Leben im goldenen Käfig
Alte Bücher neu gelesen: Briefe der Liselotte von der Pfalz beschreiben drastisch, wie es am Hof König Ludwigs XIV. von Frankreich zuging



Als einziger mit dem Hut auf dem Kopf und sitzend, ließ sich Frankreichs Sonnenkönig im Kreis von Gelehrten malen.



Das gesellschaftliche und politische Leben spielte sich zwischen Paris und dem zur Verherrlichung des Sonnenkönigs auf unbebautem Gelände errichteten Schloss von Versailles ab, hier dargestellt auf einem Kupferstich aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das später erweiterte Schloss und sein Garten waren Vorbild für zahlreiche weitere Barockanlagen dieser Art in Frankreich und im Ausland.



Elisabeth Charlotte (Liselotte) von der Pfalz war mit dem Herzog Philippe von Orleans, dem Bruder Ludwigs XIV. verheiratet und führte den offiziellen Titel Madame, während ihr Mann Monsieur und nicht mehr genannt wurde. Zu sehen ist sie auf der undatierten, wohl 1707 geprägten Medaille und rückseitig ihr Sohn Philippe II. von Orleans. Dieser war nach dem Tod des Sonnenkönigs von 1715 bis 1723 Regent von Frankreich für den noch minderjährigen Ludwig XV.



Das Porträt in der Briefausgabe bildet Liselotte von der Pfalz in jungen Jahren ab, später sah sie sich ganz anders und wenig schmeichelhaft.



Die Medaille von 1707 bildet die Herzogin als wohlbeleibte Dame ab und zeigt sie unter einem Baldachin thronend. Zu ihren Füßen halten Löwen als Symbole ihrer Heimat, der Pfalz, sowie von Macht und Stärke Wache.





Am königlichen Hof zu Versailles herrsche ein von der Herzogin von Orleans wunderbar aus nächster Nähe beschriebenes Lotterleben. Riesige Summen gehen beim Kartenspiel über die Tische. Die Kupferstiche zeigen vornehme Leute bei dieser Lieblingsbeschäftigung sowie eine pompöse Opernveranstaltung im Schlosshof.



In ihren Briefen kommentiert Liselotte von der Pfalz die Erfolge und Misserfolge der Franzosen im Spanischen Erbfolgekrieg und bei früheren Kriegen und Schlachten. Sie kommt nicht darüber hinweg, was Soldaten des Sonnenkönigs ihrer alten Heimat, der Kurpfalz und den Städten Mannheim und Heidelberg, antun, und sie bittet zu Gott, dass die Mordbrennereien nicht ungesühnt bleiben. Das Foto zeigt das Heidelberger Renaissance-Schloss als denkmalpflegerisch gesicherte Ruine. Bereits im 19. Jahrhundert war Heidelberg Ziel von Touristen in aller Welt. Die Ende des 17. Jahrhunderts zerstörte Schlossruine galt als Inbegriff der Romantik.



Die Medaille aus dem späten 17. Jahrhundert zeigt, wie Franzosen die kurfürstliche Gruft im Heidelberger Schloss plündern. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Revolutionäre 1793 die Gräber des Sonnenkönigs und weiterer Monarchen und Familienangehöriger in der Kathedrale St. Denis bei Paris geöffnet und geplündert haben.



Die farbige Grafik zeigt den französischen Mordbrenner Melac mit brennenden Städten und Dörfern im Hintergrund und Brandfackeln in den Händen. Das in der Pfalz verwendete Schimpfwort "Lackel" wird mit ihm in Verbindung gebracht. (Fotos/Repros: Caspar)

Unter den vielen Ludwigen auf dem französischen Thron sticht unzweifelhaft der 14. dieses Namens hervor - Ludwig XIX., genannt der Sonnenkönig. Mit fünf Jahren auf den Thron gelangt, wählte der Monarch die Sonne zum Symbol seiner Regentschaft, die eine ganze Epoche prägte und 1715 mit seinem Tod beendet war. Wie die Planeten um die Sonne kreisen, so bewegte sich unter seinem Zepter alles um ihn. "Der Staat bin ich", soll der selbstverliebte Alleinherrscher gesagt haben, und in der Tat lief in Frankreich nichts ohne ihn. Ein Zeitgenosse beschrieb die überragende Stellung des allerchristlichsten Königs, so sein offizieller Titel, mit diesen Worten: "Der ganze Staat ist im König, der Wille des ganzen Volkes ist in dem seinen eingeschlossen. Wie in Gott alle Vollkommenheit und alle Tugend vereinigt ist, so ist alle Macht der einzelnen vereinigt in der Person des Königs".

