Sozialistische Kunst am Bau
Buntes Wandbild am Pressecafé neben dem früheren Berliner Verlag ist wieder freigelegt



Das von Willi Neubert geschaffene Wandbild am Pressecafé fiel dem Bildersturm nach der "Wende" 1989/90 nicht zum Opfer.



Das 24 mal fünf Meter große Kupferrelief am Haus des Reisens am Alexanderplatz ist ein Werk von Walter Womacka. Es preist die Überwindung von Zeit und Raum und das Streben der Menschen "zur Sonne, zur Freiheit", wie es in einem alten Arbeiterlied heißt. Die wenigsten DDR-Bürger allerdings konnten in die weite Welt reisen.



Verfechter des sozialistischen Realismus mäkelten an Lingners Wandbild am heutigen Bundesfinanzministerium herum und verlangten Änderungen.



Das DDR-Bauministerium an der Breiten Straße/Petriplatz existiert nicht mehr, hier sind Neubauten entstanden.



Die bunte Bauchbinde um das Haus des Lehrers ist ein einziges Loblied auf die Segnungen des Sozialismus und Kommunismus. Das unter Denkmalschutz stehende Haus und die Kongresshalle sind vom Fernsehturm aus fotografiert.



Der Bauarbeiter misst auf der Karl-Liebknecht-Straße, gleich neben dem BerlinerVerlag und dem Pressecafé, zwischen Daumen und Zeigefinger die Höhe eines Hauses.



Der 1991 vom Leninplatz mit dem gesamten Monument entfernte, drei Tonnen schwere Leninkopf liegt wie schlafend auf der Seite im Lapidarium der Spandauer Zitadelle. Der große Rest passt nicht in die Ausstellungshalle.



Das Bronzerelief am ehemaligen Marstall, dem heutigen Humboldt-Forum gegenüber, ehrt Karl Liebknecht und die Kämpfer der Novemberevolution von 1918. Es wurde nach 1990 nicht entfernt, und auch das monumentale Thälmann-Denkmal blieb stehen, wurde und wird aber regelmäßig mit Farbe besprüht.





Walter Womacka hat im Staatsratsgebäude die "Sieghaftigkeit des Sozialismus" auf Glasfenster gebannt. Während der Palast der Republik von 2006 bis 2009 Jahren abgerissen wurde, blieb das Staatsratsgebäude mit dem "Liebknechtportal" und sozialistischen Glasmalereien stehen. (Fotos: Caspar)

Noch nicht ganz fertig sind die Sanierungs- und Umbauarbeiten am und im Pressecafé in der Karl-Liebknecht-Straße neben dem ehemaligen Berliner Verlag. Das 76 Meter lange und 3,50 Meter hohe Wandgemälde "Die Presse als Organisator" aus dem Jahr 1973 auf wetterbeständigen Emailplatten ist wieder freigelegt. Fast 30 Jahre war das Werk von Willi Neubert hinter einer Holzverschalung verborgen, weil man nach dem Ende der DDR von deren sozialistischer Kunst am Bau nichts wissen wollte, ja sie am liebsten besten zum Teufel gejagt hätte. Die bunte "Bauchbinde" ist nun wieder aus der Versenkung aufgetaucht, und kaum jemand nimmt mehr Anstoß an dem Bild und dem Thema.

Wer denkt heute noch daran, dass die Massenmedien im zweiten deutschen Staat unter der Kuratel der SED standen und weitgehend von Funktionären im deren Zentralkomitee kontrolliert und gelenkt wurden. Was nicht in deren Weltbild passte, war verboten, hingegen gab es für Elogen erst auf den Partei- und Staatschef Walter Ulbricht und ab 1971 seinen Nachfolger Erich Honecker und die von ihnen geführte "Partei der Arbeiterklasse" und den von ihr in Anspruch genommenen "Klassikern des Marxismus-Leninismus" jede Menge Papier und Sendezeiten. Agitation und Propaganda hatten der von Ulbricht ausgerufenen sozialistischen Menschengemeinschaft zu dienen, jegliches Abweichen wurde mit Berufs- und Publikationsverbot und noch Schlimmerem geahndet.

