Albert Speers Bilderschätze
Hitlers Stararchitekt und Rüstungsminister hinterließ zahlreiche Fotoplatten, die erst jetzt wissenschaftlich erschlossen wurden



Die von Albert Speer (1905-1981) in die Welt gesetzte Legende, er habe in die Bunkeranlagen unter der nach seinen Plänen erbauten Neuen Reichskanzlei in Berlin Giftgas einleiten und damit Hitler und einige seiner Getreuen töten wollen, wird von Historikern bezweifelt und als Versuch angesehen, sich als heimlicher Gegner des Naziregimes zu stilisieren. Die Fotos zeigen den Stararchitekten und Rüstungsminister allein und mit Hitler sowie als Angeklagten in einer Zelle in Nürnberg. Im Vordergrund sind trockene Brotscheiben zu erkennen.



Die Neue Reichskanzlei war ein von Speer für Hitler errichteter Prunkbau, der Besucher beeindrucken, ja in Angst und Schrecken versetzen sollte. Die Kriegsruine wurde in den frühen 1950er Jahren abgerissen, Gedenktafeln berichten über die Geschichte dieses Ortes.



Grundsteinlegungen und Eröffnung von Bauwerken boten Hitler die willkommene Möglichkeit, sich als größter deutscher Baumeister aller Zeiten darzustellen, genannt GRÖBAZ.



In der „Welthauptstadt Germania“ sollte unter anderem ein 118 Meter hoher und 170 Meter breiter Triumphbogen errichtet werden. An den Wänden wollte Hitler die Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Deutschen meißeln lassen.



Das Foto eines Modells belegt Planungen für ein riesiges, "Deutscher Reichshof" genanntes Hotel, das wie viele andere Bauten nicht realisiert wurde.



So stellten sich Hitler, Speer und Genossen die Nord-Süd-Achse mit der Großen Halle, in die die Peterskirche in Rom mehrfach hinein gegangen wäre, dem Triumphbogen und weiteren Monumentalbauten vor. Der schwankende Untergrund von Berlin hätte die gewaltigen Lasten nicht ausgehalten, wären sie nach dem „Endsieg“ gebaut worden.



Arno Breker modelliert die Büste des Stararchitekten Albert Speer, der im Zweiten Weltkrieg zu Hitlers wichtigstem Organisator der deutschen Kriegswirtschaft aufstieg und 1966, nach Verbüßung seiner zwanzigjährigen Zuchthausstrafe in Berlin-Spandau, in der Bundesrepublik Deutschland eine zweite Karriere als Verteidiger in eigener Sache startete. In der Staatlichen Messbildstelle wurde sein „gläsernes Erbe“ gehütet und erschlossen.



Der alt gewordene Speer erzählt der westdeutschen und internationalen Presse, wie er sich unter Hitler und oft gegen seinen Willen für das Wohl seiner Landsleute eingesetzt haben will. Von Einsicht und Reue war bei seinen Pressekonferenzen, Fernsehauftritten und Publikationen wenig zu spüren.



Jetzt kommt zu dem 2022 in der Topographie des Terrors in einer Ausstellung aufgetürmten Berg mit Büchern von und über Albert Speer eine neue Publikation, die sich anhand von alten Fotos und Modellen mit den „Großbauten des Dritten Reichs“ befasst. (Fotos: Caspar/Repros aus dem besprochenen Buch)

Im Bunker der Reichskanzlei verschanzt, soll Hitler im Frühjahr 1945 zu seinem Lieblingsarchitekten und Rüstungsminister Albert Speer gesagt haben, wenn der Krieg verloren geht, werde auch das Volk verloren sein. „Dieses Schicksal ist unabwendbar. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil, es ist besser, selbst diese Dinge zu zerstören.“ Das deutsche Volk habe sich dann als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehöre ausschließlich die Zukunft. Was nach dem Krieg übrig bleibt, seien ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten seien gefallen. Albert Speer, der seinen Führer mit diesen Worten beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg zitierte, widersetzte sich nach eigenen Angaben wenige Wochen vor dem Ende der Nazidiktatur einem Führerbefehl, Versorgungseinrichtungen wie Brücken, Vorratslager, Schienen und Bahnhöfe zu zerstören. Sich diesem „Nerobefehl“ entgegenzustellen, war mutig. Während Hitler andere Befehlsverweigerer erschießen ließ beziehungsweise ihrer Posten enthob, blieb Speer, angeblich sein einziger Freund, ungeschoren.

Vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal gab sich Speer als Technokrat und guter Nazi aus, der nur das Beste für sein Land wollte und weder mit Holocaust, Massenmorden und Kriegsverbrechen zu tun hatte. Dass er genau davon Kenntnis hatte, wurde ihm von Historikern später nachgewiesen. Mit stolzgeschwellter Brust ließ er das Gericht wissen und vermied es, ein Wort über die unmenschlichen, von Hunger, Krankheit und Todesangst geprägten Arbeits- und Lebensbedingungen in den Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern zu verlieren: „Am besten gebe ich die Entwicklung in der Zahl der bei mir beschäftigten Arbeitskräfte (wieder). 1942 hatte ich die Heeresrüstung und das Bauen übernommen mit zusammen 2,6 Millionen Arbeitern. Im Frühjahr 1943 übertrug mir Dönitz die Verantwortung für die Marinerüstung. Ich hatte damit 3,2 Millionen Arbeitskräfte. Im September 1943 wurde durch die Vereinbarung mit Wirtschaftsminister Funk mir die Produktionsaufgabe des Wirtschaftsministeriums übertragen. Damit waren bei mir 12 Millionen Arbeitskräfte beschäftigt. Und schließlich übernahm ich die Luftrüstung von Göring. Damit war bei mir die gesamte Produktion mit 14 Millionen Arbeitskräften vereinigt.“

Mit 20 Jahren Haft davon gekommen

Als einziger, der in Nürnberg kleinlaut so etwas wie Mitschuld am Zusammenbruch des so genannten Dritten Reichs bekannte, kam Speer mit 20 Jahren Haft im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis glimpflich davon und wurde am 30. September 1966 mit einigen Mitgefangenen von dort entlassen. In Nürnberg wurde Speers Rolle bei der brutalen Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Sklavenarbeitern zur unzureichend untersucht. Hätten die Richter intensiver nachgefragt, was Speer und seine Leute taten, um die Zwangsarbeiter in den Rüstungsfabriken brutal auszupressen, wäre ihm der Strang gewiss gewesen. Das gilt auch für die Deportation von Juden in die Vernichtungslager, weil deren „judenfrei“ gemachte Häuser und Wohnungen für Ausgebombte gebraucht wurden beziehungsweise der Platz im Zusammenhang mit der Umgestaltung Berlins in die so genannte Welthauptstadt Germania benötigt wurde.

Von eigenen und fremden Bauten sowie Modellen und anderen Objekten ließ Albert Speer zahlreiche Fotografien anfertigen und der Staatlichen Bildstelle überweisen, die damals im Marstall beim Berliner Schloss untergebracht war. Die gestochen scharfen Aufnahmen in dem 1885 von Albrecht Meydenbauer gegründeten Preußischen Messbildarchiv, ab 1921 Staatliche Bildstelle Berlin, leisten bis heute beim Wiederaufbau sowie der Sanierung und Restaurierung historischer Bauten gute Dienste. Sie geben Auskunft selbst über winzige Details an nun in Bau-und Kunstdenkmalen, die noch existieren oder schon lange vergangen sind. Die im Zweiten Weltkrieg ausgelagerten und dadurch zum Teil beschädigten Negative gelangten nach ihrer Rückführung 1958 aus der Sowjetunion zunächst in das Kunsthistorische Institut der Humboldt-Universität und dann in das Institut für Denkmalpflege der DDR, das bis Ende 1990 seinen Sitz in der Brüderstraße in Berlin-Mitte hatte. Die Glasplatten wurden im Messbildarchiv in der Gormannstraße wie „toxische Ware“ unter Verschluss gehalten und stehen nun nach Aufhebung aller Sperren im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum in Wünsdorf bei Teltow zur Verfügung.