Erbarmungslos schlug der von mit ungeheurer Machtfülle ausgestattete, durch keine Schranken gehemmte Monarch alles nieder, was sich ihm entgegen stellte. Er hatte damit einiges zu tun, denn die eigene Verwandtschaft trachtete nach seiner Krone. Als junger Mann hatte er mit Aufständen gegen seine Steuer- und Kriegspolitik zu tun. Während das Volk bis hinein in die begüterten Schichten von skrupellosen Steuereintreibern und auf anderem Weg ausgesaugt wurden, behielten Adel und Kirche, die beiden ersten Stände, ihre Privilegien und mussten sich nicht an den enormen Staatsausgaben für Kriege, Prunkbauten und das kostspielige Leben am königlichen Hof beteiligen, sondern profitierten von ihm und ihrer Nähe zum Herrscher. Dieses zum Himmel schreiende Oben und Unten steigerte die Volkswut und spielte der gegen den König gerichteten "Fronde" in die Hände. Einhundert Jahre später gipfelte die Volkswut auf blutige Weise in der Revolution von 1789, weil sich seit Ludwig XIV. an den Verhältnissen prinzipiell nicht verändert hatte.

Ausgeklügeltes System von Gnade und Ungnade

Nachdem Ludwig XIV. 1661 volljährig geworden war, riss er alle Macht an sich und ging mit allen Mitteln und skrupellos gegen seine Gegner im Inneren und gegen ausländische Staaten vor. Um seine Position als erster Mann im Lande abzusichern, holte er Personen von Rang und Stand samt Familien an seinen Hof, stattete sie mit einträglichen, freilich vielfach unnützen Posten sowie militärischen Kommandostellen aus. Mit einem ausgeklügelten System von Gnade und Ungnade, das bei Potentaten von heute Usus ist, hielt er seine vor allem mit Intrigen und Liebesaffären, aber auch kostspieligen Glücks- und Kartenspielen sowie höfischen Lustbarkeiten und der Jagd beschäftigten Höflinge bei der Stange und machte sie von sich abhängig. Wer sich im Reich des Sonnenkönigs nicht zur katholischen Kirche bekannte, und das waren nicht wenige in Opposition zu ihm stehende Reformierte, wurde terrorisiert und des Landes verwiesen. Kurbrandenburg und andere protestantische Länder haben diese Hugenotten mit Kusshand aufgenommen. Der Exodus hatte für Frankreich erhebliche wirtschaftliche und kulturelle Folgen. Als Ludwig XIV. 1715 starb, war das Land bankrott. Die wirtschaftliche Not zu lindern, wurde massenhaft Papiergeld ausgegeben, das aber von den Bewohnern abgelehnt wurde.