Stasi war immer dabei

Im Pressecafé trafen sich Journalisten mit Informanten und Gesprächpartnern. Sie dürften sich über die neuesten Weisungen aus dem "Großen Haus", also dem Zentralkomitee, ausgetauscht haben, wie über den aktuellen Fünfjahrplan oder den bevorstehenden SED-Parteitag zu berichten ist, wie man mit diversen Jahrestagen und Jugendfestivals umgehen soll, wer gerade bei "denen da oben" im Verschiss geraten ist und über welche Themen nicht berichtet werdeen soll, weil gerade mal wieder Mangel an Lebensmitteln, Textilien oder Haushaltselektronik herrscht, von Autos ganz zu schweigen.

Wer das Pressecafé besuchte, und das waren auch Leute aus dem benachbarten Berliner Verlag und den dort ansässigen Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet hat, wird gewusst haben, dass die Staatssicherheit, der allmächtige und allwissende Geheimdienst unter Erich Mielkes Fuchtel, mit am Tisch oder nebenan saß und überall ihre Augen und Ohren hatte. Der Alltag der auf dem Wandgemälde mit fröhlichen und arbeitsamen Menschen gefeierten Medien sah ziemlich trübe aus, wie manche Betrachter aus leidvoller Erfahrung wissen dürften.

Verbrettert, aber nicht beseitigt

Der Berliner Verlag, ein Hochhaus mit 16 Etagen, war nach dem Ende der DDR vom Hamburger Verlag Gruner & Jahr erworben worden, das Pressecafé ging an eine Steakhouse-Kette, das den knallbunten Fries zum Glück nicht abreißen, sondern hinter Reklame verschwinden ließ. Einen Bilderturm gab es hier, beim Wandgemälde von Max Lingner am heutigen Bundesministerium der Finanzen, beim Haus des Lehrers oder auch bei den Glasmalereien im früheren Staatsratsgebäude nicht. Das hätten damals gern manche aus dem Westen in die Bundeshauptstadt verschlagene Politiker und Kunstexperten gern gehabt und hat auch bei der Beseitigung des Lenin-Denkmals auf dem damaligen Leninplatz und heutigen Platz der Vereinten Nationen und einiger anderer unter freiem Himmel aufgestellten Monumenten geklappt. Das Thälmanndenkmal im Thälmannpark an der Greifswalder Straße anzutasten, hat sich niemand getraut. Hätte man es angetragen und eingeschmolzen, wäre der 1944 im KZ Buchenwald von den Nationalsozialisten ermordete Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschland ein zweites Mal hingerichtet worden.

Die 25 Millionen Euro teure Sanierung der Berliner Kongresshalle und des Hauses des Lehrers am Alexanderplatz liegt schon lange zurück, und auch hier wird die bunte Bauchbinde nach Entwürfen von Walter Womacka gelassen zur Kenntnis genommen, wenn überhaupt. Das 1961 bis 1964 nach Plänen von Hermann Henselmann an der Stelle des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Lehrervereinshauses errichtete Gebäude stand nach der "Wende" eine Zeitlang leer, und das ist ihm nicht gut bekommen. Seine Verwendung als Begegnungsstätte für Pädagogen, Ausstellungshalle, Bibliothek und Kulturzentrum wie zu DDR-Zeiten kam nicht mehr infrage. Im ersten und zweiten Obergeschoss befanden sich ein Café und ein Restaurant. Weitere öffentliche Bereiche waren ein Buchladen, Veranstaltungsräume und eine Kleinkunstbühne mit Bar. Zeitgleich mit dem Haus des Lehrers wurde die nebenstehende Kongresshalle mit ihrer runden Kuppel fertiggestellt. 1991 ging das Gebäude im September 1991 in das Eigentum des Landes Berlin über, das dort Teile seiner Schulverwaltung unterbrachte.

Haus des Lehrers neu genutzt

Ab 1994 wurde das Gebäude vermietet und Ende 2001 für den Spotpreis von 8,18 Millionen Euro an die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte verkauft. Zwischen 2002 und 2004 wurde der Komplex mit der angrenzenden Kongresshalle unter Beachtung der Vorgaben des Denkmalschutzes für 49 Millionen Euro komplett restauriert, modernisiert und zum Teil umgebaut. Durch Verkleinerung der Treppenhäuser konnte die Nutzfläche verdoppelt werden. Bei allen Maßnahmen war klar, dass der von Walter Womacka im Stil des sozialistischen Realismus geschaffene, 130 Meter lange und sieben Meter hohe Bilderfries nicht angetastet, sondern restauriert wird. Aus Keramik- und Glasbruchsteinen gefertigt, macht er aufdringliche Werbung für blühende Landschaften kommunistischer Prägung, in denen schöne, arbeitsame Menschen ihr Glück gefunden haben. Staatsratsgebäude mit Liebknechtportal

