Schneller Tod im Morgengrauen
Warum sich der Berliner Polizeipräsent Hinckeldey 1856 mit einem Adligen ein Pistolenduell lieferte



Dem Berliner Polizeipräsidenten Karl Wilhelm Friedrich von Hinckeldey ist in der Polizeihistorischen Sammlung am Platz der Luftbrücke im Berliner Bezirk Tempelhof eine Vitrine mit farbigem Bildnis und einigen Schriften und Erinnerungsstücken an gewidmet.



Eine Büste schmückt Hinckeldeys auf dem Alten Marien- und Nikolaifriedhof an der Prenzlauer Allee 1 ein wenig versteckt befindliches Grabmal.



Die Polizei schaut auf dieser Karikatur gelassen zu, wie die Berliner auf unwegsamen Straße zu Fall kommen und sich verletzen.



Nach der Revolution von 1848/49 war das wegen der Feuergefahr verbotene Rauchen auf der Straße erlaubt. Der Polizist in der Mitte sieht es der Frau an der Nasenspitze an, dass sie "inwendig" räsonniert, also sich über den blau uniformierten Ordnungshüter aufregt, ohne etwas Ton zu sagen. Ohne Säbel trauten sich die Polizisten nicht unter die Leute.



Ein grässlicher Revoluzzer kommt wie der Teufel mit Gift, Pech und Schwefel, Pulver und Pistolen, um die Welt zu beglücken, lautet die Botschaft dieser Karikatur.



Nach dem vom König ausgegebenen Motto "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten" wurden 1844 Forderungen der Schlesischen Weber nach besserer Bezahlung und menschenwürdigen Lebensverhältnissen unterdrückt.



Auf der Karikatur aus der Revolutionszeit von 1848/49 kämpfen das freie Wort und die Reaktion mit unterschiedlichen Waffen um die Vorherrschaft, rechts schreiben Männer unter Zensurbedingungen auf, was von ihnen verlangt wird. (Fotos/Repros: Caspar)

Obwohl Duelle streng verboten waren, kamen adlige und manchmal auch bürgerliche Personen in Berlin und an anderen Orten bei Zweikämpfen oft aus nichtigem Anlass zu Tode. Die Obrigkeit ging gegen solche Händel mit strengen Gesetzen und Strafen vor. Manchmal kamen die Kontrahenten mit einem blauen Auge davon und konnten von sich sagen, dass ihre Ehre, was immer sie darunter verstanden, wiederhergestellt ist. Zu den Gefechten meist im Morgengrauen konnte es schnell kommen. Manch einer fühlte sich durch einen schiefen Blick oder eine abfällige Bemerkung herausgefordert. Betrug, Beleidigung, üble Nachrede, Eifersuchtsdramen, nicht bezahlte Schulden und ähnliches konnten Gründe sein, dass Männer aus besseren Kreisen zu Säbel, Degen oder Pistole griffen, um ihre Ehre wiederherzustellen. Voraussetzung war allerdings, dass der Gegner satisfaktionsfähig war, also der gleichen Klasse oder Kaste angehörte. Niemals hätte sich ein Mensch mit einem anderen geschlagen, der auf der gesellschaftlichen Stufenleiter viel tiefer als er selber stand. In solchen Fällen trat die Justiz in Aktion oder es wurden Knechte ausgeschickt oder Mörder gedungen, um den Kontrahenten zu bestrafen.

