Von der Grundsteinlegung am 6. Juli 1818 bis zur feierlichen Eröffnung am 26. Mai 1821 brauchten Karl Friedrich Schinkel und seine Bauleute, Bildhauer, Bühnengestalter und Innenarchitekten nur drei Jahre, bis das Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt fertig und spielbereit war. Auf den Fundamenten des am 29. Juni 1817 abgebrannten, nach einem Entwurf von Karl Gotthard Langhans erbauten Nationaltheaters, auch Koffer genannt, errichtet, war der wie ein antiker Tempel mit einer repräsentativen Freitreppe, einem Säulenvorbau und zahlreichen vollplastischen Figuren sowie Reliefs in den Giebeldreiecken geschmückte Neubau das damals Modernste, was man in diesem Bereich wünschen konnte. Für Preußens obersten Baumeister diente das 320 vor Christus erbaute Thrasyllos-Monument in Athen als Vorbild, benannt nach dem sagenhaften, für die Organisation der Schauspiele zuständigen Chorführer Thrasyllos. Aus einem Mittelteil mit Freitreppe und zwei seitlichen Flügeln bestehend, wurde das Schauspielhaus auf Weisung des streng auf die Kosten achtenden Königs unter Verwendung der Mauern und Materialien der alten Theaterruine in erstaunlich kurzer Zeit erbaut.
Besaß das Langhans-Theater zwischen dem Deutschen und dem Französischen Dom 2000 Zuschauerplätze, so war das neue Theater für nur 1200 Zuschauer ausgelegt. Das war etwas mehr als die Hälfte dessen, was in der Königlichen Oper Unter den Linden, der heutigen Staatsoper, zur Verfügung stand. In dem gewonnenen Raum waren Werkstätten, Magazine, Garderoben und Proberäume untergebracht. Schinkel richtete überdies einen Konzert- und Ballsaal sowie ein Restaurant und eine Küche ein. Ziel dieses für die damalige Zeit noch recht gewöhnungsbedürftigen Angebots für ein Theater- und Opernhaus war es, durch Gastronomie und die privat zu mietenden Räumlichkeiten Geld einzunehmen und so die königliche Schatulle zu entlasten.
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg wie zahlreiche andere Bauten in der Innenstadt stark zerstört, erlebten das Schauspielhaus sowie der Deutsche und der Französische Dom in den 1980er Jahren ihre Wiedergeburt. Dabei wurden die Außenarchitektur und der plastische Schmuck nach Entwürfen von Christian Friedrich Tieck originalgetreu rekonstruiert, während das Innere in freier Adaption der Schinkelschen Fassung neu gestaltet wurde. So hat man den großen Konzertsaal in der Art des von Schinkel entworfenen kleinen Konzertsaals um das Vier- bis Fünffache vergrößert und ein neuartiges Foyer sowie einen Kammermusiksaal eingebaut, für die es keine Vorbilder gibt. An den Wänden des Großen Saals erinnern wie schon zu Schinkels Zeiten aufgestellte Büsten an bedeutende Musiker aus Deutschland und der Welt.
Aus leidvoller Erfahrung bei dem verheerenden Feuer in seiner Heimatstadt Neuruppin 1787 wusste Schinkel, wie wichtig Brandschutzmaßnahmen in Häusern und unter freiem Himmel sind. Man besaß ja noch kein elektrisches Licht, sondern musste die Bühne, den Zuschauersaal und andere Räumlichkeiten im Schauspielhaus ebenso teuer wie brandgefährlich mit Kerzen beleuchten. Deshalb verfügte der Neubau am Gendarmenmarkt auch über Wasserbehälter, schnell griffbereite Utensilien zum Löschen sowie feuersichere Öfen, mit denen die Räume beheizt wurden. Alle diese Sicherheitsmaßnahmen bewahrten Schinkels Meisterwerk vor Brandkatastrophen, die die Berliner Oper und andere berühmte Spielstätten im 19. Jahrhundert und danach immer wieder heimsuchten.
