Heile DDR-Welt wurde nicht verbrettert
Vom Umgang mit dem baulichen und künstlerischen Erbe des zweiten deutschen Staates nach der Wiedervereinigung





Während der Palast der Republik von 2006 bis 2009 Jahren abgerissen wurde, blieb das Staatsratsgebäude mit dem "Liebknechtportal" stehen. Das ehemalige Reichsbankgebäude beziehungsweise Zentralkomitee der SED wurde nach 1990 Auswärtiges umgewandelt und erhielt am Werderschen Markt einen Ergänzungsbau, im Bild rechts.





Als 1996 das DDR-Außenministerium abgerissen wurde und auch das "Ahornblatt" der Spitzhacke zum Opfer fiel, rückten die Archäologen an und fanden interessante Reste früherer Bauten und Besiedlung. Der Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie auf dem Gelände des ehemaligen Außenministeriums hat noch nicht begonnen.







Der Fries aus bunt bemalten Porzellanfliesen nach einem Entwurf von Max Lingner in der Säulenhalle des heutigen Bundesfinanzministeriums an der Ecke Wilhelmstraße/Leipziger Straße zeigt, wie man sich in der frühen DDR den Aufbau des Sozialismus vorstellte. Der Maler musste sich Kritik von Regierung und Kulturfunktionären anhören, die ihm die "französisch angehauchte" Leichtigkeit seiner Figuren vorwarfen und bemängelten, dass er den Traktor anders darstellt als die tatsächlich in der Landwirtschaft eingesetzten Modelle aussehen. Lingner sah sich genötigt, die gewünschten Korrekturen vorzunehmen.



Die Verfechter des sozialistischen Realismus mäkelten an Lingners Wandbildentwurf herum und verlangten Änderungen. Oben fährt der Traktor aus dem Bild, unten kommt er an, stets mit lachenden Bauern an Bord. Das Motto einer DDR-Jugendzeitschrift "Fröhlichsein und singen" (Frösi) hat hier Gestalt angenommen.



Walter Womacka hat im Staatsratsgebäude die "Sieghaftigkeit des Sozialismus" auf ein Glasfenster gebannt, und keinem fiel es ein, das Bild zu beseitigen.



Die Stasi schenkte sich ein Standbild ihres großen sowjetischen Vorbilds Feliks Dzierzynski, das in die Spandauer Zitadelle gelangte. Der drei Tonnen schwere Leninkopf liegt, leicht am Ohr und Bart beschädigt, wie schlafend auf der Seite, der große Rest des 1970 enthüllten Monuments passte nicht in die Ausstellungshalle. Ausgedient haben als Straßenschmuck auch die Grenzsoldaten, die an der innerdeutschen Grenze auf Flüchtlinge schossen. (Fotos: Caspar)

Nach der Wiedervereinigung vor über 30 Jahren wurde in Berlin heftig über die weitere Verwendung von Bauten der bisherigen DDR-Regierung debattiert. Zunächst wurden hier Außenstellen der Bonner Ministerien eingerichtet. Im ehemaligen Staatsratsgebäude Als in den frühen neunziger Jahren über das weitere Aussehen der Berliner Mitte diskutiert wurde, war es Für viele Politiker, Stadtplaner und Architekten stand es außer Frage, dass Parlament und Regierung in neuen Häusern residieren sollen. Ungeliebte Gebäude aus der Nazizeit und 40 Jahren DDR sollten abgerissen werden. Ein preisgekrönter Entwurf des Architekten Bernd Niebuhr für den Spreeinsel-Wettbewerb von 1994 sah ein ovales "Kulturschloss" an Stelle des Palastes der Republik, die Schleifung des DDR-Außenministeriums und des Staatsratsgebäudes, den Durchbruch der Brüderstraße bis zum Schlossplatz und andere Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz vor. Im gleichen Jahr fasste die Bundesregierung jedoch mit knapper Mehrheit den Beschluss, die Verfassungsorgane zu 90 Prozent in bisherigen DDR-Bauten unterzubringen.

