Das Duell mit Bismarck fiel aus
Vor 200 Jahren wurde Rudolf Virchow geboren, ein ungewöhnliches Denkmal erinnert in Berlin an den streitbaren Mediziner



Inmitten seiner Skelette und Totenköpfe fühlte sich Rudolf Virchow am wohlsten, seine Sammlung ab 1914 öffentlich zugängliche und weiter ausgebaute Lehr- und Studiensammlung mit zuletzt rund 35.000 Präparaten wurde mit dem Gebäude im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen. Lediglich etwa 1.800 Objekte überstanden den Krieg.



Das Virchow-Denkmal wurde 1910 auf dem Karlplatz enthüllt. Der Mediziner war Rektor der Friedrich-Wilhelm-Universität (Humboldt-Universität), Mitbegründer unter anderem der Deutschen Fortschrittspartei und der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und wurde 1891 Berliner Ehrenbürger. Die Büste des Mediziners steht vor dem Pathologischen Institut der Berliner Charité.





Der auf dem Relief auf der Rückseite des Denkmals dargestellte Virchow war 1861 einer der Gründer der Deutschen Fortschrittspartei, die sich für Rechtsstaatlichkeit, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, Trennung von Staat und Kirche vor allem in der Schule und bei Eheschließungen sowie Kürzung der Militärausgaben und weitere Ziele einsetzte. Mit ihren Forderungen gerieten Virchow und seine Mitstreiter heftig an König Wilhelm I., der 1861 auf den Thron kam, und seinen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Die beiden wurden niemals Freunde.



Auf der Karikatur ducken sich die Abgeordneten vor der Peitsche des Reichskanzlers, Virchow blieb unbeeindruckt



Eine einfache Schriftplatte schmückt den Stein auf dem Grab von Rudolf und Rose Virchow auf Alten Matthäus-Kirchhof im Berliner Ortsteil Schöneberg.



Die von Richard Placht geschaffene Plakette ehrt den am 5. September 1902 an den Folgen eines Sturzes verstorbenen Mediziners. Fotos/Repros: Caspar

Die von Richard Placht geschaffene Plakette ehrt den am 5. September 1902 an den Folgen eines Sturzes verstorbenen Mediziners. Fotos/Repros: Caspar Dem vor 200 Jahren, am 13. Oktober 1821, in Schievelbein (heute ?widwin in der polnischen Wojewodschaft Westpommern) geborenen Mediziner Rudolf Virchow wurde nicht an der Wiege gesungen, dass er einmal einer der berühmtesten deutschen Mediziner, aber auch streitbarer Politiker, ja auch Universitätsrektor sowie Museumsgründer und Vor- und Frühgeschichtler werden wird. In bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines Landwirts in der preußischen Provinz geboren, studierte er im Medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut in Berlin, bekannt auch als Pepinière oder Militärärztliche Akademie, und arbeitete zunächst beim preußischen Militär als schlecht bezahlter Kompaniechirurg. Nach seiner Promotion zum Dr. med. im Oktober 1843 folgte er einem Ruf an die Berliner Charité, wo er alsbald, ungewöhnlich für seine Zeit, chemische und mikroskopische Untersuchungen durchführte.

Experimentelle Pathologie

Rudolf Virchow beschritt neue Wege, er versetzte mit seinen Grundlagenforschungen die zwischen Ablehnung und Zustimmung schwankende Ärzteschaft seiner Zeit in Erstaunen und wurde so zum Vater der experimentellen Pathologie. Mit den Untersuchungen erst an Tieren und dann an verstorbenen Menschen kam er zu grundlegenden Erkenntnissen über Infektionen, die Blutkrankheit Leukämie, Thrombosen und andere meist tödlich verlaufende Krankheiten. Erst 24jährig ließ Virchow 1845 überdies seine Kollegen in einem Vortrag wissen, das ganze Leben unterliege physikalischen und chemischen Gesetzten. "Die Urzeugung - das heißt die Auffassung, dass Gott Pflanzen, Menschen und Tiere geschaffen habe - lehne ich ab. Alles Leben beginnt mit der kleinsten Einheit, der Zelle."

Nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern auch später legte sich Virchow immer wieder mit der Kirche und dem preußischen Staat an. Vor allem der preußische Ministerpräsidenten und nach der deutschen Einigung von 1871 Reichskanzler Otto von Bismarck waren einander nicht "grün". In einer Rede im Preußischen Landtag warf Virchow 1865 seinem Kontrahenten Bismarck vor, die Volksvertretung zu verachten. Er, Virchow, wisse nicht, was er von der Wahrhaftigkeit des Ministerpräsidenten halten soll. Bismarck sah sich ob solcher "Impertinenzen", wie er seinem Bruder schrieb, in seiner Wahrheitsliebe angegriffen. Er forderte den hochgeachteten Mediziner und Politiker zur "persönlichen Genugtuung", das heißt zu einem Duell heraus, das in Preußen offiziell verboten war.

