Franzosen als Strolche verunglimpft
Preußische Besatzer brachten 1913 Bewohner des so genannten Reichslandes Elsass-Lothringen gegen sich auf



> Während das Wandgemälde von Hermann Wislicenus und seines Schülers Franz Weinack im Kaisersaal der Kaiserpfalz zu Goslar Wilhelm I. und seine Paladine als Widerhersteller von des Reiches Einheit, Glanz und Herrlichkeit feiert und die Symbolfiguren von Elsass und Lothringen dem greisen Hohenzollernherrscher huldigen, betrauert auf dem französischen Gemälde eine einfache Elsässer Familie, dass sie sich den preußischen Besatzern unterordnen muss. Das Kreuz der Ehrenlegion bekam dem Mann für Verdienste um sein Vaterland.



Die französische Grafik zeigt, wie Gallia, der Symbolfigur des Landes, bei den Verhandlungen 1871 die Unterschrift unter den Frankfurter Frieden abgenötigt wird.



Auf Recht und Gerechtigkeit zu hoffen, ist den Untertanen Kaiser Wilhelms II. verwehrt, will die Karikatur sagen.



Hofschranzen und Militärs scharen sich angesichts der Kritik am preußisch-deutschen Militarismus um Kaiser Wilhelm II., derweil gewinnen die Sozialdemokraten im Wahljahr weiter an Boden.



Das Deutsche Reich und seine Fürsten sind unter der preußischen Pickelhaube vereint. Olaf Gulbransson zeigt im Simplicissimus vom November 1913, wie sich ein Raubtier mit Pickelhaube über die kleinen Elsässer hermacht. Rechts zeigt die französische Karikatur, wie im Ersten Weltkrieg blutrünstiger Deutscher Frankreich und seine Kultur zerstört.



Die in Straßburg sitzenden deutschen Besatzer spielten den Fall herunter und behaupteten, das Wort "Wackes" sei eine allgemein übliche Bezeichnung für streitsüchtige Personen. Die Karikatur neben dem Straßburger Münster zeigt, dass sich der preußische Leutnant selbst beim Einkaufen von Soldaten eskortieren lassen muss.



Der deutsche Reichsadler rupft auf der Karikatur aus dem Ersten Weltkrieg dem gallischen Hahn die Federn aus. (Fotos/Repros: Caspar)

Bis zur Okkupation durch Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. im ausgehenden 17. Jahrhundert gehörte das Elsass zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. In dieser Zeit durften sich die betroffenen Gebiete mehr oder weniger autonom verwalten, denn ungeachtet der königlichen Oberherrschaft bewahrte die Region weitgehend ihre traditionellen Wirtschafts- und Zollverhältnisse, was sich positiv auf die Ökonomie und die Kultur auswirkte. Erst nach der Revolution von 1789 und der Abschaffung der Monarchie 1793 wurden mit dem Ausbau des französischen Zentralstaats die überkommenen Rechte der Elsässer beseitigt und der Landstrich in zwei Departements mit französisch als Amtssprache unterteilt.

Im Ergebnis des deutsch-französischen Kriegs von 1870/1871 wurde das Elsass vom unterlegenen Frankreich abgetrennt und dem neu gegründeten Deutschen Reich zugeschlagen und als so genanntes Reichsland Elsass-Lothringen unter preußische Verwaltung gestellt. Der 1871 in Frankfurt am Main ausgehandelte und nach der Stadt am Main benannte Friede sah vor, dass sich die Einwohner des neuen Reichslandes bis Oktober 1872 entscheiden konnten, ob sie dort bleiben oder wieder französische Staatsbürger werden wollen. Das hätte jedoch bedeutet, dass sie ihre Heimat hätten verlassen müssen. Nur wenige Elsässer und Lothringer entschieden sich dafür. Derweil begannen im Stil preußisch-deutscher Germanisierungs- und Assimilationsversuche. Das bedeutete, dass die französische Sprache systematisch zurück gedrängt und überall die deutsche Sprache Einzug hielt.