Erhalten besser als abreißen

Kluge Leute um den Bundesbauminister Klaus Töpfer plädierten für weitgehenden Erhalt vieler Regierungsbauten, und so wurden gegen manchen Widerstand Abbruchpläne größten Stils aufgegeben, sicher nicht aus Liebe zu den Zeugnissen der beiden Diktaturen in Deutschland sondern mehr aus ökonomischen und ökologischen Erwägungen. Denn Abriss und Neubau hätte zusätzliche Milliarden verschlungen und großen Zeitverzug bei der Umwandlung Berlins in die Hauptstadt des geeinten Deutschland erfordert. Außerdem hätte diese Prozedur den 1991 vom Bundestag beschlossenen Umzug der Bonner Behörden verzögert. Abgerissen wurden das wie ein Riegel vor Bauten in Richtung Werderscher Markt und Gendarmenmarkt wirkende DDR-Außenministerium, das Bauministerium an der Leipziger Straße und das Ministerium für Gesundheitswesen an der Rathausstraße unweit des Alexanderplatzes. Der Spitzhacke fiel auch, um ein kleineres Objekt zu nennen, die beliebte, als Inkunabel der DDR-Moderne gelobte Gaststätte "Ahornblatt" auf der Fischerinsel zum Opfer. 2006 bis 2009 verschwand der völlig intakte, in der Honecker-Ära erbaute und auf den Fundamenten des 1950 auf Befehl der SED abgerissenen Hohenzollernschlosses erbaute Palast der Republik von der Bildfläche. Als Grund für die bist heute umstrittene Maßnahme wurde dessen Belastung durch krebserzeugenden Asbest angegeben.

In Wahrheit aber war dieses "Haus des Volkes" maßgeblichen Westpolitikern und anderen Leuten als Zeugnis der DDR-Geschichte und ihrer Architektur ein Dorn im Auge. Inzwischen steht hier das Humboldt-Forum mit der alten Barockfassade an drei Seiten. Ganz von der Bildfläche verschwunden sind das DDR-Außenministerium und der Palast der Republik. Einige Ausstattungsstücke landeten im Deutschen Historischen Museum, Beton und Stahl wurden in Baustoffe zurückverwandelt. Nicht angetastet, sondern nur saniert wurde der in eine Gedenkstätte umgewandelte Sitz des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit an der Ruschestraße im Bezirk Lichtenberg und das diesem unterstehende Untersuchungsgefängnis an der Genslerstraße in Hohenschönhausen.

Gewöhnungsbedürftiger Anblick

Das Staatsratsgebäude, Empfangshaus für Diplomaten und Repräsentationsort Nummer 1 unter den Staats- und Parteichefs Ulbricht und Honecker, ist eine eigenartige Kombination von Alt und Neu. An der Fassade mit riesigen Fenstern prangt das sogenannte Liebknecht-Portal vom 1950 abgerissenen Berliner Schloß. Die Bildhauerarbeit soll an den Führer der deutschen Linken und Begründer der KPD erinnern. Karl Liebknecht hatte am 9. November 1918 vom Balkon des Hohenzollernschlosses die sozialistische Republik ausgerufen. Zwei Stunden später tat der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ähnliches, als er vom Reichstagsgebäude die freie deutsche Republik verkündete. Die Dimensionen des Schlossportals bestimmte auch die Höhe und Länge des Staatsratsgebäudes, das sich in die eher niedrig gebaute Umgebung gut einfügt. Ursprüngliche Planungen der frühen DDR-Zeit hatten ein riesiges "Haus des Volkes" vorgesehen. Dieser Monumentalbau schrumpfte zum Palast der Republik zusammen.

