Schlüter ist der Star
Im neuen Humboldt-Forum wird der berühmte Bildhauer und Schlossbaumeister umfassend gewürdigt



Für seinen Arbeitgeber, den preußischen König Friedrich I., und seine Gemahlin Sophie Charlotte schuf Andreas Schlüter vergoldete Sarkophage, die im Dom am Berliner Lustgarten besichtigt werden können.



Ursprünglich stand das von Andreas Schlüter geschaffene Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg auf der Schlossbrücke in der Mitte Berlins, seit den 1950er Jahren schmückt es den Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg.





Im Innenhof des von Andreas Schlüter Ende des 17. Jahrhunderts als Waffenarsenal erbauten Zeughauses mahnen die "Masken sterbender Krieger", alles für den Frieden zu tun und die Opfer der Kriege nicht zu vergessen. Das Haus Unter den Linden in Berlin ist heute Deutsches Historisches Museum.





Von dem hochriskanten Münzturmprojekt blieben nur schön gestaltete Entwürfe übrig. Die reich mit Engeln geschmückte Schlüter-Kanzel ist in der Marienkirche einem mittelalterlichen Pfeiler eingefügt







Die barocke Pracht des Rittersaals ist vergangen, doch in einem festlichen Raum des Schlosses Köpenick ist das aus der Barockzeit stammende Silberbüfett ausgestellt, ein großartiges Zeugnis barocker Gold- und Silberschmiedekunst.



Die Grafik von Karl Emil Döpler im "Hohenzollernjahrbuch" von 1896 schildert, wie unter Friedrich II., dem Großen, und Friedrich Wilhelm III. Silberschätze des königlichen Hofes und Spenden aus der Bevölkerung auf dem "Altar des Vaterlandes" geopfert und eingeschmolzen wurden. (Fotos/Repros: Caspar)

Mit dem Plan, dem in einen prächtigen barocken Palast verwandelten ehemaligen Berliner Renaissance-Schloss einen großen, weit sichtbaren Glockenturm anzufügen, ist der preußische König Friedrich I. anno 1706 grandios gescheitert. Den Bau sollte sein Hofbildhauer und Schlossbaumeister Andreas Schlüter (vermutlich 1759-1714) errichten, dem wir unter anderem das prächtige Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg, das Zeughaus Unter den Linden und die so genannten Masken sterbender Krieger in dessen Innenhof, die vergoldeten Königssärge im Berliner Dom und andere Skulpturen verdanken. Viele Schlüterbauten gingen im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter, allen voran das Stadtschloss, das nach 1945 bei gutem Willen hätte wieder aufgebaut werden können. Die SED-Führung mit Walter Ulbricht an der Spitze wollte es anders ließ den Palast der Hohenzollern schleifen. Siebzig Jahre später ist das Schloss in Gestalt des Humboldt-Forums nach Plänen von Franco Stella wieder auferstanden, außen mit den drei Barockfassaden und im Inneren mit dem Schlüterhof und sonst mit weiten Ausstellungsräumen und Treppenhäusern ohne allen barocken Prunk der Erbauungszeit.

In der der Geschichte des Ortes gewidmeten Raumfolge ist ohne Zweifel Andreas Schlüter der Star. Da das Humboldt-Forum wegen der Coronapandemie noch nicht für das Publikum eröffnet ist und dies in den kommenden Wochen auch nur partiell erfolgen soll, kann heute noch nicht gesagt werden, wie die Hommage aussehen wird. Aber einiges wird thematisiert, so auch das Debakel mit dem Münzturm. Der bauwütige König Friedrich I. verlangte von seinem Bildhauer, einen Turm an der nordwestlichen Ecke des Schlosses "zum Schmucke der Stadt und zu öffentlichem Nutzen" zu errichten, überstieg offenbar dessen Fähigkeiten. Der schlanke Campanile sollte an Stelle eines früheren Turms erbaut werden, der die Brunnen und Fontänen im Lustgarten gleich beim Schloss mit Wasser versorgte. Da in dem Gebäude auch eine Münzwerkstatt untergebracht war, hieß der aus der Renaissance stammende, recht kompakte Bau auch Münzturm.

