Von Berlin nach Auschwitz
Mit dem vor 80 Jahren im Deutschen Reich verfügten gelben Stern wurden Juden auch äußerlich als Volksfeinde abgestempelt



In einer Sonderausstellung setzte sich die Berliner Topographie des Terrors vor einigen Jahren mit den nationalsozialistischen Rassengesetzen und ihren blutigen Folgen in Deutschland und Europa auseinander.



Judenfeindlichkeit ist keine "Erfindung" des 19. und 20. Jahrhunderts, sie gab es schon lange Zeit davor. Die christliche Mehrheitsgesellschaft wies in Kriegs- und Krisenzeiten mit dem Finger auf Juden, die angeblich Schuld an allem Unglück haben und außerdem "Jesusmörder" sind. Einer der Wortführer dieser Hetze war der Reformator Martin Luther, der unter anderem forderte, Synagogen anzuzünden und "verstockte" Juden auszuweisen.



Die antijüdische Propaganda verfing bei vielen Deutschen, und sie wirkt bei manchen bis heute nach. Julis Streicher, der Herausgeber des Hetzblattes "Der Stürmer" trug wesentlich dazu bei, dass man in Juden nichts als Ausbeuter, Betrüger und Kinderschänder sah.









Mit dem Gelben Stern gekennzeichnete Juden werden in Lodz zusammengetrieben, um in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern ermordet zu werden. Das zynisch gemeinte Motto "Arbeit macht frei" sollte sie beruhigen, dabei war alles für die Gaskammern vorbereitet.



Die zur Gedenkstätte deutscher Widerstand gehörende Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in Berlin zeichnet das Bild einer von Verfolgung und Deportation bedrohten, doch auch durch Menschlichkeit, Solidarität und Todesmut geprägten Lebenssituation jüdischer Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus nach. Zugleich wird gezeigt, wie der früh erblindete Weidt (2. Reihe, dritter von rechts) seine Mitarbeiter zu überleben half.





Schrifttafeln am Bayerischen Platz und angrenzenden Straßen in Berlin schildern das Unrecht, das den jüdischen Bewohnern in der Nazizeit angetan wurde. Tisch und Stühle erinnern auf dem Berliner Koppenplatz auf die Leere nach der Deportation jüdischer Mitbürger in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. (Fotos/Repros: Caspar)

Unmittelbar nach der Errichtung der Nazidiktatur am 30. Januar 1933 begann die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der Juden im Deutschen Reich. Es verging kein Tag, an dem nicht massiv gegen sie gehetzt wurde. Dabei wurde mit ständig neuen Anschuldigungen die Behauptung Hitlers wiederholt, die Juden seien Schuld an allem Übel und es gebe eine Weltverschwörung der Juden und Bolschewisten. Bereits im April 1933 haben Nazifunktionäre und SA-Leute die ersten Gewaltakte gegenüber jüdischen Bürgern und ihr Eigentum organisiert. Am 10. Mai 1933 schleuderten braune Horden Bücher jüdischer und anderer "missliebiger" Autoren in die Scheiterhaufen, und es begann in diesem Geiste die Säuberung der Bibliotheken und Buchhandlungen. Nach und nach wurden "nichtarische" Beamte und Angestellte aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Jüdischen Ärzten, Künstlern, Schriftstellern und anderen aus rassistischen Gründen zu "Volksfeinden" erklärten Personen wurde die Berufsausübung verboten oder eingeschränkt. Wer keinen Arierenachweis erbringen konnte, erlitt sich mehr und mehr verschärfender Diskriminierung. Diese Unterdrückungsmaßnahmen im Gedächtnis zu halten, ist heute dringender denn je, wo Holocaust-Leugner und Nazifreunde in den sozialen Netzwerken ihre menschenverachtenden Theorien verbreiten und ein breites Echo finden - 75 Jahre nach dem Ende des Hitlerreichs eine beunruhigende Tatsache.

