Verwundet und wieder auferstanden
Neues Buch von Jens Arndt über Menschen, Schicksale und Bauten in Sacrow zwischen Potsdam und Berlin



Das reich illustrierte Buch von Jens Arndt "Sacrow - Das verwundete Paradies" erschien 2020 im L & H Verlag Berlin, 275 Seiten und kostet 29 Euro (ISBN 978-3-939629-62-7).



Die Heilandskirche ist das bekannteste Bau- und Kunstdenkmal von Sacrow. Sie ist Teil der Potsdamer Havellandschaft, die von der Pfaueninsel bis nach Werder reicht und mit den preußischen Schlössern und Gärten seit 1990 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört.



Schloss Sacrow in nahe der Heilandkirche hatte verschieden Besitzer. Heute gehört es zur Stiftung Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.



Stolpersteine halten vor dem Firmensitz Kurfürstendamm 47 halten die Erinnerung an das Ehepaar Redelsheimer wach. Jens Arndt hat ihm und weiteren Sacrowern ein ehrendes Denkmal gesetzt.





Von 1961 bis 1989 war Sacrow durch eine Mauer von der Havel abgetrennt. Die Heilandskirche zog sich um sie herum. Ende 1989 bot sie sich in einem jammervollen Zustand dar. Nachdem sie im Inneren ein wenig aufgeräumt war, konnte hier unter freudiger Teilnahme der Bevölkerung und von Politikern aus Ost und West der Heilige Abend gefeiert werden.



Nach 1989/90 konnte die Heilandskirche wieder in einen vorzeigbaren Zustand versetzt werden. Da das Apsisgemälde mit dem segnenden Christus ein Fresko ist, hat es die schlechten Zeiten vergleichsweise gut überstanden.



Das Relief am Glockenturm erinnert an Versuche für drahtlose Funkübertragung.



Nach der Maueröffnung am 9. November 1989 war das Dort auf den Beinen, um den Schlagbaum und die anderen Grenzanlagen abzubauen. (Fotos: Caspar und Repros aus dem besprochenen Buch)

Wer von Sacrow spricht, dem fallen bestimmt die unter dem König Friedrich Wilhelm IV. erbaute, direkt an der Havel gelegene Heilandkirche sowie das kleine Schloss und der Park ein. Dass der zur brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam gehörige Vorort und seine Bewohner weitaus mehr zu bieten haben, schildert der Dokumentarfilmer Jens Arndt in seinem reich illustrierten Buch "Sacrow - Das verwundete Paradies", das 2020 im L & H Verlag Berlin erschienen ist, 275 Seiten hat und 29 Euro kostet (ISBN 978-3-939629-62-7). Der Verfasser nennt Sacrow eine märkische Schönheit und einen von einem preußischen König veredelten Ort lustvollen Verweilens. Sacrow sei gezeichnet von den beiden deutschen Diktaturen - von der Zeit des Nationalsozialismus und der SED-Herrschaft, die vor 30 Jahren ihr Ende fand. In den Jahren danach wurde dem zwischen 1961 und 1989 durch die Mauer von der Umwelt weitgehend abgeriegelten Ort von den alten, nunmehr wieder freien Bewohnern und zahlreichen Zuzüglern neues Leben eingehaucht.

TV-Reihe "Geheimnisvolle Orte" des RBB

Dass der Verfasser Dokumentartfilmer ist, ist kein Makel. Im Gegenteil. Er beleuchtet die Geschichte von Sacrow nicht wie es Historiker und Kunstexperten tun würden, sondern lässt Bewohner von damals und von heute ausführlich zu Wort kommen. Er erzählt Geschichten aus dem "Ort hinter dem Gebüsch" und zeigt, welche Wunden ihm und seinen Bewohnern geschlagen wurden und wie sie diese zum Heilen brachten, wo immer es ging und geht. Was Arndt in Sacrow sah, hörte und filmte und mit wem er sprach, war in der TV-Reihe "Geheimnisvolle Orte" des RBB, zu beziehen bei www.vonvietinghoff-filmn.de. Sein Buch "Gärtner führen keine Kriege" ist ebenfalls im L & H Verlag Berlin erschienen.

