"Diesen Karren hält kein Mensch mehr auf"
Die Berliner Eisenbahn-Könige August und Albert Borsig kümmerten sich im Unterschied zu anderen Fabrikanten um ihre Arbeiter



August Borsigs Grabmal gehört zu den eindrucksvollsten Erinnerungsstätten auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, nicht weit von der von ihm gegründeten Fabrik entfernt. Selbstbewusst schaut ein Schmied von der Fassade des von dem Unternehmen als Verwaltungssitz genutzten Borsighauses Chauseestraße 13 auf die Passanten herab



Die nach Plänen von Johann Heinrich Strack erbaute Borsig-Fabrik bestand nicht lange. Bereits 1887 wurde sie abgerissen, als sich die Firma auf neue Standorte in Moabit und in Schlesien konzentrierte. Auf dem Gelände entstanden Mietskasernen und ein Kaufhaus.



Ein Nachbau der bei Borsig gebauten Lokomotive BEUTH zieht im Deutschen Technikmuseum Berlin bewundernde Blicke auf sich.



Mit der Bahn von Berlin nach Potsdam zu fahren, war nicht nur schneller, sondern mit wenigen Silbergroschen auch recht preiswert.



Ein Relief vom Beuth-Denkmal auf dem Berliner Schinkelplatz, dem Humboldt-Forum gegenüber, schildert, wie August Borsig seinen Schmieden tatkräftig zur Hand geht.



Die Bild-Text-Tafel macht mit dem "Feuerland" genannten Industriegelände an der Chausseestraße damals noch am Rand von Berlin bekannt.



Das denkmalgeschützte Borsigtor in Berlin-Tegel wurde nach Plänen der Architekten Konrad Reimer und Friedrich Körte 1898 fertiggestellt. Statuen eines Schmieds und eines Gießers schmücken den Eingang zur Borsigschen Maschinenbauanstalt, die schon lange nicht mehr besteht. (Fotos/Repros: Caspar)

Der Berliner Fabrikant August Borsig wird meistens mit dem frühen Eisenbahnbau in Verbindung gebracht, dabei hat er wesentlich mehr als die schnaufenden Zugmaschinen geschaffen, denn er ging wegen seines damals nicht üblichen Engagements für seine Arbeiter und auch als Freund exotischer Pflanzen in die Geschichte ein. Ihm war nicht an der Wiege gesungen worden, dass er einmal einer der führenden Industriellen Preußens und Lokomotivkönig werden würde. Am 23. Juni 1804 in Breslau als Sohn eines Zimmermanns geboren, erlernte er den Beruf seines Vaters, doch er wollte Baumeister werden, und er hatte auch alle Möglichkeiten, um in diesem Fach zu reüssieren. Als junger Mann kam er nach Berlin, und es dauerte nur wenige Jahre, bis er seine eigene Maschinenbauanstalt und Eisengießerei aufmachen konnte. Eine Gedenktafel an der Chausseestraße 1 im Bezirk Mitte erinnert: "August Borsig (1804-1854) gründete 1837 auf diesem Gelände eine der bedeutendsten Maschinenbauanstalten Deutschlands und gab damals der industriellen Revolution einen wichtigen Impuls".

Von der Borsig'schen Fabrik ist nichts mehr zu sehen. Sie wurde bereits wenige Jahrzehnte nach ihrem Bau beseitigt, und auch vom Borsig'schen Standort in Moabit sind nur noch Abbildungen und einige Steinrelikte erhalten. Das weitläufige Borsiggelände in Tegel hingegen mit zahlreichen Fabrikhallen und Verwaltungsgebäuden wurde von Nachfahren des Firmengründers errichtet. Das Deutsche Technikmuseum Berlin erinnert mit Gemälden, Skulpturen sowie Dampfmaschinen und Lokomotiven an den innovativen und wagemutigen Industriellen, der sich mit seinem Einsatz für die sozialen Belange seiner Arbeiter, so weit das damals möglich war, positiv von vielen anderen Fabrikherren des frühen Industriezeitalter unterscheidet. Prunkstück der Ausstellung ist Borsigs 24. Lokomotive, die mit ihrem Namen BEUTH an den Direktor des Königlichen Gewerbeinstituts Peter Christoph Beuth, der großen Anteil an der Industrialisierung Preußens und Deutschlands hatte und mit dem Borsig auch intensive geschäftliche Beziehungen unterhielt.