Nürnberger Gesetze und Reichskristallnacht

In den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935, die während des Nürnberger Parteitags der NSDAP verabschiedet wurden, fand die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung einen vorläufigen Höhepunkt. Jetzt wurde zwischen vollberechtigten Reichsbürgern und solchen jüdischen Glaubens oder Abstammung unterschieden, die ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt sind. Ein zweites Gesetz verbot die Ehe zwischen Juden und Nichtjuden sowie den außerehelichen Verkehr zwischen Juden und "Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes", so die Formulierung im "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Zahlreiche Gerichtsverfahren wegen so genannter Rassenschande und großes menschliches Leid waren die Folge dieser Bestimmungen.

Bei dem als "Reichskristallnacht" verniedlichten Pogrom vom 9. November 1938 wurden zahlreiche Synagogen und andere Einrichtungen der jüdischen Gemeinden niedergebrannt sowie jüdische Geschäfte zerstört. Tausende Juden wurden in die Konzentrationslager geworfen. Mit einer Folge von Erlassen haben die Nazis diejenigen Personen, die nicht inhaftiert wurden, weiter in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt und zu einem unwürdigen Außenseiterdasein verurteilt. Mit der Einführung des sichtbar an der Kleidung zu tragenden gelben Stern am 1. September 1941, vor nunmehr 90 Jahren, waren sie in der Öffentlichkeit sofort zu erkennen und widerwärtiger Diskriminierung ausgesetzt.

Bereits im Mittelalter mussten Juden bestimmte Zeichen tragen, um sie sofort als solche erkennen und vom gesellschaftlichen Leben ausschließen zu können. Am 23. Juni 1938 wurde die Kennkarte mit dem diskriminierenden Aufdruck J für Juden eingeführt, vergleichbar mit dem Z für Zigeuner, also Sinti und Roma. Es folgte am 17. August 1938 die Pflicht für Juden, ihren Namen mit dem Zusatz Israel beziehungsweise Sara zu ergänzen. Ab 1. September 1941 mussten sie einen Stern aus gelbem Stoff gut sichtbar auf der Kleidung tragen. In Polen galt diese Vorschrift bereits seit dem Überfall am 1. September 1939. Nach und nach wurde alles verboten, was den unter die Nürnberger Rassegesetze von 1935 fallenden Menschen das Leben noch einigermaßen erträglich gemacht hatte. Die Familien mussten ihre Wohnungen verlassen und in so genannte Judenhäuser umziehen, wurden zur Abgabe von Radioapparaten und Schreibmaschinen gezwungen, durften keine Zeitungen kaufen, und auch die Mitgliedschaft in Sport- und Musikvereinen wurde ihnen verboten. Jüdische Kinder durften nicht mehr an "deutschen" Schulen lernen, und Erwachsenen war der Besuch von Restaurants, Kinos und Theatern untersagt. Auch beim Kauf von Lebensmitteln waren sie benachteiligt. Sie konnten weder Milch, Schokolade und Reis noch Schuhe und Kleidung kaufen und wurden verpflichtet, unmittelbar nicht gebrauchte Kleidungsstücke bei den Behörden abzugeben. Nicht einmal das Halten von Haustieren war ihnen erlaubt. Wer sich widersetzte, kam ins Konzentrationslager.

Mit dem Mut der Verzweiflung

An die im Untergrund wirkenden "Stillen Helden" wird pars pro toto in einem Hinterhof des Hauses Rosenthaler Straße 39 unweit des S-Bahnhofs Hackescher Markt in Berlin erinnert. Hier hatte Otto Weidt in seiner Fabrik von Bürsten und Besen in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Mut der Verzweiflung mehrere von den antijüdischen Rassengesetzen und der Deportation in die Vernichtungslager bedrohte Menschen beschäftigt und versteckt. Wenn eine Razzia durch die Gestapo drohte und eine bestimmte Klingel ertönte, zogen die in ständiger Angst lebenden Männer und Frauen in abgelegene Räume der von den Behörden als "kriegswichtig" anerkannten Fabrik zurück.

