Angriff auf das Herz der Demokratie
Vor einem Jahr schrammten die USA beim Sturm auf das Capitol in Washington an einem Staatsstreich vorbei





Das Capitol in Washington war ungeachtet konkreter Warnungen zu wenig geschützt, sonst hätten nicht so viele Leute das Parlamentsgebäude erklettern und eindringen können. Der Chef der wohl mit Trump & Co. sympathisierenden Bewachertruppe hatte einen schlechten Job gemacht und trat zurück.



Bei den Unruhen schlugen die Randalierer Scheiben des Parlamentsgebäudes ein und verschafften sich Zutritt zu Abgeordnetenbüros.



Der um sich brüllende "Büffelmann" Jake Angeli wurde zum Symbol des Angriffes auf die amerikanische Demokratie. Ein Richter verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von 41 Monaten und drei Jahren anschließender Bewährung sowie und einer Entschädigungszahlung von 2000 Dollar.



Trump-Anhänger mit roten Mützen warfen am 6. Januar 2021 in Washington das Equipment von Journalisten auf einen großen Haufen und trampeln jubelnd auf Kameras und Laptops der "Lügenpresse" herum. Trump nannte seine aufgeputschten Anhänger Patrioten. Inzwischen bereitet er sich auf die Präsidentschaftswahl 2024 und mobilisiert seine Leute.





Joe Biden wurde am 20. Januar 2021 vor dem Kapitol in Washington als 46. US-Präsident feierlich, jedoch ohne großes Publikum vereidigt. Lady Gaga sang mit starker Stimme die Nationalhymne mit den Endzeilen "Und das sternenbesetzte Banner / möge im Triumph wehen über dem Land der Freien / und der Heimat der Tapferen!". (Fotos stammen aus Fernsehsendungen von 2021)

Ein Jahr ist es her, dass am 6. Januar 2021 ein vom abgewählten, aber noch im Amt befindlichen US-Präsidenten Donald Trump aufgewiegelter Mob das Capitol in Washington stürmte. Sie wollten verhindern, dass der dort tagende Kongress offiziell feststellt, dass der bei der Wahl im November 2020 für die Demokraten angetretene Joe Biden und nicht Trump gewonnen har. Der Coup schlug hohe Wellen, Beobachter sagen, dass die USA haarscharf an einem von Trump inspirierten, wenn nicht organisierten Staatsstreich vorbei geschrammt sei. Diktatoren und andere zwielichtige Gestalten hätten es gern gesehen, wenn Trump noch einmal gewählt worden wäre und seinen antidemokratischen und völkerrechtsfeindlichen Kurs weiter gefahren hätte. Inzwischen gab es zahlreiche Gerichtsverfahren und Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren gegen Eindringlinge, die Abgeordnete bedroht und sich in deren Büros, triumphierend in Kameras und Handys blickend, breit gemacht und wie die Vandalen gehaust hatten. Dass Trump als derjenige zur Rechenschaft gezogen wurde, der zum "Marsch auf das Capitol" aufgerufen hatte, ist nicht bekannt. Die Untersuchungsbehörden und Gerichte geben zu, dass sie angesichts der überquellenden Videomaterials und anderer Beweisstücke überfordert sind und lange brauchen, um die Ereignissen vom 6. Januar 2021 aufzuarbeiten.

Trump akzeptiert seine Niederlage nicht

Donald Trump und seine Leute gaben sich mit der knappen Niederlage am 3. November 2020 bei der Präsidentenwahl nicht zufrieden. Sie behaupteten, Biden und seine Demokraten hätten ihm die Wahl gestohlen. Wenige Tage nach der Wahl forderte Trump den Wahlleiter von Georgia telefonisch zur Fälschung auf. Laut einem von der "Washington Post" veröffentlichten Telefonat mit Brad Raffensperger sagte Trump, er soll nur 11.780 Stimmen finden, "weil wir den Bundesstaat gewonnen haben". In dem einstündigen Telefonat wiederholte der noch amtierende Präsident unbewiesene Verschwörungstheorien rund um die US-Wahl, darunter auch solche, die er offenbar von QAnon-Verschwörungsseiten im Internet übernommen hat. Weitere Vorwürfe hatte Trump offensichtlich bei rechtsextremen Nachrichtenseiten wie "One America News Network" und "Newsmax" aufgeschnappt, namentlich die Behauptung, der Wahlmaschinenhersteller Dominion habe die Wahl im Sinne von Biden manipuliert.

