Hausbesuch bei Rosa Luxemburg
Claudia von Gélieu lädt zu einer biografischen Tour quer durch Berlin ein



Vor dem ehemaligen Verlagsgebäude des Neuen Deutschland am Franz-Mehring-Platz unweit des Ostbahnhofs steht das von Rolf Biebl geschaffene Denkmal von Rosa Luxemburg, flankiert von zwei Stelen der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger mit Bildnissen von Karl Liebknecht und Mathilde Jacob. In ihrem Buch führt Claudia von Gélieu hierher und zu vielen anderen Gedenkorten in Berlin.



Ein Denkzeichen erinnert vor und neben der Volksbühne an Rosa Luxemburg. Es besteht zahlreichen Schrifttafeln, die kreuz und quer in den Boden eingelassen sind. Der Entwurf stammt von dem in New York lebenden Bildhauer und Konzeptkünstler Hans Haacke. Die Sätze stammen aus Luxemburgs Briefen und politischen Schriften, man findet Forderungen wie die nach einer erträglichen Rente für Arbeiter und Arbeiterinnen ab 60 Jahre oder Teilhabe des Volkes an parlamentarischen Entscheidungen, aber auch private Äußerungen. Selbstverständlich zitiert das Denkzeichen auch die berühmte Forderung von 1918 "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden".



An der Stelle, wo auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde das von Ludwig Mies van der Rohe gestaltete Revolutionsdenkmal stand, erinnert das Relief an Liebknecht, Luxemburg und weitere Kämpfer der deutschen Arbeiterbewegung, die hier bestattet wurden. Am U-Bahnhof Potsdamer Platz steht der Sockel eines niemals aufgestellten Liebknechtdenkmals.



Die Stelle, an der die ermordete Rosa Luxemburg aus dem Landwehrkanal gezogen wurde, ist durch ein in Lauchhammer gegossenes Denkzeichen markiert.



Im Hotel Eden mit der Adresse Kurfürstendamm 246 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg brutal gefoltert und am 15. Januar 1919 ermordet.



Prominente aus der deutschen Arbeiterbewegung und hohe DDR-Funktionäre sind auf und neben der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde bestattet. Die Platte ehrt Rosa Luxemburg, daneben Karl Liebknecht. In DDR-Zeiten wurden hier schaurige Gedenkkundgebungen veranstaltet.



Die DDR widmete 1971 dem vor hundert Jahren geborenen Karl Liebknecht und seiner gleichaltrigen Kampfgefährtin Rosa Luxemburg eine Gedenkmünze zu 20 Mark. (Fotos/Repros: Caspar)

Die "führenden Persönlichkeiten" in der DDR hatten ein gespaltenes Verhältnis zu den Gründern der Kommunistischen Partei Deutschlands, namentlich zu Rosa Luxemburg, die am 15. Januar 1919 mit Karl Liebknecht von rechtsradikalen Offizieren ermordet wurde. Zwar fanden jeweils im Januar am Jahrestag dieser Bluttaten Kundgebungen auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde statt. Aber so richtig ernst nahm man im Arbeiter-und-Bauern-Staat das nicht, was die beiden Köpfe der deutschen Linken gesagt und geschrieben haben. Namentlich der Ausspruch von Rosa Luxemburg aus dem Jahr 1918 "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" erregte den Zorn der SED-Führung. Wer sich auf sie berief, bekam es mit der Staatssicherheit und Justiz zu tun.

Rosa Luxemburg sah in ihrem unvollendeten Manuskript, in dem sie sich mit Lenin und der russischen Revolution auseinandersetzte, voraus, dass es zu nichts Gutem führen kann, wenn eine Partei, eine Gruppierung von sich behauptet, allwissend zu sein und, stets das Wohl des Volkes im Blick, für alle anderen entscheiden zu dürfen und keinen Widerspruch duldet. Dass das von Übel ist, sah die Politikerin in ihren letzten Lebensmonaten am Beispiel Sowjetrusslands, wo die von Lenin geführte Bolschewiki ihre Alleinherrschaft etabliert hatten und alle ausschalteten, die ihr diesen Anspruch streitig machten.