Das ehemalige Staatsratsgebäude ist eine eigenartige Kombination von Alt und Neu und wird heute als Hochschule genutzt. An der Fassade mit den riesigen Fenstern prangt das sogenannte Liebknecht-Portal vom 1950 abgerissenen Berliner Schloss. Die Bildhauerarbeit soll an Karl Liebknecht, den Führer der deutschen Linken und Begründer der KPD erinnern. Er hatte am 9. November 1918 vom Balkon des Hohenzollernschlosses die sozialistische Republik ausgerufen. Zwei Stunden später verkündete der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstagsgebäudes die freie deutsche Republik. Die Dimensionen des Schlossportals bestimmte auch die Höhe und Länge des Staatsratsgebäudes, das sich in die eher niedrig gebaute Umgebung gut einfügt. Planungen der frühen DDR-Zeit hatten an dieser Stelle ein riesiges "Haus des Volkes" nach Moskauer Vorbild und sogar ein Wasserbecken vorgesehen.

Umstrittenes Glasfenster im Staatsratsgebäude

Im April 1996 bezog Bundesbauminister Klaus Töpfer als Beauftragter der Bundesregierung für den Umzug von Parlament und Regierung seine das Staatsratsgebäude am Schlosslatz 1. Hier hatte auch Bundeskanzler Helmut Kohl hier seinen provisorischen Dienstsitz. Den Anblick des farbigen Glasgemäldes im Treppenhaus war gewöhnungsbedürftig, musste ertragen werden. "Unter dem Leitgedanken ,Der Sozialismus siegt' konnte ich die kampferfüllte Geschichte der deutschen Arbeiterklasse, angefangen vom 9. November 1918, den denkwürdigen Tag, an dem Karl Liebknecht im Lustgarten die erste sozialistische Republik Deutschlands ausrief, bis zum endgültigen Sieg seiner kühnen Idee - in einem Bild zusammenfassen", beschrieb der Maler Walter Womacka sein Werk, das so gar nicht in zu den neuen Aufgaben dieses Gebäudes passen wollte und eine Zeitlang verhängt war.

Die Glasklebearbeit zeigt sich, von der Sonne durchstrahlt, in voller Farbenpracht. Die Naivität der Darstellung verblüfft, ebenso die unbekümmerte Verherrlichung der jüngeren deutschen Geschichte als Folge von Siegen der Arbeiterklasse über Kapitalismus und Imperialismus war in der DDR Staatsdoktrin. "Die thematische Behandlung beginnt im ersten Stock mit den Novemberkämpfen und den Streiks in den zwanziger Jahren. Es folgen der Neuaufbau nach der Zerschlagung des Faschismus durch die Sowjetarmee. Im Mittelpunkt steht, figürlich dargestellt, das Bündnis von Arbeiterklasse, Bauern und Intelligenz. Der dritte Teil umfasst Anstrengungen des Volkes um Einheit, Frieden und Aufbau des Sozialismus. Gekrönt wird das ganze Fenster durch das Bild der sozialistischen Familie, deren Glück - zuverlässig von den Streitkräften geschützt - auf friedlicher Arbeit beruht", so Womacka weiter. Sein "Machwerk", wie manche Besucher sagen, zu beseitigen, kam nicht infrage. Die Denkmalpflege hatte den Schutzstatus des Gebäudes samt Inventar und Kunst am Bau festgeschrieben und damit auch für das Überleben von Womackas Sozialismus-Bild gesorgt.

Fröhlichsein und singen

Während 1991 das schon erwähnte Lenindenkmal abgetragen wurde, blieben andere Zeugen der DDR-Geschichte sowie Kunst und Architektur stehen. Erhalten blieb ein Wandbild im Außenbereich des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums beziehungsweise des Hauses der DDR-Ministerien und heutigen Bundesfinanzministeriums. In den frühen 1950er Jahren wurden die nach einem Entwurf von Max Lingner bunt bemalten Fliesen aus Meißner Porzellan an die Wand der Säulenhalle an der Leipziger Straße geklebt. Da auch der weitläufige, aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Gebäudekomplex und der Fries unter Denkmalschutz stehen, hat es niemand nach der Wiedervereinigung 1990 gewagt, das 25 Meter lange Propagandabild zu verbrettern oder ganz zu entfernen. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg waren an der gleichen Stelle in Stein gehauene Wehrmachtssoldaten beseitigt worden, als im Reichsluftfahrtministerium Hitlers treuer Paladin, Reichsmarschall Hermann Göring, die Befehle erteilte.

