Pantheon der Berliner Geschichte
Die seit 1987 als Museum genutzte Nikolaikirche zeigt wertvolle Objekte der Stadtgeschichte und alte Grabdenkmäler





Die in den 1980er Jahren wieder aufgebaute Nikolaikirche im gleichnamigen Viertel birgt einigartige stadt- und kulturgeschichtliche Schätze. Irgendwann wird die Filiale des Berliner Stadtmuseums wieder zugänglich sein.



Das Grabmal aus dem Jahr 1556 mit dem über Tod und Teufel triumphierenden Christus wird dem Bildhauer Hans Scheußlich zugeschrieben. Das restaurierte Grabmal des 1721 verstorbenen Festungskommandanten Carl Constantin von Schnitter zeigt, wie prachtvoll die Seitenkapellen ausgestaltet waren. Aus der Renaissance und dem Barock stammen zahlreiche Wänden und Pfeilern angefügte Epitaphien.



Prunkstück barocker Sepulkralkunst ist die Grabkapelle des preußischen Ministers Johann Andreas von Kraut, deren figürlicher Schmuck von dem Barockbildhauer Johann Andreas Glume geschaffen wurde.



Die Messbildaufnahme von 1919 zeigt den Reichtum der in der Nikolaikirche versammelten Grabkapellen und Epitaphien. Nicht wenige wurden von bedeutenden Bildhauern geschaffen. Das Grabmal des 1701 verstorbenen Goldschmieds Daniel Männlich und seiner Frau ist ein Werk des Hofbildhauers und Schlossbaumeisters Andreas Schlüter.





Im Trümmerschutt gefundene Relikte von Grabmälern sind in der Nikolaikirche ausgestellt, ebenso kostbare Zeugnisse aus der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der fast 800 Jahre alten Stadt an der Spree. Reste des barocken Altars zeigen im Altarbereich, wie prächtig die Kirche ausgestattet war.





Im Außenbereich fallen neben der Eingangstür mehrere Gedenktafeln sowie das die Kirchenmauern durchbrechende Schindlersche Erbbegräbnis auf, das nach 1732 vollendet wurde.



Das 1907 enthüllte Denkmal vor der Nikolaikirche in Lübben zitiert aus dem reichen Kirchenliederschatz aus der Feder von Paul Gerhardt. (Fotos/Repro: Caspar)

Um das Jahr 1230 begonnen, bis ins neunzehnte Jahrhundert nur mit einem Turm versehen und erst 1876 bis 1878 unter der Leitung des Stadtbaurats Hermann Blankenstein mit einer zweiten Spitze geschmückt, erlitt die Berliner Nikolaikirche im Zweiten Weltkrieg schwere Schäden. Jahrzehntelang standen nur die Umfassungsmauern, im Inneren wuchsen Bäume und Sträucher. Die Ruine wäre fast um ein Haar in der frühen DDR-Zeit beseitigt worden, weil sie Funktionären störte und nicht gut in das Bild von der prosperierenden, sich modern gebenden "Hauptstadt der DDR" passte, so ihr offizieller und auf allen Verkehrsschildern stehender Name. Doch mit der Neugestaltung des Nikolaiviertels, zu der auch die Rekonstruktion des Ephraimpalais mit der aus Westberlin in den Ostteil zurückgeführten Bauplastik gehörte, wendete sich in den achtziger Jahren das Schicksal des eindrucksvollen Gotteshauses. 1987 wurde die Nikolaikirche zu Berlins Siebenhundertfünfzigjahrfeier als Ausstellungshalle des Märkischen Museums umgestaltet und eröffnet.

Wiederaufbau unter hohem Zeitdruck

Die Stiftung Stadtmuseum zeigt hier seither in der Dauer- und etlichen Sonderausstellungen Zeugnisse der Stadt-, Kultur- und Wirtschaftsgesichte und erinnert auch daran, dass hier 1809, mitten in einer schweren Krise der preußischen Monarchie die erste Stadtverordnetenversammlung zusammen kam. Bis in die 1980-er Jahre hinein standen von der Nikolaikirche nur die Umfassungsmauern. Um sie herum hatten nur wenige Häuser den Krieg überstanden. Mit Blick auf die Siebenhundertfünfzigjahrfeier der Stadt Berlin 1987 wurde das Viertel rund um die Nikolaikirche aus dem Boden gestampft, und zwar in "harmonischer Verbindung Alt und Neu", wie es in einer denkmalpflegerischen Zielstellung von 1982 heißt. Es ergebe sich die Möglichkeit, "in diesem Bereich stadtbekannte Bauten und Bildkunst mit besonderem Erinnerungswert wiedererstehen zu lassen", und diese Chance hat man gut genutzt.