Hoher Geist in edlem Raum
Die Eröffnung des Schauspielhauses erfolgte 1821 in zwei Etappen. Am 10. Februar wurden in Anwesenheit des Hofes der Konzertsaal und weitere Räume eingeweiht. Das eigentliche Theater wurde am 26. Mai mit einem Eröffnungsprolog, den Johann Wolfgang von Goethe auf Bitte des Intendanten Karl Graf von Brühl eigens zu dem Anlass gedichtet hatte, seiner Bestimmung übergeben. Eine Theatermuse richtete solche aufmunternden Worte an das erwartungsfroh gestimmte Publikum: "So schmücket sittlich nun den geweihten Saal/ Und fühlt euch groß im herrlichsten Lokal / Denn euretwegen hat der Architekt / Mit hohem Geist so edlen Raum bezweckt / Das Ebenmaß bedächtig abgezollt/ Dass ihr euch selbst geregelt fühlen sollt!" Die Zeremonie fand vor einem Prospekt statt, der den Gendarmenmarkt mit dem Schauspielhaus zwischen den Türmen des Deutschen und des Französischen Domes zeigte. Den einleitenden Worten, die ausdrücklich Schinkel einschlossen, folgten Goethes Schauspiel "Iphigenie auf Tauris" und am 18. Juni 1821 die Uraufführung von Karl Maria von Webers Oper "Freischütz", die sogleich die Herzen der Berliner eroberte.
Der Romancier Theodor Fontane, der wie Schinkel in Neuruppin geboren wurde, zollte seinem vielseitigen Landsmann, dem Baumeister, Designer und Denkmalpfleger Schinkel, große Bewunderung. "Unter allen bedeutenden Männern, die Ruppin, Stadt der Grafschaft, hervorgebracht hat", schrieb er in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", "ist Karl Friedrich Schinkel der bedeutendste. Wäre Schinkel nie geboren, so gebräch' es unsrer immerhin eigenartigen künstlerischen Entwicklung an ihrem wesentlichsten Moment", schrieb der Dichter. Schinkel sei kein schöner Mann gewesen, "aber der ernst-milde Ausdruck seines unregelmäßig geformten Gesichts, dabei sein schöner, elastischer Gang, verrieten den Mann höherer Begabung." Schinkels Freund und Biograph Franz Kugler notierte: "In seinen Bewegungen war Adel und ein Gleichmaß, um seinen Mund ein Lächeln, auf seiner Stirn eine Klarheit, in seinen Augen eine Tiefe und ein Feuer, dass man sich schon durch seine bloße Erscheinung zu ihm hingezogen fühlte. Noch größer aber war die Gewalt seines Wortes, wenn das, was ihn innerlich beschäftigte, unwillkürlich und unvorbereitet auf seine Lippen trat".
Neigung für Baukunst und Landschaftsmalerei
Karl Friedrich Schinkel interessierte sich schon in jungen Lebensjahren für das Theater und die Oper. Rückblickend erinnerte er 1813, bereits im preußischen Kunstbetrieb etabliert und mit Aufträgen überhäuft, an seine früh entwickelte "Neigung für Baukunst und Landschaftsmalerei", die ihn "zur Bearbeitung mehrerer Gegenstände in der Theatermalerei" veranlasst habe. "Es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich zum Vergnügen und zur Bildung des Publikums in diesem Zweige das Meinige beitragen könnte, besonders da mir scheint, dass darin noch manches geleistet werden kann", lautet der Kernsatz eines Bewerbungsschreibens an die "hochlöbliche Theaterkommission" in Berlin. Darin erklärt er, die Arbeit unentgeltlich ausführen zu wollen, lediglich müssten Unkosten und Löhne für Gehilfen von der Theaterkasse übernommen werden.
Der Berliner Theaterdirektor August Wilhelm Iffland und nach ihm der Generalintendant Graf Brühl ergriffen gern die ihnen gebotene Hand, wissend dass es in den Künsten kein Monopol gibt und die Pflicht besteht, "dem Talent Bahn zu brechen, wo es thunlich ist", wie es Iffland formulierte. Dass die Entwürfe praktisch für umsonst zu haben waren, machte sie sicher besonders attraktiv, musste man doch unterm knauserigen König Friedrich Wilhelm III. jeden "Kulturdreier" zweimal umdrehen. Berühmte Aufführungen in der Königlichen Oper Unter den Linden und im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt von Werken von Mozart, Gluck, Spontini und E. T. A. Hoffmann sowie von Goethe, Schiller und Kleist wurden durch Schinkelsche Bühnenbilder dekoriert. Dazu kommen fantasievolle Entwürfe für Werke, die inzwischen vergessen sind. Wer sich mit ihnen befasst, lernt einen nachdenklichen, nimmermüden und überaus phantasievollen Künstler schätzen.
