Dass sich Frauen in die Politik, seit Urzeiten eine Domäne der Männer, einmischen, war im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Unding. Frauen gehörten nach damaliger Auffassung an den Küchenherd, hatten dem Mann untertan zu sein, Kinder zu bekommen und außerdem regelmäßig mit ihren Familien in die Kirche zu gehen. Ansonsten hatten sie zu schweigen und zu gehorchen. Bertha von Suttner, die am 10. Dezember 1905 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, verstieß in vieler Hinsicht gegen diese Regeln und Konventionen.
Geboren im Jahre 1843 als Tochter eines österreichischen Feldmarschall-Leutnants, gehörte Bertha Sophia Felicita Gräfin von Kinsky zwar zum österreichischen Hochadel. Doch zählte die Familie wegen einiger Lücken in der Ahnenreihe nicht zu jenen Kreisen, die am kaiserlichen Hof in Wien zugelassen waren, was für das junge, aufgeweckte Mädchen schmerzhafte Ausgrenzungen zur Folge hatte. Der Vater starb, bevor Bertha zur Welt kam. Die aus der Familie des deutschen Freiheitskämpfers Körner stammende Mutter war eine Spielerin und brachte fast das ganze Familienvermögen durch. So hatte die junge Bertha keine andere Wahl als selber Geld zu verdienen. Sie fand bei einem reichen Herrn von Suttner in Wien eine Stellung, wo sich eine Liebesbeziehung zwischen ihr und dem jüngsten Sohn Arthur anbahnte. Da die Eltern dieses "Verhältnis" missbilligten, musste Bertha die Familie verlassen. Sie nahm in Paris eine Stellung als Hausdame und Sekretärin bei dem schwedischen Erfinder des Dynamits und Unternehmer Alfred Nobel an. Als der spätere Stifter des Nobelpreises in seine Heimat zurückkehrte, fuhr Bertha nach Wien, heiratete heimlich Arthur von Suttner, verließ mit ihm Österreich und lebte mit ihm auf Einladung einer russischen Fürstin mehrere Jahre im Kaukasus. Hier wandte sich das Paar zunächst mit mäßigem Erfolg der Schriftstellerei zu.
Abrüstung und Völkerverständigung
Nach der Rückkehr nach Wien und Aussöhnung mit der Familie Suttner unternahmen Arthur und Bertha ausgedehnte Studienreisen durch ganz Europa. Nach und nach entwickelte sich die selbstbewusste Baronin zur Friedensaktivistin. Doch erst ihr 1889 veröffentlichter Roman "Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte" brachte ihr jenes Ansehen, das sie benötigte, um den damals noch recht ungewöhnlichen Gedanken der Abrüstung und Völkerverständigung zu popularisieren. Der Roman erschien vom 20. August bis 22. November 22. November 1892 Vorabdruck im SPD-Parteiorgan "Vorwärts", was ihm eine gute Verbreitung auch bei jenen Lesern sicherte, die nie auf die Idee gekommen waren, sich ein Buch zu kaufen, und sich ein solches auch angesichts ihrer elenden Lebenslage auch nicht leisten konnten. Unserer Serie liegt eine von Sigrid und Helmut Bock herausgegebene und mit einem Nachwort versehene Ausgabe im Verlag der Nation Berlin 2013 zugrunde. Die Literaturhinweise am Ende dieser Neuausgabe listen Bücher zum Leben, Werk und Nachleben der österreichischen Schriftstellerin und Friedensaktivistin auf.
Der Erfolg des in unzähligen Auflagen und vielen Übersetzungen verbreiteten Buches über eine durch den Krieg unglücklich gewordene Ehefrau und Mutter ermunterte die Autorin, die "Österreichische Gesellschaft für Friedensfreunde" und die "Deutsche Friedensgesellschaft" zu gründen und die Monatszeitschrift "Die Waffen nieder!" herauszugeben. Zu einer Friedensikone stilisiert, wurde Bertha von Suttner von den einen bewundert, von den anderen belächelt oder auch gehasst. Bei den Mächtigen ihrer Zeit stieß sie auf taube Ohren, denn die rüsteten auf, führten Eroberungskriege, eigneten sich Kolonien und Einflussgebiete an und schlugen Aufstände gegen die Besatzer blutig nieder.
