Kommt die Neue Waisenbrücke?
Wettbewerb für Verbindung über die Spree vom Klosterviertel zum Märkischen Museum ist entschieden



Die Waisenbrücke links ist das Marinehaus auf dem über 100 Jahre alten Foto führt von der Waisenstraße zum Märkischen Museum, zu erkennen, das für Zwecke der Stiftung Stadtmuseum hergerichtet wird, das Kaufhaus rechts existiert nicht mehr.



Der unkonventionell entstandene Entwurf zeigt den nur für Fußgänger und Radfahrer bestimmten und dazu begrünten Brückenneubau.



Namensgeber der Waisenbrücke ist das Große Friedrichshospital, das Kurfürst Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I. in Preußen, um 1700 nach Plänen von Martin Grünberg auf einem Areal zwischen Stralauer Straße, Neuer Friedrichstraße und Waisenbrücke für Waisenkinder und arme Kranke errichten ließ.



Der steinerne Roland vor dem Märkischen Museum sehnt sich die verloren gegangene Brücke zurück. Seit Jahrzehnten schaut er auf Besucher, die auf Umwegen herkommen, sowie auf Bäume, Rasen und Pflastersteine.



Gleich neben der Rolandfigur sind bemalte Reste der Berliner Mauer aufgestellt. An einer Audiostation kann man zuhören, was SED-Chef Walter Ulbricht, Bundeskanzler Konrad Adenauer und andere 1961 zum Bau der Mauer und der innerdeutschen Grenze gesagt haben. Zu hören ist Ulbrichts berüchtigtes Lügenwort vom 15. Juni 1961 "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen".



Im Köllnischen Park sind Arbeiter dabei, ihn nach Vorgaben des Denkmalschutzes in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Im Vordergrund Herkules als Löwenbändiger nach einem Modell von Johann Gottfried Schadow. Das riesige Bildwerk aus Sandstein schmückte ursprünglich die Herkulesbrücke in der Berliner Burgstraße.



Die beiderseits der Spree befindlichen steinernen Widerlager zeigen, wo sich die Brücke befunden hat. Die kaiserzeitliche Pracht der Waisenbrücke aus der Kaiserzeit lässt sich kaum wiederherstellen, aber Anwohnern und Museumsbesuchern wäre auch mit einer einfachen Konstruktion geholfen.





Das bekannteste Gebäude in der Waisenstraße ist das Restaurant "Zur letzten Instanz". Der denkmalgeschützte Komplex wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, auf seiner Rückseite befindet sich ein Stücks mittelalterlicher Stadtmauer. (Fotos/Repros: Caspar)

Wenn es nach Paul Spies, dem Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, gegangen wäre, müsste die Waisenbrücke schon längst die Spree zwischen Waisenstraße im Klosterviertel und dem Köllnischen Park als Verbindung von der Innenstadt zum Märkischen Museum und der dahinter liegenden Bereiche überqueren. Seit Jahrzehnten wird über die Anbindung des Viertels am rund um die Kloster- und die Parochialkirche und dem Köllnischen Park diskutiert. Jetzt scheint Bewegung in das Thema zu kommen, und das geht auch auf eine Initiative von Paul Spies und einer ihn unterstützenden Bürgerinitiative zurück. Das Märkische Museum wirkt ohne die nach einem schon lange nicht mehr existierenden Waisenhaus und der nach ihm benannten Straße irgendwie wie abgehängt. Erreicht werden das Museum und das umliegende Viertel auf dem Umweg über die Jannowitzbrücke am gleichnamigen S-Bahnhof sowie über die U-Bahnstation Märkisches Museum. Außerdem überqueren die Weidendammer Brücke, Rossstraßenbrücke, Grünstraßenbrücke und Inselbrücke die Spree und ihre Kanäle. Einige sind nur für Fußgänger und Radfahrer vorbehalten. Die Lage sieht nicht schlecht aus, aber dennoch wird die Waisenbrücke schmerzlich vermisst, weshalb die Rufe nach ihrer Wiederherstellung nie verstummt sind.

