"Klappe zu, Affe tot, / endlich lacht das Morgenrot"
Mit zynischen Liedern und Parolen machte sich die DDR-Propaganda nach dem Mauerbau vor 60 Jahren Mut



Das Brandenburger Tor in Berlin war auf beiden Seiten ein großer, nicht zu überwindender Sehnsuchtsort. Pläne, um das Areal zu "verschönern" gab es zwar, aber sie blieben wegen der Entwicklungen im Herbst 1989 in den Panzerschränken.



Gleich nach dem 13. August 1961 rührte die DDR-Propaganda die Trommel, um den Mauerbau als Tat zur Rettung des Friedens zu rechtfertigen und sich selber Mut zu machen.



Die Broschüre schildert die westliche Sicht auf die gewaltsame Trennung der Deutschen, die mit dem Mauerfall am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 überwunden war. Rechts eine Gedenkstele für Ida Siekmann, die das erste Todesopfer an der Bernauer Straße war.



Der Gedenkstein nennt die Namen der ersten Todesopfer an der Bernauer Straße, ganz oben Ida Siekmann.





Großformatige Fotos an Hauswänden zeigen die Situation an der Grenze zwischen Mitte und Moabit und zeigen, wie der schwer bewachte Abschnitt auf östlicher Seite nach und nach leer geräumt wurde.



Die DDR-Propaganda ließ nichts unversucht, aus dem "13. August" so etwas wie die Rettung des Weltfriedens zu fabrizieren. Dass die rasante Flüchtlingsbewegung in den Westen vor dem Mauerbau selbst verschuldet war, kam in den Lobgesängen selbstverständlich nicht vor. Das Plakat rechts zeigt einen Grenzsoldaten, der sehnsüchtig über den Stacheldraht schaut, als würde er überlege, wie er ihn überwinden kann.



Das Niemandsland zwischen dem heutigen Berliner Abgeordnetenhaus (links) und dem Museum Martin-Gropius-Bau wurde von DDR-Grenzern zu Fuß und von einem Wachturm streng gesichert. Dennoch gab es auch hier Fluchtversuche, der der Familie Holzapfel gelang 1965. Eine Gedenkwand erzählt in Form eines Comic ihre abenteuerliche Geschichte.



Die Medaille von 1976 feiert die Grenztruppen der DDR, bei denen jeder jedem misstraute und Fluchtgedanken unterstellte.



Auf westlicher Seite wurde dem SED-Chef Walter Ulbricht die Lüge vorgehalten "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten." (Fotos/Repros: Caspar)

Vor 60 Jahren, am 13. August 1961, begann die DDR den Bau der Mauer und der Ausbau der innerdeutschen Grenze. Bis zu deren Fall am 9. November 1989 kamen nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung mindestens 140 Menschen an der Berliner Mauer oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Aus der Zeit des Mauerbaus sind im Deutschen Rundfunkarchiv fast 20 Lieder überliefert, die die politische Stimmung der Zeit widerspiegeln. Die Lieder wurden im DDR-Radio in der Rubrik "Musik der revolutionären Arbeiterklasse" gesendet und damit zu Unrecht alten bewährten Arbeiterliedern gleichgestellt. Die Hetz- und Hassgesänge entstanden in Autorenkollektiven der Rundfunkanstalten und hatten kein Pendant im West-Rundfunk.

Der Lyriker und IM des Ministeriums für Staatssicherheit Heinz Kahlau dichtete: "Im Sommer einundsechzig, / beim Kurs von eins zu fünf, / da machten die Grenzgänger / sich täglich auf die Strümpf'. / Klappe zu, Affe tot, / endlich lacht das Morgenrot. / Im Sommer einundsechzig / da holten aus Westend, / die Werber sich das Kopfgeld, / die Waffen der Agent. / Im Sommer einundsechzig, / am 13. August, / da schlossen wir die Grenzen, / und keiner hat's gewusst." Das Lied, mit dem sich der Autor bei der SED-Führung Liebkind machen wollte, die ihm wegen kritischer Verse in Zusammenhang mit dem Ungarn-Aufstand von 1956 grollte, war der wohl berühmteste Beitrag zum Mauerbau wurde schon bald nach dem 13. August 1961 vom Berliner Rundfunk gesendet. Im Rückblick sagte Kahlau: "Wir dachten, der Mauerbau würde uns neue geistige und künstlerische Freiheiten bringen. Wir sind derart enttäuscht worden."

In einem anderen, nicht von Kahlau stammenden Lied heißt es mit Blick auf eine angebliche Ausplünderung der DDR durch "Westgermanen": "Frau von und zu wird nicht mehr froh, / ihr fehlt das Fleisch aus dem HO", wo man fünf Ostmark für eine Westmark bekam. Ein weiteres Spottlied triumphiert mit diesen Worten: "Am 13. August / da haben wir's gewusst. Der Brandt kriegt eins auf den Hut. / Ihr glaubt nicht / wie gut das tut." Der Soldatenchor der Nationalen Volksarmee schmetterte: "Es war in den Tagen des August, / die Rosen erblühten im Garten. / Da haben wir unseren Schutzwall gebaut, / wir konnten nicht länger warten."