Deutsch-französische Erbfeindschaft

Mit der Okkupation von Elsass und Lothringen bekam die schon seit Langem von Nationalisten, Militaristen und Revanchisten gepflegte deutsch-französische Erbfeindschaft, wie man damals sagte, einen neuen, verhängnisvollen Schub. Selbstverständlich wurden die Bewohner nicht nach ihrer Meinung gefragt, ob sie sich Kaiser Wilhelm I. unterordnen sollen oder nicht, und sie waren Bürger zweiter Klasse im Kaiserreich. Die Inbesitznahme von Elsass-Lothringen durch preußische Besatzer erfolgte, um Begehrlichkeiten in den Königreichen Bayern und Württemberg auf den wirtschaftlich interessanten "Zugewinn" abzuschmettern. Allerdings brachte er auch erhebliche Probleme mit sich. Da das Elsass und seine Bewohner von den neuen Herren wie eine Kolonie und die Bewohner wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, blieben Spannungen nicht aus. Sie gipfelten 1913 in der so genannten Zabern-Affäre, die von beleidigende Äußerungen des preußischen Leutnants Günter Freiherr von Forstner über die elsässischen "Wackes" (Strolche, Bummler, Taugenichts) und seine Aufforderung gipfelten, bei Aufbegehren und Widerstand gegen die sich als Herrenmenschen aufführenden Besatzer von der Waffe Gebrauch zu machen. Zabern oder französisch Saverne war Standort zweier preußischen Infanterie-Bataillone.

Der erst 20jährige Offizier hatte neue Rekruten aufgefordert, bei Konflikten im Zweifelsfall zum Seitengewehr, also Messer, zu greifen. "Wenn Sie angegriffen werden, machen Sie von Ihrer Waffe Gebrauch." Einem wegen Messerstecherei vorbestraften Untergebenen sagte er: "Und wenn Sie dabei so einen Wackes über den Haufen stechen, so schadet es nichts. Sie bekommen von mir dann noch zehn Mark Belohnung." Da unter den Soldaten auch Elsässer waren, wurden die Beleidigungen vom "Zaberner Anzeiger" öffentlich gemacht und sorgten mit weiteren verbalen und handgreiflichen Ausfällen des Leutnants sowohl in Frankreich als auch in Deutschland für Aufmerksamkeit und Empörung. Während Kaiser Wilhelm II. und seine Generale den Unverschämtheiten des Leutnants applaudierten, riefen sich bei der ihrer Rechte beraubten Bevölkerung große Empörung hervor.

Zabern-Affäre schadete dem Ansehen des Kaisers

Statt den Leutnant zur Rechenschaft zu ziehen, wurden seine Untergebenen, die sich an die Presse gewandt hatten, wegen Geheimnisverrats bestraft. Im Reichstag wurde, ausgehend von der Provinzposse, kritisch über den Militarismus in der deutschen Gesellschaft diskutiert und die Frage erörtert, welche Macht örtliche Kommandanten bei der Lösung von Problemen in der Zivilgesellschaft haben. Die Affäre belastete sowohl die Beziehungen des Deutschen Reichs zum Reichsland Elsaß-Lothringen und schadete dem ohnehin angegriffenen Ansehen von Kaiser Wilhelm II., der in jenem Jahr gerade prunkvoll sein 25jähriges Thronjubiläum feierte. Überdies wurde vom Reichstag dem Reichskanzler von Bethmann-Hollweg eine Missbilligung ausgesprochen. Statt auf die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der Elsässer und Lothringer einzugehen, wurde der Druck auf sie noch verstärkt, was man aus ähnlichen Konflikten vor und nach den Vorkommnissen in Elsass-Lothringen kennt. Der zuständige General von Deimling bekannte. "Ich betrachte es vielmehr als ein Glück, wenn jetzt Blut fließt. Ich habe jetzt das Kommando, ich bin es der Armee schuldig, Respekt zu verschaffen." Heinrich Mann lässt in "Der Untertan" seinen kaisertreuen Romanhelden Diederich Heßling begeistert über das Zurückschlagen des Militärs in Zabern schwafeln, was vom Autor natürlich ironisch gemeint war.

Im Ergebnis des Ersten Weltkriegs fiel Elsass-Lothringen an Frankreich zurück. Kurt Tucholsky machte sich über den Mut des adligen, im Übrigen straffrei aus der Affäre hervor gegangenen Leutnant mit dem Gedicht "Der Held von Zabern" mit diesen Worten lustig: "Ein ,Mann' mit einem langen Messer, / und zwanzig Jahr - ein Held, ein Heros und Schokladenesser, / und noch kein einzig Schnurrbarthaar. / Das stelzt in Zaberns langen Gassen und kräht Sopran - / Wird man das Kind noch lange ohne Aufsicht lassen? - / Es ist die allerhöchste Eisenbahn! -/ Das ist so einer, wie wir viele brauchen! - Er führt das Korps! / Und tief bewegt sieht man die Seinen tauchen / nach Feinden tief in jedes Abtrittsrohr. / Denn schließlich macht man dabei seine Beute - wer wagt, gewinnt! / Ein lahmer Schuster ist es heute, und morgen ist's ein Waisenkind. / Kurz: er hat Mut, Kuhrasche oder besser: ein ganzer Mann! - / Denn wehrt sich jemand, sticht er gleich mit's Messer / schon, weil der and're sich nicht wehren kann."

6. März 2022

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