Dagegen regte sich Protest. In seinem Heimatort Wilmington verurteilte der gewählte Präsident Biden am 6. Januar 2021 den Gewaltausbruch als beispiellosen Angriff auf die Demokratie des Landes. Die designierte US-Vizepräsidentin Harris warf Trump "dreisten Machtmissbrauch" vor. Zehn ehemalige US-Verteidigungsminister riefen das Militär auf, sich nicht an Trumps Versuchen zu beteiligen, die Amtsübergabe zu blockieren. Der frühere Präsident Obama warf Trump vor, zur Gewalt angestiftet zu haben. Der Dachverband der US-Republikaner verurteilte die Unruhen und betonte, die Szenen der Gewalt seien kein Akt des Patriotismus, sondern eine Attacke auf das Land und dessen Gründungsideale. Was heute passiert ist, sei inländischer Terrorismus gewesen. Hingegen ließ Trump als Strippenzieher im Hintergrund anfangs Verständnis für den Sturm auf das Kapitol erkennen, distanzierte sich aber später mit gewundenen Worten von ihm. Trump nannte die Randalierer "großartige Patrioten" und ermunterte seine Gefolgsleute, sich "für immer an diesen Tag" zu erinnern. Der Versuch der Demokraten, Trump kurz vor der offiziellen Amtsübergabe und Vereidigung am 20. Januar 2021 seines Amtes zu entheben, scheiterte.

Politiker bedroht, Räume zerstört, Menschen getötet

Am 6. Januar 2021 drang eine aufgeputschte Menge in das unzureichend gesicherte Parlamentsgebäude ein, die Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus wurde unterbrochen. Politiker und Abgeordnete brachten sich vor dem Mob in Sicherheit bringen und konnten erst Stunden später ihre Beratungen fortsetzen. Dabei wurde Bidens Wahl bestätigt, Trump und seine Mitläufer tobten. Bis heute lautet das Credo der "Trumpisten", es habe einen von Kommunisten gesteuerten Wahlbetrug gegeben, gegen den aufzustehen patriotische Pflicht ist. Der scheidende Vize-Präsident Pence verurteilte das Vorgehen und erklärte, Gewalt siege nie, worauf er von Trump übel beschimpft wurde. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, McConnell, sagte, die Kammer lasse sich nicht einschüchtern. Die Zerstörungen am und im Kongressgebäude waren beträchtlich. Weltweit konnte man im Fernsehen entsprechende Videoaufnahmen sehen, die später bei der politischen und juristischen Aufarbeitung zusammen mit Sprachnachrichten und anderen Beweisen eine Rolle spielten. Die Polizei sprach von fünf Todesopfern, 52 Personen wurden festgenommen. Das Capitol wurde geräumt, die Behörden verhängten über die US-Hauptstadt eine nächtliche Ausgangssperre. Örtliche Sicherheitskräfte wurden von der Nationalgarde unterstützt.

Bundeskanzlerin Merkel zeigte sich schockiert über die Angriffe auf den US-Kongress in Washington. Die Bilder hätten sie wütend und traurig gemacht, sagte sie. Eine der Grundregeln der Demokratie sei, dass es nach Wahlen Gewinner und Verlierer gebe. Sie verglich die Situation im US-Kongress mit den Vorfällen am Berliner Reichstag im August 2021, den aufgebrachte Querdenker und Impfgegner zu stürmen versuchten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zog am 7. Januar 2021 Parallelen zwischen dem Sturm auf das US-Kapitol und der versuchten Erstürmung des Reichstagsgebäudes im August 2020. "Hass und Hetze gefährden die Demokratie, Lügen gefährden die Demokratie, Gewalt gefährdet die Demokratie. Die Besetzung des US-Kongresses ist ein Sturm auf das Herz der Demokratie".

