallhandwerker und Leute hin, die im Textilgewerbe und als Gerber tätig waren. Die Ausgrabungen auf dem lange als Parkplatz genutzten Areal erfolgten im Zusammenhang mit Planungen für neue Wohn- und Geschäftshäuser. Ähnliche Funde wurden auch auf dem als Abstellraum für Autos genutzten Petriplatz, auf dem Schlossplatz und an anderen Orten gemacht.
Das Landesdenkmalamt möchte die stadtgeschichtlich interessanten Spuren in die Neubauten einbeziehen. Reste der bisher noch nie von Archäologen erforschten Viertel sollen, so weit möglich, in die Neubauten integriert werden. Das würde das geschichtlich hochinteressante Areal spürbar aufwerten und seinen Bekanntheitsgrad verbessern, heißt es im Landesdenkmalamt. Das wäre ein schöner Brückenschlag von der Gegenwart zurück in die ältesten Zeiten der Stadt. Einige bei den Grabungen entdeckten Keramiken, Metallgegenstände, Münzen und andere Hinterlassenschaften werden im Museum für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum auf der Museumsinsel gezeigt.
Bezug auf historischen Stadtgrundriss
Die Gesellschaft Historisches Berlin (GHB) und weitere an der Historie und Baukultur der Stadt interessierte Vereine begrüßen prinzipiell die Pläne für den Molkenmarkt. "Nach über zwanzigjähriger Planungszeit wurde der Bebauungsplan für den Molkenmarkt und das Klosterviertel festgesetzt. Der Plan nimmt einen erkennbaren Bezug zu dem historischen Stadtgrundriss, verzichtet jedoch darauf, die ehemals geplante Kleinteiligkeit der Parzellen festzulegen. Aus politischer Sicht will man die Grundstücke nicht mehr an einzelne private Bauherren verkaufen, sondern je eine große Parzelle an zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften und eine rückübertragene kleine Parzelle an einen privaten Bauherren vergeben. Mit dieser Maßnahme soll preisgünstiges Bauen ermöglicht werden."
Ausgrabungen im Areal südlich des Roten Rathauses, das heißt zwischen Gustav-Böß-Straße und der Grunerstraße, das als Parkplatz diente, wird seit 2020 auf einer Fläche von über 6.000 Quadratmetern ausgegraben. Auf dem ehemaligen Parkplatz wurden 30 Zentimeter unter der Straßenoberkante Relikte alter Bebauungen gefunden. Die vollständig ausgegrabenen Mauern, die mit Trümmerschutt verfüllt waren, sind Reste des ehemaligen Elektrizitätswerkes und der Umspannstation Spandauer Straße / Rathausstraße. Darüber hinaus wurde die gut erhaltene mittelalterliche Nordmauer des Hauses Blankenfelde freigelegt. Da sie von besonderem kulturgeschichtlichem Wert sind, werden sie als Zeitzeugen weitestgehend erhalten.
Grunerstraße wird schmaler und kurvenreicher
Im Zusammenhang mit dem Neubau der Grunerstraße erfolgt die Um- und Neuverlegung der unterirdischen Infrastruktur der künftigen Straßen und Wohnquartiere sowie die archäologische Dokumentation der im Boden befindlichen historischen Zeugnisse des mittelalterlichen Stadtkerns von Berlin. Die archäologischen Erkundungen werden weiterhin teilweise im Vorlauf zu dem Straßenbau erfolgen, sowie im Bedarfsfall parallel zu den Erdarbeiten des eigentlichen Straßenbaus. Die bisher möglichen Vorleistungen der Versorgungsunternehmen sind abgeschlossen, so dass ein reibungsloser Baubeginn der Hauptbaumaßnahme im September 2019 erfolgen konnte. Nicht mehr im Gespräch ist die Zuschüttung des aus DDR-Zeiten stammenden Straßentunnels. Er wurde vor einigen Jahren saniert und wird wohl noch lange Zeit immense Automassen durchleiten.
Die Baumaßnahmen sollen im Wesentlichen 2024 abgeschlossen werden. Bei der Langsamkeit, wie in Berlin geplant und gebaut wird - siehe Flughafen BER - und Unsicherheiten bei der Finanzierung muss bezweifelt werden, ob der Zeit- und Kostenplan eingehalten wird. Da die Ausgrabungen zügig vonstatten gehen und auch das Wetter mitspielt, darf man hoffen, dass wenigstens diese rechtzeitig abgeschlossen werden, damit die Häuser nach und nach in die Höhe wachsen können. In paar Jahren wird die Berliner Innenstadt um - hoffentlich - ein architektonisch und wegen der von den Archäologen freigelegten Hinterlassenschaften unserer Vorfahren interessantes Highlight reicher sein.
20. Dezember 2021
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