Dem Volk aufs Maul geschaut
Martin Luther übersetzte vor 500 Jahren auf der Wartburg das Neue Testament in die deutsche Sprache



Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren und starb dort am 18. Februar 1546. Er war eine der am meisten porträtierten Persönlichkeiten des 16. Jahrhundert und ist auch heute in der Alltags- und der gehobenen Sprache präsent, ohne dass man immer weiß, welche Wörter und Wendungen auf ihn zurück gehen. Die Grafiken zeigen ihn als Augustinermönch sowie als Bibelübersetzer und bärtigen Junker Jörg.



Die Denkmäler vor der Frauenkirche in Dresden, auf Marktplatz zu Eisleben und neben der Marienkirche in Berlin zeigt den Reformator mit der Bibel in der Hand, deren deutsche Übersetzung er vor 500 Jahren vollbracht hat.





Die Wartburg bei Eisenach sah zu Luthers Zeiten nicht so stattlich aus wie nach dem Umbau und der Renovierung im 19. Jahrhundert. Man muss sie sich als vernachlässigten Bau und eine Art Rumpelkammer der sächsischen Kurfürsten vorstellen. Unzählige Besucher blicken in die karg eingerichtete Lutherstube, in der der Reformator vor 500 Jahren die Zeit als Junker Jörg nutzte, um das Neue Testament aus der griechischen in die deutsche Sprache zu übertragen.



Kurfürst Friedrich der Weise, dargestellt auf einem Gemälde von Lucas Cranach und auf dem einem barocken Universitätskatheder, das in der Wittenberger Lutherhalle ausgestellt ist, nahm Martin Luther unter seine Fittiche.





In zahllosen Pamphleten, Flugblättern und Spottbildern äußerten Zeitgenossen und spätere Generationen ihre Meinung über die Reformation. Auf dem Holzschnitt führt Martin Luther die Gläubigen aus der Finsternis an das Licht des Glaubens. Die Allegorie aus dem 17. Jahrhundert zeigt, wie Martin Luther mit seiner Schreibfeder bisherige Gewissheiten und Machtstrukturen ins Wanken bringt.



Nachdem Wittenberg 1815 preußisch geworden war, widmeten sich die Hohenzollern der Pflege des Lutherschen Erbes. Die schon lange verloren gegangene Tür an der Schlosskirche wurde repräsentativ umgestaltet und erhielt auch ein Bild mit Luther und seinem Mitstreiter Philipp Melanchthon. (Fotos/Repros: Caspar)

Ausgangspunkt der von dem Wittenberger Augustinermönch und Theologienprofessor Martin Luther durch den Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 initiierten Bewegung zur Erneuerung der katholischen Kirche war deren Aufforderung an die Gläubigen, durch Geldzahlungen Ablass und Vergebung von begangenen, aber auch von künftigen Sünden zu gewähren. Seit dem Mittelalter konnte man durch Teilnahme an Kreuzzügen oder Wallfahrten beziehungsweise durch Geldzahlungen Buße und Gutes für sein Seelenheil tun. Den gleichen Effekt versprach man sich vom Bau von Kirchen sowie der Stiftung von Hospitälern oder Altären. Nach und nach verfestigte sich die Meinung, man könne nahezu alle Untaten durch Gulden, Groschen und Taler abgelten, und dies öffnete dem Missbrauch Tür und Tor. Nicht alle Sünden, Vergehen und Verbrechen wurden vergeben, wichtig war es aber, einem Priester zu beichten und "tätige Reue" zu üben. Dagegen wandte sich der Kirchenreformator Martin Luther, der vor 500 Jahren auch durch die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache Bedeutendes zu ihrer Vereinheitlichung geleistet hat.

Als die Päpste mehr und mehr Geld benötigten, um die damals größte Kirche der Christenheit, den Petersdom in Rom, zu errichten, wurde die Vergebung der Sünden gegen Geldzahlungen gelockert. Wer sich etwas hat zuschulden kommen lassen, konnte sich auch ohne Beichte und nur durch den Kauf eines Ablassbriefes reinigen. Die Hälfte der im Römisch-deutschen Reich erzielten Einnahmen kam dem Bau des Petersdoms zugute, das andere Geld teilten sich Kardinal Albrecht von Brandenburg, der als Erzbischof in Mainz saß und ein Bruder des brandenburgischen Kurfürsten Joachim Nestor war, und der jeweilige Ablassprediger. Beteiligt an dem Geschäft war auch das Augsburger Handelshaus Fugger, bei dem der Erzbischof hoch verschuldet war.