"Wir sind wachsam, wissen wo der Gegner steht"

Mit dem Militärmarsch "Wir sind wachsam" machten sich die Grenztruppen Mut. "Lasst euch nicht erzählen, dass Schutz nicht nötig sei. / Sie werden uns bestehlen, / wo unsre Waffen fehlen. / Wir sind wachsam, / weil es uns um Glück und Frieden geht. / Wir sind wachsam, / wissen, wo der Gegner steht." Ein anderes Lied verspottete die "Leiche aus der Meisenstraße 8", mit eine Frau gemeint war, die angesichts herannahender Volkspolizisten aus Angst und Verzweiflung aus dem Fenster in den Tod sprang. Laut Liedtext war der Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) Schuld, der angeblich die Frau so verwirrt hat, dass sie sich das Leben nahm. Tatsächlich gab es an der Bernauer Straße 46 einen solchen Fall, denn am 21. August musste Ida Siekmann erleben, wie die Tür ihres Hauses verbarrikadiert wird. Sie warf am nächsten Morgen in aller Frühe Bettzeug und andere Habseligkeiten aus dem Fenster ihrer Wohnung im dritten Stock und sprang möglicherweise aus Angst vor Entdeckung hinterher, bevor die West-Berliner Feuerwehr mit einem Sprungtuch zu Hilfe kommen konnte.

Am Tag des Mauerbaus wurde ein "Wunschkonzert für die Genossen der Volkskammer und Volkspolizei" ins Rundfunkprogramm der DDR aufgenommen. Manch ein Zuhörer mag sich an die von Joseph Goebbels zwanzig Jahre zuvor befohlene Wunschkonzerte im Reichsrundfunk erinnert haben, die die gedrückte Stimmung an den Fronten des Zweiten Weltkriegs aufhellen und die Verbindung von den Fronten zur Heimat festigen sollten. Mit den Sendungen im August 1961 wollte die DDR- und SED-Führung mit Walter Ulbricht und Erich Honecker an der Spitze die Bevölkerung für den Einsatz der Volksarmee und der Betriebskampfgruppen am "Antifaschistischen Schutzwall" eingenommen werden. Das aber gelang nur partiell, denn die Empörung war auf beiden groß. In den ersten Tagen nach dem 13. August gelang es noch zahlreichen Menschen, die Sperranlagen in Richtung Westen zu überwinden, und danach gab es weitere, leider oft genug tödlich endende Versuche dieser Art.

Teilung der Welt buchstäblich zementiert

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei der zentralen Gedenkveranstaltung vor der Kapelle der Versöhnung zum 60. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 2021, damals seien die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden, der Eiserne Vorhang hatte sich nun auf unabsehbare Zeit komplett geschlossen. "Mit der Berliner Mauer wurde die Teilung der Welt des Kalten Krieges buchstäblich zementiert. Aber daran, dass diese Teilung mitten durch eine lebendige Stadt ging, dass sie Straßen und Wege, Plätze und Bahnlinien, Flüsse und Friedhöfe willkürlich teilte, daran konnten alle sehen, wie gewalttätig und unmenschlich diese Teilung war. Und ausgerechnet das Brandenburger Tor sei der Mittelpunkt der verschlossenen Grenze geworden." Damit sei das Brandenburger Tor nicht nur zum Symbol für den Schmerz der Teilung Berlins geworden, es wurde auch zum weltweiten Symbol für die Unterdrückung der Freiheit und die Sehnsucht nach ihr.

Mit Ulbrichts Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" habe die große Lüge begonnen, und sie habe sich im Wort vom "antifaschistischen Schutzwall" fortgesetzt, sagte Steinmeier weiter. "Die Mauer war das Zeugnis eines hoffnungslosen Scheiterns, das das unübersehbare Zeichen eines Unrechtsstaates, der in den Augen seiner eigenen Bürgerinnen und Bürger weder souverän noch legitim war. Im Grunde der Anfang vom Ende." Kaum jemand habe das so eindringlich ins Bild gebracht wie Wolf Biermann, "der große und widerspenstige Dichter, der so lange an die Möglichkeiten des Sozialismus geglaubt hatte und der seinen Staat nicht verlassen wollte, bis er schließlich ausgebürgert wurde. Ein Fotograf hatte ihn mitten auf der Weidendammer Brücke ins Bild gesetzt, wie er dort vor dem gusseisernen preußischen Adler stand. Es sah aus, als wüchsen jetzt ihm, Wolf Biermann, dessen Flügel. Und so dichtete er, stellvertretend für alle, die sich nach der Freiheit sehnten, die, obwohl nur wenige Meter entfernt vom Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, so unerreichbar war, die ,Ballade vom preußischen Ikarus': ,Der Stacheldraht wächst langsam ein / Tief in die Haut, in Brust und Bein / ins Hirn, in graue Zelln / Umgürtet mit dem Drahtverband / Ist unser Land ein Inselland / umbrandet von bleiernen Welln. / Da steht der preußische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dem tun seine Arme so weh'."

Der Bundespräsident schloss seine Rede vor der Kapelle der Versöhnung mit diesen Worten: "Es ist das ganz Alltägliche, in dem wir unsere Freiheit leben und leben möchten. Es ist das ganz Alltägliche, in dem wir friedlich miteinander leben möchten. Es ist ja nicht mehr als das Selbstverständliche, das Kommen und Gehen, das Leben, wie und wo wir möchten, das wir uns wünschen. Dass das Selbstverständliche aber nie von selbst geschieht, dass wir alle dazu beitragen müssen, dass es erhalten und geschützt wird, dass Geschichte von uns Menschen gemacht wird, zum Bösen wie zum Guten: daran erinnert uns der 13. August in Berlin."

22. August 2021

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