"Die Partei immer dabei"
Mit aufmunternden Parolen versuchte die SED, die DDR-Bevölkerung bei der Stange zu halten





Welch eine Diskrepanz zwischen der rauen Wirklichkeit eines Gifte verströmenden Chemiekombinats und der gemalten Vision, und welch ein Wunschdenken bei der Parole "Stadt und Land, Hand in Hand".



Frohsinn und Optimismus verbreiten, waren wichtige Ziele der Propaganda. Jeder war zu Höchstleistungen für den Aufbau des Sozialismus zu leisten. In der Mach-Mit-Bewegung ging es neben andern Zielen, die Lebensumwelt durch persönlichen Einsatz "noch schöner" zu machen. Frauen spielten in dieser Art Volksbeeinflussung eine untergeordnete Rolle.



Walter Ulbricht und Genossen träumten von der sozialistischen Menschengemeinschaft und übersah, dass sich seine Untertanen nicht nach einem am Schreibtisch ausgedachten Plan ummodeln und erziehen lassen.





Das DDR-Museum in der Berliner Kulturbrauerei hinterfragt die bunten Bilder mit freudig erregten Menschen bei Massenaufmärschen zum 1. Mai oder 7. Oktober und zeigt, was in Westpaketen steckte. Eine Tafel Schokolade oder ein Tütchen Westkaffee konnte bei den von Mangelwirtschaft geplagten und in langen Schlangen vor einem Laden anstehenden Menschen Wunder bewirken und manche Türen öffnen. (Fotos/Repros: Caspar)

In unserer heutigen Überflussgesellschaft sind DDR-Zeiten kaum vorstellbar, in denen Butter und Zucker, Fleisch, Fett, Öl und andere Lebensmittel rationiert waren und nach dem spaßhaft gemeinten Motto "Kein Paradies ohne Schlangen" nach einfachsten Dingen des täglichen Bedarfs anstehen mussten. In Ostberlin mag die "sozialistische Wartegemeinschaft", wie man diese nannte, weniger lang gewesen sein als draußen in der noch schlechter versorgten Provinz. Allgemein aber galt in der DDR-Mangelwirtschaft, von der hohe und höhere Funktionäre nichts spürten, dass man nicht nach Belieben einkaufen konnte, sondern hatte bis in die 1950er Jahre nur eine bestimmte, oft rationierte Menge zur Verfügung, und wenn man mehr benötigte, dann musste man auf dem "Schwarzen Markt" oder in teuren Läden dazu kaufen. Gut waren diejenigen dran, die eine eigene Landwirtschaft oder einen Garten besaßen und sich daraus versorgen konnten.

Die Älteren unter uns werden sich noch an Lebensmittelkarten und Bezugscheine erinnern, die man in der frühen DDR beim Einkauf von Grundnahrungsmitteln, aber auch von Textilien und Schuhen vorlegen musste. Das System war keine Erfindung der Nachkriegszeit, sondern hatte es schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg gegeben. Mit der Zeit besserte sich die Versorgungslage, aber sie wurde bis zum Ende der DDR nie wirklich gut. Hinzu kam, dass die Bewohner des zweiten deutschen Staates über das Westfernsehen und durch Besuche in die und aus der Bundesrepublik wussten, wie es sich dort lebte und dass man sich alles kaufen und überall hin reisen konnte, sofern man die nötigen Mittel hatte. Dass es auch Menschen gab, denen diese nicht zur Verfügung standen und daher jeden Pfennig umdrehen mussten, wurde bei der Sicht auf den "goldenen Westen" ausgeblendet.

Reklame contra Wirklichkeit

Die Lebensmittelkarten bestanden aus Kupons, die beim Einkauf vom Händler abgeschnitten wurden. Jedem DDR-Bürger stand eine bestimmte Menge an Fleisch, Fett, Zucker und ähnlichen Waren zu. Wenn Familienfeiern wie Geburtstage und Hochzeiten, aber auch die Ostertage und das Weihnachtsfest bevorstanden, wurden die Abschnitte gehortet und dann auf einmal eingelöst. Endlich konnte die Familie, wenn sie Glück hatten, einmal richtig schmausen. Auch nach dem Verzicht auf Lebensmittelkarten hatten viele Leute nicht das Geld, um sich zusätzlich aus den Läden der staatlichen Handelsorganisation (HO) oder aus dem Konsum zu versorgen. Fleisch und Butter gab es bei vielen DDR-Bewohnern selten. Man behalf sich mit selbst angebautem Gemüse und mit Margarine und kam mit Tauschgeschäften und persönlichen Einschränkungen irgendwie über die Runden. Reklamebilder mit üppig eingedeckten Tafeln wurden von Millionen als purer Hohn wahrgenommen. Übergewichtige Leute waren damals, anders als heute, kaum zu sehen, Stoffwechselkrankheiten waren die Ausnahme. Glück hatte, wer Westpaketen bekam. Deren Inhalt wurde nicht nur zum eigenen Verzehr verwendet, sondern diente vielfach dem Tauschhandel und zur Pflege von so genannten Beziehungen, denn diese waren in der DDR so wertvoll wie Goldstaub. Das galt auch für Autoersatzteile und andere Industrieprodukte, weshalb alles repariert wurde, was sich reparieren ließ. Die heutige Wegwerfgesellschaft lag noch in weiter Ferne.