Im April 1996 bezog Bundesbauminister Klaus Töpfer als Beauftragter der Bundesregierung für den Umzug von Parlament und Regierung seine das Staatsratsgebäude am Schlosslatz 1. Hier hatte auch Bundeskanzler Helmut Kohl hier seinen provisorischen Dienstsitz. Den Anblick des farbigen Glasgemäldes im Treppenhaus war gewöhnungsbedürftig, musste ertragen werden. "Unter dem Leitgedanken ,Der Sozialismus siegt' konnte ich die kampferfüllte Geschichte der deutschen Arbeiterklasse, angefangen vom 9. November 1918, den denkwürdigen Tag, an dem Karl Liebknecht im Lustgarten die erste sozialistische Republik Deutschlands ausrief, bis zum endgültigen Sieg seiner kühnen Idee - in einem Bild zusammenfassen", beschrieb der Maler Walter Womacka sein Werk, das so gar nicht in zu den neuen Aufgaben dieses Gebäudes passen wollte und eine Zeitlang verhängt war. Die Glasklebearbeit zeigt sich wieder, von der Sonne durchstrahlt, in seiner vollen Farbenpracht. Die Naivität der Darstellung verblüfft, ebenso die unbekümmerte Verherrlichung der jüngeren deutschen Geschichte als Folge von Siegen der Arbeiterklasse über Kapitalismus und Imperialismus. "Die thematische Behandlung beginnt im ersten Stock mit den Novemberkämpfen und den Streiks in den zwanziger Jahren. Es folgen der Neuaufbau nach der Zerschlagung des Faschismus durch die Sowjetarmee. Im Mittelpunkt steht, figürlich dargestellt, das Bündnis von Arbeiterklasse, Bauern und Intelligenz. Der dritte Teil umfasst Anstrengungen des Volkes um Einheit, Frieden und Aufbau des Sozialismus. Gekrönt wird das ganze Fenster durch das Bild der sozialistischen Familie, deren Glück - zuverlässig von den Streitkräften geschützt - auf friedlicher Arbeit beruht", so Womacka weiter. Sein "Machwerk", wie manche Besucher sagen, zu beseitigen, kam nie infrage. Die Denkmalpflege hatte den Schutzstatus des Gebäudes samt Inventar und Kunst am Bau festgeschrieben und damit auch für das Überleben von Womackas Sozialismus-Bild gesorgt.

Nicht sozialistisch genug, diese Leichtigkeit

Während 1991 das Lenindenkmal auf dem damaligen Leninplatz und heutigen Platz der Vereinten Nationen abgetragen wurde, blieben andere Zeugen der DDR-Geschichte sowie Kunst und Architektur stehen. Zu nennen sind das Thälmanndenkmal im gleichnamigen Park im Stadtbezirk Prenzlauer Berg, das Haus des Lehrers am Alexanderplatz mit seiner bunten Bauchbinde, auf der der damalige "Staatsmaler" Walter Womacka dem Sozialismus in der DDR ein Loblied singt. Erhalten ist auch ein Wandbild im Außenbereich des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums beziehungsweise des Hauses der DDR-Ministerien und heutigen Bundesfinanzministeriums. In den frühen 1950er Jahren wurden die nach einem Entwurf von Max Lingner bunt bemalten Fliesen aus Meißner Porzellan an die Wand der Säulenhalle an der Leipziger Straße geklebt. Da auch der weitläufige, aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Gebäudekomplex und der Fries unter Denkmalschutz stehen, hat es niemand nach der Wiedervereinigung 1990 gewagt, das 25 Meter lange Propagandabild zu verbrettern oder ganz zu entfernen. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg waren an der gleichen Stelle in Stein gehauene Wehrmachtssoldaten beseitigt worden, als im Reichsluftfahrtministerium Hitlers treuer Paladin, Reichsmarschall Hermann Göring, die Befehle erteilte.

Lachende und singende Menschen marschieren auf dem Lingnerschen Wandbild unter Transparenten in die lichte Zukunft, andere krempeln die Arme hoch, bauen Häuser, verlegen Eisenbahngleise, schmelzen Stahl, ernten Getreide. Blond und schön sind sie alle, kräftig gebaut und gut ernährt. Arbeiter verbünden sich mit Wissenschaftlern, Männer in Schlips und Anzug, Stiefel und Mütze, Frauen in bunten Schürzen, die Kinder mit Pionierhalstüchern um den Hals, junge Frauen in FDJ-Blusen - das ganze Repertoire der DDR-Volksgemeinschaft ist vertreten.

