Mit Stentorstimme für den Frieden
Denkmal des von Gerhard Marcks geschaffenen "Rufers" steht auf der Straße des 17. Juni im Berliner Tiergarten



Der Rufer schreit auf der Straße des 17. Juni seine Botschaft laut in die Welt und fordert sie auf, endlich Frieden herbei zu führen.





Die Öffnung der Berliner Mauer und des Brandenburger Tors stand im November 2019 im Mittelpunkt von Feierlichkeiten. Dazu gehörte eine Art fliegender Teppich mit bunten Streifen, auf denen die Berliner ihre Wünsche für heute und die Zukunft geschrieben haben. Der Rufer blickt auf das Brandenburger Tor im Hintergrund. Die Tafel am Straßenrand schildert die Geschichte der von Gerhard Marcks geschaffenen Skulptur. btst



Ziemlich schnell verschwand nach dem 9. November 1989 die halbrunde Mauer und Panzersperre auf der Rückseite des Brandenburger Tors.



Die monumentale "Goldelse" blickt, auf der Spitze der Siegessäule stehend, bis an die Berliner Stadtgrenze.





Da sich die zum Charlottenburger Tor gehörenden Bronzedenkmäler des ersten preußischen Königs Friedrich I. und seiner Gemahlin Sophie Charlotte in einem vergleichsweise guten Zustand befanden, mussten sie 2016 nur gereinigt werden. (Fotos: Caspar)

Auf dem Weg vom Brandenburger Tor zum Sowjetischen Ehrenmal auf der Straße des 17. Juni kamen dieser Tage viele Menschen an der Bronzefigur des "Rufers" vorbei. In der Nähe ist eine Gedenktafel aufgestellt, in der in Bild und Schrift über dieses anrührende und aufrüttelnde Denkmal berichtet wird. Auf einem einfachen Sockel steht in der Straße des 17. Juni die von Gerhard Marcks im Jahr 1967 geschaffene Bronzefigur des Rufers. Der Mann in langem Gewand läuft laut schreiend in Richtung Brandenburger Tor. Er hat die Hände an den weit aufgerissenen Mund gelegt, um die Lautstärke seiner Worte zu erhöhen. Bei der überlebensgroßen Plastik handelt es sich um einen Nachguss einer Skulptur, die der Bildhauer für den Sender Radio Bremen geschaffen hatte. Mit dieser Figur wollte er das Recht des Menschen auf Meinungs- und Redefreiheit bekunden und auf die älteste und einfachste Form der Kommunikation, das Sprechen und Rufen, hinweisen, was ihm hervorragend gelungen ist.

Freiheit ist unser Auftrag

Im Mai 1989 wurde die Figur zum einhundertsten Geburtstag des Künstlers nicht weit von der Mauer aufgestellt, die wenige Wochen später, am 9. November 1989, fiel. Das Motiv lehnt sich an die Gestalt des Stentor aus der Ilias an, von dem gesagt wird, er habe mit seiner kräftigen Stimme 50 Männer übertönt. Bei der Aufstellung des Mannes mit der sprichwörtlichen Stentorstimme wurde am Sockel eine Tafel mit der Inschrift "Ich gehe durch die Welt und rufe Friede Friede Friede" angebracht. Das Motto geht auf den italienischen Renaissancedichter Petrarca zurück.

Ein paar hundert Meter vom "Rufer" in Richtung Siegessäule entfernt stand lange Zeit ein bescheidenes Mauerdenkmal in Form einer drei Meter langen Nachbildung aus Hohlblocksteinen der am 13. August 1961 vom SED-Regime zur Verhinderung weiterer Flüchtlingsströme in den Westen errichteten Grenzbefestigung. Warum diese Erinnerungsstätte mit den Inschriften "Den Opfern der roten Diktatur" und "Eure Freiheit ist unser Auftrag" auf beiden Seiten beseitigt wurde, kann nicht gesagt werden. Auf der Tafel unweit des "Rufers" ist zu lesen, dass es von ihm außer in Bremen und Berlin noch vier Abgüsse in Frankfurt am Main sowie im australischen Perth und in Privatbesitz gibt.

