Mussolinis Marsch auf Rom
Italienischer Faschistenführer errichtete vor einhundert Jahren eine Diktatur, und viele Landsleute folgten ihm begeistert



"Caesar Mussolini" will die Welt in ein rotes, das heißt ein blutiges Meer verwandeln, ließ der "Eulenspiegel" 1928 seine Leser wissen. Fünf Jahre später ging Hitler daran, in Nazideutschland dieses Ziel zu verwirklichen.



Die 1940 in den USA gedrehte Filmsatire "Der große Diktator" mit Charly Chaplin in der Hauptrolle dürfte Hitler und Mussolini kaum gefallen haben, wenn sie ihn denn zu Gesicht bekommen haben.



Am Abend des 20. Juli 1944 schauten sich Mussolini und Hitler in der durch Stauffenbergs Bombe zerstörten Baracke in der Wolfsschanze um.



Die Karikatur von Walter Trier zeigt, wie über dem italienischen Diktator die Fasces wie das Damoklesschwert hängt und sich über ihm der Vorhang der Geschichte senkt.



Unter Mussolini hat Italien seine Münzen doppelt datiert. König Vittorio Emanuele III. trägt auf der Zehnliremünze von 1936 (Anno XIV) den Titel des Kaisers von Abessinien.



Der Duce schaut grimmig auf einer wohl um 1940 entstandenen Medaille des Nationalen Olympischen Komitees drein. Das geflügelte Paar auf der Rückseite hält die Fasces mit Beil darin in der Hand, das Symbol der italienischen Faschisten.



Wer in Rom genau hinschaut, sieht an fast jeder Straßenecke Hinterlassenschaften aus der Mussolinizeit, links behelmte Männerköpfe als Fensterschmuck. In der Mitte das Bersaglieridenkmal an der Porta Pia, das aus dem Jahr 1932 stammt und mit AN X, also Jahr 10 der Faschistischen Ära datiert ist. Rechts ist eine Straßenlaterne mit dem römischen Adler und Wolfsköpfen geschmückt.



In Italien war es möglich, dass der blutbesudelte Diktator Mussolini in einer solchen Gruft bestattet wurde. Sie ist ein beliebter Pilgerort von Neofaschisten aus aller Welt



Wer möchte kann überall in Italien ganz legal Mussolinikitsch kaufen. In Deutschland wäre Hitler auf Biergläsern und Weinflaschen undenkbar. (Fotos/Repros: Caspar)

Italien war bis zu seiner Einigung 1870 unter Victor Emanuel II. ein geteiltes Land. 1861 nahm der aus Savoyen stammende König von Sardinien den Titel eines Königs von Italien an und regierte bis 1878. Mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn seit 1882 im Dreibund vertraglich verbunden, verhielt sich Italien im Ersten Weltkrieg neutral, verließ aber schon 1915 das Bündnis mit dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten und stellte sich auf die Gegenseite, nachdem dem Land von der Entente erhebliche territoriale Zugewinne und die Herrschaft über die Adria zugesichert worden waren. Ende Oktober 1922 marschierte der Journalist und Führer der italienischen Faschisten, Benito Mussolini, mit 40 000 seiner in schwarze Hemden gekleideten Anhänger nach Rom. Unter Androhung von Gewalt erzwangen sie den Rücktritt der Regierung. König Victor Emanuel III. lehnte es ab, die Hauptstadt gegen die Putschisten zu verteidigen, erklärte sich zur Kooperation mit Mussolini bereit. Ein Jahr später unternahm Adolf Hitler, der Führer der deutschen Nationalsozialisten, nach Mussolinis Vorbild einen Putsch in München, den so genannten Marsch auf die Feldherrnhalle, der aber scheiterte.

