Moskau sagt, was Sache ist
Ulbricht agierte 1953 auf sowjetische Vorwürfe mit dem Neuen Kurs, dachte aber nicht an wirkliche Reformen



Für die Westberliner Satirezeitschrift "Tarantel" war "Onkel Wu" ein wahres Fressen. Wer im Osten mit den Heften erwischt wurde, bekam es mit der Stasi und Justiz zu tun und landete im Zuchthaus.



Walter Ulbricht genoss den Kontakt mit Jasagern und ließ sich gern als gütiger, dabei prinzipienfester Alleskönner mit diesen ablichten. Dabei war er ein Machtmensch ohnegleichen, der nur seine Meinung gelten ließ.



Im Haus der Einheit Torstraße 1 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg hat die SED-Führung alle ihre Pläne und Unterdrückungsmaßnahmen ausgeheckt, bis sie in die ehemalige Reichsbank am Werderschen Markt umzog. Das Gebäude mit der wie ein aufgeschlagenes Buch gestalteten Fassade ist heute ein Hotel.



Dass Stalin ungeheuerliche Verbrechen begangen hat, war kein Thema für ihn, lediglich verfügte er, sein sowjetisches Idol vom Altar der Klassiker des Sozialismus neben Marx, Engels und Lenin zu nehmen.





Die Gedenktafel vor der Gaststätte Rübezahl am Berliner Müggelsee erinnert daran, dass Berliner Arbeiter bei einem Ausflug am 13. Juni 1953 beschlossen, wegen der drückenden Normerhöhungen in den Streik zu treten, der sich vier Tage später zum Volksaufstand ausweitete.



Die SED-Propaganda machte aus dem Volksaufstand einen faschistischen Putsch und sah die Drahtzieher in Westberlin und der Bundesrepublik, dort gedruckte Briefmarken waren in der DDR verboten, und wer dennoch auf diese Art frankierte Post erhielt, bekam Ärger mit der Stasi.



Der 50. Jahrestag des 17. Juni, die friedliche Revolution in der DDR 1889 und die deutsche Einheit ein Jahr später sowie der Fall der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze wurden 2003, 2010 und 2015 auf unterschiedliche Weise durch Gedenkmünzen gewürdigt. (Fotos/Repros: Caspar)

Nach Stalins Tod am 5. März 1953 war nichts mehr wie früher. Zwar wurde der größte und weiseste Führer des Weltproletariats, wie die kommunistische Propaganda verlautete, tränenreich betrauert, aber schon blickte man in der Sowjetunion und den von ihr abhängigen Ostblockländer nach vorn und wartete gespannt darauf, wie im Kreml der Machtkampf zwischen Malenkow, Chruschtschow und anderen Spitzenfunktionären ausgeht und vor allem wie sich Innenminister Berija verhält, Stalins Gehilfe bei der Verfolgung und Ermordung von unzähligen Menschen, in denen das Sowjetregime Volksfeinde und ausländische Agenten sah. Den Diadochenkampf gewann nach Berijas Ausschaltung Stalins treuer Gehilfe, Nikita Chrutschschow, der eine Art Tauwetter einleitete und in seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 mit dem rund um Stalin zelebrierten "Personenkult" abrechnete, jedoch die massiven Verbrechen des ehemals wie ein Halbgott verehrten Stalin aber nur halbherzig ansprach.

Als am 19. Dezember 1949 der 70 Geburtstag von Stalin gefeiert wurde, überschlug sich die SED-Führung mit Lobessprüchen. Er wurde als Repräsentant des ruhmreichen Sowjetvolkes und seiner bolschewistischen Partei gefeiert, "die uns von der Barbarei des Faschismus befreiten und uns halfen in unserem Kampf um die Demokratie und die nationale Einheit und Unabhängigkeit." Stalin sei für uns der Führer der weltumspannenden, ständig wachsenden Front des Friedens, der große Lehrmeister, das Vorbild aller Menschen, die ihre ganze Kraft für den Fortschritt der Menschheit einsetzen. Damals begann, forciert durch die SED und ihren Parteichef Walter Ulbricht, die systematische Stalinisierung der Sowjetzone und ab 1949 der DDR. Stalin wurde als Inspirator und Organisator der sozialistischen Industrialisierung gefeiert, das Studium seiner Biografie wurde Schülern und Studenten zur Pflicht gemacht und der Russischunterricht massiv ausgebaut. Mit Blick auf Stalin versprach Ulbricht, jetzt komme die Zeit der Erfolge, und der Sieg sei gewiss, "weil uns der große Stalin führt."

Aufbau des Sozialismus 1952 verkündet

Dass breite Bevölkerungsschichten das SED-Regime und seine brachialen Methoden ablehnten und 1,4 Millionen Menschen zwischen 1949 und 1955 der DDR den Rücken kehrten, hat das Regime bedauernd zur Kenntnis genommen, bis es von der Führung auch in eigenem Interesse ultimativ aufgefordert wurde, für Abhilfe zu sorgen. Angesichts der großen Unruhe in der DDR und der "Abwanderungen" wies die sowjetische Partei- und Staatsführung die SED-Genossen und DDR-Regierung im Frühsommer 1953 an, bei dem ein Jahr zuvor auf der 2. Parteikonferenz großspurig von Ulbricht verkündeten Aufbau des Sozialismus in der DDR innezuhalten und eine Reihe der von der Bevölkerung abgelehnten Zwangsmaßnahmen zurückzunehmen. "Infolge der Durchführung einer fehlerhaften politischen Linie ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine äußerst unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage entstanden" heißt es in dem Papier der sowjetischen Kommunisten, das als Anlage dem Protokoll einer Politbürositzung von 5. Juni 1953 beigegeben wurde und in dem Buch "Die DDR vor dem Mauerbau. Dokumente zur Geschichte des anderen deutschen Staates 1949 bis 1961", herausgegeben von Dierk Hoffmann, Karl-Heinz Schmidt und Peter Skyba in der Serie Pieper Dokumentationen München 1994 abgedruckt ist. Die harsch formulierte, seinerzeit geheim gehaltene Kritik aus Moskau konnte erst 1990, nach dem Ende der DDR, bekannt gemacht werden.