Gemeingefährliche Raufereien

Duelle zu Fuß und zu Pferd brachten den betroffenen Personen und ihren Familien schrecklichen Kummer. Um dem Übel beizukommen, wurde 1664 eine kaiserliche Verfügung gegen Duelle und Balgereien auch für Berlin übernommen. Bereits 1603 war Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg mit einem Edikt gegen Ruhestörung durch Betrunkene, aber auch Duelle mit Hieb-, Stich- und Schusswaffen und weitere gemeingefährliche Raufereien mit tödlichem Ausgang vorgegangen. Dass Streitereien wegen Geld gelegentlich tödlich ausgehen konnten, zeigt der Fall eines gewissen Georg von Hacke, der 1637 den Cöllner Bürgermeister Johannes Wedingen erstochen hatte, weil dieser eine Schuldforderung aus einer zuvor gezahlten Kriegskontribution nicht bezahlen wollte. Um ein Exempel zu statuieren, ließ Kurfürst Georg Wilhelm den Adligen zum Tode verurteilen und enthaupten. Sein Kopf wurde nach damaliger Sitte aufgespießt und zur allgemeinen Abschreckung öffentlich ausgestellt.

Kurfürst Friedrich III. sah sich 1698 genötigt, an zwei Duellanten ein Exempel zu statuieren, lag ihm doch Ruhe und Ordnung in seiner Residenzstadt Berlin am Herzen, die sich anschickte, königliche Hauptstadt zu werden. Bei dem Kampf zweier Unteroffiziere wurde einer tödlich getroffen. Seine Leiche hat man auf kurfürstlichen Befehl nicht begraben. Dem Überlebenden hingegen wurde der Prozess gemacht, der mit dem Todesurteil endete. Vor aller Augen wurde der Delinquent vor der Stadt gehenkt, und mit ihm knüpfte man auch die halb verweste Leiche seines Gegners zur allgemeinen Abschreckung auf. Beide Duellanten wurden mit Ketten an den Hälsen verbunden und so lange am Galgen belassen, bis ihre Gebeine zerfallen waren.

Bismarck gegen Virchow

Die Duelle verliefen nach klaren, durch Sekundanten überwachten Regeln. Sie stellten für die Beteiligten ein hohes Risiko dar, denn sie wussten, dass sie gegen die Gesetze verstoßen und bestraft werden können. Außerdem war nicht klar, wer als Sieger vom Feld geht und als Toter oder Verletzter davon getragen wird. Eine berühmte Forderung in neuerer Zeit war die des damaligen preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzlers ab 1871 Otto von Bismarck an den Mediziner und Abgeordneten der Fortschrittspartei Rudolf Virchow. Nach einem heftigen Redegefecht im Preußischen Abgeordnetenhaus wegen der als zu hoch betrachteten Rüstungsausgaben schickte der sich beleidigt fühlende Bismarck dem Arzt und Mitglied der Fortschrittspartei seine Forderung "auf Pistolen". Dieser zeigte keine Neigung, sich mit dem von König Wilhelm I. geschätzten Politiker zu schlagen.

Im 19. Jahrhundert wurde der "Zweikampf mit tödlichen Waffen" milder als in Zeiten davor bewertet und geahndet, denn der althergebrachte Ehrenkodex stand über allem. Im deutschen Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (15. Abschnitt, Paragraphen 201-210) wurden Duelle nur mit Festungshaft zwischen drei Monaten und fünf Jahren geahndet, die im Unterschied zur Gefängnis- oder Zuchthaus- strafe als nicht als entehrend aufgefasst wurde. "Die Herausforderung zum Zweikampf mit tödtlichen Waffen, sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wird mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren tritt ein, wenn bei der Herausforderung die Absicht, daß einer von beiden Theilen das Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfs erhellt", heißt es dort. In weiteren Paragraphen wird festgelegt: "Ist eine Tödtung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Uebertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfs bewirkt worden, so ist der Uebertreter, sofern nicht nach den vorhergehenden Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tödtung oder der Körperverletzung zu bestrafen. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über zehn Jahre erhöht werden."