Der absolutistisch regierende Sonnenkönig war zwar wegen seiner blutigen Gewaltpolitik zuhause und im Ausland gefürchtet und verhasst, dessen ungeachtet aber haben andere Potentaten ihn wegen seinen luxuriösen Lebensstils und des von ihm entwickelten höfischen Prunks bewundert und nachgeahmt. So haben deutsche Fürsten nach dem Beispiel von Versailles weitläufige Schloss- und Parkanlagen geschaffen, obwohl sie sich diese nicht leisten konnten. Da ihm, dem König von Frankreich und Navarra, die ererbten Territorien nicht ausreichten, blickte er sich in benachbarten Ländern nach weiteren Gebieten um. Außerdem versuchte er, Familienangehörige in auswärtige Königshöfe zu verheiraten und damit Anwartschaften auf fremde Kronen, vor allem die der Könige von Spanien, zu sichern. Französische Soldaten richteten überfallenen Ländern, allen voran in der benachbarten Pfalz, furchtbare Verwüstungen an und waren wegen ihrer Mordbrennereien gefürchtet. Bei den Raubkriegen eignete sich Ludwig XIV. deutsche Territorien jenseits der französischen Grenzen an. Bis heute sind in der Pfalz die Gräuel seiner Truppen unvergessen. Das damals von diesen zerstörte Heidelberger Schloss blieb eine Halbruine und ist Zielpunkt unzähliger Touristen aus aller Welt. Im Ergebnis des Spanischen Erbfolgekrieg von 1700 bis 1714, an dem nahezu alle europäischen Großmächte beteiligt waren, wurde Philipp von Anjou, ein Enkel des Sonnenkönigs, als König von Spanien anerkannt. Der dafür von der habsburgischen Seite vorgesehene Erzherzog Karl, Sohn Kaiser Leopolds I., war von 1711 bis 1740 römisch-deutscher Kaiser.

"Immer wahrhaft, in ihr ist kein Falsch"

Wie es am Hof in Versailles und in anderen Schlössern zuging, hat die Schwägerin des Königs, Elisabeth Charlotte (Liselotte) von der Pfalz, in über 3000 Briefen scharf beobachtend, humorvoll und zum Teil drastisch und mit spitzer Feder beschrieben. Die für diese Serie gelesene Ausgabe "Briefe der Liselotte von der Pfalz, Herzogin von Orleans" erschien 1911 im Verlag Langewiesche-Brandt Ebenhausen-München und Leipzig. Der Herausgeber versah die sprachlich leicht den Lesegewohnheiten seiner Zeit angepassten Texte mit erklärenden Anmerkungen und ergänzte sie durch eine Ahnentafel sowie eine Chronik. Der Historiker Leopold von Ranke, einer der frühen Herausgeber der Briefe, urteilte über sie, sei seien zuweilen flüchtig hingeworfen worden, "unter ihnen sind aber auch viele, die, durch den Gegenstand geadelt, drastisch und treffend, auch im Ausdruck zu den besten gehören, die in deutscher Sprache geschrieben sind. Subjektiv ist Elisabeth Charlotte immer wahrhaft, denn in ihr ist kein Falsch."

Herausgeber C. Künzel, der dieses Zitat der hier genutzten Ausgabe voran stellt, bemerkt in einer Art Editorial, dass die von Hans F. Helmolt besorgte und zweibändige Ausgabe des Inselverlags Leipzig die wissenschaftlich treueste und zugleich diejenige ist, die das vollständigste vollkommenste Bild Liselottens zu geben vermag. Mit anderen Worten finden Interessenten in anderen Editionen viele weitere Informationen über das bewegte Leben der Liselotte von der Pfalz im Lichte ihrer umfangreichen Korrespondenz in deutscher Sprache, zu der auch einige französisch verfasste Schreiben gehören.

Aus den Briefen ergibt sich, dass die Bewohner des wie ein goldener Käfig fungierenden Schlosses von Versailles und der andern Paläste gut versorgt waren und nicht wie der große Rest des Landes hungern mussten. Aber ihr Leben im Schatten des Sonnenkönigs und immer auf der Hut vor seinen Häschern, Spitzeln und gedungenen Mördern dürfte alles andere als friedlich und freudvoll gewesen sein. Um die deutsche Sprache nicht zu verlernen, schrieb die Enkelin des pfälzischen Kurfürsten und unglücklich agierenden böhmischen "Winterkönigs" Friedrich von der Pfalz und Gemahlin von Philipp von Orleans, des Bruders von Ludwig XIV., in der Sprache ihrer Heimat und las auch fleißig in der deutschen Bibel, ihrem wichtigsten Buch, wie sie mehrfach betont. In ihre Briefe streut sie da und dort protestantische Kirchenlieder ein, und sie bedauert an anderer Stelle den hassvollen Kampf der Katholiken in Frankreich gegen die Protestanten oder, wie man sagte, Reformierten.