Münzturm mit einem Glockenspiel

Friedrich I. verlangte nach einem neuen Münzturm mit einem Glockenspiel darin. Wie sein Vorgänger sollte er die Wasserspiele auf dem Lustgarten speisen. Missmutig ging der zum Schlossbaumeister erhobene Bildhauer an die Arbeit und führte das Bauwerk 1706 bis zur Höhe von 70 Metern auf. Doch da brach es in sich zusammen. Der auf sein Prestige bedachte Monarch war wütend und wischte den Einwand seines Baumeisters vom Tisch, dass die Planungen gut sind, das Erdreich aber instabil ist. Schlüter übertrieb nicht, denn bis heute bereitet es bei Baumaßnahmen in der Mitte der Stadt immer wieder große Probleme bereitet. Friedrich I. ließ nicht locker. Der Baumeister musste die Fundamente verstärken, seitlich errichtete Anbauten sollten dem Turm Halt geben und die Lasten auffangen. So wurde der auch Campanile genannte Turm neu aufgerichtet, doch zeigten sich schon bald Risse und Absenkungen. So war das stolze Bauwerk nicht mehr zu retten und musste am 25. Juni 1706 abgebrochen werden. Wutschnaubend entließ der König den Schlossbaumeister aus seinem Amt, beschäftigte ihn aber weiter als Hofbildhauer. "Es hat mein Unglück bei diesem meinem Vornehmen auf mich gelauert [...], indem bey meiner fleißigen und mühsamen Arbeit wider aller mein Vermuthen bey dem Thurm ein Eckpfeiler zu sinken [...] sich angefangen", versuchte der unglückliche Künstler, sich bei seinem Herren zu entschuldigen.

Friedrich I. beauftragte Eosander von Göthe, das Schloss mit einem repräsentativen, über hundert Meter hohen Kuppelbau zu bekrönen und damit der Stadt die ersehnte Höhendominante zu schenken, wiederum ausgestattet mit Glockenspiel und Wasserbehälter. Der Plan wurde nicht verwirklicht, weil es an Mut und Geld fehlte. Nach dem Tod des ersten Preußenkönigs im Jahr 1713 stellte dessen Sohn und Nachfolger, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., die kostspieligen Bauten seines Vorgängers ein. In veränderter Form wurde die Idee einer das Schloss überragenden Höhendominante in Gestalt der Schlosskuppel unter Friedrich Wilhelm IV. Mitte des 19. Jahrhunderts verwirklicht. Nachdem der vom Künstlerpech verfolgte Schlüter noch den vergoldeten Sarg für Friedrich I. geschaffen hatte, wanderte er aus und begab sich in russische Dienste. Bereits 1714 starb er in Sankt Petersburg.

Aufmerksamkeit und Beifall der Kenner

Eines der Hauptwerke Schlüterscher Bildhauerkunst ist die figurenreiche Kanzel in der Marienkirche. Von der Witwe eines kurfürstlichen Kammersekretärs gestiftet und 1703 vollendet, besteht die in einen mittelalterlichen Gewölbepfeiler montierte Kanzel aus einem aus Holz und Alabaster bestehenden Korb, den man über eine geschwungene Treppe betreten kann. Die beiden Engel aus Marmor davor sind durch Bänder mit der Kanzel verbunden. Der hölzerne Schalldeckel über dem Kanzelkorb ist reich mit musizierenden Engeln und vergoldeten Strahlen hinter dunklen Wolken geschmückt. Wegen ihrer ungewöhnlichen Bauart wurde die Kanzel schon im 18. Jahrhundert als technische Großtat gewürdigt. So stellte der Schriftsteller, Verleger und Vertreter der Berliner Aufklärung Friedrich Nicolai in seiner "Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin Potsdam" (1786) anerkennend fest: "Dieses kühne Unternehmen, vielleicht das einzige seiner Art, verdient die Aufmerksamkeit und den Beyfall der Kenner". Wenn man Schlüters Meisterwerk näher betrachtet, sieht man am Kanzelkorb im Stil der Zeit gestaltete Seitenreliefs der Spes (Hoffnung) und der Caritas (Nächstenliebe) sowie vorn die Darstellung von Johannes dem Täufer, der auf das Lamm Gottes als Symbol für die Auferstehung Christi und Hoffnungszeichen für die Welt deutet. Ihm zur Seite hat der Bildhauer einen Mann in Denkerpose und einer Frau gesetzt, die sich nachdenklich an die Stirn fasst.