Biden ruft zur Einigkeit und guter Nachbarschaft auf

Die pompöse Vereidigungszeremonie am 20. Januar 2021 auf den Stufen des Capitols verlief nach traditionellem Plan - es gab Gebete, Ansprachen, Vereidigung des Präsidenten Biden und der Vizepräsidentin Harris. Lady Gaga sang, begleitet von Musikern der Marine, mit kräftiger Stimme die Nationalhymne. Alle trugen Masken und bewahrten Abstand. Wo bei solchen Zeremonien zahlreiche geladene Gäste standen oder saßen, hat man wegen der coronabedingten Ansteckungsgefahr Fahnen aufgestellt. In seiner Antrittsrede machte Biden deutlich, dass er nicht nur die Gesellschaft der USA wieder vereinen und die Demokratie verteidigen, sondern sein Land auch zur "führenden Kraft des Guten in der Welt" machen will. Er bat die 74 Millionen Trump-Wähler, ihm Chance zu geben, Amerika gemeinsam aus der Krise zu holen. Zur Demokratie gehöre, dass man unterschiedlicher Meinung sei. Er forderte seine Landsleute auf, sich wieder als Nachbarn zu verstehen und einander mit Würde und Respekt zu begegnen. Angesichts der Corona-Pandemie sowie von sozialer Ungleichheit, Rassismus und Klimakrise stünden die USA vor gewaltigen Aufgaben. Dass Wandel möglich sei, zeige schon, dass mit Kamala Harris erstmals eine Frau Vizepräsidentin geworden ist. Amerika stehe an einem Wendepunkt, seine Bewohner hätten die Wahl zwischen noch mehr Wut, noch weniger Hoffnung, noch mehr Spaltung oder Heilung und Einigung, Charakter, Anstand, Mitgefühl und auch Wissenschaft und Demokratie. Fünf Millionen Amerikaner hätten sich mit dem Virus infiziert, mehr als 400 000 seien daran gestorben (ein Jahr später wurden 824 000 gezählt).

Der bei der Zeremonie nicht anwesende Donald Trump lobte sich derweil vor seinem Abflug nach Florida überschwänglich als großer Präsident und gab dem "China-Virus" die Schuld am Leid im Land, wünschte aber der neuen Administration viel Erfolg wünschte. Mit der Drohung "Wir werden in irgendeiner Form zurück kehren, wir werden uns bald wiedersehen, ich komme wieder" machte sich der abgewählte Präsident mit seiner Frau davon. Inzwischen wird untersucht, ob sich die Trump-Organisation Kredite erschlichen und Steuerbetrug begangen hat. Trump holte zum Gegenschlag aus und verklagte die zuständige New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James. "Die Trump-Organisation hat immer wieder versucht, unsere Ermittlungen zu ihren Geschäften zu verzögern, und nun haben Donald Trump und sein gleichnamiges Unternehmen eine Klage eingereicht, um diese Ermittlungen zu behindern", erklärte die Generalstaatsanwältin und versicherte "Unsere Ermittlungen werden unbeirrt fortgesetzt, denn niemand steht über dem Gesetz, nicht einmal jemand, der den Namen Trump trägt." Ob der Ex-Präsident auch wegen des Sturms vom 6. Januar 2021 auf das Kapitol befragt und zur Verantwortung gezogen wird, steht in den Sternen.

Netz von Lügen über die Wahl 2020

Am 6. Januar 2022, dem ersten Jahrestag des terroristischen Anschlags auf die Demokratie in den USA sagte Präsident Biden, das Land spüre die Folgen bis heute. "In diesem Moment müssen wir entscheiden, was für eine Nation wir sein wollen". Eingerahmt von zwei US-Flaggen in der Rotunda und umgeben von Statuen führender Persönlichkeiten seines Landes unter der Kongresskuppel betonte Biden: "Wollen wir politische Gewalt als Norm akzeptieren? Wollen wir erlauben, dass die Stimme des Volks ausgehebelt wird? Wollen wir eine Nation sein, die nicht im Licht der Wahrheit lebt, sondern im Schatten der Lügen? Wir können es uns nicht erlauben, eine solche Nation zu sein. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen, das ist es, was große Nationen tun". Ohne ihn namentlich anzusprechen erklärte Biden seinen Vorgänger Trump zum Verursacher der Erstürmung des Capitols. Er habe die friedliche Machtübergabe verhindern wollen. "Der frühere Präsident der Vereinigten Staaten hat ein Netz von Lügen über die Wahlen 2020 geschaffen und verbreitet. Er hat das getan, weil ihm seine Macht wichtiger ist als Prinzipien. Weil er seine eigenen Interessen als wichtiger erachtet als die Interessen seines Landes, die Interessen Amerikas. Und weil ihm sein verletztes Ego wichtiger ist als unsere Demokratie und unsere Verfassung. Er kann nicht akzeptieren, dass er verloren hat." Die nach wie vor von Trump beherrschten Republikaner zeigen wenig Neigung, den Ursachen der tiefen Spaltung des Landes und des Angriffs auf das Kapitol. Bei der Gedenkstunde im Abgeordnetenhaus glänzten viele republikanische Angeordnete demonstrativ durch Abwesenheit.

7. Januar 2022

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