Der Wiederaufbau der Nikolaikirche stand unter hohem Zeitdruck, denn er sollte zum Stadtjubiläum 1987 abgeschlossen sein. Manche Baumängel wurden Jahre später, als es die DDR nicht mehr gab, mit großem Aufwand behoben. Mit der aufwändigen, von der Denkmalpflege mit wichtigen Dokumenten und Plänen begleiteten Baumaßnahme wollte sich die SED-Führung mit Erich Honecker an der Spitze als Freund und Förderer der Kultur und Kunst in Szene setzen, und da war es kaum möglich, in den DDR-Medien an Bausünden und ideologisch motivierten Bildersturm zu erinnern. Eine große Herausforderung war der Bau der Gewölbe. Sie wurden nach alter Handwerkerkunst Ziegel für Ziegel ohne technische Hilfsmittel gemauert, wenn man von elektrischen Aufzügen absieht. Als die Gewölbe über der eindrucksvollen Hallenkirche und den Seitenkapellen fertig waren, ging es an die Ausgestaltung im Inneren. Hier entschloss sich das damalige Institut für Denkmalpflege zu ungewohnt bunten Farben, über deren Berechtigung gestritten wurde. Doch konnten Restauratoren den Nachweis erbringen, dass die roten, grünen, blauen, gelben und schwarzen Ausmalungen authentisch sind.

Der Tod ergreift das Kind

Die Ursprünge der Nikolaikirche reichen in das frühe 13. Jahrhundert, die Gründungszeit Berlins, zurück. Propst Symeon, der 1237 und 1244 in Urkunden zum erstenmal Urkunden mit seinem Namen und Hinweisen auf die Schwesterstädte Cölln und Berlin unterzeichnete, predigte in der Nikolaikirche, deren aus Granitquadern gebildeter Westbau aus der Zeit um 1230 stammt und an die Geburtsstunde Berlins erinnert. Aufmerksamkeit verdienen die in den Seitenkapellen stehenden beziehungsweise an den Pfeilern aufgehängten Epitaphien aus Stein und Holz, die die Kirche zu einem Pantheon der Berliner Geschichte machen. Die beschädigten beziehungsweise nur noch in Fragmenten erhaltenen Grabmäler sind stumme Zeugen einer Zerstörung, die man dem durch Restauratorenkunst wiedererstandenen Gebäude nicht mehr ansieht. Unter den besonders wertvollen Kunstwerken befinden sich reich figurierte Grabplatten aus der Renaissance-Zeit sowie das mit einem vergoldeten Doppelbildnis und der Figur des Todes, der ein Kind ergreift, geschmückte Grabmal des kurfürstlichen Goldschmieds Daniel Männlich, eines der wenigen Werke, das der Hofbildhauer Andreas Schlüter für einen Bürgerlichen geschaffen hat.

Die Epitaphien wurden in den vergangenen Jahrzehnten, sofern sie den Krieg überstanden hatten, restauriert und wieder aufgestellt. Irgendwann wird man sie wieder besichtigen können, wenn denn die coronabedingten Einschränkungen für Besucher für die Berliner Museen aufgehoben sein werden. Sie erinnern an reiche und einflussreiche Familien in der brandenburgischen und preußischen Hauptstadt, die 1871 deutsche Reichshauptstadt wurde. Die an Pfeilern und Wänden hängenden und in Seitenkapellen aufgestellten Grabmäler aus Stein und Holz machen die Kirche zu einem Pantheon der Berliner Geschichte und Kultur. Die beschädigten beziehungsweise in Fragmenten erhaltenen Bildhauerarbeiten und Gemälde erinnern an Hofbeamte, Militärs, Geistliche, Gelehrte und andere zur "besseren Gesellschaft" der Stadt gehörenden Persönlichkeiten. Die zu Herzen gehenden Inschriften in lateinischer und deutscher Sprache nennen auch ihre Gemahlinnen und zählen ihre Kinder auf, die um die teuren Toten trauern. Diese und andere Werke sind in dem vom Märkischen Museum herausgegebenen Buch "Grabmalskunst aus vier Jahrhunderten. Epitaphien und Grabdenkmäler in der Nikolaikirche zu Berlin. Katalog der Sepulkralplastik" (Argon Verlag Berlin 1994, 199 Seiten, zahlreiche meist farbige Abbildungen, ISBN 3-87024-270-1) erfasst und beschrieben.