Zügelloses Ablassunwesen angeprangert

Zwar war der Ablassprediger Johann Tetzel im Erzbistum Magdeburg tätig, doch es kamen zu ihm auch Leute aus Wittenberg, und von diesen erfuhr Martin Luther Einzelheiten über das Ablassunwesen. Das brachte den Professor an der 1502 gegründeten Wittenberger Universität so in Rage, dass er seine wie damals üblich in lateinischer Sprache verfassten 95 Thesen gegen die Auswüchse des Ablassunwesens und die Gebrechen der Kirche am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug, wie die Legende berichtet. Er prangert die Vergebung von Sünden gegen Geldzahlungen als zügellos, frech und wertlos und nur für die Kirche und sein Oberhaupt in Rom nützlich an. Mit den einleitenden Worten "Aus Liebe zur Wahrheit und im Verlangen, sie zu erhellen, sollen die folgenden Thesen in Wittenberg disputiert werden unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Paters Martin Luther, Magister der freien Künste und der heiligen Theologie, dort auch ordentlicher Professor der Theologie. Daher bittet er jene, die nicht anwesend sein können, um mit uns mündlich zu debattieren, dies in Abwesenheit schriftlich zu tun. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Amen" bat Luther seine geistlichen und weltlichen Brüder um Mitwirkung an der Erneuerung der Kirche.

Der Reformator wandte sich an die Öffentlichkeit wie damals üblich in lateinischer Sprache, doch sorgte die erst ein halbes Jahrhundert alte Buchdruckerkunst dafür, dass seine Forderungen auch auf Deutsch verbreitet und damit jedermann zur Kenntnis gebracht wurden. Luther betonte: "Es irren daher diejenigen Ablassprediger, die da sagen, dass ein Mensch durch Ablässe des Papstes von jeder Strafe gelöst und errettet wird. Ja, der Papst erlässt den Seelen im Fegfeuer keine einzige Strafe, die sie nach den kirchenrechtlichen Bestimmungen in diesem Leben hätten abtragen müssen. [...] Unausweichlich wird deshalb der größte Teil des Volkes betrogen durch jene unterschiedslose und großspurige Zusage erlassener Strafe."

Als Junker Jörg in der Wartburg untergetaucht

Das konnten der Papst, die Geistlichkeit und all die anderen Profiteure des Ablasshandels nicht auf sich sitzen lassen, zumal die Kritik über das Ablassunwesen hinaus auch die schlimmen Zustände in der Kirche generell betraf. Dass sie auf fruchtbaren Boden fiel, zeigt das gewaltige Echo im Römisch-deutschen Reich und außerhalb seiner Grenzen, denn Luther hatte nicht nur die Gebrechen und Erscheinungen von Selbstsucht und Bereicherung in der römischen Kirche zur Sprache gebracht, sondern auch aufgefordert, sie an Haupt und Gliedern zu erneuern und zu den Wurzeln des Glaubens zurückzukehren. Was zunächst gelehrtes Nachdenken über Verbesserungen im kirchlichen Bereich war, wurde schon bald ins Weltliche gewendet und richtete sich gegen die Willkür der Fürsten sowie die Rechtlosigkeit und Ausbeutung ihrer Untertanen.

Ganz gewiss wäre es Martin Luther ähnlich übel ergangen wie seinem Vorläufer, dem tschechischen Reformator Jan Hus, der 1415 beim Konzil in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde. Aber der Wittenberger hatte in seinem Arbeitgeber, dem sächsischen Kurfürsten Friedrich III., genannt der Weise, einen mächtigen Beschützer. Als Luther sich auf dem Reichstag zu Worms weigerte, seine Forderungen zu widerrufen, kam er in Acht und Bann und wurde für vogelfrei erklärt. Der Kurfürst aber ließ seinen Untertanen Martin Luther im Mai 1521 unweit der Burg Altenstein nach einem fingierten Überfall auf die Wartburg bringen und das Gerücht ausstreuen, der Kirchenrebell sei ermordet worden.

