"Sein edler Geist lebt immer fort"
Berliner Satiriker Adolf Glaßbrenner nahm den Deutschen Michel als Inbegriff für Duckmäuser und regimetreue Bürger aufs Korn



Am warmen Ofen sitzend und gut bewacht, so fühlt sich der Deutsche Michel am wohlsten. Groß ist sein Entsetzen, wenn er aus der Zeitung von der Revolution erfährt. Karikaturen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.



Bevor sich der Deutsche Michel in irgendein Abenteuer einlässt und auf die Barrikaden geht, verkriecht er sich lieber in seinem Bett.



"Verschlaf die Zeit, vergiss das Denken, veränd're nie Dein Schafsgesicht, / Lass Dich von jedem Ochsen lenken, und wenn er stößt, so muckse nicht!" - diesen Ratschlag gab 1850 das Satireblatt "Deutscher Michel", Heft 1-1850, seinen Lesern mit Augenzwinkern auf den Weg.



Die Schere zwischen Arm und Reich war zu Glaßbrenners Zeiten riesengroß. Die Fürsten, Adel und ihresgleichen unternahmen alles, den Deutschen Michel abhängig, klein und dumm zu halten. Die Furcht war groß, dass er sich eines Tages aus seiner Lethargie erhebt. Zu sehen ist hier, welche Schmarotzer sich an seinem Körper vollfressen.



Verspottet hat man den Deutschen Michel als Einfaltspindel und Trauerkloß. Aufbegehren war nicht sein Ding. Die Karikatur nimmt satirisch auf Korn, was ihm blüht, wenn er bitterbösen Revolutionären folgt.



Die Schere zwischen Arm und Reich war zu Glaßbrenners Zeiten riesengroß. In seinen Schriften und auf Bildern haben er und Zeitgenossen das schreiende Unrecht immer wieder angeprangert und dafür sowohl Anerkennung als auch Hass und Verfolgung geerntet.





Adolf Glaßbrenner war ein Lieblingsziel der Zensurbehörden, sie behinderten ihn, wo es nur ging und verboten ihm das Schreiben. Er nahm's gelassen und schrieb "Ohne Zensoren gäbe es kein Imprimatur [Druckgenehmigung, H. C.]; ohne Imprimatur könnte ich diesen Aufsatz nicht drucken lassen; könnte ich diesen Aufsatz nicht drucken lassen, so könnte sich auch das Publikum nicht langweilen; das Publikum muss sich aber langweilen, ergo - muss es Zensoren geben.



Wer ein echter und wer nur ein nachgemachter Berliner ist, hat Adolf Glaßbrenner mit diesen Worten treffend charakterisiert, eingelassen ist die Tafel auf dem Gendarmenmarkt. (Repros: Caspar)

Um das Jahr 1910 wurde der Begriff Biedermeier für einen Stil geprägt, der für die Zeit des Vormärz, also die Zeit vor der Revolution im März 1848, bestimmend war. Das Wort hatte ursprünglich einen zweifelhaften, ja lächerlichen Beigeschmack und wurde mit Spießern, Leisetretern, Angsthasen und Muckern in Verbindung gebracht, die es sich in ihrer gemütlichen Häuslichkeit bequem machen und sich vor gesellschaftlichen Umbrüchen fürchten. Spott und Hohn wurden über den ängstlichen Hausvater mit Pantoffel und Schlafmütze ausgegossen. "Biedermanns Abendgemütlichkeit" und "Bummelmeiers Klage" waren aus den Witzblättern nicht wegzudenken. Der Dichter Ludwig Eichrodt zog aus beiden Namen sein Pseudonym "Biedermeier" zusammen.