Bis heute unter Verschluss gehalten

In dem Buch „Der Auftrag Speer der Staatlichen Bildstelle Berlin. Zur wissenschaftlichen Erschließung eines fotografischen Bestandes im Messbildarchiv des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und archäologischen Landesmuseums“ wird der von Albert Speer angelegte Bilderschatz vorgestellt und kommentiert. Das Buch erschien 2022 im Berliner Lukas Verlag, hat 400 Seiten, 370 zum Teil farbige Abbildungen und kostet 40 Euro (ISBN 978-3-86732-378-9). Speer hatte die Aufnahmen anfertigen lassen, um zahllose Gebäude außen und innen sowie Modelle und die dazugehörigen Pläne und Zeichnungen zu dokumentieren. Er entschied, welche Fotos von seinen eigenen Bauten und solchen anderer Architekten in welcher Form und welchen Ausschnitten publiziert werden und was unter Verschluss gehalten werden soll.

Aus nicht näher bekannten Gründen waren diese Aufnahmen sowohl in der DDR als auch nach ihrem Ende für die Einsichtnahme gesperrt. Beim Anblick der „Großbauten des Führers“, wie man in der NS-Zeit sagte, mag Insidern in der DDR aufgefallen sein, dass es zwischen ihnen und den Neubauten in der Berliner Stalinallee und an anderer Stelle gewissen stilistische Übereinstimmungen gibt. Man hätte sich gewiss einen Bärendienst erwiesen, wenn diese Parallelen öffentlich geworden wären. Wo das Bauwesen im Nationalsozialismus angesprochen wurde, behalf man sich in beiden deutschen Staaten mit Reproduktionen aus Büchern und Zeitschriften jener Zeit. Demnächst kann man die originalen Vorlagen auch auf der Internetseite des Landesamtes betrachten. Sie zeigen unerwartete Details von Bauwerken, belegen Bildausschnitte und die damals angewandten Retuschiertechniken. Die Publikation enthält Einzelstudien etwa über den Fotoauftrag von Speer an die Staatliche Bildstelle, den Städtebau im Nationalsozialismus, die Bauplanungen für „Germania“ einschließlich der Erweiterungspläne der Staatlichen Museen zu Berlin, ein riesiges Verwaltungsforum in Frankfurt an der Oder, das Nürnberger Reichsparteitagsgelände und andere in der Regel nicht verwirkliche Projekte richtet den Blick auf bislang unbekannte Aspekte der Architektur nach 1933 und behandelt auch Bauvorhaben aus der Zeit davor, sofern sie von der Staatlichen Bildstelle berücksichtigt wurden.

Datenbank im Internet einsehbar

Die von Albert Speer geleitete Generalbauinspektion (GBI) sei eine Schaltstelle des NS-Bauwesens gewesen, schreibt Landeskonservator Thomas Drachenberg im Vorwort zu dem neuen Buch. Die in Auswahl vorgestellten insgesamt 1755 Negativen auf Glasplatten seien bisher weder katalogisiert noch im Einzelnen erforscht worden. Das 2018 ins Leben gerufene Projekt habe im Wesentlichen drei Ziele, und zwar die hochauflösende Digitalisierung der Aufnahmen, die Präsentation in einer öffentlich zugänglichen Datenbank auf der Website des Landesamtes sowie die wissenschaftliche Erschließung und Aufbereitung des Materials in einer Publikation, die in seinem nunmehr 60. Arbeitsheft erfolgt ist. In ihrer Einführung betont Katharina Steudtner die herausragende Bedeutung dieses „besonderen gläsernen Erbe des Nationalsozialismus“ für die Forschung über diese Zeit. Die Staatliche Bildstelle habe zu Speers Zeiten in einer Sperrliste verschiedene Separatbestände verzeichnet, die nur eingeschränkt für die Vermarktung, d. h. Veröffentlichung gegen Gebühren, zur Verfügung standen. Was als „Auftrag Speer“ überliefert ist, stellt nur einen kleinen, aber wichtigen Teil der etwa 100.000 Aufnahmen des zwischen 1885 bis 1945 gebildeten Gesamtbestandes dar.