Edition noch lange nicht beendet
Bei dem Chef der Oberbaudeputation und Professor an der Akademie der Künste in Berlin flossen Talent, Kenntnis und Erfahrung als Maler und Architekt zusammen. Ihm kamen die Beschäftigung mit dem Theaterbau und Dekorationswesen zugute. Der Künstler ließ nicht nur seine Fantasie walten, geleitet selbstverständlich vom Inhalt des jeweiligen Stücks, sondern betrieb intensive historische Quellenstudien, bevor er sich an die Entwürfe machte. Etliche Bühnenbilder fanden zu seiner Zeit durch Reproduktionsstiche Verbreitung und haben andere Theater beeinflusst. Diese Wiedergaben sind wichtige Quellen für uns heute, da nicht alle Bühnenbilder im Original erhalten sind. So war Schinkel war weitaus mehr als Preußens oberster Baumeister und Stadtplaner. Er glänzte auch als Designer und Kunstgewerbler, Denkmalpfleger und zeitweilig sogar als überaus erfolgreicher Bühnenbildner. Diese wenig bekannte Seite seines universellen Schaffens erhellt ein Prachtband, mit dem der Deutsche Kunstverlag München/Berlin die 136 zum Teil in Berliner Sammlungen noch erhaltenen Entwürfe zu 28 Opern und Schauspielen dokumentiert.
Das Buch von Ulrike Harten "Karl Friedrich Schinkel - Bühnenentwürfe" wurde 2010 herausgegeben und überarbeitet von den Kunsthistorikern Helmut Börsch-Supan und Gottfried Riemann. Innerhalb der von Paul Ortwin Rave begründeten Schinkel-Edition war ein spezieller Band über die Bühnenbilder des Architekten und Malers nicht geplant. Ihre Bedeutung für Schinkels Gesamtschaffen wurde von der älteren Forschergeneration noch nicht erkannt. Lediglich war die Erfassung des zeichnerischen und malerischen Werks einschließlich der Bühnenbilder in einem Band geplant. Doch wie sich zeigte, verdienen die Bühnenbilder zu Recht einen eigenen Band, der auch viele Neuigkeiten über den Berliner Kultur- und Theaterbetrieb in der Zeit des Vormärz enthält. Wie die bisher veröffentlichten Bücher zeigen, ist die Edition des Schinkel-Werks noch lange nicht beendet. Zu erforschen ist für ähnlich opulente Bände noch die Tätigkeit als Geheimer Oberbaurat für die preußische Provinz Sachsen, die Ostprovinzen und Territorien außerhalb Preußens. Auch fehlt noch die Bearbeitung der Aufzeichnungen aus Italien, über die Tätigkeit für König Friedrich Wilhelm III. und den Thronfolger Friedrich Wilhelm (IV.) sowie seine Beiträge zur Verbesserung des Kunstgewerbes.
Wie Zeitungsberichte, Dokumente und auch Äußerungen berühmter Zeitgenossen wie Goethe, Kugler und Waagen zeigen, hat man sehr wohl Schinkels künstlerische Bedeutung als Theaterdekorateur zu schätzen wusste. Dass sie noch lange nach seinem Tod verwendet wurden, unterstreicht die Nachhaltigkeit Schinkelschen Wirkens. Doch ging die Entwicklung des Theaterwesens irgendwann über den Baumeister hinweg, denn schon um 1900 wusste man mit den Bühnenbildern nicht mehr viel anzufangen und entwarf neue. Wenn in diesem Jahr die Berliner Station der U-Bahnlinie 5 eröffnet wird, kann man ein Stück Schinkel in Gestalt der mit zahlreichen Lichtpunkten versehenen dunkelblauen Decke erleben. Der Architekt Max Dudler hat sie einer Bühnendekoration für Wolfgang Amadeus Mozarts "Zauberflöte" nachempfunden und damit auch beiden Künstlern - Mozart und Schinkel - ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.
3. Januar 2021
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