Schloss ohne Kaiser
Christian Walther schildert, was aus der Berliner Hohenzollernresidenz nach der Novemberrevolution 1918 wurde



Eigenmächtig verkündete der damalige Reichskanzler Prinz Max von Baden am 9. November 1918 die Abdankung seines Vetters Wilhelm II. und seines Sohnes, des Kronprinzen Wilhelm. Während sich der Ex-Kaiser in Doorn wohnlich einrichtete, zogen neue, von Christian Walter gewürdigte Mieter in das während der Novemberevolution beschädigte und teilweise auch geplünderten Berliner Stadtschloss ein.



Wo zu Kaisers Zeiten die Schlosswache aufpasste, dass sich niemand unerlaubt den Majestäten näherte, kamen nach 1918 viele Schaulustige, um Kunst und Krempel zu bestaunen. Die Figur des Heiligen Georg überstand den Krieg und ist heute im Berliner Nikolaiviertel aufgestellt.





Das Berliner Stadtschloss wurde in den Kämpfen Ende 1918 beschädigt und teilweise geplündert. Seine neue Verwendung als Museum und Heimstatt wissenschaftlicher Einrichtungen machten eine umfassende Restaurierung und den Umbau vieler Räumlichkeiten notwendig. Wer das Schlossmuseum besuchte, kam auch in den Weißen Saal und den als Thronsaal genutzten, von Andreas Schlüter dekorierten Rittersaal (unten) und viele andere Paraderäume.



Leer geräumt sind die Vitrinen der alten Kunstkammer, deren Objekte in das Hohenzollernmuseum ins Schloss Monbijou kamen und heute im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen gezeigt werden.







Ungeachtet vieler Proteste im In- und Ausland musste 1950/51 das als wiederaufbaufähige Ruine erhaltene Berliner Stadtschloss einem neuen Aufmarschplatz weichen. Bei den Weltfestspielen im Sommer 1950 diente es noch als Kulisse für Propagandaplakate.







In einer Spandauer Bildhauerwerkstatt wurde vor zehn Jahren alles gesammelt und vermessen, was die Sprengung der Schlossruine 1950/51 überstanden hat. Als Vorlagen für Kopien haben die großen und kleinen Reste gute Dienste getan. In den Höfen und an der Außenfassade kann man an der dunklen Farbe einige originale Teile von den Nachbildungen unterscheiden. (Fotos/Repros: Caspar)

Glück hatte Ende 1918 der entmachtete deutsche Kaiser Wilhelm II., dass er von Revolutionären nicht, wie der russische Zar Nikolaus II. und seine Familie, ermordet wurde, sondern im niederländischen Doorn bei Utrecht einen kleinen Hofstaat unterhalten konnte. Bis zu seinem Tod im Jahre 1941 hoffte der entthronte Kaiser, irgendwann seine Krone zurückzubekommen. Allerdings war Adolf Hitler, seit 1933 unumschränkter Diktator im Deutschen Reich, nicht willens, den entmachteten Hohenzollern und den anderen in der Novemberevolution von 1918 ihrer Throne verlustig gegangenen deutschen Fürsten ein winziges Stück Einfluss zurückzugeben. Als der Ex-Kaiser82jährig am 4. Juni 1941 in Doorn gestorben war, schickte Hitler eine Ehrenwache an den Sarg und ließ einen Kranz niederlegen. Dass sich Hohenzollernprinzen den Nazis angedient hatten in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe die Monarchie wiederherstellen zu können, spielt aktuell im Streit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Haus Hohenzollern um Entschädigungen die Rückgabe von Schlössern und anderen Liegenschaften sowie Kunstgegenstände und Archivalien eine Rolle. Der Ausgang des Gerichtsverfahrens ist offen.

