Rotkäppchen und Hans im Glück
Kaiser Wilhelm II. mischte sich in Schaffensprozesse rund um den 1913 eröffneten Märchenbrunnen im Berliner Friedrichshain ein



Der Märchenbrunnen in der Vogelschau am Königstor im Friedrichshain nach 1900 und auf einer alten Postkarte.



Angefüllt mit herbstlichem Laub war der Märchenbrunnen im Oktober 2021 bei schönstem Wetter dicht umlagert.





Ludwig Hoffmann grübelt über die Gestaltung des Märchenbrunnens und wie er die Forderungen des Kaisers berücksichtigen kann. Die Grafik rechts zeigt, dass Brunnen und Park von den Berlinern gut angenommen werden. Darunter eine Ansicht aus Erbauungszeit aus der Vogelperspektive.





Da die Anlage immer wieder vandalischen Anschlägen ausgesetzt war, hatten in den vergangenen Jahren Bildhauer und Steinrestauratoren viel Arbeit, sie wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen.





Außerhalb des eigentlichen Märchenbrunnens erfreuen Wasserbecken und Skulpturen die Besucher des Friedrichhains. Eine blaue Tafel informiert über die Geschichte des Märchenbrunnens.



Außer dem Friedrichdenkmal gab es im Volkspark weitere Memorials für die so genannten Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71 sowie ein Denkmal für die Menschen, die in der damaligen Königsstadt und im Stralauer Viertel wohnten und in diesen Kriegen gefallen waren.



Auf dem am Rande des Friedrichshains gelegenen Friedhof der Märzgefallenen sind zahlreiche Opfer der Märzrevolution 1848 und der Novemberevolution 1918/19 bestattet. Eine in den vergangenen Jahren geschaffene Gedenkstätte erinnert an sie. (Fotos/Repros: Caspar)

Einer der beliebtesten und am meisten fotografieren Brunnen in Berlin ist der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain. Die nach Plänen des Berliner Stadtbaurates Ludwig Hoffmann zwischen 1911 und 1913 geschaffene Anlage ist mit Skulpturen der Bildhauer Ignatius Taschner, Josef Rauch und Georg Wrba geschmückt und versinnbildlichen Märchen der Brüder Grimm. Zu erkennen sind unter anderem Rotkäppchen, der gestiefelte Kater, die sieben Raben, Dornröschen, Brüderchen und Schwesterchen und Aschenputtel. Die aus empfindlichem Kalkstein gefügte Säulenkolonnade als Rückwand des abgestuften Wasserbeckens wird von Wassertieren und Hirschen geschmückt.

Der Friedrichshain ist Resultat eines von Peter Joseph Lenné entwickelten Plans von "Schmuck- und Grenzzügen der Residenz Berlin". Die Namengebung erfolgte 1840, einhundert Jahre nach der Thronbesteigung König Friedrichs II., des Großen. Der bedeutende Landschaftsgärtner sah auch die Aufstellung von Denkmälern und Einrichtung von Brunnen vor. Der von Lennés Schüler, dem königlichen Hofgärtner Gustav Meyer, gestaltete und unter der Leitung des Stadtbaurats Langerhans und des Stadtgärtners Patzig angelegte Park lag am Rande der preußischen Hauptstadt inmitten eines sich stark entwickelnden Mietskasernen- und Proletarierviertels. Mit der großzügig gestalteten Erholungsstätte wollte man ein Gegenstück zum Tiergarten jenseits des Brandenburger Tors schaffen. Ursprünglich gab es im Friedrichshain neben dem Friedrich-Denkmal weitere Memorials für die Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 sowie ein Mal für die Gefallenen jener Kriege, die in der damaligen Königsstadt und im Stralauer Viertel wohnten.