Aus der Ritterzeit stammender Ehrenkodex

Da sich Militärangehörigen und vergleichbare Gruppen dem aus der Ritterzeit stammenden Ehrenkodex verpflichtet fühlten, wurden sie, wenn sie in Duelle verwickelt wurden, häufig nicht gerichtlich verfolgt, oder nur milde bestraft oder nach kurzer Strafverbüßung begnadigt. Im deutschen Kaiserreich gab es in den 1890er Jahren eine letztlich ergebnislose politische Diskussion nach einem spektakulären Duelle, 1902 formierte sich in Deutschland mit der 1902 in Kassel gegründeten deutschen Anti-Duell-Liga auf breiter Front Widerstand gegen diese Form der Satisfaktion.

Prominente Opfer von Duellen waren im 19. Jahrhundert der russische Dichter Alexander Puschkin (1837), der sich wegen der in Zweifel gezogene Treue seiner Frau Natalia schlug und dabei zu Tode kam, sowie der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalle (1864) wegen Anschuldigungen rund um eine Liebesaffäre. Bevor er von der Pistolenkugel in den Unterleib getroffen war und an der Verwundung starb, fasste er sein Leben in diese Worte: "Ich habe die Inventur meines Lebens gemacht. Es war groß, brav, wacker, tapfer und glänzend genug. Eine künftige Zeit wird mir gerecht zu werden wissen." Karl Marx, der Lassalle wenig gewogen war, meinte: "Nach fünfzehnjährigem Schlummer rief Lassalle - und dies bleibt sein unsterbliches Verdienst - die Arbeiterbewegung wieder wach in Deutschland." Obwohl Adel und Offizierskorps an Zweikämpfen festhielten, ging ihre Zahl bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 beständig zurück. Eines der letzten Duelle unter Beteiligung von Mitgliedern des Hochadels fand 1908 in Elsass-Lothringen statt. Dabei kam der dreißigjährige Herzog Karl Borwin aus dem Haus Mecklenburg-Strelitz im Streit um die Wiederherstellung der "Ehre" seiner Schwester ums Leben.

König protegierte Spitzenbeamten

Ein weiteres Opfer des Dranges nach Duellen war der im Revolutionsjahr 1848 zum Berliner Polizeipräsidenten sowie später zum Generaldirektor der Preußischen Polizei ernannte Karl Wilhelm Friedrich von Hinckeldey. Der von König Friedrich Wilhelm IV. protegierte Spitzenbeamte machte sich in der liberalen demokratischen Opposition, aber auch in den eigenen Kreisen aus unterschiedlichen Gründen Feinde. Festzuhalten sind darüber hinaus seine Anstrengungen für die Versorgung der Berliner mit sauberem Trinkwasser. Die Berliner Feuerwehr wurde 1851 auf Befehl König Friedrich Wilhelms IV. vom Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey unter dem Eindruck des Brandes der Krolloper gegründet und unter Leitung von Carl Ludwig Scabell aufgebaut. Damit ist sie die älteste und größte Berufsfeuerwehr in Deutschland. Noch im Gründungsjahr 1851 erhielt Berlin das erste elektrische, von der Firma Siemens & Halske installierte Feuermeldenetz der Welt, das die Feuerwachen unterirdisch mit dem Polizeipräsidium und seinen über die Stadt verteilten Revieren verband und schnelle Benachrichtigung über Brände und andere Katastrophen gewährleistete.

