Einsamer Tod im Sommerhaus
Im Schweinsgalopp hat man 1973 die Urne von Walter Ulbricht zum Friedhof in Friedrichsfelde gebracht



Was Ulbricht durch den Kopf ging, als er bei einer Festveranstaltung neben Stalin stand, wissen wir nicht. Er hatte allen Grund zu fürchten, dass ihn der "große Bruder" irgendwann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Doch es kam dann anders.



Der kriecherische Huldigungsfilm der DEFA zu Ulbrichts 60. Geburtstag am 30. Juni 1953, zwei Wochen nach dem Volksaufstand, wurde auf Drängen der darüber nicht amüsierten Sowjets nicht gezeigt, verschwand im Giftschrank und kam erst nach dem Ende der SED-Diktatur wieder ans Tageslicht.



Manch ein Maler und Bildhauer verdiente Geld und einen Orden mit Porträts des aus Sachsen stammenden Übervaters Walter Ulbricht. Hier sitzt er Modell im ehemaligen Königsschloss Schönhausen in Berlin-Pankow. Nach 1971 konnte man mit Ulbrichtbildern keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor locken.





Das auch in der DDR-Presse veröffentlichte, also von der Zensur gewollte Foto zeigt, wie das SED-Politbüro dem gerade geschassten Politiker am 30. Juni 1971 zum 78. Geburtstag gratuliert. Im Morgenmantel sitzt der ehemals als Baumeister des Sozialismus verherrlichten SED- und Staatschef mit Hauslatschen an den Füßen in einem Sessel. Erich Honecker beugt sich zu ihm herunter, die Gäste einschließlich Ulbrichts Frau Lotte im Hintergrund schauen betreten drein. Ob sich die Komödie im Haus am Döllnsee absoiuelte, müsste noch geklärt werden.





Die Trauer um Ulbrichts Tod am 1. August 1973 hielt sich mitten in den X. Weltfestspielen in Grenzen. Der ehemals gefeierte Politiker wurde von den meisten Teilenehmern als Mann von gestern wahrgenommen, sein Grab in der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde avancierte mitnichten zu einer Pilgerstätte von Ulbricht-Fans.



Auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 beklatschte Erich Honecker sich und seinen durch Intrigen und Schmähungen erzielten Sieg über Walter Ulbricht, den er auch seinem "großen Bruder" Leonid Breshnew (in der ersten Reihe 3. von links) verdankte. (Foto/Repros: Caspar)

Wer in Groß Dölln das Hotel am Döllnsee mitten in der Schorfheide besucht, wird schon beim Einchecken darüber aufgeklärt, dass das Haus aus der Nazizeit stammt, erbaut auf Befehl von Reichsmarschall und Reichsjägermeister Hermann Göring für Gäste seiner in der Nähe befindlichen Residenz Carinhall. Sie wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs auf seinen Befehl gesprengt, und es sind nur wenige Reste erhalten. In DDR-Zeiten war das Anwesen Sommerresidenz von Walter Ulbricht und später Regierungsgästehaus. Nach seinem Sturz durch Erich Honecker (1971) mit Hilfe des sowjetischen Partei- und Staatschefs Leonid Breschnew, eines Jagdkumpans von Erich Honecker, zur Unperson erklärt, verfiel der Spitzbart oder Onkel WU, wie man ihn hinter vorgehaltener Hand nannte, der Damnatio memoriae. Niemand durfte ungestraft seinen Namen aussprechen, aus seinen Reden und Publikationen wurde nicht mehr zitiert.

"Mann des scharfen Blicks und schnellen Entschlusses"