Die sowjetischen Genossen stellten fest, unter den breiten Massen der Bevölkerung, darunter auch unter den Arbeitern, Bauern und der Intelligenz gebe es eine ernste Unzufriedenheit. Das komme am deutlichsten in der massenhaften Flucht nach Westdeutschland zum Ausdruck. Als Hauptursache werden die Beschlüsse der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 genannt, auf der der "planmäßige Aufbau des Sozialismus in der DDR" proklamiert wurde, ohne dass die dafür notwendigen ökonomischen sowie innen- und außenpolitischen Voraussetzungen gegeben waren. Ohne dass Ulbricht direkt genannt wurde, der die utopische Vision ausgab und auch später von unerfüllbaren Zielen wie "Westdeutschland einholen und überholen" schwadronierte, zog er Kritik wegen dieser als übereilt eingestuften Maßnahmen auf sich: Beschleunigung der Entwicklung der Schwerindustrie ohne entsprechende Rohstoffquellen, Einschränkung der Privatinitiative, Entzug der Lebensmittelkarten für Privatunternehmer und Freischaffende, die vorschnelle Schaffung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) bei fehlender Grundlage auf dem Dorf, massive Schwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit Industriewaren und Nahrungsmitteln und Ruinierung der kleinen Eigentümer wie Handwerker und Gewerbetreibende. In drohendem Ton wies die Führung in Moskau Ulbricht und Genossen an, den Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft zu revidieren und das "überspannte Tempo der Entwicklung der Schwerindustrie" zurückzufahren. Auch sollte in nächster Zeit die Lebensmittelkarten abgeschafft werden, was erst fünf Jahre später gelang. Schließlich übte Moskau Kritik an der restriktiven Kirchenpolitik der SED, die zahlreiche DDR-Bewohner in die Flucht trieb.

SED räumt Fehler kleinlaut ein

Das Politbüro der SED räumte kleinlaut eine Reihe von Fehlern ein und gelobte unter dem Stichwort "Neuer Kurs" Besserung. Dass bereits Kaiser Wilhelm II. den irgendwie modern und volksnah klingenden Begriff benutzte, um nach der Entlassung von Reichskanzler Otto von Bismarck (1890) die Gunst seiner Untertanen zu erringen, die verzweifelte Lage der Arbeiter und kleinen Angestellten durch Reformen zu mildern und damit auch den Einfluss der Sozialdemokratie zu brechen, hat die SED-Führung in der angespannten Zeit vor dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 nicht gestört. Im Neuen Deutschland übte die Partei so etwas wie Selbstkritik. Bestimmte Verordnungen und Anordnungen hätten nicht erlassen werden dürfen, etwa die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung, die Übernahme devastierter (stillgelegter, brach liegender) landwirtschaftlicher Betriebe und verschärfte Methoden der Steuererhebung. Die Interessen der Einzelbauern, Einzelhändler, Handwerker und der Intelligenz seien vernachlässigt worden, räumte die Partei ein. Auch habe man zu großen Druck auf die Kirche und die Gemeinden ausgeübt. So wurde der Kampf gegen die Junge Gemeinde eingestellt, und Geistliche und Mitarbeiter der Kirchen, die man als Agenten des Westens verteufelt hatte, wurden aus der Haft entlassen. Wegen ihres christlichen Bekenntnisses von der Oberschule verwiesene Schüler sollten wieder aufgenommen und zum Abitur zugelassen werden.

Der am 11. Juni 1953 verkündete Neue Kurs ließ Handwerker, Einzelhändler und kleine private Industriebetriebe auf die Rückgabe ihrer Geschäfte und Betriebe hoffen, und auch Mittelbauern sollten ihre Landmaschinen zurück bekommen, die man ihnen zuvor gestohlen hatten. Überprüft wurden Verhaftungen und Urteile, selbst "kleine" Nazis und Kriegsverbrecher wollte die SED unter bestimmten Voraussetzungen aus der Haft entlassen. Das hörte sich gut an, aber war nicht so gemeint, und die Menschen schenkten den Verheißungen keinen Glauben. Denn im Grunde planten Ulbricht und Genossen nur kosmetische Korrekturen und legte bei der Verwirklichung des Neuen Kurses keine Eile an den Tag.

Erhöhung der Arbeitsnormen beibehalten

Größtes Manko der vollmundig verkündeten Maßnahmen war, dass die Erhöhung der Arbeitsnormenerhöhung bei gleichbleibendem geringem Lohn bestehen blieb, was zu wachsendem Unmut bei den Arbeitern führte und eine Streikwelle auslöste, die am 17. Juni 1953 und den folgenden Tagen das ganze Land ergriff und die Rote Armee mit ihren Panzern und Standgerichten auf den Plan rief. Selbstverständlich wurde der Aufstand mit etwa einer Million Teilnehmern zwischen der Insel Rügen und dem Erzgebirge nicht auf gravierende Missstände in der Wirtschaft und Versorgung und die bornierte Politik der SED-Führung zurückgeführt, sondern auf die Wühlarbeit westdeutscher Geheimdienste und das "Schwanken" von DDR-Bewohnern, die nicht an den Sieg des Sozialismus glauben wollten, wo der angeblich doch alle Wünsche erfüllt und die Krönung der deutschen Geschichte darstellt.

27. Juli 2022

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