Luther schlüpfte in die Rolle des Junker Jörg, ließ sich einen Bart wachsen und begann in einem kargen Raum auf der Vogtei, der heutigen Lutherstube, mit der Übersetzung des Neuen Testaments aus der griechischen in die deutsche Sprache. Mit ihr gab Luther den entscheidenden Impuls zur Herausbildung der einheitlichen frühneuhochdeutschen Schriftsprache. Schnell wurden die ersten Druckexemplare verbreitet, gefolgt von immer wieder verbesserten Auflagen. Dass Martin Luther auf üble Weise gegen Juden polemisierte und 400 Jahre später die Nationalsozialisten ihn zum Kronzeugen ihrer Hetze gegen die Juden und den Holocaust aufriefen, sollte bei aller Bewunderung für seine Leistungen auf kirchen- und bildungspolitischem Gebiet nicht übersehen werden.

Sendbrief vom Dolmetschen

Der Kurfürst von Sachsen konnte sich seine Opposition gegen den erst 21 Jahre alten Kaiser Karl V. und die Kirche leisten, denn er war ein mächtiger Landesherr, dessen Hof in Wittenberg, Torgau und an anderen Orten zu den prächtigsten im Römisch-deutschen Reich zählte. Friedrichs III. Geldquellen waren unermesslich, denn das Erzgebirge lieferte ihm tonnenweise Silber für Prägung von Klappmützentalern, Schreckenberger Groschen und anderen Geldstücken. Solch einem Fürsten schienen alle Wege offen, selbst der auf den Kaiserthron, der nach dem Tod Maximilians I. 1519 vakant war. Allerdings wurde nicht er, sondern der junge König Karl I. von Spanien zum neuen Kaiser gewählt.

Nach dem 1530 im Sendbrief vom Dolmetschen formulierten Grundsatz "Man muss dem Volk aufs Maul schauen" mühte sich Luther bei der Bibelübersetzung um eine volkstümliche und verständliche Sprache, die sich an der am Hof zu Wittenberg verwendeten Kanzleisprache orientierte. "Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet", riet er seinen Mitmenschen.

Wortschöpfungen und Sprachbilder

Auf Martin Luther gehen wunderbare, originelle und oft witzige Wortschöpfungen und Sprachbilder zurück. Bei vielen weiß man kaum noch, dass sie vor einem halben Jahrtausend aus Wittenberg in die Welt gingen. Zu nennen wären Bluthund, Dicke Bretter bohren, Dorn im Auge, Ebenbild, Ein Herz und eine Seele, Feuereifer, Feuertaufe, Gewissensbisse, Gift und Galle, Herzenslust, Hochmut kommt vor dem Fall, Judaslohn, Lästermaul, Lockvogel, Lückenbüßer, Machtwort, Machtwort, Morgenland, Nächstenliebe, Schandfleck, Sündenbock und viele andere. Lang ist die Liste der Sprüche, die ebenfalls auf ihn zurück gehen, so etwa "Ein Geiziger kann nichts nützlicheres und besseres tun, als wenn er stirbt", "Die Lüge ist wie ein Schneeball: Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er", "Ein Schluck Wasser oder Bier vertreibt den Durst, ein Stück Brot den Hunger, Christus vertreibt den Tod", "Landstraße ist sicher, Holzweg ist gefährlich", "Gottes Wort führet zum Leben, aber Eigendünkel zum Tode" und "Von Arbeit stirbt kein Mensch. Aber von Ledig- und Müßiggehen kommen die Leute um Leib und Leben, denn der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen." Daneben hinterließ Luther auch Deftiges wie "Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz", "Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmecket?", "Der Wein ist stark, der König stärker, die Weiber noch stärker, aber die Wahrheit am allerstärksten" und "Wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang". Die Zitate zeigen, dass Luther ein alles andere als abgehobener, im Elfenbeinturm tätiger Gelehrter war, sondern ein Mann des Volkes, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit steht und wusste, wie man sich verständlich macht.

30. Mai 2022

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