Es sollte ein fröhlicher Ausflug auf dem Dampfer "Heimatland" werden, doch er endete am 5. Juli 1951, vor 70 Jahren, mit einem furchtbaren Unglück, dem schwersten in der Geschichte der Berliner Fahrgastschifffahrt und der Binnenschifffahrt der DDR. In einem abgelegenen Teil des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde erinnert ein ungewöhnliches Grabdenkmal mit vielen Namen und einer seitlichen Tafel mit erklärenden Worten an 127 Kinder aus dem Stadtteil Prenzlauer Berg und ihre Betreuern, die von Alt-Treptow nach Hessenwinkel unternehmen wollten. Das Motorschiff, dessen Eigner und Kapitän Erich Weise hieß, explodierte noch im Hafenbereich nach 300 Metern Fahrt.
Schuld war der Benzinmotor, dessen Vergaser defekt war. Sofort stand das gesamte Schiff in Brand und tötete alle Kinder, die im Unterdeck saßen. Trotz einer der schnell eingeleiteten Rettungsaktion des Fahrgastschiffs "Elfriede" und zahlreicher Freiwilliger kamen nach DDR-Angaben 28 Kinder und 2 Betreuer ums Leben. Schätzungen im damaligen West-Berlin zufolge sollen es bis zu 49 Personen gewesen sein. Die Trauer war groß, zahlreiche Menschen waren dabei, als die Opfer dieses Unglücks auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde bestattet wurden. Ihnen zum Gedenken und zur Mahnung wurde dort etwas abseits von der Gedenkstätte der Sozialisten ein mit Namen und Geburtsdaten versehenes Grabdenkmal errichtet. Viele dort genannte Kinder hatten das zehnte Lebensjahr nicht erreicht, einige waren Geschwister. Warum sie nur wenige hundert Meter von der Gedenkstätte der Sozialisten bestattet wurden, bleibt Spekulation. Die Genehmigung und der Bau der Anlage durch die SED-Führung und DDR-Regierung hatte ganz sicher nichts mit dem Eingeständnis zu tun, dass Schlamperei und mangelndes Verantwortungsbewusstsein zu der Katastrophe im Treptower Hafen führten.
Schlamperei und Verantwortungslosigkeit
Eine offizielle Untersuchung der Unglücksursache ergab, dass Erich Weise ohne behördliche Genehmigung den Dieselmotor seines Schiffes gegen einen alten Benzinmotor ausgetauscht hatte. Deshalb wurde er wegen vorsätzlicher Transportgefährdung mit Todesfolge in einem besonders schweren Fall vom Landgericht Berlin-Mitte zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Verschwiegen wurde, dass Weise für die Deutsche Schiffs- und Umschlagzentrale (DSU) fuhr. Möglicherweise hatte er im Auftrag dieses Staatsunternehmens gehandelt. Doch das zu ergründen und öffentlich zu machen, hätte sicher für die erst 1949 gegründete DDR vermutlich peinlich werden können. Dem von Karin und Till Ludwig produzierten Dokumentarfilm "Tod auf der Spree. Das Unglück auf der MS Heimatland" zufolge hatte Weise vergeblich versucht, mit Hilfe der DSU einen Ersatzdieselmotor für sein Schiff zu beschaffen. Deshalb wurde der Benzinmotor mit Billigung des Staatsbetriebs eingebaut. Da Weise nach dem Motoraustausch sofort den Befehl für die spätere Unglücksfahrt erhielt, hatte er keine Chance, die vorgeschriebene technische Abnahme des Bootes vor der Erstfahrt nach der Reparatur zu erhalten. Nachdem der Schiffseigner im Rahmen einer Amnestie aus dem Zuchthaus entlassen worden war, siedelte er mit seiner Familie nach West-Berlin über und arbeitete dort weiter als Binnenschiffer.
Die Schiffskatastrophe in Treptow passte überhaupt nicht in die Zeit, da sich Ostberlin und die DDR mit Jubelstimmung auf die Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Ostteil der Stadt vorbereitete. Zudem geriet das Unglück in die Mühlen der vom Kalten Krieg geprägten Stimmung in beiden deutschen Staaten und der geteilten Stadt Berlin. Die dort ansässigen Medien beschrieben das Unglück und seine Ursachen sowie die Rettungsarbeiten höchst unterschiedlich. Während im Osten betont wurde, es seien sofort Rettungsmaßnahmen der Bereitschaftspolizei, der Feuerwehr und der Wasserschutzpolizei eingeleitet worden, behauptete die westliche Seite, Rettungsmaßnahmen der Volkspolizei seien nur widerwillig und viel zu spät eingeleitet worden, und sie habe sich nur ungenügend um die im Wasser treibenden Kinder gekümmert. Außerdem habe die Ostseite Hilfe durch West-Berliner Polizeiboote geschickt worden. Wie dem auch sei, der Fall zeigt, dass beiden sich feindlich gegenüber stehenden Seiten nichts ausgelassen haben, aus dem traurigen Fall politisches Kapital zu schlagen. 34 Lebensretter zeichnete der Ost-Berliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert, der Sohn des Reichspräsidenten gleichen Namens, am 14. Juli 1951 mit Urkunden und Sachgeschenken aus. Schlecht erging es dem wichtigsten Retter, Kapitän Bernhard Langwaldt, der das nachfolgende Schiff kommandierte und viele Kinder rettete. Er war noch am Unglücksort von der Volkspolizei festgenommen und in Handschellen ins Gefängnis Rummelsburg gebracht worden in der Annahme, er sei der Unglückskapitän. Später wurde er wieder freigelassen. Eine kleine Tafel am Gedenkstein im Treptower Hafen nennt ausdrücklich ihn als Retter vieler verunglückter Kinder.
