Von Berlin nach Breslau für elf Taler
Fahrten mit der Eisenbahn waren im 19. Jahrhundert schnell aber teuer





In der Postkutsche bei gutem Wetter zu sitzen und sich an der Landschaft zu erfreuen, mag angenehm gewesen sein, schneller und bequemer verlief die Fahrt mit der Eisenbahn. Das Märchen von der Eisenbahn als Bauernschreck fand schon bald keinen Glauben.



Die Allegorie auf die technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts ehrt König Ludwig I. von Bayern, der sich der Eisenbahn der Dampfschifffahrt aufgeschlossener zeigte als andere Fürstlichkeiten seiner Zeit und auch die Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth genehmigt hatte.



Ein Nachbau der Lokomotive "Beuth" steht im Deutschen Technikmuseum Berlin-Kreuzberg. Dort wird auch anhand weiterer Fahrzeuge die Geschichte des Eisenbahnwesens in Deutschland erzählt und auch das Leben und Werk von Fabrikanten wie August Borsig sowie Konstrukteuren und Verkehrspolitikern gewürdigt.



Es verwundert nicht, dass 1835 ein bayerischer Geschichtstaler mit dem Kopf von Ludwig I. sowie der Bavaria geprägt wurde, die sich lässig an ein Flügelrad lehnt. Das Symbol des Eisenbahnwesens ist auf vielen einschlägigen Prägungen zu finden.



Die ersten Eisenbahnfahrten wurden noch mit offenen Wagen angeboten, wie die Passagiere hinterher aussahen, kann man sich angesichts des Qualms gut vorstellen. Was Fahrten mit der Berliner Hoch- und Untergrundbahn kosten, steht im Fahrplan von 1902.





Eine zur Berliner Gewerbeausstellung von 1844 geprägte Medaille verbindet Germania mit Symbolen des Industriezeitalters und zeigt in der Mitte eine Lokomotive auf einer Brücke. Die Jungfernfahrt der Saxonia von Leipzig nach Dresden war 1839 die Prägung einer Medaille wert. (Fotos/Repros: Caspar)

Als 1835 das Eisenbahnzeitalter im damaligen Deutschen Bund begann, waren die Meinungen geteilt. Die einen waren begeistert, andere sahen gesundheitliche Probleme auf sich zukommen und fürchteten Gefahren für die Weltordnung. Der König von Hannover meinte, dass seine Untertanen diese qualmenden "Dampfrösser" nicht brauchen. "Ich will keine Eisenbahn im Lande; ich will nicht, dass jeder Schuster oder Schneider so rasch reisen kann wie ich", fasste er seine Meinung in Sorge um seine Exklusivität und die seiner Leute zusammen. Auch andere Gegner der aus England importierten und dann bald in Preußen und anderen deutschen Staaten gebauten, von weitem an Qualm und schrillen Fahrgeräuschen erkennbaren Eisenbahnen missbilligten, dass vornehme Leute im gleichen Zug wie Handwerker, Krämer und Possenreißer sitzen und zur gleichen Zeit wie sie sicher und pünktlich am Ziel ankommen.

Mediziner forderten 1835, Zugreisen mittels Dampfmaschinen im Interesse der öffentlichen Gesundheit zu verboten Die raschen Bewegungen könnten zu geistiger Unruhe, zum "Delirium furiosum" führen. Wenn sich Reisende freiwillig der Gefahr aussetzen, müsse der Staat wenigstens die Zuschauer schützen, denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Geschwindigkeit dahinrast, sei geeignet, diese schreckliche Krankheit zu erzeugen. "Es ist daher unumgänglich nötig, dass eine Schranke, wenigstens sechs Fuß hoch [etwa so hoch wie heute ein erwachsener Mensch, H. C.], auf beiden Seiten der Bahn errichtet werde." Man darf davon ausgehen, dass die besorgten Mediziner bald selber mit der Eisenbahn fuhren und es ungern gesehen hätten, wenn eine Mauer ihren Blick auf die Landschaft stört. Der König von Hannover und anderer Gegner der Eisenbahn waren mit ihrer Meinung ziemlich allein, denn die Aussicht war durchaus attraktiv, auf geraden Schienen mit Geschwindigkeiten von anfangs 30 bis 50 km/h und später immer schneller und sicher von einem Ort zum anderen zu gelangen. Zeitgenossen mit mehr Weitblick verglichen die Eisenbahn mit der Erfindung der Buchdruckerkunst und des Schießpulvers, die auf ihre Weise die Entwicklung der Menschheit revolutioniert haben.