Pflegeheim für Alte, Kranke und elternlose Kinder

Die mit rotem Sandstein verkleidete Waisenbrücke wurde von 1892 bis 1894 als Ersatz für eine ältere, baufällig gewordene Holzbrücke mit Klappmechanismus zur Durchfahrt für größere Schiffe. Der Neubau mit Pfeilerköpfen erhielt wegen der schönen Aussicht kleine Balkons. Acht schmiedeeiserne Kandelaber warfen Licht auf den aus Wappenschildern und Reliefs bestehenden plastischen Schmuck. Der Volksmund wusste von einem ungewöhnlichen Mord auf der Waisenbrücke zu erzählen, als er dichtete: "Einst gingen Herr Mücke und Frau Mücke über die Waisenbrücke. / Da stach eine Mücke Frau Mücke ins Genicke / Da nahm Herr Mücke seine Krücke und schlug die Mücke ins Genicke. / Das war der Mord auf der Waisenbrücke." Der Name der 21,5 Meter breiten und 91 Meter langen Waisenbrücke bezieht sich auf das in der Barockzeit erbaute Große Friedrichhospital. Dieses Pflegeheim für Alte, Kranke und Waisenkinder wurde 1908 abgerissen, denn in Rummelsburg gab es schon seit Längerem eine größere Anlage für elternlose Jungen und Mädchen, die in Berlin und der Umgebung aufgegriffen wurden.

Die Waisenbrücke war so breit, dass sie von Fußgängern, Kutschen, Lastwagen und Autos benutzt werden konnte. Nach ihrer Sprengung im Frühjahr 1945 durch Wehrmachteinheiten angesichts der herannahenden Roten Armee wurde die Brücke behelfsmäßig repariert. Eine Trümmerbahn führte auf ihr vom kriegszerstörten Zentrum in die äußeren Bezirke. Dieses 5,5 Meter breite Provisorium wurde 1960 abgerissen, man brauchte es nicht, weil die Jannowitzbrücke und andere Brücken zur Verfügung standen. Dessen ungeachtet wurde nach der Wiedervereinigung überlegt, ob und wie man die verloren gegangene Brücke durch einen Neubau ersetzen kann. Allerdings hat sich der Senat nicht entschließen können, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. In der "Zwölften Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten" vom 15. März 2011 wurde zwar das Fehlen der Waisenbrücke als ungünstig für die Erreichbarkeit der nördlichen Luisenstadt konstatiert, doch hat man ihr eine nachrangige Priorität zugebilligt.

Initiative des Stadtmuseums

Die Stiftung Stadtmuseum allerdings lässt nicht locker. 2016 gab es im Märkischen Museum mehrere Veranstaltungen diesem Thema, und auch heute hilft sie, dass das Thema in der Öffentlichkeit präsent ist. Auch wenn der Senat vor einiger Zeit für den Wiederaufbau der Waisenbrücke keine "benennbare Realisierungsperspektive" sah, hoffen deren Freunde und Nutznießer auf einen Sinneswandel in der Landesregierung. Der Wiederaufbau könnte auch in moderner und abgespeckter Form erfolgen und hätte den Vorteil, dass die Wohn- und Geschäftsviertel beiderseits der Spree und damit auch die Einrichtungen des Stadtmuseums besser als bisher erreichbar wären. Dort und in anderen Kultureinrichtungen laufen aktuell Vorbereitungen für ihre Öffnung, nachdem die coronabedingten Restriktionen gelockert und vielleicht auch bald ganz aufgehoben werden.