Die Unterstützung für Wilhelm II., den letzten deutschen Kaiser und König von Preußen, der am 29. Oktober 1918 Potsdam auf Nimmerwiedersehen verlassen und sich am 10. November 1918 in die Obhut der Niederlande begeben hatte, brachte Königin Wilhelmina und ihrer Regierung erhebliche diplomatische und innenpolitische Probleme, denn der deutsche Monarch stand auf der Kriegsverbrecherliste der Ententemächte. Zudem war er zunächst mittellos, weil sein Vermögen zu Hause beschlagnahmt war. Doch dank der Generosität der preußischen Staatsregierung wurde die Sperre schon bald gelockert, und so konnte der Exkaiser das Schloss Doorn bei Utrecht mit Nebengebäuden und Park für 1,35 Millionen Gulden kaufen. Sein Hofstaat war ein verkleinertes Abbild dessen, was ihm in Berlin und Potsdam zu Gebote stand. Hier fehlte dem ehemaligen Kaiser nichts, nur die Untertanen, die er nicht mehr beherrschen konnte. Der Ex-Kaiser war kein armer Mann, 1929 verfügte er über ein Vermögen von 55 Millionen Reichsmark, mit dem es sich gut leben ließ.

Kaiserlicher Miniaturhofstaat in den Niederlanden

Die standesgemäße Aufnahme des Hohenzollern in den Niederlanden stiftete in der Heimat erheblichen Unmut, denn selbstverständlich war es den Hinterbliebenen der Millionen Kriegstoten und den zahllosen versehrten und verelendeten Menschen kaum zu vermitteln, dass dem "Obersten Kriegsherrn" vom republikanischen Staat Geld und Besitz hinterher geworfen wird. Auf der anderen Seite gab es in der kaisertreuen Bevölkerung starke Kräfte, die die Rückkehr des Monarchen aus dem Exil forderten und dem "Weimarer System" die Pest an den Hals wünschten. Dem Miniaturhofstaat im Haus Doorn standen nicht nur erhebliche Mittel aus dem Privatvermögen des Exmonarchen, sondern auch Hausrat aus den kaiserlichen Schlössern zur Verfügung, der ihm in zahlreichen Eisenbahnwaggons hinterhergeschickt worden war. Nicht nur Tafelsilber, Tabatièren Friedrichs des Großen und Andenken an die Hohenzollern und ihre Verwandten sowie edles Mobiliar und wertvolle Gemälde, ließ Wilhelm kommen, sondern auch allerlei Nippes und Trödel. Darunter waren Aschenbecher und Zigarettendosen, Nachtgeschirre, Waschgarnituren, Schreibutensilien, Zimmerthermometer, Zinkwannen, Feuerlöscheimer und Gießkannen mit der Signatur N.P. (Neues Palais), nicht zu vergessen Waffen und Uniformen, in denen der alte Mann vor Malern und Fotografen posierte.

Wilhelm empfing in Doorn Huldigungsadressen und Bewunderer, ließ sich wie ein regierender Monarch mit "Majestät" ansprechen und setzte hinter seinem Namen die Initialen IR (Imperator Rex, Kaiser König). Dem durch Zeitungsstudium und Kontaktpersonen stets bestens über die Vorgänge in der von ihm "Saurepublik" genannten Heimat informierten Herrn von Doorn wurde in der Fremde niemals die Zeit lang. Er unterhielt eine lebhafte Korrespondenz mit Offiziersvereinen und monarchistischen Gruppierungen und verfasste seine Memoiren, in denen von Reue oder Schuldbewusstsein nichts zu finden ist.

