Billiges Stearin statt teurer Wachskerzen
Oranienburg ehrt Friedlieb Otto Runge, einen erfindungsreichen Chemiker des 19. Jahrhunderts



Zwanzig Jahre war Friedlieb Ferdinand Runge technischer Direktor der Chemischen Produktefabrik in Oranienburg. Vor deren ehemaligen Standort erinnert ein Denkmal an den großen Entdecker und Erfinder. Eine Tafel an der Fassade des Oranienburger Runge-Gymnasiums unweit des Bahnhofs hält die Erinnerung an den vielseitigen Gelehrten wach.





Frühere Generationen sind mit dem Schloss Oranienburg wenig respektvoll umgegangen. Das Modell im Schloss zeigt seine ursprüngliche Gestalt. Von weitem ist der Barockbau an seinem hellen Anstrich zu sehen.



Bei Restaurierungsarbeiten wurden aus der Barockzeit stammende Ausmalungen im Bereich der Fenster und andere Spuren aus der Glanzzeit des Barockschlosses freigelegt und sichtbar gemacht.



In der Silberkammer wird ein kleiner Becher aus Gold gezeigt, das aus der Affinierung von 5000 preußischen Scheidenmünzen in der Chemischen Fabrik gewonnen wurde. Das Gefäß ist ein Geschenk des Fabrikanten Hempel von 1827 an König Friedrich Wilhelm III. mit der Widmung "Dem gütigen Landesvater der dankbare Chemiker". Sie dürfte sich auf das vom König drei Jahre zuvor erteilte Patent für ein Scheideverfahren beziehen, bei dem Spuren von Gold aus Silbergeld zum Vorschein kamen. Preußische Kleinmünzen wurden in großen Mengen in Oranienburg eingeschmolzen und chemisch behandelt, um das Silber vom Kupfer zu trennen und der das Material wieder der Münzprägung oder der Edelmetallindustrie zuzuführen.







In der Außenausstellung vor dem Schloss wird an die dunklen Kapitel in der Geschichte von Oranienburg erinnert. Das Foto zeigt das bereits 1933 hier eingerichtete Konzentrationslager, aus dem sich das KZ Sachsenhausen entwickelte. Auf dem Foto oben sind Soldaten im Schlosshof angetreten.



Zentrum des nationalsozialistischen KZ-Systems war Sachsenhausen, ein Vorort von Oranienburg. An das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Stadt und des Landes erinnert eine Gedenkstätte vor dem Oranienburger Schloss. Vor einer flachen Mauer steht seit 1961, dem Jahr der Eröffnung der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, eine von Fritz Cremer geschaffene, überlebensgroße Frauenfigur mit verhärmtem Gesicht und geschlossenen Augen. "Schmerz gebäre Tat!" lautet die Inschrift neben der "Anklagenden". Sie weist auf das Grauen in Sachsenhausen hin. (Fotos/Repros: Caspar)

Seit 1994 steht in der Sachsenhausener Straße in Oranienburg bei Berlin auf einem flachen Sockel das Bronzedenkmal des Chemikers Friedlieb Ferdinand Runge. Eine Gedenktafel an der Hauswand dahinter informiert, dass die Figur auf historischem Boden steht. "Historischer Standort der Oranienburger Chemischen Produktenfabrik, deren technischer Direktor von 1832 - 1852 Prof. Dr. Friedlieb Ferdinand Runge, Entdecker der Teerfarben, war". Der Bildhauer Stephan Möller stellt den in einen bis an den Boden reichenden Mantel gekleideten Gelehrte so dar, als ob er die Straßenpassanten zu sich winkt, um ihnen seine Experimente, symbolisiert durch Kolben und Flaschen auf einem kleinen Tisch vor ihm, zu erklären. Die Aufstellung des Rungedenkmals ist eine späte Hommage der Stadt Oranienburg an einen ihrer ganz großen Einwohner.