Bei der Begründung ihrer Repressionsmaßnahmen hatten Ulbrichts, Honeckers und Mielkes Häscher einige Mühen, beriefen sich die Verhafteten doch auf eine Ikone der kommunistischen Bewegung. In einem "Aufruf an alle Bürger der Stadt Leipzig" betonten Bürgerrechtler im Januar 1989 unter Hinweis auf Liebknecht und Luxemburg, beide Arbeiterführer seien für die allumfassenden politischen und ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse eingetreten, "so auch für ein ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben, für eine ungehemmte Presse, für allgemeine Wahlen und den freien Meinungskampf. Menschen, die dieses Vermächtnis unter Berufung auf die Verfassung unseres Landes nach 40 Jahren DDR-Geschichte in Anspruch nehmen, werden immer wieder kriminalisiert", lautete die Kritik der Opposition. Selbstverständlich erhielt die Stasi von dem Aufruf und ähnlichen Aktivitäten Kenntnis. Ihr Minister Erich Mielke sah in ihnen eine organisierte politische Provokation, "die darauf abzielt, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche erheblich zu belasten."

Geliebt und gefürchtet

Die von den einen geliebte, von anderen gefürchtete Mitbegründerin der KPD erfuhr im Sommer 2006 auf dem Luxemburgplatz in Berlin-Mitte eine ungewöhnliche Ehrung nicht durch eines der üblichen Standbilder aus Marmor oder Bronze, sondern durch eine über die ganze Fläche verteilte Serie von Inschriften, die in den Boden eingelassen sind. Das von dem Bildhauer Hans Haacke gestaltete und aus zahlreichen Zitaten der Politikerin bestehende Denkzeichen vor der Volksbühne lässt sich nicht sofort auszumachen. Man muss sich die Mühe machen, die in den Boden eingelassenen Aussprüche zu finden. Unter ihnen sind diese: "Unser herrschender ,Marxismus' fürchtet leider jeden Gedankenflug wie ein alter Gichtonkel" oder "Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage".

Diese und weitere Erinnerungszeichen und Gedenktafeln sowie verschiedene Wohnorte und Wirkungsstätten hat Claudia von Gélieu in ihrem reich illustrierten Buch "Rosa Luxemburg in Berlin. Ein biografischer Stadtführer" (Karl Dietz Verlag Berlin 2021, 136 Seiten, ISBN 978-3-320-02380-5, 6 Euro) erfasst und beschrieben. Wer sich für Berlin und seine Geschichte vor und nach 1900 und insbesondere für die der deutschen Arbeiterbewegung interessiert, ist mit diesem Buch im handlichen Westentaschenformat an der richtigen Adresse. Die Verfasserin führt zu Berliner Wohn- und Wirkungsstätten der 1871 im polnischen Zamosc geborenen Rosa Luxemburg und erwähnt auch, wo überall in der Stadt verteilt Gedenktafeln und Denkzeichen an sie und Kampfgenossen und Kampfgenossinnen erinnern. Eine Berlin-Karte und ein Ortsregister helfen bei der Orientierung und regen an, sich quer durch Berlin auf den Weg zu machen.

Das Buch bringt uns die KPD-Gründerin politisch und menschlich nahe, denn viele Leserinnen und Leser werden von ihr sicher nur den viel zitierten Satz von der Freiheit der Andersdenkenden kennen und wissen, dass sie Anfang 1919 ebenso wie Karl Liebknecht von rechtsradikalen Offizieren bestialisch ermordet wurde. Jetzt aber werden wir klüger, denn die Autorin schildert, von Haus zu Haus gehend, das Leben der linken Politikerin, die mehrere Liebesbeziehungen mit Männern ihres Vertrauens und gleicher politischer Ausrichtung hatte, sich mit ihnen aber ihren Kinderwunsch nicht erfüllen konnte.