In dem ihm zum 60. Geburtstag am 30. Juni 1953 gewidmeten DEFA-Film "Baumeister des Sozialismus", der auf sowjetischen Wunsch nicht öffentlich gezeigt werden durfte, war noch behauptet worden, Genosse Walter Ulbricht sei "der Schöpfer unserer Pläne, der Mann scharfen Blicks und schnellen Entschlusses, der Freund des Lebens und der Jugend, der Generalsekretär der Partei des arbeitenden Volkes." Davon war nach Ulbrichts Entmachtung nicht mehr die Rede. Der Film mit einem Text von Stephan Hermlin verschwand im "Giftschrank" und wurde 1997 im Zusammenhang mit einer Ausstellung über Agitation und Propaganda der frühen DDR-Jahre vom Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin als markantes Beispiel widerlicher Lobhudelei gezeigt. Das Museum für Deutsche Geschichte als Vorgänger des DHM richtete 1968 zu Ulbrichts 75. Geburtstag eine Ausstellung der Geschenke aus, die der damals noch mächtigste Mann im Lande bekommen hatte. Wer sie sah, den gruselt es noch heute angesichts des monströsen Kitsches, den Ulbrichs Untertanen fabriziert hatten und mit dem das Zeughaus Unter den Linden vollgestopft war. Da ist alles vergangen und vergessen, die Exponate verstauben seither in den Depots so wie auch das von Ulbricht geleitete und inspirierte Monumentalwerk "Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung" mit über 5000 Seiten, das in der Honecker-Zeit nur noch mit spitzen Fingern angefasst wurde und heute zur Ramschliteratur verkommen und manchmal auf Trödelmärkten zu haben ist.

Am 26. April 1971 fuhr Erich Honecker, der neue starke Mann in der SED und DDR, begleitet von mit Maschinenpistolen bewaffneten Mitarbeitern der mit der Betreuung und Versorgung der "führenden Repräsentanten der DDR" und ihrer Wohnanlage in Wandlitz sowie der Absicherung ihre Fahrstrecken befassten Stasi-Hauptabteilung Personenschutz, zu Ulbrichts Sommersitz nach Groß Dölln. Alle Tore und Ausgänge des Anwesens am Döllnsee wurden geschlossen und die Telefonleitungen gekappt. Honecker zwang seinen ehemaligen Ziehvater und Vorgänger, dem SED-Zentralkomitee ein heuchlerisch abgefasstes Rücktrittsgesuch wegen angeblich angeschlagener Gesundheit zu unterbreiten. Ulbricht, der wegen seiner utopischen Wirtschafts- und Sozialpolitik in die Kritik geratene Altkommunist, Stalinisten und "Mauerbauer", musste sich fügen und starb, von allen seinen früheren Schmeichlern verlassen, hier am 1. August 1973 einsam und zur Unzeit mitten in den X. Weltjugendfestspielen. Heute ist im ehemaligen Gästehaus der DDR-Regierung ein Viersternehotel untergebracht, und wenn man nachfragt, dann wird erzählt, wie unglücklich sich der "Spitzbart" in seiner Sommerresidenz fühlte.

Verlogene Lobenshymnen auf den teuren Genossen

Nach einem Staatsakt mit verlogenen Lobeshymnen auf den "teuren Genossen Walter Ulbricht" hat man seine Urne wenige Tage nach den nur für kurze Zeit unterbrochenen Weltfestspielen in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt und die Stelle mit einer Metallplatte mit seinem Namen und dem Todesdatum bedeckt. Die mit Blumen umkränzte Urne mit der Asche des Mannes, der kurz vor dem 13. August 1961 behauptet hatte, "niemand" habe die Absicht, eine Mauer zu errichten und daher auch den Spitznamen Mauerbauer und Genosse Niemand erhielt, war auf einer Lafette der NVA im Schweinsgalopp durch Ostberlin ans Ziel gefahren worden. Am Straßenrand stand wie üblich bei solchen Staatsakten die schweigende Bevölkerung, misstrauisch beobachtet von der Staatssicherheit. Lachen und Witzemachen über den ungeliebten Politiker mit der Fistelstimme, der sich selber zu einem der bedeutendsten Führer der deutschen Arbeiterbewegung erklärt hatte und von der Schaffung einer "sozialistischen Menschengemeinschaft" träumte, nicht erlaubt.