Der 1889 veröffentlichte Roman "Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte" gilt als wichtigstes Antikriegsbuch vor Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" aus dem Jahr 1928, das furchtbare Erlebnisse auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs schildert. Die Autorin entlarvt darin, für ihre Zeit ungewöhnlich und provokant, die Schrecken des Krieges, die so gar nichts mit der üblichen Heroisierung ehrenvollen Sterbens für "Gott, Kaiser, König und Vaterland" zu tun haben. Klarer als viele andere Zeitgenossen erkannte sie, dass Kriege nichts anderes als Leid und Elend verursachen. "Die Religion rechtfertigt nicht den Scheiterhaufen, der Vaterlandsbegriff rechtfertigt nicht den Massenmord, und die Wissenschaft entsündigt nicht die Tierfolter", war sie überzeugt. Immer wieder forderte sie: "Darum ist es notwendig, dass überall dort, wo Friedensanhänger existieren, dieselben auch öffentlich als solche sich bekennen und nach Maßstab ihrer Kräfte an dem Werke mitwirken." Sie wusste, was kommen wird, wenn ein großer Krieg beginnt. "Wir sind im Besitze von so gewaltigen Vernichtungskräften, dass jeder von zwei Gegnern geführte Kampf nur Doppelselbstmord wäre. Wenn man mit einem Druck auf einen Knopf, auf jede beliebige Distanz hin, jede beliebige Menschen- oder Häusermasse pulverisieren kann, so weiß ich nicht, nach welchen taktischen und strategischen Regeln man mit solchen Mitteln noch ein Völkerduell austragen könnte."
Krieg dem Kriege
Die Schilderung der Massengräber und des Elends der Lazarette schockierte viele Menschen, brachte sie zum Nachdenken, rief aber auch Gegenkräfte auf den Plan. "Ich hatte das Buch geschrieben, um der Friedensbewegung, von deren beginnender Organisation ich erfahren hatte, einen Dienst zu leisten in meiner Art", schrieb die Autorin. Sie schilderte das Leben der Baronin Martha von Althaus, die in den Kriegen von 1859, 1864, 1866 und 1870/71 zwei Ehemänner und ihren Sohn verlor. Für die unglückliche Ehefrau und Mutter wurde klar, "dass der Schlachteneifer nichts Übermenschliches, sondern - Untermenschliches ist; keine mystische Offenbarung, sondern eine Reminiszenz aus dem Reich der Tierheit - ein Wiedererwachen der Bestialität." Im hinteren Teil ihres Antikriegsbuchs schildert sie die Reaktion auf die Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser mitten im deutsch-französischen Krieg von 1870/71. "Der Krieg, der jetzt gefochten wird, ist zu gewaltiger Natur, um nicht kriegerisch fortzuwirken. Auf der Seite der Besiegten hat er einen solchen Vorrat an Hass- und Rachesaaten ausgestreut, dass daraus eine künftige Kampfesernte hervorwachsen muss; und andrerseits hat er für den Sieger solche großartige umwälzende Erfolge zustande gebracht, dass dort eine gleich große Saat von kriegerischem Stolze aufgehen wird."
Bertha von Suttner, die in ihrem Buch als Martha von Althaus zu Wort kommt und das Kriegsgeschehen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert als Beobachterin und wegen des Schicksals ihrer Familienangehörigen auch als Betroffene miterlebt, hat so viel Schreckliches gesehen und ertragen, dass sie sich den feierlichen Befehl eines geliebten Mundes, wie sie schreibt, zu Eigen macht: "Falls ich früher sterbe, musst du übernehmen, für das Friedenswerk zu wirken." Sie fügt dem hinzu: "Wäre mir dieses bindende Geheiß nicht geworden, nimmer hätte ich es über mich gebracht, die Schmerzenswunden meiner Erinnerungen so schonungslos aufzureißen." In einem 1889 verfassten Epilog sieht die Ich-Erzählerin nach dem deutsch-französischen Krieg, wie beide Nationen in Kriegsgedanken schwelgen - das eine "im stolzen Rückblick auf die errungenen Siege, die andere in sehnender Erwartung einer bevorstehenden Revanche." Sie hofft, dass sich "hellwache" Leute durchsetzen, deren Schlachtruf und Losungswort "Krieg dem Kriege" ist, "das einzige Wort, welches noch imstande wäre, das dem Ruin entgegenrüstende Europa zu erlösen - heißt: ,Die Waffen nieder!' Allerorts" Die Autorin fügt hinzu, überall hätten sich Vereinigungen gebildet, die für dieses Ziel kämpfen. Sollte der Ernstfall eintreten, wäre das der "Untergang für alle", war sie überzeugt. In den damaligen Sozialisten und Sozialdemokraten in Deutschland und anderen Ländern sah sie ihre Verbündeten, und sie waren es ja auch, bis der Erste Weltkrieg begann und sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, mit dem deutschen Kaiser einen "Burgfrieden" schlossen und damit alle ihre Prinzipien über Bord warfen und damit auch Bertha von Suttner in den Rücken fielen.