Anhand von Bildnissen, Büchern und Briefen sowie kunstgewerblichen Erinnerungsstücken, kirchlichen Gerätschaften und Dingen des Alltagslebens würdigt 2007 die Dokumentation der Stiftung Stadtmuseum "Unverzagt - Ein Berliner Dichter und Bekenner" einen Geistlichen, der von 1657 bis 1666 an der Nikolaikirche gewirkt hat, die kurfürstliche Haupt- und Residenzstadt aber wegen religiöser Differenzen mit seinem Landesherrn verlassen musste und nach Lübben (Landkreis Dahme-Spreewald) ging, wo er 1676 starb. 1607 als Sohn eines Gastwirts und einer Pfarrerstochter im kursächsischen Gräfenhainichen unweit von Wittenberg geboren, absolvierte er eine sorgfältige Ausbildung an der Fürstenschule in Grimma, studierte Theologie im streng lutherischen Wittenberg und schlug sich als Hauslehrer durch, zunächst in Wittenberg, dann ab etwa 1643 an in Berlin. Hier lebte er im Haus seines Schwiegervaters, des Kammergerichtsadvokaten Andreas Berthold, dessen Tochter Gerhardt später heiratete. Als Propst an der Berliner Nikolaikirche tätig, pflegte der Geistliche in der nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) aufblühenden und expandierenden Residenzstadt Berlin freundschaftliche Kontakte zu Amtskollegen und zum Bildungsbürgertum sowie zu Lehrern des Gymnasiums zum Grauen Kloster.

Einem der dort tätigen Lehrer, dem Komponisten und Organisten Johann Crüger, verdankte Gerhardt viel. Indem Crüger Kirchenlieder wie "Wach auf mein Herz und singe" oder "O Haupt voll Blut und Wunden" aus der Feder von Gerhardt in sein immer neu aufgelegtes Gesangbuch aufnahm, verschaffte er ihnen Verbreitung und ihrem Verfasser Anerkennung. An beide - Gerhardt und Crüger - erinnern Gedenktafeln an der Außenfassade neben dem Eingang zur Kirche. Paul Gerhardt hinterließ zahlreiche auch heute gesungene Kirchenlider wie "Nun ruhen alle Wälder", "Wach auf mein Herz und singe", "Ich steh an deiner Krippen hier", "Dein Zion streut dir Palmen und grüne Zweige hin", "Befiel du deine Wege und was dein Herze kränkt" und "Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein". In den Sockel seines von Friedrich Pfannschmidt geschaffenen Denkmals vor der Nikolaikirche in Lübben ist das Lied "Gottlob nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort / Dass nunmehr ruhen sollen die Spieß und Schwerter und ihr Mord / Wohlan und nimm nun wieder dein Saitenspiel hervor / O Deutschland und sing Lieder im hohen vollen Chor" gemeißelt.

Zu seinem Unglück wurde Paul Gerhardt in die Besonderheiten der brandenburgischen Kirchenpolitik verstrickt. Da das Herrscherhaus calvinistisch war, seine Untertanen aber zumeist der lutherschen Lehre anhingen, kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Konfessionen, die der Kurfürst zu schlichten versuchte. Gerhardt blieb bei seinem Standpunkt und wurde 1666 aus einem Amt entlassen. In Lübben, das damals zum Herzogtum Sachsen-Merseburg gehörte, konnte er unangefochten das reine Luthertum predigen. Er erhielt die Stellung eines Archidiakons und wirkte, wie Zeitgenossen schrieben, segensreich an der Nikolaikirche zu Lübben, vor der seit über hundert Jahren sein Denkmal steht. Das von Ernst Pfannschmidt geschaffene und 1907, zum dreihundertsten Geburtstag des Geistlichen, aufgestellte Bronzemonument zeigt Gerhardt als Pfarrer, der wie segnend seine Hand ausstreckt, und als Dichter mit einem Kirchenliederbuch in der Hand. Interesse verdient die Rückseite dieses eindrucksvollen Monuments. Hier schaut eine Bronzekanone aus einem Bündel Getreideähren hervor - Sinnbild für die von schrecklichen Kriegen und vielfältigen Mühen um Frieden und Wohlstand geprägte Zeit.

1. Mai 2021

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