Karl Wilhelm Friedrich von Hinckeldey hatte sich dem König und der Regierung durch sein hartes Vorgehen gegen revolutionäre und demokratische Unruhestifter, wie man damals sagte, sowie mithilfe verschärfter Zensurbestimmungen gegen Zeitungen und Druckschriften, die nicht mit der ganz auf das Gottesgnadentum des vor allem dem Adel verpflichteten Monarchen ausgerichtete Politik konform gingen und die Mitsprache des Volkes an den öffentlichen Dingen forderten. Unter Hinckeldey wurden Gesetzesbrecher wie schon vor der Revolution von 1848/49 an den Pranger gestellt. Bei der Verschärfung des Kurses gegen Regimegegner kam Hinckeldey und den hinter ihm stehenden Kreisen zugute, dass am 22. Mai 1850 ein Attentat auf den König verübt wurde, bei dem dieser am Unterarm verletzt wurde. Jetzt endlich konnten das Pressegesetz und der Kampf gegen die "demokratische Partei", wie man damals ganz allgemein die Opposition im Lande nannte, verschärft werden. "Mehr und mehr erstarb in Berlin das freie Leben. [...] Die Herrschaft der Reaktion lastete schwer auf dem ganzen preußischen Lande, am drückendsten fühlbar aber wurde sie in der Hauptsstadt, in Berlin. Die Freiheit der Presse wurde zum Schatten herabgedrückt, gegen die Vereine wurde rücksichtslos vorgegangen", schreibt Adolf Streckfuß in seinem Buch "500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt. Geschichte und Sage" (Berlin 1900).

Polizeipräsident tappte in die Falle

Hinckeldey scheute sich nicht, gegen die in der "vornehmen Gesellschaft" grassierende Spielsucht vorzugehen. Sie richtete Leute aus den ersten Familien des Landes moralisch und finanziell zugrunde, berichtete Streckfuß weiter. "Die Brutstätte des wildesten Spieles, der Jockeyklub, dessen Mitglieder dem höchsten Adel angehörten; gegen diesen Klub, der heimlich im Hotel du Nord, unter den Linden, seine Spielhölle hielt, schritt der Polizeipräsident ein, er ließ ihn im ,Namen des Volkes' durch einen Polizeibeamten auflösen." Darüber kam es zwischen ihm und dem Offizier und Mitglied des Herrenhauses Hans von Rochow-Plessen zu einer peinlichen Auseinandersetzung mit so beleidigenden Worten, "dass Herr von Hinckeldey seiner Edelmannsehre nur durch ein Duell glaubte genügen zu können." Im Weigerungsfall wäre dessen Stellung als oberste Autorität im preußischen Polizeiwesen Schaden genommen.

Der Polizeichef tappte in die Falle, denn er war bereit, das Gesetz zu brechen und bestraft zu werden. Er tat das aber in dem Irrglauben, der König werde das Duell untersagen. Es kam, wie es kommen musste, Hinckeldey wurde "in dem von ihm mit Eile und Heimlichkeit betriebenen Duell" am 10. März 1856 in der Jungfernheide bei Charlottenburg erschossen. An der Todesstätte hat man ihm ein Kreuz aus Stein errichtet. Auf Fürsprache der Witwe wurde der zu vier Jahren Festungshaft in Magdeburg verurteilte Rochow bereits am 21. März 1857 begnadigt. Der König ließ seinen Minister Ferdinand Otto von Westphalen wissen: "Der Vorwurf, der mich selbst trifft, ist immer größer; denn ich wusste seit mehreren Tagen, dass es auf die Tötung Hinckeldeys abgesehen war, oder hatte wenigstens die Entschuldigung, es glauben zu können. Hier war aber eine höchst taktvolle und zarte Prozedur erforderlich, um den bereits verbreiteten Verdacht, ‚Hinckeldey könne kein Pulver riechen', nicht unwiderruflich zu etablieren. Das, ich gestehe es offen, hat mich zaghaft gemacht. Nun, Gott hat es so gefügt. Die Sache ist nicht gutzumachen, aber - der Sieg seiner Feinde ist zu mindern." Friedrich Wilhelm IV. war zutiefst erschüttert und vergoss Tränen am Sarg. "Herr von Hinckeldey war wahrlich in Berlin nicht beliebt gewesen", schrieb Streckfuß weiter, "aber eine gewisse Achtung hat ihm doch die Bürgerschaft nicht versagen können. Wie gewalttäthig und oft gesetzesverletzend er auch gehandelt hatte, niemals war dies zu seinem eigenen Vorteil geschehen."

Siehe Eintrag auf dieser Internetseite vom 12. September 2021

17. September 2021

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