Buch und Film schildern, wie Sacrow um 1900 wegen seiner malerischen Lage zwischen Wasser und Wald und nicht weit von Berlin entfernt ein Ort der Reichen und Schönen wurde und wie eine Sommervilla nach der anderen am Ufer der Havel gebaut wurden. Die Idylle hatte ein Ende, als nach Errichtung der Nazidiktatur die hier wohnenden jüdischen Bewohner erst enteignet und vertrieben und dann ermordet wurden. Im Sacrower Schloss machte sich ein glühender Nazi, der von Hermann Göring protegierte Reichsforstmeister, SS-Gruppenführer und Träger des Goldenen Parteiabzeichens Friedrich Alpers, breit. Ortsansässige Nazis betrieben zu eigenem Vorteil eifrig die "Arisierung" und rissen sich Häuser und Grundstücke skrupellos unter den Nagel. Indem Jens Arndt Namen nennt, die Schicksale der Naziopfer beschreibt und die Verbrechen von "Hitlers willigen Helfern" anprangert, hilft er, weiteres Licht in ein besonders dunkles Kapitel unserer jüngeren Vergangenheit zu bringen und auch die Behauptung in Neonazi- und AfD-Kreisen ad absurdum zu führen, "unter Hitler" sei es nicht so schlimm gewesen, ja das "Dritte Reich" sei nur ein Vogelschiss unserer tausendjährigen der Geschichte gewesen, wie es Alexander Gauland, der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion 2018 behauptete.

Von der Sommeridylle nach Auschwitz

Der jüdische Möbelfabrikant und Innenausstatter Paul Redelsheimer, seine Frau Else und die Kinder verbrachten in der Sacrower Sommeridylle gute Zeiten, bis die Nazis an die Macht kamen. Während ihre Kinder bereits 1933 Deutschland verließen, war das Berliner Ehepaar ähnlich wie andere Leute hofften, Hitler würde schnell "abwirtschaften" und der braune Spuk würde bald vorbei sein. Wie sollten sie sich irren! 1939, vier Jahre nach den "Nürnberger Gesetzen" und ein Jahr nach dem Pogrom vom 9. November 1938, mussten sie ihr Sommerhaus weit unterm Wert verkaufen. Sie lebten geächtet, verarmt und einsam in einem Garagenhaus und wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert. Paul Redelsheimer wurde dort ermordet, seine Frau Elsa kam in Auschwitz ums Leben. Nach intensivem Aktenstudium und Gesprächen mit Nachkommen der Familie und Zeitzeugen gelingt Jens Arndt ein ergreifendes Porträt der Familie Redelsheimer. In seinem Buch kommen darüber hinaus bekannte und unbekannte Sacrower mit Erinnerungen zu Wort, so der von den Nazis ermordete Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi und sein Sohn Klaus, der Bundesminister und Erster Bürgermeister von Hamburg war. Er erinnert sich an einen Besuch in Sacrow und im Wohnhaus der Familie, in dem ein Heim für "unliebsame Kinder" eingerichtet war, in dem es alles andere als gemütlich und menschenfreundlich zuging.

Das Schloss Sacrow war nach dem Ende der Naziherrschaft Erholungsheim für Opfer des Faschismus und als Liselotte-Hermann-Heim auch zeitweiliger Wohn- und Arbeitsort von DDR-Schriftstellern. Unter ihnen war Brigitte Reimann, aus deren Tagebuch Jens Arndt zitiert. Gesprochen wurde in dem Heim auch über das "Grauenhafte, das geschehen ist im Namen des Sozialismus und der Menschlichkeit", wie Reimann notierte. Nach dem Mauerbau 1961 war mit der künstlerischen Begegnungsstätte und Oase zwischen Wasser und dem Wald Schluss. Sacrow wurde mit Stacheldraht und Betonwänden abgeriegelt. In das "Grenzgebiet" zu gelangen, war nur nach strenger Prüfung und Erteilung von Genehmigungen möglich. Am Ortseingang gab es einen Kontrollpunkt, der Zugang zur Havel war dem beliebten "Ort am Wasser" nicht mehr möglich, von den schwer bewaffneten DDR-Grenzern abgesehen. Schloss und Park wurden in die "Zentrale Ausbildungsstätte für Diensthundewesen der Zollverwaltung der DDR" umgewandelt. In einer Abschlussarbeit werden die beim Kampf gegen "Republikflüchtige" und zur Erschnüffelung verbotener Gegenstände eingesetzten Tiere so definiert: "Der Hund entwickelte sich vom Nutztier der herrschenden Ausbeuterklasse zum Dienst- und Gebrauchshund der bewaffneten Kräfte des sozialistischen Staates."