Lasterhaftigkeit und Bigotterie

Liselotte von der Pfalz, die unermüdliche Briefschreiberin, ließ sich durch Schicksalsschläge, Missgunst und zeitweiligen Entzug der königlichen Huld nicht klein kriegen und hat sich bis ans Ende ihrer Tage (1722) ihren besonderen Humor bewahrt. "Man kann einem alles nehmen, ausgenommen ein fröhliches Herz", schrieb sie 1689 in St. Cloud an ihre Tante, die Herzogin Sophie von Braunschweig-Lüneburg, an die sie die meisten Briefe richtete. An anderer Stelle stellt sie fest, sie wäre lieber ein Mann, dann hätte sie bessere Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten als sie ihr als Frau gewährt werden. Liselotte, deren Mann Philipp von Orleans Bruder des Sonnenkönigs war, weshalb sie am Hof ganz oben stand, machen die Kabalen und Querelen regelrecht rasant, sie durchschaut die Lasterhaftigkeit und die Bigotterie des Königs. Sie könnte vor Ärger "grittlig" werden, hält aber dennoch in "kindlicher Verehrung" zu ihm. Es verbittert sie, dass ihr Gemahl ihr aufgrund eines ungünstig verfassten Heiratsvertrags das ihr zustehende pfälzische Erbe vorenthält und Unsummen seinen Huren und "Buben" in den Rachen wirft und sich nicht um sie kümmert, sondern beim König schlecht macht. Mit den in den Briefen immer wieder erwähnten "Buben" waren männliche Prostituierte und/oder Sodomiten gemeint, wie man damals zu Homosexuellen sagte, weil es diesen Begriff noch nicht gab.

Dass im Schloss zu Versailles auch sonst viel Licht und Schatten war, erfahren wir aus ihren Briefen, wo sie sich über das "dolle Luderleben" ihres Sohns beklagt und nebenbei erwähnt, dass überall Bettwanzen ihr Unwesen treiben. Außerdem erfahren wir, mit welch zum Teil brachialen Mitteln Ärzte arbeiten, indem sie ihre hochadligen Patienten, allen voran den König, mit Klistieren und Aderlässen sowie mehr oder weniger giftigen Pülverchen traktieren. Sie selber hat mit Quacksalbern aller Art schlechte Erfahrungen gemacht und warnt ihre Briefpartner, sich in deren Hände zu begeben. Mit Blick auf eines von einer Verwandten ihr zugeschickten Pulver schreibt sie am 27. September 1715 "Keinem Doktor werde ich es nicht zu examinieren lassen. Außer Aderlassen, Purgieren (Reinigen), Klistieren, in Sauerbrunnen gehen und Eselsmilch trinken, brauchen sie (die Ärzte) nichts; auch findt man nichts bei den Apotheken, als was zum Purgieren und Klistieren nötig, sonst nichts."

Des Sonnenkönigs Geheimpolizei liest mit

Liselotte weiß, dass ihre Briefe von der Geheimpolizei des Königs mitgelesen werden und diesem mitgeteilt werden. Sie benutzt in ihrer Kritik an hochstehende Personen und an den Zuständen am Hof zu Versailles immer wieder drastische Worte, doch manchmal schreibt sie, was sie zu sagen habe, könne man nur unter vier Augen bereden. Manchmal leistet sie sich den Spaß, die Schnüffler in den "Schwarzen Kammern" durch erfundene Geschichten an der Nase herumzuführen. Wir erfahren aus den Briefen, dass am Hof zu Versailles Gift- und Raubmorde an der Tagesordnung sind. Hochstehende Persönlichkeiten verlieren von heut auf morgen ihr Leben, große Erbschaften oder einflussreiche Posten hinterlassend.