Eröffnung zum Thronjubiläum 1913

Mehr als zehn Jahre hatte es gedauert, bis aus der Idee, im Volkspark Friedrichshain einen repräsentativen Brunnen zu bauen, Wirklichkeit wurde. Die Übergabe erfolgte am 15. Juni 1913 anlässlich der Fünfundzwanzigjahrfeier der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. Lange Zeit zuvor hatte die städtische Deputation zur Verschönerung der Reichshauptstadt beschlossen, den Park am damaligen Königstor künstlerisch auszugestalten. Ziel der von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann geleiteten Maßnahmen war es, den in engen Wohnverhältnissen lebenden Kindern und ihren Eltern die Wunderwelt der Grimmschen Märchen nahezubringen und durch Erholung unter Bäumen und auf Wiesen Lebensfreude in ihren tristen Alltag zu bringen.

Wie der Brunnen mit einem 34 Meter breiten und 54 Meter langen Becken aussehen soll, wurde 1901 mit einem Modell auf der Berliner Kunstausstellung gezeigt. Die Realisierung verzögerte sich, weil sich der Kaiser in den Schaffensprozess einmischte. Er betrachtete sich als oberste Instanz in Sachen Kunst im Deutschen Reich und mischte sich massiv in die Arbeit der Künstler ein. In seinen Augen war alles "Rinnsteinkunst", was nicht seinem ganz der höfischen Tradition verpflichteten Geschmack, der jede Form der Moderne ablehnte. Der prachtliebende und prestigesüchtige Monarch verfolgte in Berlin ehrgeizige Pläne. Er wollte aus der Hauptstadt des 1871 unter preußischer Führung vereinten Deutschen Reiches die schönste Stadt der Welt machen.

Hier Paläste, dort schreiendes Elend

Aus zeitgenössischen Schilderungen kennen wir die schreienden Gegensätze in der Reichshauptstadt. Hier das Stadtschloss und die anderen Repräsentationsbauten der Hohenzollern, die Kirchen und die Museen, die prächtigen Bankenpaläste und mondänen Kaufhäuser sowie die großartigen Flaniermeilen, die mit Denkmälern geschmückten Plätze und Brücken. Nicht weit davon vegetierten Tausende in den Elendsvierteln und den für Berlin so charakteristischen Mietskasernen. Wie Berlin um die Jahrhundertwende aussah, ist in vielen Beschreibungen sowie auf Fotografien überliefert. Enthusiastischen Worten stehen Anklagen und skeptische Urteile gegenüber. "Der Zug zum Monumentalen wird immer stärker und rascher in der Metropole des Reiches. Dort, wo von der Kuppel des merkwürdigen Wallot-Baues , dessen imposante Originalität sich siegreich durchgesetzt hat, und von der Siegessäule die goldenen Zeichen weit hinaus schimmern.... wachsen die Gerüste um das werdende Bismarckdenkmal: der belebende schaffende Geist soll sich da sichtbar zwischen den gewaltigen Formen, die das Geschaffene versinnbildlichen, erheben. Am andern Ende der Linden, jenseits der Schlossbrücke, erfährt das Ehrwürdige und historisch Große seine Verjüngung", heißt es mit Blick auf das 1894 eröffneten Reichstagsgebäude und die Siegessäule davor, die in der Zeit des Nationalsozialismus an den Großen Stern versetzt wurde, in einer Reportage der Berliner Neuesten Nachrichten vom 16. Oktober 1900. Unablässig werde gearbeitet, um das Schloss von allen Seiten mit Terrassen zu umgeben. Jenseits des Nationalmuseums, also der Museumsinsel, wachse im Kern der Stadt das Neue in großen Formen empor. "Immer stärker fordert die neuere ruhmreiche Geschichte Deutschlands in Berlin ihr Recht. Der wirtschaftliche Aufschwung baute am raschesten, der nationale und politische gesellt den großartigen Schmuck und die imponierende Krönung hinzu. Um die alten Gedenkbauten preußischer Geschichte schließen sich konzentrisch, in weitem Kreise und in höher strebender Tendenz die Monumente reichsdeutscher Herrlichkeit".

