Monstrum aus Bronze auf der Schlossfreiheit
Wo heute das Einheits- und Freiheitsdenkmal entsteht, schaute Kaiser Wilhelm I. auf das Berliner Schloss



Die Postkarte aus der Kaiserzeit zeigt das 1897 enthüllte Kaiser-Wilhelm-Denkmal, das nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt wurde.



Das Modell zeigt die Lage gegenüber dem Hohenzollernschloss, das als Humboldt-Forum zahlreiche Besucher in seinen Bann zieht.



Ganz Schlaue haben nachgezählt, wie viele mehr oder weniger nackte Menschen, aber auch Tiere das Nationaldenkmal bevölkern und welche Pflanzen man dort ausmachen kann. Dass der alte Kaiser solch üppige Dekoration nötig hat, stieß Kritikern bitter auf, weil sie meinten, weniger wäre mehr gewesen. Rechts zeigt ein Blick in das Begas'sche Bildhaueratelier, wie klein echte Menschen gegenüber dem riesigen Bronzekaiser hoch zu Ross sind.



Karikaturisten und Kunstkritiker hielten Malern wie Franz von Lenbach und Bildhauern wie Reinhold Begas serielle, fantasiearme und ganz der Tradition verpflichteten Herstellung von Gemälden und Skulpturen vor.







In Einzelteile zerlegt, wurde das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1950 bis auf wenige Reste dem Schmelztiegel übergeben. Im Hintergrund ist das Schloss kurz vor der Sprengung zu sehen. Der Adler und die Löwen blieben im Hof des Märkischen Museum beziehungsweise im Berliner Tierpark erhalten.





Auf dem Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals wird das Einheits- und Freiheitsdenkmal zur Erinnerung an die Friedliche Revolution in der DDR von 1989/90 errichtet.



Diederich Heßling, dargestellt von Werner Peters, stellt im Defa-Film "Der Untertan" sein "Weltmacht" genanntes Klopapier vor und fühlt sich wie sein geliebter Kaiser Wilhelm II. als großer Wohltäter, dabei ist er ein übler Opportunist, Nationalist und Kriecher dort, wo er Vorteile für sich wittert. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Bauarbeiten am Einheits- und Freiheitsdenkmal auf der Berliner Schlossfreiheit gehen langsam voran. 2007 vom Deutschen Bundestag beschlossen, stand die auch Einheits- oder Merkelwippe genannte Erinnerungsstätte im Zentrum kontroverser Diskussionen. Darin ging es sowohl um die schalenförmige Form als auch um den Standort, der wenig mit dem zu tun hat, was in der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR geschah, auf die sich das Denkmal bezieht. Da aber nun das Erinnerungsmal gebaut wird, sei ein Blick auf den Ort geworfen, auf dem es errichtet wird. Zwei künstlerische Wettbewerbe hat es gegeben, doch waren ihre Ergebnisse wenig erfreulich. Irgendwann wird auf dem Fundament des nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigten Kaiser-Wilhelm-Denkmals die Stuttgarter Agentur für Kommunikation im Raum Milla & Partner in Zusammenarbeit mit der Choreografin Sasha Waltz entworfene Schale mit der im Wendejahr 1989 skandierten Inschrift "Wir sind das Volk - Wir sind ein Volk" enthüllt. Das "Bürger in Bewegung" genannte Monument wird nach dem Willen seiner Gestalter begehbar sein. Wenn sich genügend viele Personen auf die eine Seite stellen, wird sich die Schale wie eine Wippe auf der anderen Seite nach oben bewegen.