Lauter schöne Versprechungen

Vom König am 30. Oktober 1922 mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, errichtete der Duce (Führer) der 1919 von ihm gegründeten Kampfbünde (Fasci combattimenti) eine Diktatur, ohne dass formal die Landesverfassung außer Kraft gesetzt wurde. Mussolini stellte "Ruhe und Ordnung", was immer er darunter verstand, her. Zum Ministerpräsidenten ernannt, war er dabei erfolgreich, weil sein Kampf gegen die Linke im Land von großen Teilen des Bürgertums sowie von Intellektuellen und Künstlern unterstützt wurde. Der sich wie ein römischer Imperator gebärdende und bei öffentlichen Auftritten brüllende und wild gestikulierende Politiker versprach ihnen ein neues, mächtiges, modernes und zukunftsorientiertes Italien, und das machte im Lande einen gewaltigen Eindruck. Dass dabei die Opposition blutig bekämpft wurde, nahmen seine Anhänger und die vielen Mitläufer billigend in Kauf. Eine proletarische Revolution nach sowjetischem Vorbild und ein Italien unter sozialistischer Führung war für sie solch ein Gräuel, dass sie die lautstark an die Macht gelangten Faschisten als kleineres Übel hinnahmen.

Ein 1924 erlassenes Wahlgesetz sicherte den italienischen Faschisten, wie sich die Mussolinileute nach dem altrömischen Symbol der bei Umzügen hohen Würdenträgern voran getragenen Fasces (Rutenbündel) mit einem Beil darin, die Macht im Staat und im Parlament. Nach der neuen Regelung sollte diejenige Partei, die mindestens ein Viertel aller Stimmen auf sich vereint, zwei Drittel aller Abgeordnetensitze erhalten. Nach dem Mord an dem Mussolini-Kritiker und sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti am 10. Juni 1924 traten Abgeordnete, die nicht zu Mussolinis Lager gehörten, aus dem Parlament aus und verlangten eine strikte Aufklärung des Verbrechens und ein Ende der Gewaltmaßnahmen gegen die Opposition, konnten sich aber nicht durchsetzen.

Hier der Duce, dort der Führer

Schaut man auf Mussolinis rasanten Aufstieg und den seiner Anhänger, dann drängen sich Parallelen zu den Nationalsozialisten in Deutschland auf. Sie betreffen nicht nur die Symbolik - hier Schwarzhemden, dort Braunhemden, hier Duce, dort Führer, hier wie dort auf die Spitze getriebenen Nationalismus und Propaganda und Hetze, die kein Tabu kennt - , sondern den blutigen Terror gegen Andersdenkende. Einmal an der Macht baute Mussolini seine Diktatur mit Hilfe der Polizei und Justiz immer weiter aus. Streiks waren verboten, und wer sich widersetzte, kam ins Gefängnis, wurde mundtot gemacht oder ermordet. In Italien und ab 1933 in Nazideutschland war der Wille des Führers oberstes Gesetz, Wahlen waren, sofern sie überhaupt stattfanden, nur eine Farce. In Italien wurden Abgeordnete vom Duce und dem von ihm geleiteten Großen Faschistischen Rat ausgewählt und auf eine Liste gesetzt, die dann dem Volk abgenickt werden musste.

Die Beziehungen, die sich zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini nach der Errichtung der NS-Diktatur im Deutschen Reich am 30. Januar 1933 entwickelten, waren anfangs nicht ohne Spannungen, besserten sich aber im Interesse gemeinsamer Kriegs- und Herrschaftspläne. Zum Antisemitismus der Nationalsozialisten verhielt sich Mussolini distanziert. Erst als Teile Italiens gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Wehrmacht besetzt waren, wurden zahlreiche Juden in die Konzentrationslager deportiert und ermordet. Papst Pius XII. und mit ihm viele Geistliche versuchten zu retten was zu retten ist, doch war ihr Einfluss nicht groß genug, um Juden in Rom und in Italien vor dem Holocaust zu bewahren.

Das Thema ist seit 1945 Gegenstand kontroverser Diskussionen und schwerwiegender Anschuldigungen, ebenso die Hilfe profaschistischer Kreise, die es deutschen Nazi- und Kriegsverbrechern, ermöglichte, auf der so genannten Rattenlinie vor allem nach Südamerika zu fliehen. Dass der Papst nicht energisch gegen die Zwangsmaßnahmen der SS und Gestapo protestiert und die Verschleppung italienischer Juden nicht verhindert hat, wurde ihm nach 1945 angekreidet und war auch Thema des viel beachteten Dramas von Rolf Hochhuth "Der Stellvertreter" aus dem Jahr 1963.