Allein 1300 Aufnahmen stammen aus Berlin, so etwa 200 Aufnahmen von 1939 von der Reichskanzlei außen und innen, dokumentiert sind ferner Speers Planungen für die Neuordnung des Verkehrswesens in Berlin und der beiden quer durch Wohngebiete geschlagenen Achsen von Nord nach Süd und von Ost nach West. Den Bildern kann man monströse Pläne für ein neues Völkerkundemuseum, eine neue Hochschulstadt in Umkreis des Olympiageländes, ferner für den Ausbau der Charité sowie ein Reichsärztehaus an der Ost-West-Achse entnehmen. Da gab es den Führerpalast und das Reichsmarschallamt, das Oberkommando der Wehrmacht und das Haus des Fremdenverkehrs, nicht zu vergessen Hotels, Sportanlagen und Aufmarschplätze. Gezeigt und erläutert werden, um nur in Berlin zu bleiben, Pläne, Fotos und Modelle für eine riesige Soldatenhalle, eine Kunsthalle und das Reichsforstamt, für einen Turm auf dem Havelberg im Grunewald und das Hauptquartier der Hitlerjugend. Gebaut werden sollten, aber nur als Fotos überliefert sind Verwaltungsgebäude und Konzernzentralen, ein riesiger Bahnhof, der an den Petersplatz in Rom angelehnte, von Säulenhalle eingefasste Mussoliniplatz mit einer riesigen Bildsäule in der Mitte, aber auch Hochschulen, Wohnsiedlungen und Wirtschaftsbauten.

Hitler als Baumeister des Großdeutschen Reichs

Etliche Projekte wurden in der Zeitschrift „Die Baukunst und Kunst im Dritten Reich“ und an anderer Stelle abgebildet, denn monumentale Staatsbauten zu errichten, und wenn sie über pompöse Grundsteinlegungen nicht hinaus kamen, spielten in der Goebbels-Propaganda und dem Kult um Hitler als Baumeister des Großdeutschen Reichs eine bedeutende Rolle. Der Möchtegern-Künstler Hitler nahm an den Plänen lebhaften Anteil und änderte sie, wenn es in seinen Kram passte. Es gibt Fotografien, die ihn im Bunker der Reichskanzlei, sein nahes Ende voraus sehend, in sich zusammen gesunken vor dem Modell von „Germania“ sitzend sieht.

Nicht nur in Berlin wurde wurde oder sollte gebaut werden, auch der in der Umgebung hatte man viel vor. So war für Frankfurt an der Oder eine riesige Stadt, die man „Wächter am Strom“ nannte, geplant. Nur als Torso überliefert ist die „Stadt X“ in Trassenheide, bekannt auch als KfD-Bad Prora. Zu finden sind auf einigen Glasplatten Motiv andere Art, etwa das Denkmal Friedrich des Großen, das Friedrich Gilly um 1800 plante, und als Modell von 1941 dokumentiert ist. In dem Buch findet man auch die Bildhauerwerkstatt von Arno Breker in Wriezen sowie Fotomontagen von der Marienburg und sogenannte Führerskizzen etwa für eine Oper und eine Galerie in Linz.

Dem Buch hätte gut zu Gesicht gestanden, wenn es in einem einleitenden Beitrag dargelegt hätte, wer dieser Albert Speer war und was er getan hat. Nicht immer hat man diesbezügliche Literatur zur Hand und weiß auch nicht, wie sich Hitlers Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister dem Ende der NS-Diktatur 1945 und seiner Entlassung aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis 1966 als einer in Pose warf, der nur das „Beste“ für sein Land wollte und von den Lastens seiner vielen Ämter überfordert war. In Zeiten, als die Parole „,Mein Kampf verbrannt' - Hitler nicht gekannt“ weit verbreitet war und in Wohnstuben und am Stammtisch geglaubt wurde, wurden Albert Speer und Genossen von namhaften Historikern und Journalisten sowie Alt- und Neonazis rein gewaschen. Albert Speer war ein Profiteur dieser Welle, und es dauerte noch einige Jahre, bis man ihn mit kritischer Brille betrachtet hat. Erst 2022 widmete sich die Topographie des Terrors in einer Ausstellung dem „zweiten Leben“ und der Wiederauferstehung des Architekten und Rüstungsministers Albert Speer in der alten Bundesrepublik.

Über die Ausstellung in der Topographie des Terrors über Albert Speer als „guter Nazi“ siehe Eintrag auf dieser Internetseite (Rubrik Geschichte) vom 23. Mai 2022

1. November 2022

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"