Der Berliner Kammergerichtsrat, Dichter und Musiker E. T. A. Hoffmann hat 1819 in seiner Novelle "Das Fräulein von Scuderi" beschrieben, wie das Land zur Zeit Ludwigs XIV. durch Mordanschläge mit Dolch und Gift in Aufregung versetzt wird. Zur Aufklärung der Serienmorde in Paris hat der König ein Sondergericht beruft, die Chambre ardente oder Cour de Poison (Glühende Kammer, Giftgerichtshof), in denen mit Beschuldigte mit Folter und glühenden Zangen zu Geständnissen gezwungen werden. Gerüchte machen die Runde, dass die Marquise de Montespan, die zeitweilig mächtige Geliebte des Königs, diesen mit gefährlichen Substanzen dazu bringt, ihn sexuell von sich abhängig zu machen und dazu zu bringen, dass er sie und nur sie allein liebt und allen anderen vorzieht. Die Redereien waren Gegenstand geheimer Untersuchungen durch die Polizei. Dabei ging es auch um die Frage, ob die Marquise de Montespan am Gifttod einer anderen Mätresse des Königs, Angélique de Fontanges, mitgewirkt zu hat. Am Ende wurde die Affäre vertuscht, und die Montespan blieb unbehelligt.

Spielsüchtige Maitresse en titre

Zeitweilig kam man an den König nur über die allmächtige Dame heran, und ihr hat die Briefschreiberin wohl zu verdanken, dass ihr Ansehen am Hof, obwohl eng mit dem König verwandt, nicht das Beste war. "Die Montespan hatte eine weißere Haut als die La Vallière, sie hatte einen schönen Mund und schöne Zähne, aber sie hatte ein dreistes Wesen. Man sah ihr am Gesicht an, dass sie stets irgendeinen Plan hatte. Sie hatte schöne blonde Haare, schöne Hände, schöne Arme, was die La Vallière nicht hatte, aber diese war sehr reinlich und die Montespan eine unsaubere Person." Die Marquise muss eine geistreiche Salondame gewesen sein, ein dummes Betthäschen hätte der allmächtige König auch nicht lange bei sich geduldet. Sich selbst verglich sie mit der griechischen Göttin der Weisheit und des Kampfes Athénaïs, weshalb man sie auch Athénaïs de Montespan nannte. Liselotte sieht die Montespan als eine launenhafte Kreatur, "die sich in nichts beherrschen konnte, jegliche Art von Vergnügen liebte, sich langweilte, mit dem König allein zu sein; sie liebte ihn nur aus Eigennutz und Ehrgeiz und kümmerte sich sehr wenig um ihn selbst". Die Verschwendungs- und Spielsucht der "Maitresse en titre" kostete den Ludwig XIV. Unsummen. Sie loszuwerden, fiel dem Herrscher nicht leicht, sie hatte zu viel gegen ihren königlichen Geliebten und Vater von acht illegitimen Kindern mit ihm in der Hand. Liselotte begleitet genüsslich den unaufhaltsamen Abstieg der Rivalin.

Für eine andere Favoritin Seiner Majestät, Françoise d'Aubigné und ab 1688 Marquise de Maintenon, hat Liselotte nur Verachtung übrig. In ihren Augen ist dem König unstandesgemäß und heimlich zur "linken Hand" (morganatisch) angetraute Dame nichts anderes als eine "alte Zott, Hutzel, alt Weib, Teufel, Rumpelpompel, Kunkelkunkel, Sonnenfinsternis". Als die letzte Geliebte des Herrschers 1719 "verreckt", ein Jahr vor ihr, befindet Liselotte: "Es wäre ein groß Glück gewesen, wenn das vor etlich und dreißig Jahren geschehen wäre. Von der allmächtigen Dame will ich nichts sagen als nur, dass sie alle Weis und Wege sucht, mich bös zu machen, um Ursach zu haben, über mich beim König zu klagen." Sie schreibt das am 23. März 1709 an ihre Tante, die Kurfürstin Sophie von Hannover, in der Gewissheit, dass "die Dame" alles wissen will, "was in meinen Briefen steht, also kann sie ihre Partei darauf nehmen."