Ein anderer Poet, Ludwig Pfau spottete, grammatisch nicht ganz korrekt, folgendermaßen: "Schaut, dort spaziert Herr Biedermeier / und seine Frau, den Sohn am Arm; / Sein Tritt ist sachte wie auf Eier, / Sein Wahlspruch: weder kalt noch warm". Berühmt wurde auch der von Wilhelm Busch in seiner berühmten Bildergeschichte "Max und Moritz" gezeichnete Lehrer Lämpel, dem nichts über seine Zufriedenheit geht und von den beiden Buben mit einem Sprengkörper böse attackiert wird. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mauserte sich "Biedermeier" zu einem Qualitätsmerkmal für eine bestimmte Stil- und Kunstrichtung am Beginn des industriellen Zeitalters. Heute wird von Sammlern für kunsthandwerkliche Zeugnisse und Mobiliar dieser Epoche oft viel Geld bezahlt.

Witzfigur mit Zipfelmütze und Aluhut

Einen Wertewandel hat auch der Deutsche Michel als Personifikation der Deutschen durchgemacht. Vermutlich in der Renaissance mit Respekt bedacht und mit dem Heiligen Michael vergleichen, der mit dem Flammenschwert den Teufel zur Strecke bringt, hat man ihn im Lauf der Zeit zu einem Angsthasen herabgestuft und ihn seit dem 19. Jahrhundert auf Karikaturen mit der Schlaf- oder Zipfelmütze verspottet. Der Deutsche Michel ist der sprichwörtliche Duckmäuser, der sich in seinem Bett oder im warmen Zimmer verkriecht, wenn es draußen brenzlig wird, gar wenn die Bürger zu den Barrikaden gerufen werden und Revolution machen. Auch heute trägt er eine Zipfelmütze und neuerdings auch einen so genannten Aluhut, also eine mit Aluminiumfolien verkleidete Kappe, die nach Meinung von Verschwörungsideologen angeblich das Gehirn vor schädlichen Strahlungen und Einflüssen von Außerirdischen schützen soll. Wie die Zipfelmützenträger sind die Leute mit dem Aluhut beißendem Spott ausgesetzt. Um diesen ad absurdum zu führen, tragen auch Satiriker und Kabarettisten die silbrig glänzenden Kopfbedeckungen, während Leute, die an ihre schützende und heilende Kraft glauben, mit ihm allen Ernstes durch die Gegend laufen.

Dem Deutschen Michel werden mehrere Wahlsprüche zugeschrieben. Einer lautete "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" nach einer Anweisung aus dem Oktober 1806 nach der preußischen Niederlage in der Schlagt von Jena und Auerstedt. Ein anderer lautet "Bloß nicht bewegen", ein dritter "Was geht mich fremdes Elend an" und ein vierter "Schießen sie noch?" Die Aufhebung der Zensur während der Revolution von 1848/49 brachte eine Flut von Schriften und Karikaturen hervor, in denen es nicht nur gegen Fürstenwillkür, Polizeistaat und Kleinstaaterei ging, sondern auch kleinbürgerliches Muckertum und eben auch der sprichwörtliche Deutsche Michel aufs Korn genommen wurde.

Immer langsam voran! Immer langsam voran!

Der Berliner Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810-1876) fasste seinen Widerwillen gegen die ständig zaudernde und ängstliche Symbolfigur der Deutschen in Gedichten und Glossen zusammen. Er traf den Nerv seiner Zeit, als er schrieb: "Der deutsche Michel beim Fortschritt" heißt es: "Immer langsam voran! Immer langsam voran, / Dass der deutsche Michel nachkommen kann! / Der Fortschritt, der nimmt auch gar kein End'; / 'S ist als ob der liebe Gott die Polizei nicht kennt! [...] Immer langsam voran! Immer langsam voran, / Dass der deutsche Michel nachkommen kann. / In Cottbus war neulich eine Revolution; / Da hatten sie einen Sergeanten beim Kragen schon! / [...] Immer langsam voran! Immer langsam voran, / Dass der deutsche Michel nachkommen kann. / Heut sorg' ich nicht für's Völkerwohl, / Sonst wird mir kalt mein Sauerkohl."