Vom Stadtschloss zum Schloss Charlottenburg

Die Straße des 17. Juni, die die Berliner umgangssprachlich "der 17. Juni oder am 17. Juni genannt wird und Ort zahlreicher politischer, kultureller und sportlicher Großereignisse ist und daher mehrmals im Jahr für den Autoverkehr gesperrt ist, hieß ursprünglich Charlottenburger Chaussee und diente als Verbindungsweg vom Berliner Stadtschloss nach dem von ihm errichteten Schloss Lietzenburg, das nach dem Tod der Königin Sophie Charlotte 1705 in Charlottenburg umbenannt wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Straße in eine Ost-West-Achse umgestaltet. Auf halbem Weg erhebt sich in der Mitte des "Großen Sterns" die Siegessäule, die auf Veranlassung von Hitler und seines Stararchitekten Speer vom Königsplatz vor dem Reichstagsgebäude, heute Platz der Republik, dorthin, um einige Meter erhöht und auf einen neuen Sockel stehend, umgesetzt wurde.

Der Name der Straße des 17. Juni erinnert an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953, der von sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde. Am 13. August 1961 wurde das Brandenburger Tor abgeriegelt, Berlin wurde auf Befehl der SED und der sowjetischen Führung durch eine Mauer geteilt. Die Grenzbefestigungen zwischen Ost- und Westberlin sowie zwischen der DDR fielen erst in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989, und ein Jahr später war "Deutschland einig Vaterland", wie es in der DDR-Hymne heißt.

Der Raum auf der Rückseite des Brandenburger Tors heißt seit heute Platz des 18. März und erinnert damit an den Beginn der Revolution in Berlin am 18. März 1848. Sie brachte das preußische Königtum und weitere Monarchien in ernsthafte Gefahr, konnte diese aber nicht stürzen. Das gelang am 9. November 1918 im Ergebnis des Ersten Weltkriegs und dem Abgang des Kaisers und der anderen Fürsten.

König und Königin als Torwächter

Auf dem Weg nach Charlottenburg passiert man das aus der Kaiserzeit stammende Charlottenburger Tor. Zwei überlebensgroßen Bronzefiguren des prachtliebenden Preußenkönigs Friedrich I. und seiner Gemahlin Sophie Charlotte schmücken die wie eine Säulenhalle gestaltete Anlage. Vom Bildhauer Heinrich Baucke zwischen 1905 und 1908 geschaffen, grüßt das Herrscherpaar, dem Charlottenburg seinen Aufstieg im frühen 18. Jahrhundert verdankt, auf die Passanten. Die pompöse Kolonnade mit reichem Skulpturenschmuck steht an der Stelle einer Holzklappbrücke über den Landwehrkanal, die Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr ihren Dienst versah. Daraufhin beschloss die damals noch selbständige Stadt Charlottenburg einen Neubau nach Plänen des Architekten Bernhard Schaede. Mit der Brückendekoration, für die sich der Name Charlottenburger Tor eingebürgert hat, schuf er ein selbstbewusstes Pendant zum Brandenburger Tor.

Die ausladend gestalteten Bronzefiguren waren so recht nach dem Geschmack Kaiser Wilhelms II., der sich als oberster Kunstwart des Deutschen Reiches auch in die Gestaltung der Kulissenarchitektur aus Stein und Bronze einschaltete. Von den Schultern des Königs fällt ein schwerer Hermelinmantel, das Zeichen seiner 1701 erworbenen königlichen Würde. Das perückenbewehrte Haupt ist mit einem vergoldeten Lorbeerkranz bedeckt, die rechte Hand stützt sich auf das Zepter. Königin Sophie Charlotte trägt einen vergoldeten Kranz darin und eine kostbare Hofrobe unterm Hermelinmantel. Sie weist auf ein Modell des Schlosses Charlottenburg, in dem sie bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1705 einen Musenhof unterhielt. Beide Figuren blicken zueinander und werden damit als einheitliches Ensemble aufgefasst. Ursprünglich stand die Brückenkolonnade näher zueinander, doch wurde sie 1937 im Zusammenhang mit dem von Hitler befohlenen Ausbau der Ost-West-Achse weiter auseinander gerückt.

Das Charlottenburger Tor wurde 2006 umfassend saniert und restauriert. Dabei wurde der0 empfindliche Tuffstein, aus dem es besteht, gereinigt und Algen, Flechten, Moos und Straßendreck befreit. Außerdem wurden Ausbruchstellen durch originalen Tuffstein beziehungsweise Spezialmörtel ausgebessert und Risse verschlossen. Große Bruch- und Fehlstellen hat man durch so genannte Vierungen aus einem Material geschlossen, der in Steinbruch für den Bau des Charlottenburger Tors genutzten Steinbruch stammt. Spektakulär war der Bau der großen Kandelaber beiderseits der Straße nach alten Vorlagen. Sie lassen das dem Jugendstil verpflichtete Charlottenburger Tor zu einem einzigartigen Kunsterlebnis werden.

13. Mai 2022

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