Zug der Zeit war nicht mehr aufzuhalten

Die Fabrikgründung, für die Borsig mit 10 000 Talern sein bei dem Maschinenbauer Egells verdientes Vermögen einsetzte, fiel in eine überaus günstige Periode. Das Eisenbahnzeitalter war angebrochen. Während der in Ehren alt und grau gewordene preußische König Friedrich Wilhelm III. auf dem Standpunkt stand und sich damit fundamental irrte, Eisenbahnen würden nicht gebraucht und es sei doch egal, wie schnell man von Berlin nach Potsdam komme, vertrat der Kronprinz und ab 1840 König Friedrich Wilhelm IV. viel realistischer und zukunftsorientierter den Standpunkt: "Diesen Karren, meine Herren, der durch die Welt rollt, hält kein Mensch mehr auf". In der Tat war der Zug der Zeit in die Zukunft nicht mehr aufzuhalten, und so wurde 1838 die Eisenbahnstrecke Berlin-Potsdam ungeachtet von Unkenrufen mancher Kritiker und Mäkeleien über die geringe Geschwindigkeit der ersten Züge eröffnet.

Mit der Eisenbahn zu fahren, wurde schnell populär, und bald verstummten auch die Nörgler und Schwarzseher. Der von der preußischen und anderen Regierungen voran getriebene Ausbau des Verkehrsnetzes hatte, nebenbei gesagt, eine wichtige militärpolitische Seite, denn in Not-, Krisen- und Kriegszeiten konnten auf der Schiene sehr schnell Truppen und Geschütze von einem Ort zum anderen verlegt werden, was sich dann auch bei der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 sowie in den deutschen Einigungskriegen von 1864, 1866 sowie 1870/71 bewähren sollte.

Englische Vorbilder nachgebaut

August Borsig hat nie seine Herkunft aus dem Handwerkerstand verleugnet und fühlte sich als Prinzipal seinen Arbeitern auf besondere Weise verbunden. Indem er ihnen bei der Lösung sozialer Fragen half und für ein erträgliches Betriebsklima sorgte, betrat er Neuland und hob sich positiv von anderen Fabrikbesitzern ab, die ihre Arbeiter oft nur als Mittel zur Erzeugung von Profit betrachteten und sich ansonsten um ihre Belange nicht kümmerten. Borsig bezahlte seine Arbeiter im Durchschnitt besser als es Kollegen in anderen Fabriken vergönnt war, und er setzte die Arbeitszeit von 13 auf zwölf Stunden herab. Dass er das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden verstand, zeigen nicht nur viele in seinem Werk hergestellte Produkte, sondern auch seine von Meistern ihres Fachs geschaffenen Fabrik-, Verwaltungs- und Wohnbauten sowie die von ihm so geliebten Gärten, in die er exotische Gewächse pflanzen ließ.

August Borsig hatte sich der Regierung durch Lieferung von 116 200 Schrauben zum Bau der Gleisanlagen zwischen Berlin und Potsdam bestens empfohlen und stieg nun kräftig ins Eisenbahngeschäft ein. Anfangs fuhren die Züge mit Lokomotiven, die man teuer aus England und sogar Amerika importiert hatte. Dem Unternehmer fiel zunächst nur die Aufgabe zu, die ziemlich reparaturanfälligen Lokomotiven auszubessern. Das war nicht gerade attraktiv und innovativ, erlaubte aber ihm und seinen Mitarbeitern, deren Konstruktion und jede Bauteil genau zu studieren. So war es auch nicht mehr nötig, Werkspionage in England, der damaligen Werkstatt der Welt, zu betreiben, denn man konnte sich in aller Ruhe zu Hause ein Bild machen und Verbesserungen vornehmen. Was lag also näher, eine eigene Lokomotive zu bauen, die erste in Deutschland.