Großmächtiger Reiter, kleine Göttinnen

Außer bei Wilhelm II., seiner Entourage und den beteiligten Künstlern kam das von einer halbrunden Kolonnade umgebene, vier Millionen Mark teure Reiterdenkmal aus Bronze in der Öffentlichkeit nicht gut an, so wie auch die ein wenig später nach einer Idee des Monarchen in Angriff genommene Siegesallee im Berliner Tiergarten beißendem Spott als "Puppenallee" und "Marmorameer" ausgesetzt war. Über das am 22. März 1897, dem hundertsten Geburtstags Wilhelms I., von seinem Enkel Wilhelm II. mit markigen Worten enthüllte Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal, so der offizielle Name, äußerte sich der bekannte Kunsthistoriker und -kritiker Alfred Lichtwark im Jahr 1897 so: "Das Riesenwerk von Reinhold Begas, das in so unwahrscheinlich kurzer Zeit fertiggestellt wurde, geht nach seinem Inhalt nicht auf das Denkmal Friedrichs des Großen zurück, das ein Kompendium der Zeitgeschichte darstellt. Es führt vielmehr die Reihe der allegorisch-dekorativen Sockelbildungen der Denkmäler des Großen Kurfürsten und der Könige Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. weiter, alle drei in Maßen und Massen gigantisch überbietend.[...] Die Inkongruenz der Maßstäbe beginnt mit dem Verhältnis der Figuren zu der Architektur. Wenn man sich die Halle allein denkt, ist sie ein stattliches Bauwerk von der Art und den Größenverhältnissen der Arkaden, die im vergangenen Jahrhundert die Zugänge zu den Berliner Brücken dekorierten. [...] Kommt man aus der Ferne, so stehen nebeneinander die ungeheure Gestalt des Kaisers und die in Wirklichkeit kolossalen, aber neben der Hauptfigur gesehen ganz kleinen Viktorien auf dem Siegeswagen, und ihre Rosse wirken zwergenhaft neben dem Reitpferd des Kaisers."

Zuflucht zu Adlern und nackten Mädchen

In einem Beitrag "Zur ,Zoologie' unserer Denkmäler" ging die Deutsche Bauzeitung (Heft 33/1899) der Frage nach, was alles Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. schmückt. Unter Berufung auf einen "Jemand" wird folgendes aufgelistet: "Wer sich die nicht ganz leichte Mühe machen will, die wahrhaft tropisch üppige Fauna dieses Denkmals durchzuarbeiten und zu klassifizieren, der wird zu folgendem stattlichen Resultat gelangen: Außer dem alten Kaiser und seinem Pferd, den einzigen Figuren, die nöthig waren, befinden sich auf dem Denkmal zunächst noch 19 halbnackte Weiber, 22 dito Männer und 12 dito Kinder. Die eigentliche Zoologie aber ist wie folgt vertreten: 21 Pferde, 2 Ochsen, 8 Schafe, 4 Löwen, 16 Fledermäuse, 6 Mäuse, 1 Eichhorn, 10 Tauben, 2 Raben, 2 Adler, 16 Eulen, 1 Eisvogel, 18 Schlangen, 1 Karpfen, 1 Frosch, 16 Krebse, zusammen 157 Thiere. Dabei muss bemerkt werden, dass diese Zahlen nicht etwa willkürlich sind, sondern auf möglichst gewissenhafter Rechnung beruhen, dass ferner die Zählung sich auf die Mosaikbilder des Fußbodens erstreckt, in denen es auch von Adlern und Genien nur so wimmelt. Dreiundfünfzig nackte Figuren und hundertsiebenundfünfzig Thiere, das ist der zoologische Apparat, den die Berliner Bildhauerschule braucht, um uns die Erinnerung an Wilhelm I., an den alten Wilhelm, wachzuhalten. Wenn Jemand einen Gedanken nicht in einen klaren und kurzen Satz fassen kann, so fängt er an, Phrasen zu machen. Wenn ein Künstler einen Menschen nicht durch ein klares, einfaches Bild wiedergeben kann, so muss er seine Zuflucht zu Adlern und nackten Mädchen nehmen". Die Deutsche Bauzeitung kommentierte die Einsendung jenes "Jemand" schlicht und klar mit "Sehr wahr" und war mit diesem Urteil nicht allein.

Blumige, herzbezwingende Weiheworte

Ganz anders geartet und voll des Lobes war die Stimmung bei der Denkmalweihe mit angetretenem Militär und geistlichem Zuspruch. Hofprediger und Generalsuperintendent Wilhelm Adolf Reinhold Faber ließ sich mit frommem Blick gen Himmel zu diesen blumigen Worten hinreißen: "Weihe Selbst, o Herr, dies von begeisterter Liebe und edler Kunst geschaffene Denkmal, zu einem Steine des Zeugnisses, und lass die treuen Züge des Unvergesslichen mit herzbezwingender Gewalt von Deiner Gnade und Ehre reden! Weihe es zu einem Opfersteine, da wir alljährlich mit unseren Frühlingsblumen neue Gelübde der Treue niederlegen für Kaiser und Reich, und da nach abermals hundert Jahren ein bewährtes und glückliches Volk Dir Danksagung thut im heiligen Schmuck!"