Opfer abenteuerliche Selbstüberschätzung

Hitler hat vom Duce, seinem Bruder im Geiste, und den Italienern nicht viel gehalten haben. Bei der nur intern vorgebrachten Kritik klang noch das wortbrüchige Verhalten Italiens im Ersten Weltkrieg nach. Beide Diktatoren brauchten aber einander, um ihre Herrschaft auszubauen und ihre Kriegspläne zu verwirklichen. Als italienische Truppen im Oktober 1934 in Abessinien (Äthiopien) einfielen, das afrikanische Land annektierten, Kaiser Haile Selassie I. zur Abdankung und zur Flucht zwangen und König Vittorio Emanuele III. den Titel eines Kaisers von Äthiopien annahm, war Mussolini auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 verhielt sich er sich zunächst abwartend-neutral und nannte das einen "nicht kriegführenden Zustand". Doch als Hitlers Wehrmacht einen Staat nach dem anderen besiegte und besetzte, trat er in den Krieg gegen Frankreich und England in der Hoffnung ein, damit auch an deutschen Siegen partizipieren zu können.

Mussolinis Untergang begann mit seinem Eintritt in den Krieg auch mit dem Ziel, das italienische Kolonialreich auszubauen und an den deutschen Eroberungen zu partizipieren. In Verkennung seiner Möglichkeiten und Ressourcen erklärte der zu maßloser Selbstüberschätzung neigende Duce 1941 erst der Sowjetunion und dann den USA den Krieg und legte damit die Grundlage für sein eigenes politisches und persönliches Scheitern. Zahllose an der Seite der Wehrmacht kämpfende Italiener erlitten, wie deutsche Landser auch, in den eisigen Weiten der Sowjetunion einen elenden Kältetod. Eine Katastrophe folgte der anderen. So ging 1941 Abessinien, das König Vittorio Emanuele III. als Kaiser beherrschte, verloren, und im Krieg gegen Griechenland musste die Wehrmacht den Italienern zu Hilfe kommen. Deren Kampf in Nordafrika gegen englische Truppen endete in einem Desaster und veranlasste Mussolini, den darum überhaupt nicht erfreuten Hitler um Unterstützung zu bitten. Darauf trat das von Generalfeldmarschall Manfred Rommel befehligte deutsche Afrikakorps in Aktion und musste sich nach anfänglichen Erfolgen im Sommer 1942 zurück ziehen.

Schmähliches Ende in Mailand

Im Sommer 1942 riefen die britische und die amerikanische Regierung die Italiener dazu auf, sich gegen das faschistische Regime zu erheben. Nach der Landung der Alliierten auf Sizilien am 9. Juli 1943 und ihrem Vormarsch nach Norden mussten Mussolini und seine Leute nach und nach Terrain aufgeben. Der Diktator verlor damit Macht und Einfluss und wurde am Ende, da er nicht mehr zu halten war, vom Großen Faschistischen Rat seines Postens enthoben, verhaftet und auf dem Gebirgsmassiv Gran Sasso in den Abruzzen gebracht. Der um seine eigene Position besorgte König übernahm die Befehlsgewalt über die Streitkräfte. Zudem beauftragte er Marschall Pietro Badoglio mit der Bildung einer neuen Militärregierung. Badoglio löste die Nationale Faschistische Partei auf und schloss als neuer Ministerpräsident am 8. September 1943 einen einseitigen Waffenstillstand mit den Alliierten. Wenig später wurde das italienische Gebiet in zwei Besatzungszonen aufgeteilt. Die deutsche Wehrmacht okkupierte weite Teile Norditaliens. Einem vom SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny geleiteten deutschen Spezialkommando gelang am 12. September 1943, den ehemaligen Duce aus der Gefangenschaft zu befreien. Als Marionette der Deutschen herrschte er über ein geschrumpftes Land, das man Republik von Salò nannte. Mussolini wollte hier an das Programm der faschistischen Frühzeit anknüpfen, um seine Untertanen hinter sich zu scharen, was aber nicht gelang.