Wettfahrt von Berlin nach Jüterbog

Die Maschine, die Borsigs Namen erhielt, war 1841 fertig, und sogleich stellte Borsig sie bei einer Wettfahrt zwischen Berlin und Jüterbog mit einem englischen Modell auf die Probe. Der Chronist Ludwig Rellstab beschrieb, dass Borsig dabei ziemlich mulmig zumute war: "Oft haben wir aus dem Munde des berühmten Industriellen selbst gehört, wie ihm das Herz geschlagen, der Angstschweiß die Stirne befeuchtet habe, bei der ersten Versuchsfahrt der Maschine. Als sie aber eine nicht unerhebliche Steigerung glücklich überwand, da sah er, dass seine Beharrlichkeit gesiegt hatte. ,Und nun', sagte er, ,war ich aller Sorgen los und ledig".

Mit Borsigs Unternehmen ging es von nun an aufwärts. Die an der Kirchstraße in Moabit 1836 eingerichtete Maschinenbauanstalt der Preußischen Seehandlung wurde, nachdem sie sich als unrentabel erwiesen hatte, 1850 an ihn für 130 000 Taler verkauft. Damit begann eine wichtige Phase in der Firmengeschichte. Lange waren Borsig und andere Maschinenbauer von teuren Eisenimporten aus England abhängig. Sie schmälerten den Gewinn und damit die Mittel für neue Investitionen. Das Moabiter Eisenwerk verarbeitete Roheisen, Gusseisen, Schrott und andere Erzeugnisse aus diesem Metall zu Schmiedeisen. Hier wurden auch Gussstücke, Eisenbahnschienen, Schrauben, Bleche, Stabeisen und andere Erzeugnisse gefertigt. Die dafür nötigen Eisenhämmer wurden von 15 Dampfmaschinen in Bewegung gehalten. Außerdem standen Öfen zur Verfügung, um das Metall zu glühen, ehe man es verformen konnte. Eine Schmiedepresse übte den gewaltigen Druck von 800 Tonnen aus. Auf ihr wurden unter anderem Achsbuchsen für Lokomotiven hergestellt.

In einer Beschreibung der "Gartenlaube" von 1867 wird das, was sich in der durch Oberlichter erhellten Werkhalle tat, als "wunderbares Treiben" beschrieben. Der Berichterstatter spricht aber auch von furchtbarem Lärm, welchen diese Maschinen hervorbringen. Er werde zuweilen übertönt, "wenn, unter massenhaftem Funkenregen, die Kreissäge ihre Arbeit beginnt. Man glaubt dann für einen Augenblick, dass alle Lärmgeister der Hölle losgelassen seien". Borsig ließ hier alles Notwendige für Eisenbahnen und Verkehrswege herstellen - Schienen, Weichen, Konstruktionselemente für Brücken und Gebäude, Schiffsschrauben und komplette Schiffmaschinen und vor allem Dampfmaschinen und Dampfkessel. Einen großen Anteil bei den Staatsaufträgen nahmen überdies Lieferungen für das preußische Militär ein. Darunter befanden sich Seeminen, Torpedos und andere Geschoss.

Dampfmaschine für Fontäne in Sanssouci

August Borsig hat sich nicht nur um Lokomotiven verdient gemacht hat, denn auch hochwertige Dampfmaschinen und andere Erzeugnisse kamen aus seinem Unternehmen. So wurden schon 1841 die Wasserspiele und Fontänen im Potsdamer Park Sanssouci durch eine als maurische Moschee drapierte Pumpstation versorgt. Die aus einer Kuppelhalle für eine 81,4 PS-Dampfmaschine der Firma Borsig und einem Minarett als Schornstein bestehende Anlage leitete das Wasser durch Rohre in das Bassin auf dem Ruinenberg hinter dem Schloss Sanssouci. Mit dem von hier wieder abgeleiteten Wasser schaffte am 22. Oktober 1842 die Große Fontäne unterm Schloss Sanssouci einen 38 Meter hohen Strahl, und der König war mit seinem Hofstaat begeistert. Solch ein Wunder hatte Friedrich II., der Große, knapp ein Jahrhundert zuvor trotz des Einsatzes von sehr viel Geld nicht zustande gebracht! Die Pumpe im Wasserwerk an der Breiten Straße in Potsdam wird heute nicht mehr durch die alte Dampfmaschine, sondern einen Dieselmotor angetrieben. Vermerkt sei, dass das Unternehmen auch für die Konstruktion der Kuppeln der Potsdamer Nikolaikirche und des Berliner Schlosses verantwortlich war, was ihm zusätzliches Renommee beim König eintrug.

12. Juli 2022

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