"Was bedeuten ULB und SCHNIE?"
Offene Kritik an den Medien wurde in der DDR streng bestraft, aber natürlich gab es sie hinter vorgehaltener Hand



Bis zum Ende der DDR 1989/90 mussten die Zuschauer des DDR-Fernsehens die stets nach einem Spielfilm gezeigte Sendung von Karl-Eduard von Schnitzler "Der Schwarze Kanal" mit Schnipseln aus dem Westfernsehen ertragen - oder sie schalteten gleich auf den Westen um. Der Hassprediger erwies sich nach dem Untergang des von ihm so vehement verteidigten und schön geredeten Staates als unbelehrbar.



Bilder brüderlicher Eintracht, als Erich Honecker und Walter Ulbricht ihre vorbei marschierende Untertanen am 1. Mai 1972 von der Tribüne grüßten, verschleierten, dass es hinter den Kulissen bösartige Machtkämpfe und Schuldzuweisungen gab. Denn offiziell galt die Parole "Vorwärts immer, rückwärts nimmer".





Wer das SED-Zentralorgan Neues Deutschland vom 16. März 1987 mit Dutzenden Honecker-Fotos in der Hand hielt, dürfte es schnell beiseite gelegt haben. Selbst für gläubige Genossen war diese Art Personenkult zu viel.



Mit der Aktion "Ochsenkopf" versuchte die Staatsjugend FDJ den "Konsum" des Westfernsehens einzudämmen. Wie Juden in der NS-Zeit wurden Leute in der DDR öffentlich an den Pranger gestellt, die gegen alle Verbote West-TV sahen. Nach 1989/90 avancierte Honecker zur Witzfigur, hier genial verkörpert durch Jörg Schüttauf im Spielfilm von 2017 "Vorwärts immer".



Erst im Verlauf der friedlichen Revolution von 1989/90 fassten DDR-Bewohner Mut und riefen ihren Unterdrückern zu, dass das Volk grundsätzliche Veränderungen bewirkt hat. (Fotos/Repros: Caspar)

Wer sich in der DDR über die Medien lustig machte oder gar fundamentale Kritik an ihnen vornahm, wer sich gegen die Zensur auflehnte und sich verbat, dass linientreue Genossen in seinen Manuskripten herum malen und verlangten, dass Gemälde, Skulpturen und andere künstlerische Werke nach dem "Geschmack" der führenden Genossen gestaltet werden sollen, wer sich gegen politisch-ideologisch motivierte Schnitte in Spiel- und Dokumentarfilmen auflehnte, bekam es mit der Staatssicherheit, der Justiz und der geballten Staatsmacht zu tun, wurde mit Arbeitsverbot belegt oder kam ins Gefängnis. Das Verfahren ist aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt, wo Propagandaminister Goebbels bestimmte, wer was schreiben, malen, filmen oder schauspielern darf und wie das systemkonform geschehen muss.

Besonders penetrant wurde es immer, wenn im SED-Zentralorgan Neues Deutschland (ND) und der Aktuellen Kamera, der wichtigsten Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, im Stil feudaler Hofberichterstattung die "führenden Genossen" mit Walter Ulbricht und nach dessen Sturz 1971 Erich Honecker an der Spitze zu Wort kamen. Waren ihre langen Titel schon eine Zumutung, so war das, was sie ihrem Volk mitteilten, banal und wirkte wie vom Blatt abgelesen. Keine Bewegung, keine Geste, die nicht auf ihre vermeintlich positive Wirkung auf die Leser und Zuschauer beurteilt wurde. Das krampfhafte Mühen um Optimismus und Siegeszuversicht kam in der Bevölkerung nicht gut an, denn sah ja die eklatanten Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Das verdächtige Wort "noch"

In der In der DDR existierte Medienkritik nur im Verborgenen, quasi hinter vorgehaltener Hand. Doch es gab sie hinter verschlossenen Türen in hohen und höchsten Partei- und Regierungskreisen, und sie gelangte in Lageberichten von Beobachtern des Ministeriums für Staatssicherheit in diese Gremien. Von Lebensferne und Langeweile in den vom SED-Zentralkomitee "angeleiteten" Nachrichtensendungen des Fernsehens und des Rundfunks war die Rede, von Schönfärberei und fehlender Reflexion darüber, was nicht alles funktioniert im Staat der Arbeiter und Bauern. Geändert haben Staats- und Parteichef Walter Ulbricht und ab 1971 sein Nachfolger Erich Honecker und ihre Helfer an der öden Hofberichterstattung nichts, mochte sich die Bevölkerung noch so sehr darüber mokieren, dass alles "noch" schöner, besser, sauberer werden soll und es "nur noch" vielfältiger Anstrengungen bedarf, bis das große Ziel, der Sieg des Sozialismus, erreicht ist und sich alle Menschen glücklich in den Armen liegen. Überhaupt wurde das verdächtige Wort "noch" in allen möglichen Verlautbarungen bis zum Überdruss verwendet. Es signalisierte der Bevölkerung, dass eigentlich alles in Ordnung ist, nur müsse sie sich noch mehr anstrengen und arbeiten, um dem imperialistischen Klassenfeind jenseits der deutsch-deutschen Grenze die historische Überlegenheit des Sozialismus zu beweisen. Hier waren auch der Kulturbereich und die Medien gefordert, um mit Bildern, Büchern, Filmen und Theaterstücken sowie Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehbeiträgen diesen Beweis anzutreten, was aber angesichts der Gebrechen des kommunistischen Weltsystems und damit auch der DDR ein Ding der Unmöglichkeit war.