Die Stiftung Stadtmuseum Berlin geht, um Bewegung in die Angelegenheit zu bringen, ungewöhnliche Wege. Sie hat zusammen mit dem schwedischen Computerspielentwickler Paradox Interactive den digitalen Wettbewerb "Let's Build Berlin" ausgelobt. Mit ihm sollen auf spielerische Weise kreative Impulse für den Bau der Brücke gegeben werden. Die Internationale Community des Computerspiels "Cities: Skylines" war aufgefordert, eine neue, zeitgemäße Spreeüberquerung am Standort der ehemaligen Waisenbrücke sowie für das Areal am Köllnischen Park und rund um das Märkische Museum zu gestalten. Von den zahlreichen Entwürfen schafften es 13 der besten Ideen in die engere Auswahl. Sebastian Ruff, Leiter e-Culture am Stadtmuseum Berlin und Juryvorsitzender, sagte: "Brücken gehören zu den anspruchsvollsten Bauwerken, die im Spiel Cities:Skylines gestaltet werden. Die Herausforderung des Wettbewerbs, eine grüne, moderne Fußgängerbrücke zu bauen, hat Spielebegeisterte auf der ganzen Welt wochenlang beschäftigt. Wir freuen uns über die große Resonanz und sind beeindruckt von der Kreativität der Einsendungen. Die Siegerentwürfe zeigen, dass moderne Stadtentwicklung ein interessantes Thema für alle ist."

Spreepassage für Fußgänger und Radfahrer

Den Hauptpreis in der Kategorie "Neue Waisenbrücke" hat der Teilnehmer "Essad" gewonnen, der im echten Leben Robert heißt und in Südschweden lebt. Seine Entwürfe einer begrünten Brücke für den Fuß- und Radverkehr haben die Jury vor allem wegen der witterungsgeschützten Überquerung der Spree für Radfahrer und Radfahrerinnen sowie wegen der cleveren Einbindung der Radwege in das bestehende Straßennetz überzeugt. Die Brücke ist wie ein Park gestaltet und hat zwei Ebenen. Auf der oberen Ebene befindet sich ein Fußgängerweg, auf der unteren ist eine Ebene für den Fahrradverkehr in zwei Richtungen. Auch das Areal rund um das Märkische Museum hat Essad neu gestaltet - mit viel Grün und als autofreie Zone. Für Anwohner und Besucher steht eine Tiefgarage zur Verfügung, doch ob diese ausreichen wird, muss hinterfragt werden. Am Märkischen Museum verbindet nach dieser Planung eine neue Straßenbahnlinie die im Nikolaiviertel befindlichen Standorte des Stadtmuseum Berlins mit dem Märkischen Museum und der Luisenstadt und umgekehrt.

Das Stadtmuseum Berlin ruft als Teil der Allianz Neue Waisenbrücke den Berliner Senat auf, bis 2025 die neue Waisenbrücke zu bauen. Dafür würden elf Millionen Euro aus Mitteln für die Sanierung der Luisenstadt zur Verfügung stehen. Wie allerdings aus dem Berliner Senat zu hören ist, fehlen ihm die personellen Kapazitäten, ein solches Projekt zu "stemmen", mit anderen Worten, Brückenbauingenieure sind rar. Die vorhandenen Experten hätten alle Hände mit der Sanierung der maroden Brücken in Berlin voll zu tun. Bei den Initiatoren des Wettbewerbs ist zu hören, wenn der Senat weiter so zögerlich an die Sache geht, werde 2025 die Waisenbrücke immer noch nicht die Spree überqueren. Und das sei wohl kaum im Interesse der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer Gäste.

Wer ein wenig Zeit mitbringt und das Gelände um das Märkische Museum umrundet, sieht hinter einem Drahtzaun viel "Bildung und Streben", um aus Goethes "Osterspaziergang" zu zitieren. Gemeint ist die denkmalgerechte Wiederherstellung des Köllnischen Parks unter dem Motto "Lebendige Zentren und Quartiere fördern", die langsam ihrem Ende entgegen geht. Alle Wege einschließlich der Wegebeziehungen und die Vegetationsflächen wurden und werden erneuert. Der Kinderspielplatz erhält eine neue Schaukel und eine zusätzliche Wippe. Rund um den Bärenzwinger, der seit Jahren ohne Bären ist, werden Silberlinden und am benachbarten Zilledenkmal ein Trompetenbaum neu gepflanzt. Die rund um das Märkische Museum aufgestellten Skulpturen werden saniert. Außerdem wurde der "Wusterhausener Bär" genannte Turm als Teil der ehemaligen Festungsanlage saniert.

19. Mai 2021

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"