Dem Chemiker gelang 1834 im Oranienburger Schloss, das im 18. Jahrhundert von den Hohenzollern aufgegeben und einer anderen Nutzung zugeführt wurde, die Entdeckung von Phenol und Anilin im Steinkohlenteer sowie ein Jahr später die Entwicklung der ersten Teerfarben. Große Bedeutung hatte auch die Herstellung von Kerzen aus Stearin und Paraffin, die die teuren Leuchten aus Bienenwachs ablösten. Aus alten Aufzeichnungen geht hervor, dass die "Illuminierung" von Schlössern, Opernhäusern und ähnlichen Bauten bedeutende Geldmengen verschlang, weshalb die Nutzung des neuen Materials auf fruchtbaren Boden fiel. Runge entwickelte ferner eine Methode zur Gewinnung von Saft aus der Zuckerrübe, und außerdem stellte er als erster fest, dass Belladonna (Atropin) die Pupillen für längere Zeit erweitert, eine Erkenntnis, für die sich Augenärzte interessierten.

Arm und vereinsamt gestorben

Runges wissenschaftliche Laufbahn begann an der 1810 gegründeten Berliner Universität mit zwei Dissertationen zum Doktor der Medizin und zum Doktor der Philosophie. Er arbeitete zunächst als Privatdozent und nahm 1828 eine außerordentliche Professur in Breslau an. Doch behagte ihm das Klima an der Universität nicht, weshalb er sich vier Jahre später in Oranienburg vor den Toren der preußischen Haupt- und Residenzstadt Berlin niederließ. In der Chemischen Produkten-Fabrik konnte er sich ganz seinen Forschungen widmen. So ging er der Frage nach, wie man aus dem bei der Erzeugung von Leuchtgas und Koks anfallenden Steinkohlenteer neuartige chemische Stoffe gewinnen kann. Ihm gelang durch Destillation des bis dahin nur als Abfallprodukt verachteten Stoffs ihm die Herstellung von Anilin. Runge beschäftigte sich ferner mit der Herstellung von künstlichem Dünger und verfasste "Hauswirthschaftlichen Briefe" mit praktischen Tipps für Haus und Hof und andere Bücher.

Die Menschheit verdankt dem Chemiker viel, etwa Schutzmaßnahmen während der verheerenden Choleraepidemie im Jahr 1831 durch Desinfektion von Händen, Häusern und Wohnungen mit Hilfe einer Chlor-Soda-Flüssigkeit. Es gehört zur Tragik des vielseitigen Gelehrten, dass er aus seinen epochalen Entdeckungen und Erfindungen keinen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen verstand. Er starb am 27. März 1867 arm und vereinsamt in Oranienburg und wurde auf dem Städtischen Friedhof in Oranienburg bestattet. Ein Gymnasium in der Nähe des Bahnhofs trägt seinen Namen.

Mangelde Pflege und fehlende Investitionen

Der Lebensweg von Friedlieb Ferdinand Runge ist eng mit dem Oranienburger Schloss verbunden. Sein Denkmal hätte daher auch dort stehen können. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) unter der Regentschaft des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm für seine Gemahlin Luise Henriette, geborene Prinzessin von Oranien, errichtet und auf das Prächtigste ausgestattet, ist das Gebäude ein signifikantes Beispiel dafür, was Desinteresse und fehlendes Geld aus einem herausragenden Bau- und Kunstdenkmal machen können. Nach dem Tod seines letzten Besitzers aus dem Hause Hohenzollern (1758), des preußischen Prinzen August Wilhelm, eines Bruders Friedrichs des Großen und Vaters des Königs Friedrich Wilhelm II., verfiel der Palast auf Grund wegen mangelnder Pflege und fehlender Investition. Die Hohenzollern, die eigentlich viel auf Familientradition hielten, hatten sich in Potsdam und Charlottenburg engagiert. Da war für die Pflege und Nutzung ihrer vielen anderen Schlösser wenig Raum.