Eine in der Nähe der Trauerhalle im Boden liegende Gedenktafel aus Metall hält die Erinnerung an Kinder und Jugendliche verschiedener Konfessionen sowie an Betreuer und Beamte wach, "die zwischen 1859 und 1896 auf dem damaligen Friedhof des städtischen Waisenhauses Rummelsburg und seiner späteren Abteilung des städtischen Arbeitshauses Rummelsburg bestattet wurden. Seit etwa 1915 gilt dieser Friedhof als aufgelassen. In der DDR wurde er als Teil einer Gefängnisanlage versiegelt. 2012 wurden für den Bau neuer Wohnhäuser die Abdeckung entfernt, die geborgenen Gebeine hierher umgebettet und im November 2014 auf Beschluss des Bezirks Berlin-Lichtenberg die Erinnerungsstätte angelegt."
Katastrophen mit vielen Toten und Verletzten
In der DDR passten Katastrophen wie die von 1951 im Treptower Hafen nicht in das Bild von der schönen sozialistischen Menschengemeinschaft, wie es vom SED-Chef Walter Ulbricht propagiert und von den Medien nachgebetet wurde. Über Natur- und von Menschen zu verantwortende Ereignisse der schlimmen Art wurden, wenn es sich nicht vermeiden ließ, offiziell geschwiegen. Besonders schwerwiegende Unglücke kamen, oft mit Berichten von den Trauerfeiern, in den Zeitungen und im DDR-Fernsehen vor. Erst nach dem Ende des zweiten deutschen Staates war es möglich, Ursachen, Verläufen und Auswirkungen dieser Katastrophen auf den Grund zu gehen und Hinterbliebene und Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Das betrifft unter anderem einen Grubenbrand in der SDAG Wismut in Niederschlema am 16. Juli 1955. Durch die schlechte Organisation im Bereich Arbeitssicherheit und des Grubenrettungswesens verloren 33 Menschen ihr Leben, 106 wurden verletzt. Zu den Toten gehörte auch eine hohe Zahl von Rettungskräften. Nach diesem Unglück rückte die Arbeitssicherheit mehr in den Mittelpunkt und alle unter Tage beschäftigten Arbeiter und Besucher der Gruben mussten CO-Selbstretter mit sich führen.
Eisenbahn-, Gruben- und andere Unglücke ließen sich in der DDR und anderswo nicht verhindern und auch in vielen Fällen nicht vertuschen. Bei einem solchen am 22. Februar 1960 kamen bei einer schweren Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosion und einem durch sie ausgelösten Grubenbrand in mehr als 1000 Meter Tiefe kamen 123 Bergleute ums Leben. Mangelhafter Arbeitsschutz war die Ursache eines Chemieunfalls am 11. Juli 1968 durch eine Vinylchlorid-Explosion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, bei der 42 Menschen den Tod fanden und über 270 verletzt wurden. Beim Eisenbahnunfall von Leipzig stießen am 15. Mai 1960 auf dem Leipziger Hauptbahnhof der Personenzug Leipzig-Halle mit dem Eilzug Halberstadt-Schandau frontal zusammen. Dabei kamen mindestens 54 Menschen dabei ums Leben, viele weitere wurden verletzt. Am 12. Dezember 1986 verunglückte eine Tupolew Tu-134A im Landeanflug nahe dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Neben der regulären achtköpfigen Besatzung befand sich ein zusätzlicher Instrukteur an Bord, der die Leistung der Piloten bei Landungen unter schlechten Sichtbedingungen bewerten sollte. Das Flugzeug beförderte 73 Passagiere, darunter 27 Schüler Ernst-Schneller-Oberschule in Schwerin sowie deren Begleitpersonen. Sie waren von einer Abschlussreise aus Minsk zurück gekehrt. Der Flugdatenschreiber und der Cockpit Voice Recorder konnten geborgen werden, doch wurden die Aufzeichnungen sowie ein offizieller Untersuchungsbericht wurden in der DDR nicht veröffentlicht. Die DDR-Nachrichtenagentur ADN gab bekannt, das Flugzeug habe sich in technisch gutem Zustand befunden, und auch der Flughafen Berlin-Schönefeld sei uneingeschränkt betriebsbereit gewesen. Die Besatzung sei für den Unfall verantwortlich, weil sie gegen die Anflugregeln verstoßen habe.
3. Juni 2021
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