Zwischen Revolution und Abriss

Was aber wurde aus dem Berliner Stadtschloss und der anderen Residenzen nach der Entmachtung Wilhelms II. und der Auflösung seines Hofstaates? Der Berliner Fernsehjournalist und Buchautor Christian Walther ging dieser Frage in seinem neuen Buch "Des Kaisers Nachmieter - Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss", das 2021 im Verlag Berlin-Brandenburg erschien, 184 Seiten und zahlreiche zum Teil farbige Abbildungen hat und 25 Euro kostet (ISBN 978-3-947215-28-7). Schon das Bild mit einfachen Arbeitern auf dem Cover, die sich auf dem Dach des herrenlos gewordenen Stadtschlosses mit Kartenspiel die Zeit vertreiben, und einer Frau im Kittelrock, die über die Balustrade schaut, zeigt den fundamentalen Wandel von der Monarchie zur Republik und lädt ein, sich mit einem wenig bekannten Stück Geschichte des Bauwerks zu befassen, mit seiner neuen Nutzung als Schlossmuseum, Wissenschaftsstandort und von Behörden, aber auch mit den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und dem Abriss 1950 auf Befehl der SED sowie dem Bau und Ende des Palasts der Republik. Was sich seit der damals stark umstrittenen Beseitigung des Palasts der Republik zwischen 2006 und 2008 anschloss, muss in Büchern über das nach Plänen von Franco Stella neu gebaute und im Sommer 2021 eröffnete Humboldt-Forum nachgelesen werden. Mit der wiederhergestellten Barockfassade und der mächtigen Kuppel versehen, lädt der Riesenbau zum Besuch von Ausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz sowie der Humboldt-Universität und des Stadtmuseums und zum Verweilen in den Höfen ein. Mancher Besucher wird sich fragen, welches Schicksal das Schloss nach dem ruhmlosen Abgang der Hohenzollern hatte und wie es ihm im Zweiten Weltkrieg und danach erging. Hatte Wilhelm II. die vom "Volk", also von ganz normalen Untertanen, benutzten Zugänge für die Höfe zusperren lassen, wenn diese zeitsparend von einem Stadtteil zum anderen laufen wollten, so konnten sie jetzt das Schloss ungehindert betreten. Sie dürften bei ihren Besuchen über Pracht, Prunk und Protz gestaunt haben und lernten die luxuriöse Lebenswelt der "oberen Hundert" kennen.

Wahre Schatzkammer hochrangiger Kunstwerke

Sehr vorsichtig gingen die Leute vom Schlossmuseum mit den Privaträumen des Kaisers und seiner Familie um. Wie im Neuen Palais im Potsdamer Park Sanssouci, der kaiserlichen Sommerresidenz bis Ende 1918, so wurde auch im Berliner Stadtschloss alles vermieden, was vom Publikum wie ein Gruselkabinett hätte wahrgenommen werden können. Mit anderen Worten hat man die Privaträume entrümpelt und nach Umbauten erst 1926 öffentlich zugänglich gemacht. Um beim Publikum garnicht erst "wollüstiges Schaudern" aufkommen zu lassen, wie der Kunstkritiker Max Osborn schrieb, wurden weder die kaiserliche Schlafzimmer noch dazu gehörige Möbel gezeigt, sondern alles daran gesetzt, das Schlossmuseum als "wahre Schatzkammer von künstlerischem und kunsthistorischen Einzelheiten hohen Ranges" erlebbar zu machen.

Christian Walther beschreibt ausführlich die nach 1918 erfolgte Umwandlung des Stadtschlosses in ein Kunstgewerbemuseum, Museum für Leibesübungen und Theatermuseum, aber auch als Sitz des Akademischen Austauschdienstes und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. als Trägerin zahlreicher mit Grundlagenforschung befasster Institute. In der alten, nach und nach mit modernen Heizungs- und Sanitäranlagen ausgestatteten Residenz gab es ein Tagesheim für Studentinnen und eine Mensa in der früheren Schlossküche. Ferner war hier die Preußische Schlösserverwaltung untergebracht, die sich um die Liegenschaften des ehemaligen Herrscherhauses weit über das Kernland Berlin-Brandenburg hinaus bis zum Rheinland, nach Schlesien und Ostpreußen kümmerte. Neue Mieter waren ferner der Gewerkschaftsbund deutscher Verwaltungsbeamter, das Landesamt für Gewässerkunde sowie Institute der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, der Vorläuferin der Humboldt-Universität. Im Sommer fanden in den Höfen gut besuchte Konzerte unter freiem Himmel statt - alles Neuerungen, die dem im fernen Doorn grollenden Kaiser mächtig gegen den Strich gegangen sein dürften, wenn er denn die unstandesgemäße zivile Nutzung "seines" Schlosses zur Kenntnis nahm. Dorthin mit "klingendem Spiel" wieder einzuziehen und sich auf den Thron im Rittersaal zu setzen, blieb "Wilhelm dem Letzten" und seinesgleichen verwehrt.