Rückblick in eine Welt von gestern

In seinem Erinnerungsbuch "Die Welt von gestern" notierte der Wiener Schriftsteller Stefan Zweig, das Berlin von 1905 habe nicht mehr jenem von 1901 geglichen, das er gekannt habe. Aus der Residenzstadt sei eine Weltstadt geworden und großartig überholt von dem Berlin des Jahres 1910. "Breiter, prunkvoller wurden die Straßen, machtvoller die öffentlichen Bauten, luxuriöser und geschmackvoller die Geschäfte. Man spürte es an allen Dingen, wie der Reichtum wuchs und wie er sich verbreitete; selbst wir Schriftsteller merkten es an Auflagen, die sich in einer Spanne von zehn Jahren verdreifachten, verfünffachten, verzehnfachten. Überall entstanden neue Theater, Bibliotheken, Museen; Bequemlichkeiten, die wie Badezimmer und Telefon vordem das Privileg enger Kreise gewesen, drangen ein in kleinbürgerliche Kreise."

Eindrucksvolle Statistiken, Schilderungen und Bilder berichten von Enge und Dunkelheit, von Geschrei und widerwärtigen Gerüchen, von Prostitution, Verbrechen, Hoffnungslosigkeit und Ausgrenzung. Der Schriftsteller Hans Fallada beobachtete im Scheunenviertel jenseits der Museumsinsel, dass sich hier das ganze Leben der Bewohner auf der Straße abzuspielen schien. "Jüdische Händler im Kaftan mit langen, schmierigen, gedrehten Locken, Kleider über den Arm, strichen durch die Menge und flüsterten bald hier, bald dort Anpreisungen. (...) In diesen Gassen schien ein aller Ordnung und Gesetzmäßigkeit entzogenes Leben zu herrschen. Bisher hatte ich fest daran geglaubt, dass, was in der Luitpoldstraße galt, mit geringen, durch die Stufen reich und arm bedingten Abweichungen überall galt. Hier sah ich nun, wie der eine Kerl sich über den zu Boden gestürzten Gegner warf, der kaum noch bei Besinnung war, und ihm unter dem johlenden Beifallsgeschrei der Zuschauer immer wieder den blutigen Kopf gegen das Pflaster schlug. Es wurde uns unheimlich, wir machten, dass wir davonkamen". Nur mit einem beherztem Sprung seien sie dem Mob entgangen, der sich wohl durch die neugierig und erstaunt blickenden Fremdlinge provoziert fühlte.

Fast eine Million Menschen hauste zu fünf oder mehr Personen in einem Zimmer, Toiletten gab es nur auf dem Hof. Die berüchtigten Mietskasernen hatten mehrere lichtlose Hinterhöfe und erstreckten sich manchmal über hunderte Meter von einer zu anderen Straße. Doch solange eine Feuerspritze in einem dieser Höfe wenden konnte, war für die Politiker und Stadtplaner alles in Ordnung. Kein Wunder, dass in diesen Elendsvierteln Krankheiten grassierten, das Verbrechen blühte und sich viele Menschen dem Alkohol hingaben. "Familie in der Kneipe", heißt ein Bild, das Heinrich Zille, der Zeichner des Berliner "Milljöhs", aus bester Kenntnis der Berliner Säufer- und Budikenwelt der kleinen Leute geschaffen hat. Ein Mädchen und zwei Männer dösen an einem Tisch vor sich hin, lassen sich von einem dicken Schreikind, das eine Frau auf den Tisch gestellt hat, nicht stören. "Glücklich ist, wer verfrisst, was nicht zu versaufen ist", heißt es auf einem Pappschild an der Wand. Mit solchen traurig-schönen Zeichnungen machte Zille in der Kaiserzeit Furore, weshalb ihn etablierte, auch für den kaiserlichen Hof tätige Kollegen einen Gossenkünstler nannten.