Mangel an wohlfeilen Transportmitteln

Der Unternehmer, Diplomat sowie Vorkämpfer für den Deutschen Zollverein und das Eisenbahnwesen Friedrich List rechnete seinen Zeitgenossen vor, was sie gewinnen, wenn überall Eisenbahnen verkehren. Die Einnahmen der Länder und Kommunen könnten durch den regen Reiseverkehr, durch die schnelle Erreichbarkeit der Städte und Handelsplätze, des raschen Umschlags von Industrieerzeugnissen und landwirtschaftlichen Produkten enorm gesteigert werden. An dem einen Ort billig erzeugte Waren könnten woanders gewinnbringend verkauft werden. "Überall gewahrt man, wie der Mangel an wohlfeilen Transportmitteln die Bevölkerung und Gewerbeindustrie nieder hält", schrieb List und gab zu bedenken, dass sich die Städte durch eine Anbindung untereinander viel schneller entwickeln werden als es bisher. Durch den Eisenbahnverkehr könne man nur gewinnen, fasste List seine Vorschläge zusammen, die mit zeitgenössischen Berichten übereinstimmen, wonach das Reisen und der Transport von Gütern aller Art einschließlich des Postverkehrs viel zu mühsam, langsam, teuer und unsicher ist.

Star der nach dem bayerischen König Ludwig I., dem Adressaten jenes ärztlichen Gurtachten, benannten Ludwigsbahn war die Dampflok Adler. Der für technische Neuerungen empfängliche Monarch hatte 1834 das Privileg für den Bau einer Eisenbahntrasse zwischen Nürnberg und Fürth erteilt. Da man noch keine eigenen Lokomotiven besaß, wurde ein von dem englischen Fabrikanten George Stephenson gebauter Dampfwagen eingesetzt. Dieser kam im Herbst 1834, in Einzelteile zerlegt, in Nürnberg an und wurde dort von Vertretern der Lieferfirma wieder zusammengebaut. Ein Jahr später fanden Probefahrten und schließlich am 7. Dezember 1835 nach mehreren Terminverschiebungen die feierliche Eröffnungsfahrt auf der 6,04 Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt, wie es in damaligen Berichten heißt. Um die Lok zu schonen, riskierte man eine Geschwindigkeit von 24 bis 28 Stundenkilometern und war damit schneller als jeder Pferdewagen.

Jungfernfahrt mit planetarischer Geschwindigkeit

Die dafür benötigten neun Minuten wurden als "planetarische Geschwindigkeit" gepriesen, die nun aufgenommenen Fahrten und der Gewinn der Aktionäre bewirkten, dass in schnell Folge weitere Eisenbahnstrecken gebaut und betrieben wurden. Bei so genannten Schnellfahrten erreichte man der Zug Geschwindigkeit bis zu 66 Stundenkilometern. Als Brennmaterial hat man bei den Lokomotiven anfangs Koks verwendet, doch ging man wegen der hohen Kosten alsbald zur Steinkohle über. Am "Adler" hingen bis zu neun nach Klassen unterteilte Wagen, die insgesamt 192 Personen aufnehmen konnten. Nahezu störungsfrei versah die Lok ihren Dienst bei der bayerischen Ludwigsbahn, doch da sie 22 Jahre später nicht mehr dem Stand der Technik entsprach, hat man sie ausgemustert. Eine Zeitlang wurde sie noch in einer Nürnberger Maschinenfabrik eingesetzt, doch dann verliert sich nach dem Verkauf nach Augsburg die Spur. Zur Hundertjahrfeier der Eisenbahnfahrt wurde 1935 eine Replik des "Adlers" gebaut, um sie auszustellen und bei Feierlichkeiten und Jubiläumsfahrten einzusetzen.