Der Komödie auf dem Friedhof vorangegangen war ein interner Machtkampf zwischen Ulbricht, dem Vertreter des Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung in der Wirtschaft, und Honecker, der auf dem VIII. Parteitag der SED das Prinzip der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" verkündete, mit dem er sein Regime zu festigen versuchte. Der zur Hauptaufgabe erklärte Paradigmenwechsel sollte den Lebensstandard im Lande heben und die leidige Wohnungsfrage lösen. Da Honecker und seine Palastrevolutionäre nicht allein handeln konnten, hatten sie sich klammheimlich hilfesuchend an ihren Bruder im Geiste und Kumpan bei den Staatsjagden in der Schorfheide, den sowjetischen Staats- Parteischef Leonid Breschnew, gewandt. 13 von 20 Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros schickten ihm am 21. Januar 1971 einen unter Honeckers Federführung verfassten Brief, in dem sie Ulbricht denunzierten und seine Absetzung forderten. Ohne konkret zu werden, beklagten Honecker und Genossen, es sei in den letzten Monaten in wachsendem Maße zu einer außerordentlich schwierigen Lage im Politbüro gekommen. Seit Mitte 1970 habe es von Ulbricht immer wieder Einschätzungen gegeben und seien Fragen aufgeworfen worden, "die nicht mit der realen Lage der DDR und unseren Aufgaben in Übereinstimmung stehen. Das erfüllt uns mit großer Sorge, weil dadurch die politische und organisatorische Führungstätigkeit der Partei in einer Situation geschwächt wird, in der sowohl angespannte innere Probleme als auch komplizierte außenpolitische Aufgaben unsere ganze Aufmerksamkeit und Kraft verlangen. Genosse Walter Ulbricht hält sich gar nicht an Beschlüsse und getroffene Vereinbarungen. Er geht nicht von den ZK- und Politbüro Beschlüssen aus, sondern stellt gefasste Beschlüsse immer wieder in Frage und zwingt dem Politbüro ständig Diskussion auf, die es in nicht mehr vertretbarer Weise von der konkreten Arbeit bei der Lösung der wichtigsten Aufgaben abhalten."

Die Briefschreiber haben ihre Forderung in blumige Formulierungen verpackt. Er sei der arbeitsmäßigen Belastung nicht mehr gewachsen und halte sich nicht an ärztliche Ratschläge, weshalb im Interesse unserer Partei und in seinem eigenen Interesse eine möglichst baldige Lösung wünschenswert sei, "da sonst der Schaden für unsere Partei, der dann schwer wieder gut zu machen ist, immer größer wird, aber auch eine offene Austragung der Differenzen vor der Partei und die Zurückweisung seiner falschen Auffassungen immer schwieriger zu verhindern ist."

Alt, krank und zum Nichtstun verurteilt

Leonid Breshnew, ohne den im Ostblock nichts von Bedeutung geschah, stimmte dem Ansinnen zu, das SED-Politbüro bedankte sich artig bei ihm und demontierte systematisch den bisherigen Staats- und Parteiführer. Der pro forma noch mit dem machtlosen Amt des Staatsratsvorsitzenden versehene, zum Nichtstun verurteilte und kranke Ulbricht muss sehr gelitten haben. Er beklagte sich bei seinem "Lieben Freund Leonid" am 12. Dezember 1972 über die immer offener werdende Diskreditierung seiner Person und der von ihm verantworteten Politik. Die Parteiführung, also Honecker, habe ihn am Reden vor dem Zentralkomitee gehindert, es bestehe offensichtlich die Absicht aus ihm, Walter Ulbricht, vor der Partei und der Öffentlichkeit als Alleinschuldigen für alle Schwierigkeiten abzustempeln, die die Ökonomie der DDR jetzt und in Zukunft durchmachen muss. Ihm werde böswilliges Fernbleiben vom VIII. Parteitag im Juni 1971 unterstellt, Politbüromitglieder würden gegen ihn aufgehetzt, und das, obwohl er in der Nacht vor Eröffnung des Parteitages in Folge akuter Kreislaufstörung zusammengebrochen sei und ihm die Ärzte für einige Woche strenge Bettruhe verordnet hätten.

Protest gegen kleinliche Schikanen

Ulbricht bittet den sowjetischen Staats- und Parteiführer Breshnew um Unterstützung bei seinem Wunsch, das SED-Politbüro möge weiterhin seine Kenntnisse und Erfahrungen nutzen. Gleichzeitig hoffe er, dass der erste Sekretär (Honecker, H. C.) und das Sekretariat des Zentralkomitees ihn vor kleinlichen Schikanen verschone und alle Fragen, die ihn persönlich sowie die Partei- und Staatsarbeit betreffen, mit ihm erörtert werden. "Ich möchte, dass die Kampagne, die in der Partei seit dem 14 Plenum (Dezember 1970) im Gang ist, ,Ulbricht ist an allem Schuld' eingestellt wird." Ob und wie Breshnew geantwortet hat, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass sich über den Geschassten Schweigen ausbreitete und die Sieger in dem Machtkampf genau das praktizierten, was zuvor bei in Ungnade gefallenen Genossen auch getan wurde.

15. Juni 2022

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