Seinen letzten großen Auftritt hatte Mussolini am Abend des 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze, als er Hitler besuchte, der gerade dem Attentat des Grafen Claus von Stauffenberg entgangen war. Nach dem Vormarsch der Westalliierten in Italien und der Einnahme von Rom versuchte der machtlose Mussolini im Frühjahr 1945, seine Haut durch die Flucht in die Schweiz zu retten. Doch wurde er von Partisanen erkannt und mit weiteren Begleitern am 28. April 1945 erschossen. Seine Leiche und die seiner Geliebten Claretta Petacci wurden öffentlich aufgehängt. Einen Kriegsverbrecherprozess und sein schmähliches Ende vor Augen, brachten sich Hitler und seine eben angetraute Frau Eva Braun angesichts bedrohlich heran nahender Truppen der Roten Armee am 30. April 1945 im Bunker der Berliner Reichskanzlei um.

Neofaschisten pilgern zum Grab

Aktuell bereiten sich Neofaschisten auf die hundertste Wiederkehr des Marschs auf Rom vor, und sie werden Mussolini feiern, als habe es sein verbrecherisches Regime nicht geben. Mehr noch wird der Diktator als "guter Mensch" ausgegeben, als ein Mann, der nur das Beste für sein Land wollte, aber an ungünstigen Verhältnissen gescheitert war. Historiker stellen im Rückblick fest, dass es in Italien gleich nach dem Krieg intensive, zum Teil recht harte Auseinandersetzungen mit dem Duce und seiner 22jährigen Diktatur gab, während sich die Westdeutschen, mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder beschäftigt, nach dem Motto "Mein Kampf verbrannt, Hitler nicht gekannt" die Vergangenheit mit zumeist geringem Elan bewältigten, wie man die Austreibung des nationalsozialistischen, rassistischen und militaristischen Ungeistes zu umschreiben pflegte. Als sie sich dann aber intensiver der Aufarbeitung der NS-Geschichte zuwandten, wendete sich das Blatt, zumal Gerichtsprozesse und die Medien immer mehr monströse Einzelheiten über Kriegsverbrechen und Massenmord im Zeichen des Hakenkreuzes ans Tageslicht brachten.

In Italien waren und sind größere Bevölkerungsteile der Meinung, die Mussolinizeit sei doch nicht so schlimm gewesen und man brauche einen neuen Führer seines Schlages, der das Land aus seiner wirtschaftlichen und politischen Dauerkrise rettet. Wer nach Italien reist, kommt an Mussolini nicht vorbei, dafür sorgen nicht nur die Neofaschisten. Überall werden Andenken, aber auch Wein- und Bierflaschen mit seinem Kopf und andere Devotionalien kaufen. Außerdem kann man, beginnend in Rom, auch heute Bauwerke und Skulpturen aus der Mussolinizeit betrachten. Des Diktators Grabstätte in Predappio, einer Kleinstadt in der Provinz Emilia-Romagna, ist Pilgerstätte von Neofaschisten. Mussolini war hier 1883 geboren und nach 1945 in einer fürstlich zu nennenden, bereits 1930 errichteten Gruft bestattet worden. Es wird damit gerechnet, dass die Pilgerstätte nach Renovierungsarbeiten wieder öffentlich zugänglich sein wird, was Antifaschisten in Italien und außerhalb des Landes in Rage bringt und zeigt, wie schwer es in dem zur Europäischen Union gehörenden Land ist, mit dem dunkelsten Kapitel seiner an schrecklichen Ereignissen wahrlich nicht armen, von Bürgerkriegen und dem Kampf zwischen Oben und Unten, Links und Rechts geprägten Geschichte abzuschließen. Da auch in Deutschland nicht kleine Gruppen versuchen, die Naziverbrechen einschließlich des Holocausts kleinzureden oder gar zu leugnen, sind allergrößte Wachsamkeit und entschlossener Kampf für den Erhalt unserer Freiheit und Demokratie geboten.

6. Januar 2022

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