In einem Bericht über die Zeremonie heißt es, der Kaiser habe persönlich den Befehl zur Enthüllung des Denkmals gegeben, und Matrosen hätten die Hülle mit größter Schnelligkeit fallen lassen. "In das Hurrah der Truppen mischte sich das donnernde Hurrah der unzähligen Menge. Die Tambours schlugen, die Musikchöre spielten ,Heil Dir im Siegerkranz', und die im Lustgarten aufgestellte Batterie des 1. Garde- Feld- Artillerie- Regiments gab die vorgeschriebenen 101 Salutschüsse ab." Es folgte ein eineinhalbstündiger Vorbeimarsch des Festzuges mit Kriegerverbänden, einer Gruppe der Alldeutschen und der Deutschen Colonialgesellschaft, ergänzt durch Schützen- und Sportvereine sowie religiöse und politische Abordnungen und ganz zum Schluss akademische Verbindungen. Am Nachmittag fand im Weißen Saal des Königlichen Schlosses eine Galatafel statt, bei der der in einem Trinkspruch sagte: "Es ist nicht Meines Amtes, hier Meines großen Vorfahren, Meines Herrn Großvaters Verdienste zu feiern. Was wir eben erlebt, und wie unser Volk sich benommen, kündet, wie lebendig alle Seine Werke, wie lebendig die gesamte Persönlichkeit des Verewigten vor Aller Augen steht."

Regen verdirbt im "Untertan" die Feierlaune

Wie die Stimmung bei solchen Denkmalweihen war und wer an einem solchen Projekt von der Planung bis zur Fertigstellung mitgewirkt hat, beschrieb Heinrich Mann auf unvergleichliche Weise in seinen Roman "Der Untertan", der 1951 von der Defa mit Werner Peters in der Hauptrolle verfilmt wurde. Statt ein Krankenhaus zu bauen und etwas für Arme, Alte und Schwache zu tun, reihten sich die Stadt und mit ihr oberster Untertan, der Reserveoffizier und Papierfabrikant Diederich Heßling, freudig und mit nationalem Pathos die Phalanx derer ein, die durch Stiftung von Denkmälern für Kaiser Wilhelm I., genannt der Große, Ruhm und Ehre einheimsen und am kaiserlichen Hof zu Berlin Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Mit Blick auf das noch unfertige Monument sagt Wolfgang Buck, als habe er das Berliner Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal oder die Siegesallee im Tiergarten vor Augen: "Sie haben anderthalb Millionen Schulden gemacht, um dieses Mülllager zu schaffen. Und er zeigte auf den unfertigen Aufbau von steinernen Sockeln, Adlern, Rundbänken, Löwen, Tempeln und Figuren. Die Adler setzten flügelschlagend ihre Krallen in den noch leeren Sockel, andere Exemplare nisteten wieder auf jenen die Rundbänke symmetrisch unterbrechenden Tempeln; dort holten aber auch Löwen zum Sprung aus nach dem Vordergrund, wo ohnehin Aufregung genug herrschte durch flatternde Fahnen und heftig agierende Menschen."

Kaum hat Heßling seine von Untertanengeist triefende, den Kaiser lobhudelnde und gegen die aus Frankreich einströmende "Schlammflut der Demokratie" wetternde Weiherede in Gegenwart eines Adjutanten des Kaisers, zweier Divisionsgenerale und weiterer Ehrengäste begonnen, was ihn entzücken lässt, da fängt es an zu blitzen und zu donnern. Diederich kann gerade noch sagen: "Wenn jetzt die Hülle fällt, wenn zum Gruß die Fahnen und Standarten sich neigen, die Degen sich senken und Bajonette im Präsentiergriff blitzen" - da kracht es ungeheuerlich vom Himmel, wie Heinrich Mann schreibt, und verdirbt die Feierlaune. Diederich Heßling, der treudeutsche Patriot und Opportunist, der sich vom Kaiser bei einer Parade auslachen ließ und das als besondere Ehrung empfand, duckt sich unter das Rednerpult und verschwindet wie die anderen von der regennassen Festwiese, derweil die Militärkapelle - Befehl ist Befehl - unverdrossen "Heil dir im Sicherkranz" spielt. Dass ein Weltkrieg vor der Tür steht und die wilhelminische Ära ihrem Ende entgegen geht, ist für alle Beteiligten klar, nur konnte Heinrich Mann keine genaue Prognose abgeben.

21. Dezember 2021

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