Während Preußens König Friedrich Wilhelm III. noch auf dem Standpunkt verharrte, es sei doch egal, wie schnell man von Berlin nach Potsdam komme, stellte sein Sohn, der Kronprinz und ab 1840 König Friedrich Wilhelm IV., realistisch und zukunftsorientiert, fest: "Diesen Karren, meine Herren, der durch die Welt rollt, hält kein Mensch mehr auf". In der Tat war der Zug der Zeit nicht mehr zu anzuhalten, und so wurde 1838 die Strecke Berlin-Potsdam unter begeisterten Zurufen eröffnet. Eingesetzt war die Lokomotive "Beuth", die von dem Berliner Eisenbahnfabrikanten August Borsig nach englischem Vorbild gebaut worden war. Auch König Friedrich August II. von Sachsen ging mit der Zeit, und so wurde 1839 die Fernbahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden eröffnet.

Fahrpreise nach Klassen gestaffelt

Selbstverständlich war das Fahren mit der Eisenbahn nicht für umsonst zu haben. Irgendwie mussten sich die Investitionen für die Lokomotiven, die Waggons sowie die Schienen und die Gleis- und Signalanlagen und nicht zuletzt die Bahnhöfe amortisieren, die sich nach und nach von einfachen Haltestellen zu monumentalen Prachtbauten entwickelten und von der Macht und Größe des Landes kündeten. Wer alte Fahrpläne betrachtet, sieht, dass es unterschiedliche Preise, nach der ersten, zweiten und dritten Klasse gestaffelte Preise gab. Blicken wir in den Fahrplan der Berliner Eisenbahnen von 1853, dann sehen wir, dass ein Ticket einer etwa 356 km langen Fahrt von Berlin nach Breslau in der 1. Klasse 11 Taler und 2,5 Silbergroschen, in der 2. Klasse 5 Taler und 5 Silbergroschen und in der 3. Klasse 5 Taler und 17,5 Silbergroschen kostete. Nach Leipzig (190 km) kostete eine Fahrt in der 1. Klass 6 Taler, in der 2. Klass 4 Taler und in der 3. Klasse 3 Taler. Wer von Berlin nach Potsdam (35 km) reisen wollte, zahlte je nach Klassen zwischen 24 und 12 Silbergroschen.

Wenn wir die Preise betrachten und sie mit Löhnen von damals vergleichen, dann sehen wir, dass sich viele Menschen Eisenbahnfahrten selbst in der dritten Klasse nicht leisten konnten. Schauen wir in die Literatur der Zeit des Vormärz, also die Zeit vor der Revolution von 1848/49, so wird bei den Löhnen und Preisen die riesige Schere zwischen Arm und Reich, Unten und Oben deutlich. Der Berliner Journalist Ernst Drohnke durchstreifte zwei Jahre lang die preußische Haupt- und Residenzstadt und beschrieb die Lage in seinem 1846 in Frankfurt am Main erschienenen Buch "Berlin". Drohnke weilte nicht nur in feinen Salons, sondern sah sich auch bei Arbeitern und Handwerkern um und schrieb auf, was sie verdienten und wie lange sie für ihren Lebensunterhalt ausgeben mussten. Außerdem schilderte er die Willkür der Berliner Polizei und der Zensurbehörden, die jede freimütige, regierungskritische Äußerung zu unterdrücken versuchte.