Die Meinung vieler Leser fasste der russische Schriftsteller und Autor des berühmten Romans "Krieg und Frieden", Leo Tolstoi, in einem Brief an Bertha von Suttner mit folgenden, leider sehr optimistischen Worten so zusammen: "Ich schätze Ihr Werk sehr und denke, dass die Publikation Ihres Romans ein glückliches Vorzeichen ist. Die Abschaffung der Sklaverei wurde durch das berühmte Buch einer Frau, Mme. Beecher-Stowe, vorbereitet; Gott gebe es, dass die Abschaffung des Krieges durch das Ihre bewirkt wird!" Bertha von Suttner hatte mit ihrer zum geflügelten Wort gewordenen Forderung "Die Waffen nieder!" und ihrem Werben für Frieden und Abrüstung in pazifistischen, liberalen und linken Kreisen Erfolg und regte zur Gründung von Friedensgesellschaften an. Doch vermochten diese und weitere pazifistische Bewegungen praktisch wenig auszurichten, weil ihr Einfluss auf die Mächtigen der damaligen Zeit zu gering war. Mit ihrer Forderung, dem wachsenden Hass auf Juden in Österreich und in anderen Ländern Einhalt zu gebieten, geriet sie ins Visier eifernder Antisemiten. Viele ihrer Artikel, in denen sie die Hetze gegen Juden und ihre gesellschaftliche Ausgrenzung als Rückfall ins Mittelalter verurteilte, erhielt sie von den Redaktionen ungedruckt zurück.
Bertha von Suttner blieb es erspart zu erleben, wie ihr Lebenswerk in den Todesmühlen des Ersten Weltkriegs zunichte gemacht wurde. Sie starb am 21. Juni 1914, nur wenige Wochen vor dem Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin, durch den der bis dahin furchtbarste aller Kriege ausgelöst wurde. Sie musste auch nicht zusehen, wie sich Mitstreiter, etwa solche in der deutschen Sozialdemokratie, quasi von einem zum anderen Tag in blinde Kriegstreiber und Nationalisten verwandelten und dadurch mithalfen, dass ganze Völkerschaften auf den Schlachtfeldern verheizt wurden.
Der Nobelpreis wurde 1901 zum ersten Mal in Stockholm verliehen, und zwar an Wilhelm Conrad Röntgen (Physik), Jan van't Hoff (Chemie), Emil von Behring (Medizin) sowie R. F. A. Sully Prudhomme (Literatur). Der zeitgleich in Oslo vergebene Friedensnobelpreis, dessen Stiftung Bertha von Suttner angeregt hatte, ging an den Gründer des Roten Kreuzes Henri Dunant (Schweiz) und den Gründer der Interparlamentarischen Union Frederic Passy (Frankreich). 1969 stiftete die schwedische Reichsbank den Nobelpreis für Wirtschaftwissenschaften. Da Schweden und Norwegen im Jahr 1901 noch eine staatliche Union bildeten, wurde und wird der Nobelpreis zeitgleich in den beiden skandinavischen Hauptstädten verliehen, und zwar immer am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Der Chemiker, Industrielle und, was wenig bekannt ist, verhinderte Schriftsteller kam aus ärmlichen Verhältnissen, machte aber ein Vermögen unter anderem mit der Herstellung des von ihm erfundenen Dynamit. Der Sprengstoff war sowohl für die Rüstungsindustrie und das Militärwesen als den Bergbau und andere Wirtschaftszweige von größter Bedeutung. Von der Wirkung seiner Erfindung fasziniert und gleichzeitig erschreckt, legte Nobel in seinem Testament fest, dass aus den Erträgen seines riesigen Vermögens alljährlich fünf Preise an Persönlichkeiten verliehen werden, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben."
20. Februar 2021
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