Wesentlich zurückhaltender gestaltet ist das Grabmal des Hofgoldschmieds Daniel Männlich in der Nikolaikirche, die 1987 im Zusammenhang mit der Siebenhundertjahrfeier Berlins wieder aufgebaut und als Museum und Konzerthalle eröffnet wurde. Die eigentliche Grabkapelle wird vom Stadtmuseum als Ausstellungsraum genutzt. Aufmerksamkeit verdient das von Schlüter geschaffene Eingangsportal ganz aus Sandstein. Ganz oben wird das vergoldete Doppelporträt des Ehepaars Daniel und Anna Catharina Männlich von einem in ein Gewand gehüllten Tod flankiert, der einen sich von ihm abwendenden Knaben fest in seiner Knochenhand hält. Entsetzt schaut auf der anderen Seite ein Jüngling zu. Die Inschriftentafel unter dieser Türbekrönung erklärt, dass der Hofgoldschmied 77 Jahre alt wurde und mit seiner Gemahlin vier Söhne und acht Töchter hatte. Wie die Marienkirche ist auch die Nikolaikirche reich mit Grabmälern und Gemälden ausgestattet. Sie erinnern daran, dass beide Gotteshäuser bevorzugte Grablegen der Berliner Oberschicht waren, und sind heute vielfach bewunderte Zeugnisse Berliner Kunst- und Kulturgeschichte.

Kostbarkeiten aus Silber landeten im Schmelztiegel

Im Rittersaal des Berliner Schlosses war ein riesiges Büfett mit kiloschweren Schalen, Tellern, Kannen, Humpen und Terrinen aufgebaut. Wenn hier neue Ritter in den 1701 von Friedrich I. gestifteten Schwarzen Adlerorden aufgenommen und rauschende Feste gefeiert wurden, konnte alle Welt staunend zur Kenntnis nehmen, über welchen Reichtum das Königshaus verfügt, welche Macht es hat und welche Pracht es entfalten kann. Dass derweil Hungersnöte grassierten und Seuchen viele Todesopfer forderten, blendeten der Monarch und seine Entourage aus und speisten die Betroffenen, wenn überhaupt, mit Almosen ab.

Wenn Not am Manne war und sich die Monarchie im Krieg befand, wurden Teile des Silberschatzes eingeschmolzen. Man tat das ohne Gewissensbisse, weil man die Gefäße vor allem wegen des Edelmetalls liebte und sie zur Schatzbildung in Auftrag gab. Nur noch aus den Akten ist bekannt, dass preußische Könige und Königinnen bisweilen von goldenem Geschirr speisten. Da davon kaum etwas erhalten ist, muss man sich diese Preziosen zu den in Museen ausgestellten Exponaten hinzu denken. Im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648, in den Schlesischen Kriegen des 18. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Preußen einen Krieg gegen Frankreich verloren hatte und hohe Kontributionen an den siegreichen Kaiser Napoleon I. zahlen musste, erlitten viele Kostbarkeiten aus Edelmetall den Tod im Tiegel, wurden also eingeschmolzen und in klingende Münze verwandelt.

Auch das Königshaus erlegte sich ein strenges Sparprogramm auf und ließ bis auf wenige Ausnahmen sein Silber- und Goldservice einschmelzen. Nachdem man das Volk aufgerufen hatte, Gold und Silber zu spenden, war es König Friedrich Wilhelm III. seinen Untertanen schuldig, ebenfalls Besitztümer auf den Altar des Vaterlandes zu legen, wie man damals sagte. So kam es, dass viele Preziosen eingeschmolzen wurden. Münzfreunde kennen so genannte Kontributions- und Vaterlandsmünzen, die in verschiedenen deutschen Fürstentümern und Städten vor und nach 1800 aus Silberspenden der Herrscher und ihrer Untertanen geprägt wurden.