Wo das Leben zum Trödel verkommt

Im Abschnitt "Das Proletariat" wird auf Groschen und Pfennig aufgelistet, was Arbeiter und Handwerker, die ja den eigentlichen Wohlstand in Preußen schufen, verdienten und wie ihr Leben "zum Trödel" verkommt. Drohnke gibt die Löhne getrennt nach Frauen und Männern an. Die Spanne bei Tagelöhnen reicht bei Frauen von der Feinwäscherin zwischen 10 und zwölf Silbergroschen bis hinab zu Fabrikmädchen, Schankmädchen und Zigarrenmacherinnen, die zwischen zwei und sechs Silbergroschen bekamen. Bis zu zehn und zwölf Silbergroschen am Tag Silber- und Goldstickerinnen sowie Friesiermädchen. Wenn man weiß, dass ein Taler mit 30 Silbergroschen bewertet wurde, dann waren solche Löhne so gut wie nichts. An der unteren Lohnskala mit einem Tageslohn um vier Silbergroschen befanden sich Frauen, die als Auslegerinnen in Druckereien, Deckennäherinnen oder Seidenwicklerinnen beschäftigt waren. Kinder, die aus purer Not zum Familienunterhalt beisteuern mussten, bekamen zehn bis zwölf Silbergroschen in der Sechstagewoche bei einem Zehn-Stunden-Tag oder 1 ½ Silbergroschen pro Schicht. Häufig wurden Arbeiterinnen nach Akkord bezahlt. Wenn Zigarrenwicklerinnen zu viel Tabak verbrauchten, wurde ihnen das von ihrem Hungerlohn abgezogen. Frauen konnten nicht das ganze Jahr arbeiten, sondern mussten eine "stille Zeit" von zwei bis vier Monaten hinnehmen, in denen sie beschäftigungslos waren und kein Geld verdienten. Arbeiter und Arbeiterinnen mussten, um etwa mit der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam zu fahren, einen Tageslohn und mehr zahlen, längere Fahrten dürften für sie kaum infrage gekommen sein.

Etwas besser als Frauen, Mädchen und Kinder wurden Männer bezahlt. Juweliere und Uhrmacher, das heißt hochspezialisierte Handwerker, bekam einen Tageslohn zwischen 15 und 20 Silbergroschen, ein Waffenschmied zwischen 10 und 15 Silbergroschen und ein Schriftsetzer 15 Silbergroschen. Schrift-, Gelb- und Eisengießer gingen mit einem Tageslohn zwischen 15 und 20 Silbergroschen nach Hause, während sich Maurer, Zinngießer, Klempner, Tischler und Buchdrucker mit zehn sowie Buchbinder mit 7 ½ Silbergroschen zufrieden geben mussten. Drohnke notierte, dass Lohnempfänger vielfach ohne Arbeit sind und mit Kürzungen für Kost und Wohnung zu rechnen haben. Vielfach waren die Lohnempfänger über längere ohne Arbeit und bekamen keinen Lohn, während die Ausgaben für Nahrung, Kleidung und Wohnung weiter liefen. "Sie arbeiten ohne Rast einen Tag wie den andern um die Existenz des Tages. Welche ,Ordnung' ist dies aber, welches sie doch von Natur haben, entzieht und spricht: ihr müsst euch dies Recht erst verdienen durch die anstrengendste, anhaltendste Arbeit! Aber glücklich sind diese, welche es noch zu verdienen imstande sind."

Ungeheure Entfaltung von Luxus und Schlemmerei

Auf der anderen Seite gab es in Berlin und nicht nur dort eine ungeheure Entfaltung von Luxus und Schlemmerei. Im 19. Jahrhundert sagte man zu einem doppelten Vereinstaler schlicht Champagnertaler, weil eine Flasche dieses köstlichen Getränks zwei Taler kostete. Dass der Name keine Legende ist wie manches rund um alte Münzen, sondern Realität, zeigt ein Blick auf historische Speise- und Getränkekarten. Das Restaurant des Königlichen Hof-Traiteurs Jagor Unter den Linden 23 in Berlin war ein Ort vornehmer Gastronomie. Laut Speisekarte vom 8. Mai 1830 wurden für eine Flasche Champagner zwei Taler verlangt. Wer die edlen Getränke, die auch mal drei Taler und mehr kosten konnten, nach Hause nehmen wollte, bekam einen Aufschlag von mehreren Silbergroschen. Da der Wochenlohn eines Arbeiters weit weniger als zwei Taler betrug und viele Menschen am Rande des Existenzminimums lebten, kann man sich vorstellen, wer die teuren Etablissements besuchte und wer sich draußen mit knurrendem Magen die Nase an üppig dekorierten Schaufenstern platt drückte.

25. März 2022

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