Bürgerstolz vor Königsthronen

Rudolf Virchow wurde von einem Abgesandten des allmächtigen Politikers aufgefordert, entweder für diesen eine Ehrenerklärung abzugeben oder sich "auf Pistolen" zu schießen. Als Absolvent der Pepinière, Demokrat und Verfechter antifeudaler Positionen lehnte es Virchow ab, sich mit dem nach König Wilhelm I. höchsten Repräsentanten der Monarchie zu duellieren. Es ließ sich nicht vermeiden, dass der peinliche Streit ruchbar wurde, und so wurde von allen Seiten versucht, ihn herunterzuspielen. Denn es hätte ja sein können, dass nicht Virchow, sondern der einflussreiche, allerdings auch hoch umstrittene "Schmied des Reiches", wie man Otto von Bismarck nach 1871 nannte, auf der Strecke bleibt. Das war 1856 dem Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey geschehen, der bei einem Duell von einem Adligen erschossen wurde, der sich von ihm beleidigt fühlte. Der Mediziner lehnte die lebensgefährliche Zumutung ab und bekam für seine mutige Haltung Dankschreiben aller Welt ganz im Sinne der von Friedrich Schiller in der "Ode an die Freude" formulierten Maxime "Männerstolz vor Königsthronen".

Nach manchem Gezerre um Ehre, Anstand, Sitte und Mannesmut wurde die Angelegenheit friedlich beigelegt. Der sich in seiner Ehre gekränkte Bismarck fuhr zur Kur nach Karlsbad, und Virchow konnte sich seinen eigentlichen Aufgaben wieder zuwenden. Nach dem Krieg gegen Dänemark von 1864 zeichnete sich ein neuer Krieg, der von 1866, am Horizont ab, in dem Preußen siegte, sich mehrere deutsche Monarchien aneignete und zielstrebig den Weg zur Reichseinigung beschritt. Diese wurde am 18. Januar 1871, mitten im deutsch-französischen Krieg, in Versailles am 18. Januar 1871 durch Ausrufung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser Wilhelm I. vollzogen. Otto von Bismarck und der Mitbegründer der Deutschen Fortschrittspartei Rudolf Virchow wurden niemals Freunde, sie lieferten sich allerdings nur noch Rededuelle erst im Landtag und dann im Reichstag. Niemals kam der Professor für Pathologie, Abgeordnete der Deutschen Fortschrittspartei, Stadtverordnete, Geheimrat und Träger de angesehenen Ordens Pour le Mérite (Friedensklasse) in "Gefahr", wie andere Kollegen in den Adelsstand erhoben zu werden. Vermutlich hätte der Freiheitskämpfer in der Revolution von 1848/49 und zeitweise aus Berlin nach Würzburg ausgewichene Gelehrte diese Ehrung aus königlicher Hand nicht angenommen.

Probleme im Gesundheitswesen und mit der Hygiene

Die neue Reichshauptstadt wuchs und wuchs, und das schuf erhebliche Probleme auch im Gesundheitswesen und der Hygiene. Vieles haben die Berliner, und nicht nur sie, Rudolf Virchow und Zeitgenossen zu verdanken - den Bau von Krankenhäusern und Markthallen, die Hebung des Ansehens der ärztlichen Zunft und deren bessere Bezahlung und die Anstellung von Schulärzten, auch wichtige Neuerungen auf dem Gebiet der Hygiene wie den Bau einer modernen Kanalisation und die Fleischbeschau. Darüber hinaus machte sich der Gelehrte als Anthropologe bei der Erforschung der frühen Menschheitsgeschichte und der Förderung des Museumswesens in Berlin verdient. So war er einer der Mitbegründer des Märkischen Museums in Berlin, in dem Hinterlassenschaften auch aus dem Alltag zusammengetragen wurden, die man zu seiner Zeit auf den Müll zu werfen pflegte. Das Medizinhistorische Museum ging aus dem von Virchow geschaffenen Pathologischen Museum hervor und befindet sich in dem aus der Kaiserzeit stammenden Museumshaus des Instituts für Pathologie auf dem traditionsreichen Gelände der Charité (Campus Mitte). Erwähnt sei nicht zuletzt, dass sich der Gelehrte für die 1886 enthüllten Humboldt-Denkmäler vor der nach ihnen benannten Universität Unter den Linden eingesetzt hat.