In den von der SED "angeleiteten", in Wahrheit gesteuerten Medien nahm die langatmige Aufzählung der vielen Titel der Politbüro- und Regierungsmitglieder viel Raum und Zeit in Anspruch, und ähnlich sah es bei den elend langen, immer gleichlautenden Berichten nach strengem Protokoll von Staatsbesuchen und Parteitagen aus. Dennoch gab es gewisse Ausreißer wie die Wochenpost, das Satireblatt Eulenspiegel und das Magazin, alles Zeitschriften, für die man nur schwer ein Abonnement bekam und die am Kiosk schnell ausverkauft waren. Hier konnte man auch schon mal Seriöses über das Land und die Welt lesen, und auch der Humor, ja sogar Sarkasmus kamen nicht zu kurz. Zeitungsarchive und Beteiligte von damals könnten Auskunft geben, was alles n i c h t gedruckt wurde und wie an Texten gefeilt wurde, bis sie die offiziell nicht vorhandene, de facto aber auch in den Köpfen existierende Zensur passiert haben.

"Sudel-Edes" ungeliebte Fernsehreihe

Über die Ödnis der Verlautbarungsmedien machte sich die Bevölkerung mit Witzen wie diesem Luft: "Was bedeutet ein ULB? - Das ist die Zeiteinheit, die man braucht, um von seinem Sofa aufzuspringen und den Fernseher oder das Radio abzuschalten, sobald die sächselnde Fistelstimme von Walter Ulbricht erklingt. Das Verdikt wurde als SCHNIE auch auf Karl Eduard von Schnitzler angewandt, der im DDR-Fernsehen jeden Montag nach der Ausstrahlung eines nicht selten noch aus der Nazizeit stammenden Unterhaltungsfilms seine Zuschauer mit dem Schwarzen Kanal traktierte. Diese von "Sudel-Ede" moderierte Sendereihe wertete Filmschnipsel aus dem Westfernsehen aus, in denen Gewalt, Betrug, Raubmord, Vergewaltigung, Korruption und Bereicherung, kurzum die Gebrechen der verdammten imperialistische Westgesellschaft und deren Pleiten, Pech und Pannen, so der Titel einer Serie im Westfernsehen von 1986 bis 2002, vorgeführt wurden. Schnitzler stellte süffisant die Nachrichten aus dem angeblich zum Untergang verurteilten System der sauberen Welt des Sozialismus in der DDR gegenüber, in der Milch und Honig fließen und sich alle begeistert um das Zentralkomitee und ihre Chefs erst Walter Ulbricht und ab 1971 Erich Honecker scharen.

Der Schriftsteller Uwe Johnson nahm sich am 5. August 1964 im West-Berliner Tagesspiegel die ungeliebte Sendereihe vor, die nur bei den "bewaffneten Organen" gern gesehen wurde, weil man da bewegte Bilder aus dem Westen vorgesetzt bekam, denn Westfernsehen war Soldaten und Stasileute, aber auch Partei- und sonstigen Funktionären streng verboten. "Am Montagabend, nach einem konventionellen Zirkusfilm, betrieb Herr von Schnitzler abermals sein Reprisenkino, immer noch einmal zeigte er Stücke aus westdeutschen Fernsehsendungen, die sich befassten mit den Verstößen gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik. [...] Er gedachte der Abhöraffäre, er sprach nicht über das eigene Telefon. Er gedachte der westdeutschen Filmzensur, er achtete der eigenen nicht. Er zeigte sein bitterstes Lächeln und blickte die westdeutschen ,Damen und Herren' an, als sollten sie die Maus spielen, und wäre ja gern die Katze gewesen."

Voller Mund und leere Sprüche

Am 10. Februar 1977 schrieb der in der DDR nur missmutig geduldete Schriftsteller Stefan Heym im Stern (Hamburg), was ihm beim Betrachten der Aktuellen Kamera, der Leib- und Magensendung des SED-Politbüros, unangenehm aufstieß. Unter der Überschrift "Je voller der Mund, desto leerer die Sprüche" sah er vier Wochen die Aktuelle Kamera an und befand, dass dort Hochdeutsch so genanntes Hoch-DDRsch gesprochen wird. Es sei gepflegt bürokratisch, voll hochtönender Substantiva, die mit den entsprechenden Adjektiven verbrämt wurden. Die Sätze würfen langen Arten von den Sprechern und Konzentration von den Hörern verlangten. Erleichtert werde das Verständnis durch die im Text reichlich verstreuten Klischees - "Codewörter eigentlich, die in den Köpfen eines durch Zeitungslektüre, Versammlungsbesuche, Schulungskurse wohltrainierten Publikums sofort gewisse Gedankenverbindungen auslösen." So rede man nur im Fernsehen der DDR, schreibt Heym. Veränderung sei immer tiefgreifend, Verwirklichung immer zielstrebig, Gedankenaustausch immer umfassend. Wenn von Atmosphäre gesprochen wird, dann sei sie immer schöpferisch. Von eingehenden Beratungen ist die Rede, das Fundament des sozialistischen Staates sei unerschütterlich, das Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Partei unzerstörbar, und die Verwirklichung ihrer Beschlüsse zur allseitigen Stärkung des Sozialismus geschehe vollinhaltlich. Personen avancieren, wie Heym feststellte, zu Persönlichkeiten, und sie laufen nicht irgendwo herum, sondern sie weilen in Fabriken und in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Das unentwegte Zitieren der Klassiker des Marxismus-Leninismus und der Gesundbeterei durch die amtierenden SED-Chefs, so kann man ergänzen, ersetzte die kritische Auseinandersetzung mit der tristen Gegenwart im SED-Staat. Das konnte nur in eine Sackgasse führen, und so war sein Ende 1989/90 unausweichlich.

1. Juni 2022

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