Mauer des Schweigens nach tödlichem Schuss

Die besondere Lage zwischen hier und dort stärkte das Gemeinschaftsgefühl, es gab Feste und Kulturveranstaltungen. Dieser Zusammenhalt wurde im November 1975 auf eine harte Probe gestellt, als nämlich der 21-jährige Sacrower Lothar Hennig mitten auf der Dorfstraße von einem Grenzposten erschossen wurde. Auf der Suche nach den Gründen für diesen Mord trifft die verzweifelte Familie auf eine Mauer des Schweigens beim Grenzkommando und den Nachbarn. Die Staatssicherheit notierte, von einer Untersuchung nach der Schusswaffenanwendung durch die Grenzsicherungskräfte sei Abstand genommen worden, "da der Tatort durch den Abtransport des Geschädigten verändert und keine Beunruhigung der Grenzbevölkerung durch die kriminalistischen Arbeiten herbeigeführt werden sollte." Nach dem Tod von Lothar Hennig war in Sacrow alles anders. Verloren war die alte Herzlichkeit, niemand fragte die Hinterbliebenen, wie es ihnen geht, keiner hat sie getröstet. Erst nach dem Ende der DDR kam heraus, dass der junge Mann Informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi war und den Auftrag hatte, Jugendveranstaltungen in Sacrow zu observieren. Sein "Fehlverhalten" gegenüber den Grenztruppen, was immer diese darunter verstanden, wurde ihm zum Verhängnis. Bei den Leuten, die das Maueropfer gekannt hatten, war er nach Bekanntwerden seiner Stasi-Tätigkeit bei den Dorfbewohnern "unten durch", wie die Mutter berichtet.

Die DDR hielt sich stets zugute, dass sie das kulturelle Erbe hoch in Ehren hält. So weit ihr das in den politischen und ideologischen Kram passte, hat sich der vor 40 Jahren im Orkus der Geschichte verschwundene Arbeiter-und-Bauern-Staat daran gehalten und viel Geld, Arbeitskraft und Baumaterial in die Rettung, Sanierung und Restaurierung von Kriegsruinen sowie verwahrlosten Bau- und Kunstdenkmalen gesteckt. Wehe aber, die Bauten befanden sich im Fadenkreuz von Hardlinern im SED-Politbüro mit Walter Ulbricht und Erich Honecker an der Spitze. Dann wurden - Bürgerproteste hin, außenpolitische Imageverlust her - Befehle zur Sprengung mit dem Hinweis erteilt, man brauche das Geld und die Arbeitskräfte anderweitig. Ungeachtet von Einwänden wurden in der Ulbricht-Zeit allein in der "sozialistischen Bezirkshauptstadt Potsdam" die Kriegsruinen des Stadtschlosses (1960), der Garnisonkirche (1968), der Heiliggeistkirche (1961 Umfassungsmauern, 1974 Turmstumpf) sowie Barockbauten in der Innenstadt abgerissen und zu Steinmehl zermahlen.

Respektloser Umgang mit der Heilandskirche

Ausgesprochen respektlos, ja ruppig, um nicht zu sagen feindlich ging die DDR mit der Heilandskirche in Sacrow um. Das auf einer in die Havel reichenden Landzunge nach Zeichnungen von König Friedrich Wilhelm IV. und Plänen seines Architekten Ludwig Persius ab 1841 erbaute und 1844 eingeweihte Gotteshaus besitzt einen freistehenden Glockenturm (Campanile). Der "Romantiker auf dem Thron" hatte das Gut Sacrow im Oktober 1840 für 60.000 Taler erworben und es als Domäne an die Königliche Regierung in Potsdam überwiesen. Lange vor dem Kauf hatte er die Kirchenbauten für Sacrow skizziert. Für den Neubau nach italienischen Vorlagen schien ihm eine Bucht, auch Port genannt, gut geeignet, in der Havelfischer bei Sturm und Unwetter Schutz suchten. Für den hochreligiösen Monarchen besaß der Ort Symbolcharakter. Er sah in der Kirche ein "Bollwerk" gegen die Stürme des Lebens. Darauf weist das Kirchensiegel mit der lateinischen Umschrift "S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro" (Kirche des heilbringenden Erlösers im heiligen Hafen) hin.