Sohn in liederlicher Gesellschaft

Auch mit ihrem eigenen Sohn Herzog Philipp II. von Orleans, der 1715 nach dem Tod Ludwigs XIV. bis 1723 die Regentschaft für dessen fünf Jahre alten Urenkel ausübte und nach dem ein Kunststil, die Régence als Übergang vom Barock zum Rokoko, benannt ist, hatte Liselotte ihre Not. Auch er verschleudert das Geld anderer Leute, statt sich um die Sanierung der am Boden liegenden Finanzen zu kümmern. Doch kommt er in den Augen seiner Mutter gegenüber anderen Unholden am Hof besser weg. "Er liebt den Krieg und versteht die Sach, er liebt weder Jagen, Schießen und Spielen, aber er liebt alle freien Künste und über alles die Malerei und Gemälde, worauf er sich, wie die Maler sagen, sehr wohl verstehet; [...] er liebt die Musik und liebt die Weiber; ich wollte, dass dies ein wenig weniger wäre, denn er ruiniert sich und seine Kinder mit, und es bringt ihn oft in gar zu liederliche Gesellschaft , die ihn von allem Guten abhält."

Dass die Plünderungen und Mordbrennereien französischer Soldaten in ihrer Heimat, der Pfalz, von ihrem Schwager, dem Sonnenkönig, damit begründet wurde, er wolle nur Liselottes Erbansprüche durchsetzen, hat unsere Briefschreiberin besonders in Rage versetzt. Sie sieht ihren guten Namen missbraucht, "um die armen Leute ins äußerste Unglück zu stürzen. Und wenn ich darüber schreie, weiß man mirs gar groben Undank und man protzt mit mir darüber", schreibt sie am 20. März 1689 an ihre Tanze Herzogin Sophie von Braunschweig-Lüneburg, die spätere Kurfürstin von Hannover, und fährt fort: "Sollte man mir aber das Leben darüber nehmen wollen, so kann ich doch nicht lassen, zu bedauern und zu beweinen, dass ich sozusagen meines Vaterlands Untergang bin." Der Beschuss von Mannheim, "welches der Kurfürst, mein Herr Vater selig, mit solchem Fleiß hat bauen lassen; das macht mit das Herz bluten", schreibt sie an anderer Stelle.

Plünderungen und Mordbrennereien in der Pfalz

Über Verwüstungen, Plünderungen und Morde in der Pfalz, die im späten 17. Jahrhundert auf das Konto der von Ezéchiel du Mas, Comte de Melac, geführten Soldaten gingen, wird bis heute in Heidelberg und an anderen Orten erzählt. Ludwig XIV. fühlte sich berechtigt, in das Kurfürstentum einzufallen, weil sein Bruder mit Liselotte von der Pfalz verheiratet war. Das war ein vorgeschobener Grund, denn die Tochter des Kurfürsten Karl II. erhob keine Ansprüche. Nach Karls Tod im Jahr 1685 und dem Wechsel der Kurwürde auf die Linie Pfalz-Neuburg erhob der machtgierige Sonnenkönig Ansprüche auf das Gebiet, was aber von dem in Regensburg tagenden Reichstag abgelehnt wurde. Im darauf folgenden Pfälzischen Erbfolgekrieg wurden Mannheim und Heidelberg, die Haupt- und Residenzstadt der Kurpfalz, von Truppen des Mordbrenners Melac belagert und zerstört.

Das Heidelberger Schloss als Bollwerk der Pfälzer Dynastie wurde bis auf Mauerreste zerstört, außerdem haben die Franzosen alle Städte und Dörfer in der Rheinebene weitgehend dem Erdboden gleichgemacht. Heidelberg wurde 1688 und 1693 von französischen Truppen eingenommen und dabei komplett verwüstet. Die Soldaten plünderten, was ihnen in die Hände fiel, und sie scheute sich auch nicht davor, die Särge in der kurfürstlichen Gruft aufzubrechen und nach kostbaren Grabbeigaben zu durchwühlen. Die grausige Szene wird auf einer Medaille von 1693 mit dem Kopf von Ludwig XIV. geschildert. Eine andere Medaille zeigt unter dem Motto "Denck Deutschland an den Friedensbruch", wie sich französische Truppen über die Festung Philippsburg sowie Heidelberg und Koblenz hermachen und sich an der Bevölkerung vergehen. Weitere Medaillen dokumentieren die Beschießung und Einnahme von verschiedenen Städten wie Mainz und Bonn. Nicht immer haben sich die Bewohner verteidigt, manche Städte ergaben sich aus Angst vor Repressalien freiwillig. Allerdings wurde ihre Hoffnung auf Schonung und Milde häufig enttäuscht, denn es gehörte zur Kriegführung auf allen Seiten, den Gegner auszurauben und nur verbrannte Erde zu hinterlassen.