Nach der Überführung des Inventars 1802 ins Schloss Charlottenburg wurde das Oranienburger Schloss an den Berliner Apotheker J. G. Hempel verkauft, der hier Baumwollweberei einrichtete, die aber nur bis 1807 arbeitete. Der Sohn des wenig erfolgreichen Unternehmer Georg Friedrich Albrecht Hempel gründete 1814 im Schloss eine Schwefelsäurefabrik, deren ätzenden Dämpfe weder den Arbeitern noch den kostbaren Gemälden und Stuckaturen gut taten. Im Jahre 1832 übernahm die Preußische Seehandlung die "Chemische Produkten-Fabrik Oranienburg" und berief Runge zu ihrem technischen Leiter. 1833 brach im Mittelbau des Schlosses ein verheerender Brand aus, dem mehrere der barocken Paraderäume zum Opfer fielen. Neun Jahre später zerstörte ein weiterer Brand den Südflügel, der daraufhin abgebrochen wurde. Runge arbeitete bis 1848 im Schloss und machte hier seine bahnbrechenden Entdeckungen, so das Koffein in Kaffeebohnen und das in der Pharmazie verwendete Chinin aus der Rinde des Chinarindenbaums.

Nach dem Umzug der Hempelschen Chemiefabrik in etwas entfernt liegende Gebäude, vor denen das Rungedenkmal jetzt steht, zerfiel das Schloss weiter. Doch bald nahte Rettung. Denn König Friedrich Wilhelm IV. verkündete 1850 bei der Grundsteinlegung für das Denkmal der Namensgeberin von Oranienburg, Luise Henriette: "Es sollen nicht mehr Eulen und Unken diese Mir so bedeutungsvollen Räume bewohnen; Ich will ein Denkmal aus diesen verfallenen Mauern des Schlosses herstellen, welches zur Bildung der preußischen Jugend dienen soll". Der Plan gelang, und so wurde nach Umbau-, Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten am 1. Oktober 1861 im Oranienburger Schloss ein Lehrerseminar eröffnet, das bis 1925 bestand.

Weitere Verluste durch Nutzung als Kaserne

Einschneidende Eingriffe erfolgten, als das Schloss nach dem Ersten Weltkrieg in eine Kaserne verwandelt wurde, die nach Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur der SS im nahe gelegenen Konzentrationslager Sachsenhausen als Unterkunft und Ausbildungsstätte genutzt wurde. Bei der Zweckentfremdung ging viel kostbare Substanz verloren. So überstanden die vielen Deckenausmalungen bis auf eine im Porzellankabinett diese Zeit nicht. Die Wiedergewinnung des vom Krieg und in der Nachkriegszeit arg geschundenen und nun als Kaserne der Grenztruppen der DDR genutzten Schlosses und seiner so oft entstellten Räume gelang in den späten 1990er Jahren unter der Regie der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.

Im frühen 19. Jahrhundert wurden in der Chemiefabrik wurden große Mengen eingesammelter preußischer Scheidemünzen mit chemischen Verfahren behandelt, um das darin befindliche Edelmetall und das Kupfer, das mit diesem legiert war, voneinander zu trennen. Dabei wurde das aus Zwölftel- und Vierundzwanzigsteltalern sowie anderen Kleinmünzen bestehende Material mit Schwefelsäure gekocht. Da die Münzen neben Silber und Kupfer auch winzige Anteile aus Gold besaßen, konnte bei diesem Verfahren ein wenig Gold gewonnen werden. Die Einschmelzungen waren nötig, weil Preußen zur Bezahlung seiner Kontributionen an die im Krieg von 1806/7 siegreichen Franzosen kurantes Geld brauchte und die aus der Zeit Friedrichs des Großen und seiner Nachfolger stammenden Münzen aus minderwertigem Silber, dem so genannten Billon, für diesen Zweck ungeeignet waren. Nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 gab es überdies in Preußen in mehreren Stufen eine Finanzreform, in deren Rahmen neues Geld hergestellt wurde. Millionen Münzen, die heute die Augen der Sammler leuchten lassen würden, verschwanden damals in mit Salzsäure gefüllten Kochtöpfen und Schmelztiegeln. Sie bildeten das Ausgangsmaterial für neue Geldstücke mit dem Bildnis und Wappen Friedrich Wilhelms III. von Preußen.

Zum Schloss Oranienburg und seiner Ausstellung siehe Eintrag vom 16. Juni 2022 (Museen)

23. Juni 2022

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