Hinter dem Sessel und im warmen Bett

In dem Gedicht "Der Tod des deutschen Michels" gibt Glaßbrenner bekannt: "Der deutsche Michel war ein Mann, / Kein Fürst ihn besser wünschen kann; / Bei Polizei und dem Gendarm / Fühlt er sich sicher, wohl und warm." Und so beschreibt das Gedicht von Vers zu Vers, wie der Deutsche Michel die Republik für ein großes Unglück hält und sich angesichts der Revolution hinter seinem Sessel und in seinem Bett verkriecht. Für ihn sind die Zeiten viel zu groß, und so sinkt er dahin und die Nachtmütze fällt ihm vom Kopf. "Der deutsche Michel hingestreckt, / Ward von Studenten zugedeckt / Mit einem Sarge schwarz gold rot, /Denn nunmehr war er mausetot. / Doch wir verzagen nimmermehr, / Denn eines tröstet uns gar sehr; / Sein edler Geist, wenn auch schon dort, / Lebt unter uns schon immer fort."

In einem anderen Gedicht beklagt sich beschreibt Glaßbrenner im schönsten Berliner Jargon über Ungerechtigkeit in der Welt und beschreibt die Leute, die die Obrigkeit am liebsten hat, mit diesen Worten: "Ich bin ein braver Untertan, / Det sieht man mir jleich en jeder an; / Ertrage ruhig Spott und Schand' / Mit Jott vor Keenig und Vaterland! [...] Un klag' ick laut ma meine Not, / Bin ick jleich fürchterlich bedroht / Von Strafarbeet und Kerkerwand: / Mit Jott vor Keenig un Vaterland! / Doch derf ick hungern frank un frei, / Wie streng ooch sonst die Pollezei, / Bis an des Jrabes kühlen Rand: / Mit Jott vor Keenig un Vaterland! / Denn hat der Kummer ufjehört, / Denn lieg' ick still und ungestört, / Und ruh' mir aus im weichen Sand: Mit Jott vor Keenig un Vaterland!" Dem Deutschen Michel gab er in einem anderen Gedicht diesen Rat: "Willst du deinen Junkern behagen, / So musst du dich also betragen. / Im Froeden stets wacker dich plagen. / Im Krieg stets wacker dich schlagen, / Nichts wagen und nie was abschlagen, / Nie fragen, versagen, noch klagen, / Beim Geldgeben nimmer verzagen, Und all deine Wünsche vertagen. / Dann - hast du nichts weiter zu sagen."

Späße aus einer ernsten Familie

Wer solche "Unziemlichkeiten" schrieb, wie man damals sagte, wer die allgegenwärtige Polizei und die Justiz, die Bigotterie und die widerwärtigen Methoden der Zensoren angriff, ja wer sich alles andere als staatstragend und gottgefällig verhielt, war beim König und seinen Beamten unten durch, riskierte seine Freiheit und Lebensunterhalt, manchmal auch sein Leben. So erging es auch Adolf Glaßbrenner, dem "Liebling und Erzieher des zungenfertigen Berliner Kleinbürgertums", so ein Bonmot des Historikers Heinrich von Treitschke über den Mann, der von sich schrieb "Meine Späße sind aus einer sehr ernsten Familie, der Vater heißt Schmerz, die Mutter Herz." Da er nicht den Normen der preußischen Zensur entsprach und in seinen Schriften und Satiren immer wieder politische und sozialkritischen Angriffen und Anspielungen unterbrachte, wurde er mit Berufsverbot belegt und wanderte nach Neustrelitz aus, ins benachbarte Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz, und war dort weiterhin literarisch tätig. Aus eigener trauriger Erfahrung wusste er: "Aus absoluten Ländern, ohne Kammer, / Hört man doch nie von Unrecht, Not und Jammer; Drum mag mit Konstitutionen / Der liebe Gott uns verschonen."

2. Januar 2021

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