Justiz unterwarf sich Befehlen der SED
Bei Schauprozessen wurde in der DDR keine Widerrede geduldet, alles hat die Stasi vorher eingeübt



Die "Rote Guillotine" genannte Justizministerin Hilde Benjamin erfüllte punktgenau ihren von Ulbricht übertragenen "Klassenauftrag" und spielte in politischen Prozessen als harte und unerbittliche Anklägerin, kein Wunder, dass das in Westberlin publizierte Satireblatt sie, Justitia zertrampelnd, aufs Korn nahm.



Wer mit solchen Flugblättern erwischt wurde, hatte in der DDR nichts zu lassen. Wie es in einem Jugendgefängnis zuging, schildert die Zeichnung eines damaligen Insassen. Um den ausgemergelten Gestalten ihre Individualität und Würde zu nehmen, hat man sie kahl geschoren. Die gegen die Opposition im Lande gerichteten Gesetze waren dehnbar und erstreckten sich auf viele Bereiche. Selbst kleine Verstöße und Witzeleien wurden streng bestraft, da kannten die SED-Oberen keine Gnade.





Die ehemalige Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen und andere Einrichtungen in der Ex- DDR wurden nach 1990 in Gedenk- und Erinnerungsstätten umgewandelt.Auf DDR-Landkarten ist das Stasigelände in Hohenschönhausen nicht eingezeichnet. Viele Straßen führen ins Leere.



Nach dem Motto "Wir müssen alles wissen" überwachte die Stasi die Bevölkerung, hier ein Kommandoraum in der Leipziger Zentrale am Dittrichring.





Wer in das damalige Polizeigefängnis in der Keibelstraße, nicht weit vom Berliner Alexanderplatz entfernt, eingeliefert wurde, hatte nichts zu lachen. Die Untersuchungshaftanstalt war die einzige Ost-Berliner Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums des Innern, in der auch Frauen inhaftiert wurden. Das Haus wurde im Februar 2019 als Lernort eröffnet.





Das ehemalige Stasi-Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße 54 wurde in eine Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur umgewandelt und wird vom Land Brandenburg und der Landeshauptstadt finanziell unterstützt. Die Dauerausstellung beleuchtet die wechselvolle Geschichte des ehemaligen Gerichts- und Gefängniskomplexes hinter einer Backsteinfassade aus der Barockzeit während des Nationalsozialismus, der Sowjetischen Besatzungszeit, der DDR und im Umbruchsjahr der Friedlichen Revolution. (Fotos/Repros: Caspar)

Die DDR gab sich nicht nur als Arbeiter und Bauernstaat aus sondern auch als Rechtsstaat. Wie es konkret damit aussah, geht aus unzähligen Berichten ehemaliger Gefangener über unglaubliche Zustände im Justizapparat und den Gefängnissen. Wer die Politik der alles bestimmenden Staatspartei SED in Zweifel zog und sich über ihre "führenden Personen", wie man sagte, lustig machte, wer sich in Wort und Tat gegen deren Maßnahmen auflehnte oder auch mit so genannten Hetzschriften und Flugblätter aus dem Westen erwischt wurde, bekam es mit der Staatssicherheit und der Justiz zu tun. So lange es ging, ergriffen Millionen DDR-Bewohner die Flucht, und wenn sie bei einem Versuch aufgegriffen wurden, kamen auch sie ins Gefängnis. Die Verfassung von 1949 stellte im Artikel 6 fest: "Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze."

Spitzbart-Witze wurden hart geahndet

Schaut man auf die damalige Rechtspraxis, dann zeigt sich, dass schon kleinste Verstöße gegen die dehnbaren, später neu formulierten und verschärften Bestimmungen in der Verfassung und im Strafgesetzbuch hart, sehr geahndet wurden. Schon harmlose Witze über Walter "Spitzbart" Ulbricht und Genossen oder der Aufruf, sich so genannter gesellschaftlicher Arbeit zu verweigern und den von der SED angeordneten Demonstrationen fernzubleiben, konnte zur Verhaftung und Verurteilung zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe führen. Massive Hetze gegen die Bundesrepublik und ihre Politiker und ganz allgemein gegen den Westen war von der Verfassung und den Strafgesetzen der DDR gedeckt, weil sie dem Klassenfeind galt, und dazu war jedes Mittel recht.