Staatsschatz jetzt im Schloss Köpenick

Nach der Niederlage Preußens 1806 im Krieg gegen Frankreich und dem Friedensschluss, zu dem Napoleon I. ein Jahr später in Tilsit den preußischen König Friedrich Wilhelm III. aufzwang, befand sich das Reich der Hohenzollern in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Die Franzosen verlangten 140 Millionen Francs als Kontributionen. Erst wenn diese Riesensumme beglichen war, wollten sie das um die Hälfte verkleinerte Preußen verlassen. Um einen Teil der Kontributionen entrichten zu können, wurden am preußischen Hof nach entbehrlichen Gegenständen aus Gold und Silber eingesammelt. Friedrich Wilhelm III. ließ Teile seines Tafelgeschirrs einschmelzen, und auch aus Silber gefertigte Möbelstücke und Spiegel erlitten den Tod im Tiegel. Da die Schulden außerordentlich drückten, wurde über das Schicksal des im Rittersaal des Berliner Stadtschlosses aufgetürmten Silberbüfetts nachgedacht. Die mit Kronen, Adlern, Wappen und anderem Zierrat bedeckten Teller, Humpen, Kannen und Terrinen aus schwerem, mit Gold überzogenen Silber waren im frühen 18. Jahrhundert von Augsburger und Berliner Silberschmieden für den preußischen Hof angefertigt worden.

Mit der Präsentation des Ensembles im wichtigsten Saal ihres Berliner Stadtschlosses demonstrierten die Hohenzollern Macht und Stärke. Zugleich aber betrachteten sie die vergoldeten Silbergefäße als Teil ihres Staatsschatzes, der in Kriegs- und Krisenzeiten zur Bestreitung außerordentlicher Ausgaben und zu Herstellung geprägten Geldes geopfert wurde. Ähnlich verfuhr man in Kursachsen nach dem Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763, wo große und schwere Silbergefäße des Grünen Gewölbes, die von August dem Starken und seinem Sohn Friedrich August II. angeschafft und zur Schau gestellt wurden, zur Gewinnung von Münzmetall eingeschmolzen wurden. Den jungen Kurfürsten und späteren König Friedrich August III./I. plagten keine Gewissensbisse, weil er wusste, etwas Gutes für sein wirtschaftlich am Boden liegendes Land zu tun, und außerdem entsprachen die üppig im Stil des Barock dekorierten Gefäßensembles nicht mehr dem gewandelten Zeitgeschmack.

Dass vor 200 Jahren das Berliner Silberbuffet erhalten blieb, ist der Intervention von Hofbeamten zu verdanken. Sie wiesen Friedrich Wilhelm III. in aller Ehrfurcht auf den besonderen künstlerischen Wert und die historische Bedeutung des Ensembles hin und baten, man möge andere Silbergegenstände einschmelzen. Der König stimmte zu und stellte das Silberbüffet, aber auch einige mit Talern und Medaillen besetzte Humpen unter seinen Schutz. Im Übrigen rief die Regierung Anfang 1813 das Volk zu Spenden unter dem Motto "Gold gab ich für Eisen" auf, um die Ausrüstung von Freiwilligen für den bevor stehenden Befreiungskrieg gegen Frankreich finanzieren zu können. Das Echo in der Bevölkerung war beachtlich, und niemand dachte mehr daran, das im Berliner Stadtschloss und anderen Residenzen befindliche Prunk- und Tafelsilber in den Schmelztiegel zu werfen. Unbekannt ist, welche hochkarätigen Kunstgegenstände dort auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Inwiefern diese Dinge im Humboldt-Forum Erwähnung finden und ob vielleicht sogar Beispiele von dem jetzt im Kunstgewerbemuseum Schloss Köpenick präsentierten Silberbuffet an das Kunst- und Kulturzentrum an der Spree entliehen werden, wird sich bei einem Besuch vor Ort zeigen. Zu wünschen wäre dies allemal.

3. Januar 2021

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