Die streitbare Autorin in SPD-Blättern und kämpferische Rednerin auf Veranstaltungen der Sozialdemokraten mochte es, ab 1898 in der von ihr anfangs als hassenswert empfundenen Reichshauptstadt mit gefühlt einer Million stocksteif daher stolzierenden Soldaten und Offizieren lebend, zuhause gutbürgerlich und gemütlich mit Plüschsofa, Häkeldeckchen, Blumen auf dem Balkon und Vogelgezwitscher im Park. Wenn sie Zeit hatte, sammelte sie Pflanzen und klebte sie in Herbarien ein. Sie wohnte in Berlins besseren Vierteln, kaufte preiswert bei Wertheim dezente Kleidung, ging gern in Konzerte und fühlte sich von der politischen Polizei beobachtet. Als sie es sich als Redakteurin, Chefredakteurin und Rednerin in der Parteischule leisteten konnte, stellte sie Hausmädchen ein.

Die Verfasserin, die über Frauengeschichte forscht und zu Berlin-Führungen einlädt, macht deutlich, dass manch ein SPD-Genosse von Rosa Luxemburgs selbstbewussten Art, sich zu behaupten und klug zu argumentieren, nicht begeistert waren, denn Frauen in Politik und Arbeiterbewegung - das war in der von Männern dominierten Partei ein schwer zu ertragender Gedanke. Rosa Luxemburg muss eine humorvolle Frau gewesen sein, die mit den "verdammt langen" Sitzungen in Parteigremien nichts am Hut hatte. Sie nannte diese Zusammenkünfte der Parteikanaillen bis tief in die Nacht gegenüber Clara Zetkin einen "Froschmäusekrieg", doch könne sie sich ihnen nicht entziehen, niemand würde das verstehen. Viel lieber organisierte sie Kundgebungen, so auch welche zur Erlangung des Wahlrechts für Frauen. Luise Kautzky, die Vertraute und langjährige Freundin, bewunderte an ihr den Zauber ihres Wesens, ihre Fähigkeit, sich in die Stimmung anderer einzufühlen, ihren sprudelnden Witz, ihre Heiterkeit und ihr klares und verständiges Urteil.

Immer wieder legte sich Rosa Luxemburg mit den Obigkeiten, sie wurde mehrfach verhaftet und ins Gefängnis gesteckt sowie von Spitzeln verfolgt. Sie vertrat mutig ihren Standpunkt und geißelte die kaiserliche Klassenjustiz sowie den Missbrauch von Soldaten für die imperialistische Zwecke. Mehrfach wegen ihrer politischen Arbeit ins Gefängnis gesteckt, hat sich Rosa Luxemburg diese ihre Grundhaltung nie nehmen lassen. Kurz vor ihrer Ermordung schrieb sie in KPD-Zeitung "Rote Fahne", wenn die bürgerliche Presse "Ordnung herrscht in Berlin!" verkündet, dann antwortet sie: "Eure Ordnung ist auf Sand gebaut, die Revolution wird sich morgen schon rasselt wieder in die Höhe richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenschlag verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein."

Immer wieder legte sich Rosa Luxemburg mit den Obigkeiten, sie wurde mehrfach verhaftet und ins Gefängnis gesteckt sowie von Spitzeln verfolgt. Vor den Gerichten vertrat sie mutig ihren Standpunkt und geißelte die kaiserliche Klassenjustiz sowie den Missbrauch von Soldaten für die imperialistische Zwecke. Letzter Höhepunkt ihrer politischen Laufbahn war die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands im Preußischen Abgeordnetenhaus Ende 1918, gefolgt im Januar 1919 von bewaffneten Auseinandersetzungen mit den an die Macht gelangten Sozialdemokraten und ihren uniformierten Helfern von ganz rechts. Diese gaben die "rotes Flintenweib" verunglimpfte Politikerin zum Abschuss im wahrsten Sinne des Wortes frei. Die Jagd auf Liebknecht und Luxemburg endete im Hotel Eden, wo man sie folterte und ermordete, weil es angeblich der "Volkszorn" so wollte. Auch darüber berichtet Claudia von Gélieu in ihrem ebenso lesens- wie beherzigenden Buch.

24. Mai 2022

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