Viele "Volksgenossen" mögen die Zwangsmaßnahmen begrüßt haben, waren doch sie deren Nutznießer und aufgrund der ständig auf sie einprasselnden Propaganda der Meinung, "alle Juden" seien reich und würden, durch Betrug zu Geld gekommen, hochherrschaftliche Villen bewohnen und könnten sich jeden Luxus leisten. Trotz alledem wurde da und dort Juden geholfen unterzutauchen und sie mit Lebensnotwendigem versehen. Trotz alledem war inmitten des Grauens und der Volksverhetzung Mitmenschlichkeit nicht ganz verloren gegangen. Es gehörte außerordentlicher Mut dazu, sich auf diese Weise dem Nazisystem entgegen zu stellen. Man wusste ja, dass "besorgte Volksgenossen" und sogar auch enge Freunde und Verwandte der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) eifrig dabei waren, Menschen zu denunzieren, die Juden bei sich aufgenommen und versteckt hatten oder sich mit kritischen Worten über die Terrormaßnahmen der Nazis zu äußern.

Gebrandmarkt, abgeholt, ermordet

Der am 1. September 1941 verfügte Gelbe Stern musste sichtbar an der Kleidung getragen werden. Er brandmarkte Juden in aller Öffentlichkeit zu Ausgestoßenen, Vogelfreien und Reichsfeinden. In einer Rede anlässlich des 80. Jahrestags der Errichtung der Nazidiktatur berichtete die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron am 30. Januar 2013 im Bundestag, wie es ihr, ihre Familie und anderen Juden in der Nazizeit erging und was in ihr vorging, als sie den Judenstern anlegen musste. ",Tragt ihn mit Stolz, den gelben Stern.' Mit diesen Worten versuchten Funktionäre der Jüdischen Gemeinde ihre Mitglieder zu ermutigen, als wir im September 1941 gezwungen wurden, diesen gelben Lappen am äußersten Kleidungsstück in Herzhöhe zu befestigen. ,Fest angenäht', so stand es im Gesetz, das für Kinder ab sechs Jahren galt. Mit Stolz? Die Mehrheit der Deutschen, denen ich in den Straßen Berlins begegnete, guckte weg, wenn sie diesen ,Stern' an mir bemerkte oder guckte durch mich, die Gezeichnete, durch oder drehte sich weg." Sie habe vom Fenster aus gesehen, wie die Juden "abgeholt" wurden, und sie sehe sie noch heute, in ihrem Erschrecken wie erstarrt, von Polizisten in die Wagen gestoßen. "Dann waren sie alle weg - meine Familie, meine Freunde, die blinden jüdischen Bürstenzieher von Otto Weidt, die jüdischen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, ihre Orden noch am Revers ihres Mantels. Wir hatten keinen Schrei gehört, sahen kein Aufbegehren; blickten ihnen nach, wie sie gehorsam ihren letzten Weg antraten. Des Nachts sah ich sie wieder vor mir, hörte nicht auf, an sie zu denken: wo waren sie jetzt? Was tat man ihnen an? Ich begann mich schuldig zu fühlen. Mit welchem Recht, so fragte ich mich, verstecke ich mich, drückte ich mich vor einem Schicksal, das auch das Meine hätte sein müssen? Dieses Gefühl von Schuld verfolgte mich, es ließ mich nie wieder los." Inge Deutschkron überlebte, in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt unter einem falschen Namen als Sekretärin angestellt, das Grauen und erwarb nach 1945 einen hervorragenden Ruf als Schriftstellerin sowie als Zeugin und Anklägerin für die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Schwerster Tag in zwölf Höllenjahren

Der jüdische Sprachwissenschaftler Victor Klemperer, der in Dresden den Holocaust und auch den Bombenangriff vom 13. Februar 1945 überlebte, nannte in seinem Buch "LTI - Notizbuch eines Philologen" die öffentliche Stigmatisierung durch den Judenstern den "schwersten Tag der Juden in den zwölf Höllenjahren" der Naziherrschaft. In LTI schrieb er über den "Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck ,Jude', das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort in dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen". Der mit dem Judenstern gezeichnete Gelehrte hatte mit so genannten Ariern schlimme Begegnungen. Manche Leute pöbelten ihn an, wünschten ihm den Tod, wechselten die Straßenseite. Doch dann gab es auch solche, die ihn erkanten und leise mit "Herr Professor" ansprachen und den Kopf nicht hängen zu lassen. "Nächstens haben sie doch abgewirtschaftet, die verfluchten Brüder", zitiert Klemperer einen mutigen Zeitgenossen, der mit solchen Worten sein Leben riskierte.

14. Januar 2021

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