Am 4. Januar 1902 ereilte den achtzigjährigen, immer noch rüstigen Virchow ein großes Unglück, denn er stützte beim Abspringen von der Straßenbahn und zog sich einen Schenkelhalsbruch zu. Zwar heilte dieser, aber die Lebensenergie des Mannes, der plötzlich zum Nichtstun verurteilt war, war erlahmt. Virchow starb am 5. September 1902, dem Trauerzug vom Roten Rathaus zum Sankt-Matthäi-Friedhof folgten zehntausende Menschen. Im gleichen Jahr starb auch der Stadtplaner und zeitweilige Mitarbeiter Virchows, James Hobrecht. Wie kaum ein anderer hatte der Baurat und Ingenieur das Berliner Stadtbild beeinflusst. Der nach ihm benannte Generalbebauungsplan sah die Neuordnung der Reichshauptstadt und die planmäßige Bebauung des Umlandes vor. Die von Hobrecht entworfene Straßenstruktur ist noch heute an vielen Stellen zu erkennen.

Heftiger Kampf mit der Sphinx

Es bedurfte erheblicher Anstrengungen und dauerte einige Jahre, bis 1910 das von dem Bildhauer Fritz Klimsch für den Karlplatz unweit der Charité geschaffene Denkmal zur Erinnerung an den Arzt, Politiker und Prähistoriker Rudolf Virchow enthüllt werden konnte. Wegen einer seiner ungewöhnlichen, damals als avantgardistisch aufgefassten Form verdient das Monument besondere Aufmerksamkeit. Auf hohem säulenbestückten Sockel aus Kalkstein ringt ein nackter, muskelbepackter Mann mit einer Sphinx, dem Symbol der Krankheit. Dieses gräuliche Mischwesen aus Mensch und Tier wehrt sich heftig, doch hat es angesichts der Kraft des Menschen keine Chance. Indem der Bildhauer diese Botschaft vermittelt, schuf er das erste Denkmal, das auf einen stehenden oder sitzenden Mediziner im üblich langen Gelehrtenmantel verzichtet. Dabei handelte Klimsch auch im Sinne von Virchow, der auf vordergründige Ehrungen keinen Wert legte. Der berühmte Mediziner ist trotzdem auf dem Denkmal präsent - mit seinem marmornen Kopfrelief auf der Vorderseite und einer szenischen Darstellung auf der Rückseite, die ihn im Kreise seiner Kollegen bei der Sektion eines Toten zeigt. Die vierzeilige Inschrift darauf enthält die Widmung: "Dem großen Forscher seine Schüler. Ihrem Ehrenbürger die Stadt Berlin".

Klimschs Entwurf für das Virchow-Denkmal fand zunächst bei Berliner Ärzten und Kommunalpolitikern wenig Gefallen. Sie sorgten für eine ungünstige Beurteilung bei Kaiser Wilhelm II., der in Sachen Kunst glaubte, allwissend zu sein und geschmacksbestimmend wirken zu müssen. Der Monarch lehnte das Modell ungeprüft ab. Doch der Bildhauer wandte sich direkt an ihn und wusste den obersten Kunstzensor im Reich für seinen Entwurf einzunehmen. So konnte das Denkmal entstehen und wurde 1910, acht Jahre nach Virchows Tod, auf dem Karlplatz eingeweiht.

Bei den Querelen um das Denkmal spielte eine Rolle, dass es die preußische Obrigkeit mit Virchow nie leicht hatte, mit einem Mann, der in der Revolution von 1848/49 als demokratischer Liberaler den Zorn Friedrich Wilhelms IV. und seiner Kamarilla auf sich zog, nach Würzburg ging und erst 1856 in die preußische Hauptstadt zurück kehren durfte, wo er eine atemberaubende Karriere einschlug. Zwar hatte der König gehofft, der streitbare Arzt und Politiker werde nur noch "seinen Leichen Demokrat sein". Aber damit unterlag der "Romantiker auf dem Thron", der seine Hände in der Revolution mit Blut befleckt hatte, aber auch als Förderer der Künste, Wissenschaften und Architektur in die Geschichte einging, einem gewaltigen Irrtum. Denn der vielseitig tätige Virchow, der durch seine Prominenz und seine wissenschaftlichen Leistungen geschützt war, konnte sich gegenüber der Obrigkeit erlauben, was anderen verboten war und harte Sanktionen durch die Justiz, Gefängnis, Berufsverbot, Landesverweis und weitere Strafen nach sich zu ziehen pflegte.

12. September 2021

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