Sprengung der Ruine 1950/51 auf Befehl der SED

Junge Akademikerinnen bezogen, undenkbar in der männerdominierten, von feudalem Standesdünkel geprägten Gesellschaft der Kaiserzeit, das Berliner Schloss. Unter ihnen waren die Atomphysikerin Lise Meitner, ferner die als Retterin der Kriegsruine des Berliner Schlosses Charlottenburg bekannt gewordene Kunsthistorikerin Margarete Kühn, die Juristinnen Anne-Gudrun Meier-Scherling und Marguerite Wolff, aber auch die Pädagogin Eugenie Schwarzwald, die die Mensa im Schloss für bedürftige Personen einrichtete, und die Staatswissenschaftlerin und Politikerin Marie-Elisabeth Lüders, nach der ein Gebäude des Deutschen Bundestags benannt ist. Sie richtete im Schloss ein Tagesheim für Studentinnen und half ihnen so bei der Bewältigung schwieriger Tagesaufgaben. Es ist das besondere Verdienst von Christian Walther, diese für das alte Kaiserschloss unerwarteten Entwicklungen ans Licht und deren Protagonistinnen ans Licht geholt zu haben. Im Vorwort für das informative, mit vielen unbekannten Abbildungen versehene Buch in angenehm quadratischem Format schreibt er, jahrzehntelang hätten Monarchisten und Kommunisten gleichermaßen behauptet, das Schloss sei das Schloss der Hohenzollern gewesen. "Es ist an der Zeit, daran zu erinnern, was es seit der Revolution wirklich gewesen ist: das Schloss der Republik."

Das Berliner Stadtschloss wurde im Winter 1950/51 auf Befehl der SED und ihres Chefs Walter Ulbricht in die Luft gesprengt und Stein für Stein abgetragen. Voran gegangen waren interne Gutachten zur Frage, ob man das Schloss wieder aufbauen sollte und was das kosten würde. Christian Walther widmet sein letztes Kapitel dem Abriss, für den sich der Ostberliner Denkmalpfleger Gerhard Strauss aussprach, ein Mann mit brauner Vergangenheit und auch deshalb erpressbar und dem Regime willfährig. Er sprach sich für den Abriss aus, wenngleich mit dem Hinweis, dies müsste unter sorgfältiger Erhaltung der überlieferten künstlerischen Substanz erfolgen. Da aber die Zeit drängte, hat man diese Aus- und Abbauten auf ein Minimum beschränkt und zündete, Proteste hier und Vorschläge dort zur neuen Nutzung des Gebäudes dort, unverdrossen die Sprengladungen. Nur wenige Skulpturen wurden gerettet.

Was in die Obhut der Museen gelangte, diente Jahrzehnte später, als der Wiederaufbau des Stadtschlosses als Humboldt-Forum nach Plänen von Franco Stella beschlossene Sache war, den in einer Werkstatt in Spandau tätigen Bildhauern auf Vorlagen für ihre Kopien. Die Masse des Trümmerschutts wurde 1950/51 zermahlen und der Baustoffindustrie zugeführt. Über den Abtransport des Schutts wurden Protokolle angefertigt, die bei der Suche nach Schlosstrümmern behilflich waren. Berliner Museen besitzen überdies künstlerisch wertvolle Relikte wie Wand- und Deckenstuck sowie barocke Sandsteinfiguren von der Außenfassade und vom Schlüterhof. An verschiedenen Stellen hat man die Spolien eingebaut, und so kann man originale Teile sehr gut von den Kopien unterscheiden.

INFO Siehe auch Eintrag über die ersten Ausstellungen im Humboldt-Forum auf dieser Internetseite (Museen/Ausstellungen) vom 21. Juli 2021

4. August 2021

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