Zerstörung und Wiederaufbau

Zurück zum Märchenbrunnen. Ludwig Hoffmann musste seine Pläne auf Wunsch des Monarchen verändern, kam aber am Ende doch ans Ziel. Als Baukosten wurden 70 000 Mark veranschlagt, dafür bekam der Kaiser etwa zwei Figurengruppen auf der fast zeitgleich im Berliner Tiergarten errichteten Siegesallee! Da der städtische Etat der Stadt Berlin nur 100 000 Mark betrug, konnten andere Projekte nur eingeschränkt verwirklich werden oder blieben ganz auf der Strecke. Da der Tag der Eröffnung wegen des prunkvoll gefeierten Kaiserjubiläums festgelegt war, standen die Arbeiten unter einem hohen Zeitdruck. An der Fertigung der mehr als 40 Figurengruppen und der Kolonnade im Hintergrund waren mehrere Bildhauer beteiligt. An den Rändern des Wasserbeckens wurden wasserspeiende Frösche aufgestellt, die zehn Märchenfiguren sind Werke von Ignatius Taschner.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Märchenbrunnen, wie die ganze Umgebung, schwer beschädigt und in den 1970er Jahren saniert und restauriert, außerdem wurde die gesamte Wasserversorgung umfassend erneuert. In den späten 1990er Jahren haben Unbekannte vier Skulpturen zerstört, weshalb sie mit großem Kostenaufwand durch Kopien ersetzt werden musste. Ein hoher, nachts abgeschlossener Gitterzaun schützt den Märchenbrunnen und seinen Schmuck vor weiteren Angriffen dieser Art.

Schneidermeister dankte dem König

Seit Frühjahr 2000 erhebt sich im Volkspark Friedrichshain wieder ein Denkmal für Friedrich den Großen, den Namensgeber der grünen Oase. Im Jahr zuvor waren die Fundamente der vier Meter hohen Erinnerungsstätte unweit des Krankenhauses Friedrichshain gefunden worden. Bis dahin galt das Monument als verschollen. Untersuchungen an den Resten ergaben, dass die Säule mit der Königsbüste obenauf bis 1952 gestanden haben muss, das wenigstens sagen in den Marmor eingeritzte Liebesschwüre aus jenem Jahr. Bei den Untersuchungen wurde die mit einer Widmung sowie Lorbeerblättern geschmückte Säule freigelegt, ebenso Reste der Treppenanlage, auf der sie stand. Da man die Säule nicht ohne den König aufstellen wollte, wurde 1999 ein Nachguss des vermutlich Buntmetallräubern zum Opfer gefallenen Bronzekopfes mit Dreispitz angefertigt. Er gleicht dem Kopf von Rauchs Reiterdenkmal Unter den Linden. Die Grabungen und die Wiederaufstellung des Friedrichdenkmals am originalen Ort sind Teil umfassender Bemühungen der Berliner Gartendenkmalpflege, den ursprünglichen Zustand des Volksparks einschließlich des historischen Wegesystems wieder herzustellen, so weit das nach den Veränderungen und dem Aufschütten von Trümmerbergen nach dem Zweiten Weltkrieg möglich ist.

Stifter des im August 1848 aufgestellten Königdenkmals war Hofschneidermeister Freitag, der mit einer namhaften Geldspende dem Namensgeber des beliebten Ausflugsgebiets seine Reverenz erwies und sich selber ein Denkmal als königstreuer Preuße setzte. Dies war im Revolutionsjahr 1848 eine durchaus mutige Tat, war doch das Ansehen der Hohenzollern stark gesunken. Die Widmung lautet "Friedrich dem Großen. Seinen Mitbürgern, die durch Gründung dieses Hains das Andenken an den großen König unsern Nachkommen bewahren wollen, errichtet dieses Denkmals als Zeichen des Dankes der Bürger J. G. Freitag".

28. Oktober 2021

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