Hofarchitekt Ludwig Persius und sein engster Mitarbeiter Ferdinand von Arnim setzten die vom König angefertigten Skizzen um. Die in das Wasser hineinragende Heilandskirche vermittelt tatsächlich den Eindruck eines vor Anker liegenden Schiffes am Ufer der Havel. Diese Bauweise auf einem Pfahlrost aus Eichenstämmen verschlang ein Drittel der Gesamtbaukosten von 45.234 Talern und 27 Silbergroschen. Der König kam des Öfteren mit seiner Familie auf kleinen Booten hinüber zum Gottesdienst. Die Kirche liegt rund einhundert Meter vom Sacrower Schloss entfernt und wird von einem Park umgeben, den der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné in den 1840-er Jahren gestaltet hat.

Regen fiel durch Löcher im Zinkdach

Wie Teile des Babelsberger Parks waren in "Mauerzeiten" auch Sacrow und sein Schlosspark ein von DDR-Grenzern schwer bewachtes Gelände. Gemeindemitgliedern und dem Pfarrer wurde der Zugang zur Kirche verweigert. Niemand hat die gelangweilten Bewacher daran gehindert, die kostbare Inneneinrichtung und den Außenbau zu zerstören. So bot sich den Besuchern nach der Grenzöffnung am 9. November 1989 ein grauenhaftes Bild der Verwüstung. Dem Pfarrer Joachim Strauss war gleich nach dem letzten Weihnachtsgottesdienst 1961 lapidar mitgeteilt worden, das Innere der Kirche sei "von unbekannter Hand zertrümmert" worden, weshalb eine weitere Nutzung nicht mehr möglich ist. Damit hatte die DDR einen Grund geschaffen, dass niemand außer den Grenzern die Kirche betritt.

Von West-Berliner Seiten waren die sich langsam mehreren Bauschäden gut zu erkennen, und es gab in der dortigen Presse kritische Berichte über den brutalen Umgang der DDR mit ihrem kulturellen Erbe. Bei Begehungen unter den wachsamen Augen schwer bewaffneter Grenzsoldaten notierte ein Bausachverständiger 1981 allerschlimmste Schäden. Durch das löcherige Zinkdach regnete es in die Kirche, Unkraut und Baubewuchs breiteten sich überall aus und ließen das Schlimmste befürchten. Der Echte Hausschwamm tat sein zerstörerisches Werk, das Kirchengestühl, die hölzernen Wandpaneele und der Holzfußboden befanden sich in einem erbärmlichen Zustand.

Reparaturarbeiten an einem besonderen Ort

Um die Kirche nicht ganz verfallen zu lassen und sich damit gegen über dem Westen als kulturlos zu outen, erlaubte die DDR einige Reparaturmaßnahmen. Die dabei eingesetzten Handwerker kamen aus dem Osten, waren handverlesen und mussten ihr Werk unter den Augen der Grenzer verrichten. Sie taten das so gut, wie es die in der DDR herrschende Mangelwirtschaft zuließ, und wie es die Behörden an diesem besonderen Ort erlaubten. Erst nach der Öffnung der Grenze war für Zivilisten ein Herankommen möglich, und es wurden die immensen Schäden an dem ruinierten Bau- und Kunstensemble offenbar. Sie sind inzwischen behoben, und auch der Park erhielt seine historische Gestalt zurück.

Am Glockenturm der Heilandkirche macht eine Relieftafel von Hermann Hosaeus aus dem Jahr 1928 auf wichtige naturwissenschaftliche Experimente in der Kaiserzeit aufmerksam. Ein Mann mit Lendenschurz hält über seinem Kopf den Erdball, aus dem Blitze schießen. Aufklärung über die allegorische Darstellung gibt die Inschrift "An dieser Stätte errichteten Prof. Adolf Slaby und Graf von Arco die erste deutsche Antennenanlage für drahtlosen Verkehr". Adolf Slaby und Georg Graf von Arco hatten im Sommer 1897 im Turm des der Friedenskirche im Park von Sanssouci nicht unähnlichen Gotteshauses elektroakustische Versuche angestellt und Funkkontakt zur kaiserlichen Matrosenstation auf der anderen Seite des Jungfernsees hergestellt. Mit den erfolgreich verlaufenden Experimenten wurde eine wesentliche Voraussetzung für den Rundfunk geschaffen. Natürlich hatten die Versuche auch eine wichtige militärische Komponente.

2. Februar 2021

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"