Ministerpräsident und Hobby-Maler Otto Grotewohl und andere DDR-Größen hatten so lange an den als nicht "sozialistisch" genug empfundenen Entwürfen herumgemäkelt und Lingner zu Veränderungen genötigt. Aus einem abfahrenden Traktor wurde ein ins Bild hereinfahrender Traktor, eine junge Familie wurde durch einen Funktionär mit Aktentasche ersetzt. Neu waren auch die unter strahlender Sonne werkelnden Gleisbauer und Stahlarbeiter. Natürlich wurde das seinerzeit lautstark beschworene Bündnis von Arbeitern und Intellektuellen in die Szenerie hineinkomponiert. Neben dem Ministerium wird nicht nur an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erinnert, der hier von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurde. Es wird auch gezeigt, wie Lingners ursprünglicher Entwurf ausgesehen hat.

Bunte Bauchbinde am Haus des Lehrers

Am 17. Juni 1953 marschierten vor dem damaligen Haus der Ministerien richtige Arbeiter auf, aber nicht solche, wie sie Lingner und seine Auftraggeber erfunden hatten. An sie und die Opfer des Arbeiteraufstands im Sommer 1953 erinnert ein vor der Säulenhalle mit dem Wandbild von 1952 in den Boden eingelassenes Fotografie unter kratzfestem Glas. Die Skulptur setzt, von Wolfgang Rüppel gestaltet, den Demonstranten gegen die SED-Willkür und Erhöhung der Normen sowie für freie Wahlen und ein einiges Deutschland ein eindrucksvolles Denkmal, das im auffälligen Kontrast zu dem bunten Jubelbild hinter den Säulen aus der Nazizeit steht. Die Geschichte des Bundesfinanzministeriums und der anderen Bauten von Parlament und Regierung schildert Volker Wagner in dem Buch "Regierungsbauten in Berlin", das im be.bra Verlag Berlin erschien, 159 Seiten und 104 Abbildungen hat und 24,90 Euro kostet.

Der von Walter Womacka im Stil des sozialistischen Realismus geschaffene, sieben Meter hohe und 130 Meter lange Bilderfries am Haus des Lehrers unweit des Berliner Alexanderplatzes ist ganz gewiss nicht jedermanns Sache, aber er wurde nicht angetastet, sondern für viel Geld restauriert. Mit bunten Bauchbinde, wie die Berliner spotten, wird Propaganda für die Segnungen des Marxismus-Leninismus gemacht. Das knallbunte Wandgemälde aus Keramik- und Glassteinen schildert die blühenden Landschaften kommunistischer Prägung, die sich Walter Ulbricht und Genossen in den 1960er Jahren erträumten.

Viele Skulpturen, die schon in der Kaiserzeit Berliner Straßen und Plätze geschmückt haben, fanden in der Spandauer Zitadelle Asyl und werden in der Ausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" gezeigt. Die Schau zeigt Denkmäler, die seit Jahrzehnten in Museumsdepots ein bescheidenes Dasein gefristet haben. Zu sehen sind unter anderem durch Kriegeinwirkungen beschädigte, manchmal kopf-, bein- und armlose Marmorfiguren brandenburgisch-preußischer Monarchen von der Berliner Siegesallee, die um 1900 von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegeben worden waren, aber auch Kriegerdenkmäler aus der Zeit des Nationalsozialismus und Bildhauerarbeiten aus DDR-Zeiten, die niemand mehr unter freiem Himmel sehen möchte. Ausgestellt ist auch der monumentale Kopf vom Lenindenkmal, das 1991 abgetragen und im Köpenicker Forst vergraben wurde.

8. April 2021 8. April 2021

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