Sich selber beschreibt Liselotte, alt geworden und kränkelnd, als fett, hässlich, runzlig und mit schwarzen Zähnen und einem "Bärenaffentatzengesicht", als Pagode und als Sancho Pansa, den dicken Begleiter des legendären Don Quichotte. Aber sie kennt die Unterschiede von äußeren und inneren Werten und lobt letztere bei sich. Den Gedanken, wegen empörender Zurücksetzung und Hassattacken durch die Mätressen des Königs in ein von einer Verwandten geleiteten Kloster zu gehen, schiebt sie bald wieder von sich, zumal der König diesen Plan verwirft, denn das hätte kein gutes Licht auf ihn geworfen. Königin von Frankreich möchte sie nicht sein, schreibt sie, aber etwas mehr Geld als das, welches ihr Schwager, der Sonnenkönig, ihr gnädigerweise zukommen lässt, hätte die gern, schon um Schulden abzutragen.

Begeisterte Münzen- und Medaillensammlerin

Dass die Herzogin von Orleans eine begeisterte Münz- und Medaillensammlerin ist, deutet sie in Briefen immer wieder an. Sie, die von ihrem eigenen Mann um ihr wohl nicht un-beträchtliches pfälzisches Erbe betrogen wurde, erfreut sich vor allem an goldenen Medaillen und an numismatischen Kuriositäten und Raritäten. Es könnte sein, dass unter ihnen auch solche waren, die der Sonnenkönig im Rahmen der zur Verherrlichung seiner eigenen Person geschaffe-nen "Histoire métallique" hat prägen lassen, und ganz bestimmt die Ausgaben, die sie selber fei-ern. In seinem Buch "Liselotte von der Pfalz Herzogin von Orléans. Eine fürstliche Münzsamm-lerin" (Verlag Gutenberg Melsungen 1987) hat Karl Kollnig anhand von Briefauszügen und an-deren Quellen den Versuch unternommen, den Inhalt der Münz- und Medaillensammlung zu rekonstruieren und auch zu erfahren, von wem Liselotte alte und zeitgenössische Prägestücke bekam, und was aus ihnen nach dem Tod der Besitzerin 1722 wurde. Weil sich kein Käufer fand oder der Erbe seinen Plan geändert hat, wurde die Sammlung der Bibliothek der Heiligen Gene-vieve zu Paris übergeben und kam später in die Abtei Sainte Genevieve. Im Lauf des 19. Jahr-hunderts hat man die Sammlung mit dem Cabinet des Médailles & Antiques der Bibliothèque Nationale in Paris vereint. Leider kann man dort befindliche Münzen und Medaillen nicht mehr der Sammlung der Liselotte von der Pfalz zuordnen. Was sie konkret enthielt, wird in den Briefen da und dort angedeutet. So werden zeitgenössische Medaillen wie die auf die preußische Königs-krönung von 1701, Schraubtaler und solche anlässlich des Besuchs von Zar Peter I. 1717 in Paris erwähnt. Erwähnt sei, dass die von Kollnig zitierten Auszüge in der originalen, heute schwer verständ-lichen Sprache und Orthographie wiedergegeben sind. Das Buch, das hier für die Serie "Alte Bücher neu gelesen" enthält an die Sprache um 1900 angepasste Fassungen. Die Medaillen aus dem späten 17. Jahrhundert zeigen, wie Franzosen die kurfürstliche Gruft im Heidelberger Schloss plündern. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Revolutionäre 1793 die Gräber des Sonnenkönigs und weiterer Monarchen und Familienangehöriger in der Kathedrale St. Denis bei Paris geöffnet und geplündert haben.

29. August 2020

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