Lachende, fröhliche und singende Menschen marschieren auf dem Lingnerschen Wandbild unter Transparenten in die lichte Zukunft, andere krempeln die Arme hoch, bauen Häuser, verlegen Eisenbahngleise, schmelzen Stahl, ernten Getreide. Blond und schön sind sie alle, kräftig gebaut und gut ernährt. Arbeiter verbünden sich mit Wissenschaftlern, Männer in Schlips und Anzug, Stiefel und Mütze, Frauen in bunten Schürzen, die Kinder mit Pionierhalstüchern um den Hals, junge Frauen in FDJ-Blusen - das ganze Repertoire der DDR-Volksgemeinschaft ist vertreten.

Änderungswünsche von SED-Bonzen

Der Fries aus bunt bemalten Porzellanfliesen nach einem Entwurf von Max Lingner in der Säulenhalle des heutigen Bundesfinanzministeriums an der Ecke Wilhelmstraße/Leipziger Straße zeigt, wie man sich in der frühen DDR den Aufbau des Sozialismus vorstellte. Der Maler musste sich Kritik von Regierung und Kulturfunktionären anhören, die ihm die "französisch angehauchte" Leichtigkeit seiner Figuren vorwarfen und bemängelten, dass er den Traktor anders darstellt als die tatsächlich in der Landwirtschaft eingesetzten Modelle aussehen. Lingner sah sich genötigt, die gewünschten Korrekturen vorzunehmen.

Ministerpräsident und Hobby-Maler Otto Grotewohl und andere SED-Bonzen hatten so lange an den als nicht "sozialistisch" genug empfundenen Entwürfen herumgemäkelt und Lingner zu Veränderungen genötigt. Aus einem abfahrenden Traktor wurde ein ins Bild hereinfahrender Traktor, eine junge Familie wurde durch einen Funktionär mit Aktentasche ersetzt. Neu waren auch die unter strahlender Sonne werkelnden Gleisbauer und Stahlarbeiter. Natürlich wurde das seinerzeit lautstark beschworene Bündnis von Arbeitern und Intellektuellen in die Szenerie hineinkomponiert.

Am 17. Juni 1953 marschierten vor dem damaligen Haus der Ministerien Arbeiter auf, aber nicht solche, wie sie Lingner und seine Auftraggeber feierten. Dieser Volksaufstand brachte die SED-Herrschaft ins Wanken. Über eine Million Menschen beteiligten sich an den Protestaktionen, die als Bauarbeiterstreik im Bezirk Friedrichshain begannen und in kurzer Zeit das ganze Land erfassten. Auslöser war die Erhöhung der Normen. Damit wollte die SED von den Arbeitern mehr Leistung erzwingen, war aber nicht bereit, auch mehr Geld zu zahlen und auch für eine spürbare Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse zu sorgen. Überall in der DDR wurde für die Rücknahme der Normen, aber auch für den Rücktritt der Regierung, freie und geheime Wahlen und Demokratie, die diesen Namen verdient, sowie die Abschaffung der Zensur und Abzug der sowjetischen Besatzer demonstriert. Zu diesen Forderungen kamen die nach der Wiedervereinigung und die Abschaffung der Privilegien für "SED-Bonzen".

An die Opfer des Arbeiteraufstands erinnert ein vor der Säulenhalle mit Lingners Wandbild in den Boden eingelassenes Fotografie unter kratzfestem Glas. Die Skulptur setzt, von Wolfgang Rüppel gestaltet, den Demonstranten gegen die SED-Willkür und für ein einiges Deutschland ein eindrucksvolles Denkmal, das im auffälligen Kontrast zu dem bunten Jubelbild hinter den Säulen aus der Nazizeit steht. Neben dem Ministerium wird nicht nur an den von sowjetischen Panzern niedergeschlagen 17. Juni 1953 erinnert, es wird auch gezeigt, wie Lingners Entwurf ausgesehen hat.

9. November 2021

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