Mitte der 1950-er Jahre wurden in der DDR die Lebensmittelkarten zur Last, und als sie endlich am 28. Mai 1958 abgeschafft wurden, war das für die Parteipresse ein willkommener Grund, die Vorzüge, ja die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus zu preisen und das Bild eines gut versorgten Landes mit zufriedenen Bewohnern zu malen, das sich anschickt, den Westen nicht nur einzuholen, sondern zu überholen, wie SED-Chef Walter Ulbricht verkündete. Das Versprechen, das Leben werde "noch besser" werden, tat so, als sei es schon gut. Überhaupt suggerierte das Wort "noch", dass in nicht allzu langer Ferne der kommunistische Idealzustand und die allerbeste Versorgung zu allem erreicht sein wird, was der Mensch braucht und wozu ihm zumute ist. Ulbricht bemühte 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, Goethes "Faust", als er behauptete: "Erst weit über 100 Jahre nachdem Goethe die Feder für immer aus der Hand legen musste, haben die Arbeiter und Bauern, die Angestellten und Handwerker, die Wissenschaftler und Techniker, haben alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik begonnen, diesen Dritten Teil des Faust mit ihrer Arbeit mit ihrem Kampf für Frieden und Sozialismus zu schreiben."

Volksgemeinschaft und Menschengemeinschaft

In der unter Ulbrichts Ägide verkündeten Verfassung von 1968 wurde festgeschrieben, die DDR fördere und schütze die sozialistische Kultur, "die dem Frieden, Humanismus und der Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft dient". Ziel aller Mühen war der "neue Mensch", der sich durch Liebe zum sozialistischen Vaterland, Ehrlichkeit im beruflichen und privaten Leben, Pflichterfüllung und viele andere Tugenden auszeichnet und mit dem imperialistischen Westdeutschland nichts gemein hat. Auf einem Kongress der Nationalen Front erklärte Ulbricht am 22. März 1969, die sozialistische Menschengemeinschaft, die wir Schritt für Schritt verwirklichen, gehe weit über das alte humanistische Ideal hinaus. "Sie bedeutet nicht nur Hilfsbereitschaft, Güte, Brüderlichkeit, Liebe zu den Mitmenschen. Sie umfasst sowohl die Entwicklung der einzelnen zu sozialistischen Persönlichkeiten als auch der vielen zur sozialistischen Gemeinschaft im Prozess der gemeinsamen Arbeit, des Lernens, der Teilnahme an der Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung, besonders auch in der Arbeit der Nationalen Front und an einem vielfältigen, inhaltlichen und kulturellen Leben."

Der erste Mann im Staate behauptete, die Grundsätze der sozialistischen Moral würden zunehmend Einfluss auf das Zusammenleben der Bürger in der DDR ausüben, und er wusste, dass das nicht stimmt. Der von Ulbricht propagierte Begriff wurde auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) als nicht brauchbar bezeichnet. Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker rief stattdessen die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik als neues Ziel aus. Das für ideologische Fragen zuständige SED-Politbüromitglied Kurt Hager stellte fest, die sozialistische Menschengemeinschaft bringe zweifellos das Entstehen neuer gesellschaftlicher Beziehungen zum Ausdruck. Auf den gegenwärtigen Entwicklungsabschnitt des sozialistischen Aufbaus in der DDR angewandt, sei der Begriff aber wissenschaftlich unexakt, da er tatsächlich noch vorhandene Klassenunterschiede verwische und den erreichten Stand der Annäherung der Klassen und Schichten nicht berücksichtige.