In dem von Jürgen Weber herausgegebene Buch "Der SED-Staat. Neues über eine vergangene Diktatur" aus dem Jahr 1994 berichtet Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Grasemann, der lange Zeit in der "Zentralen Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltung (ZESt)" in Salzgitter tätig war, davon, wie politische Gefangene auf ihre Gerichtsverfahren vorbereitet wurden. Um nichts dem Zufall zu überlassen und keine Pannen während der Verhandlung zu riskieren, wurden sie wochenlang darauf vorbereitet, was sie sagen sollen und was nicht. Es gab regelrechte Drehbücher, nach denen Stasileute die Gefangenen einschüchterten und regelrecht dressierten. Unbedingte Unterordnung der Justiz unter die Befehle der SED war oberstes Prinzip. Die richterliche Entscheidung müsse die Bereitschaft widerspiegeln, die von der Partei der Arbeiterklasse und der Regierung gefallenen Beschlüsse durchzusetzen, erklärte Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer. In diesem Sinne wurden Angeklagte bedroht, dass ihnen Schlimmes widerfährt, wenn sie dieses Spiel nicht mitmachen. Sie mussten die Antworten auf die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft auswendig lernen, ja es wurden sogar die Sprechtechnik, Mimik und Körperhaltung eingeübt.

Wir mussten proben und proben

Gegenüber Zentralen Erfassungsstelle, die alles über das in der DDR begangenes Unrecht sammelt und dokumentiert, beschrieb einer der wegen "Agenten- und Spionagetätigkeit" Angeklagten, Willibald Schuster, eine Hauptverhandlung als eine Art Rollenspiel, das vom SED-Zentralkomitee und dem Ministerium für Staatssicherheit erdacht wurde. "Wir mussten erst kaputt gemacht werden vorher, dass wir die einzelnen Rollen übernahmen. Uns wurden die erdachten Rollen vor dem Prozess zeitweise durch die Stasi ausgehändigt, wir mussten proben und proben, und auch die Gesten und Aussprachen wurden dabei nicht vergessen, und als wir die erdachten Gräueltaten auswendig konnten, war dann die ,Generalprobe' im Keller von Hohenschönhausen. Der Ankläger vom Obersten Gericht machte sich dann dort die Mühe und probte mit uns das Stück nochmals vorher durch, und so war dann die Uraufführung beim Obersten Gericht ,ein voller Erfolg'", sagte Schuster. Es habe bei der ganzen Theateraufführung (Schauprozess) keinen Versprecher gegeben, "denn wir kannten ja alle vorher bereits die Fragestellung."

Schlafverbot im Stasi-Gefängnis

Bevor die Angeklagten gedrillt wurden und das Gericht die von der SED-Führung festgelegten vieljährigen Zuchthausstrafen aussprach, spielten sich in den Stasi-Gefängnissen unbeschreibliche Szenen der Gewalt und Drohung ab. Willibald Schuster beschrieb die schrecklichen Haftbedingungen in der berüchtigten Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen als Unterbringung in Zellen und Vernehmungsräumen ohne Tageslicht, damit nach Entzug der Armbanduhr die Wahrnehmung über Tag und Nacht, über Wochentag und Monat nicht mehr möglich war. Am Tage ohne Vernehmung habe es ein Schlafverbot und Liegeverbot bei vorgeschriebener Sitzhaltung gegeben. Die Gefangenen seien mit Wasser und Schlauch behandelt sowie mit Fäusten und Knüppeln geschlagen und hätten Fußtritte bekommen. Es habe übersalzene Nahrung bei gleichzeitiger Vorenthaltung von Getränken vor Vernehmungen und der Hauptverhandlung gegeben. Überdies seien die mit dem Tode bedroht worden, indem man ihnen sagte, sie seien auf der Flucht erschossen worden oder hätten sich selbst getötet. Zwang sei auf die Gefangenen auch durch die Drohung ihrer Überstellung an die Rote Armee ausgeübt worden. Schließlich spricht Schuster von der zwangsweisen Verabreichung von "Sirup", der bei den Betroffenen zu Gleichgültigkeit und Benommenheit führte.

Unrechtsurteil erst 1992 aufgehoben

Es sollte erwähnt werden, dass die Rehabilitierungsanträge von Willibald Schuster und seines Mitgefangenen Gerhard Kammacher vom Landgericht Berlin am 30. Dezember 1991 unter Hinweis und wörtlicher Wiedergabe des vom Obersten Gericht der DDR ausgesprochenen Urteils vom 23. Juni 1955 als "offensichtlich unbegründet" verworfen wurde. Der Kammer reichten die Verfahrensakten mit dem schriftlichen Urteil zur der Feststellung aus, dass die Antragsteller 1955 "zu Recht" verurteilt wurden. Dass ihre Geständnisse erpresst waren, habe das Landgericht nicht hinterfragt, stellt Hans-Jürgen Grasemann fest.

Erst am 9. Dezember 1992 hat das Kammergericht Berlin das Unrechtsurteil des Obersten Gerichts der DDR aufgehoben und die beiden Antragsteller rehabilitiert, weil sie im Namen der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) Widerstand gegen die SED-Diktatur geleistet haben. Dass das DDR-Urteil mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, zeige die Tatsache, dass es v o r der Hauptverhandlung von parteipolitischen Instanzen unter entscheidender Mitwirkung des Parteivorsitzenden Walter Ulbricht festgelegt wurde.

23. August 2022

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