Plane mit, arbeite mit, regiere mit

Wenn man die mit Zitaten von Marx, Engels und anderen "Klassikern", zu denen sich Ulbricht und sein Nachfolger Erich Honecker insgeheim auch fühlten, untermalten Werbesprüche mit der Wirklichkeit verglich, merkte man sehr schnell, dass es sich nur um hohle Phrasen ohne realen Hintergrund handelt. Slogans wie "Die Partei immer dabei", "Die Partei hat immer recht", "Wo ein Genosse ist, da ist die Partei", "Alles für das Volk, alles mit dem Volk" sowie "Sozialistisch arbeiten, leben und lernen" und sollten Zuversicht und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Als Mutmacher wurde das FDJ-Lied "Wir sind überall, auf der Erde, / Auf der Erde, leuchtet ein Stern, leuchtet mein Stern" und das Bekenntnis "Die Partei, die Partei die hat immer recht" und weitere Machwerke gesungen. In dieser Lesart war es die Sozialistische Einheitspartei Deutschland, die SED, die überall ist, alles weiß und alles kann, die alles plant und "noch" besser macht, ohne die nichts läuft und die das Land in eine lichte, schon von Marx und Engels, Lenin und - zweitweise - auch Stalin und ihren Nachbetern vorausgesagte Zukunft führt. Die sozialistische Planwirtschaft wird alles richten, versprach die SED. Was sie auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus weitsichtig organisiert und den Fünfjahresplänen festlegt, wird zum "Wohle des Volkes", wie die Propaganda unentwegt trommelte, dank entschlossenen Einsatzes der Werktätigen und gegen alle Sabotageversuche des Westens verwirklicht.

Das war Wunschdenken pur, denn die Wirklichkeit sah anders aus. Industrie und Landwirtschaft der DDR konnten produzieren wie sie wollten, es reichte vorne und hinten nicht. Viele Erzeugnisse gingen aufgrund von Knebelverträgen in die Sowjetunion, wofür die DDR Rohstoffe zurück bekam. Andere Waren wurden für Westgeld an die Bundesrepublik Deutschland und ganz allgemein an das NSW, das nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet, verscherbelt. Viele Löhne reichten gerade, um sich das Nötigste zu kaufen. Auch wer etwas Geld gespart hatte, bekam nur selten das zu kaufen, was er haben wollte, sondern musste nehmen, was gerade im Angebot war. Das betraf Ladenhüter wie Schuhe und Kleidung, während Modisches, das es auch gab, in den Westen für Devisen verkauft wurde. Die Werbung, die es in der DDR auch gab, lebte vor, wie sich Bewohner des zweiten deutschen Staates kleiden könnten, wenn entsprechende Warenangebote zur Verfügung sehen würden. Nach einigen Jahren wurde die Werbung für Autos aufgegeben, weil sich bei den DDR-Bewohnern Unmut wegen ewig langer Wartezeiten bis 15 (!) Jahre breit machte.

Tauwetter im eingemauerten Land von kurzer Dauer

Natürlich musste die DDR-Regierung den Preisschub nach oben, der 1958 mit der Abschaffung der eingangs erwähnten Lebensmittelkarten einherging, ausgleichen. Da die neuen Preise höher waren als diejenigen, die man bei Abgabe der Kupons bezahlen musste, wurde die Differenz durch vorsichtigen, in vielen Fällen wenig hilfreichen Anstieg der Löhne, Gehälter und Renten ausgeglichen. Außerdem wurden finanzielle Vergünstigungen für Familien mit Kindern eingeführt. Diese Neuerungen und ein verbessertes, aber weiterhin nicht ausreichendes Angebot an subventionierten Lebensmitteln sowie von billigen Wohnungen führten vorübergehend zu einer Entspannung des politischen Klimas in der DDR.

Diese Art Tauwetter unter den Bedingungen eines eingemauerten Landes zu Beginn der Ära Honecker (1971) war von kurzer Dauer, sondern schlug um in neue Unzufriedenheit und kritische Fragen an die sozialistische Planwirtschaft. Hatten die DDR-Bewohner bis dahin ihren Lebensstandard an dem gemessen, was ihnen vor dem Krieg zur Verfügung stand, so war es jetzt die offiziell als Klassenfeind bekämpfte Bundesrepublik Deutschland der Maßstab, und dem gegenüber war die DDR stark im Hintertreffen, mochten die von der SED gesteuerten Medien noch so sehr das Gegenteil behaupten. Zwar behaupteten sie, dass alles aufwärts geht und noch besser wird, doch sah der Alltag der allermeisten Werktätigen alles andere als gut aus. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich eine Tauschwirtschaft, mit deren Hilfe man sich, wenn man die richtigen "Beziehungen", auch Vitamin B genannt, hatte, den einen oder anderen Traum vom neuen Fernseher bis zum Auto vom Typ Trabant oder Wartburg erfüllen konnte.

Auf dem Papier und in den von der SED gelenkten Medien hat der Sozialismus in der DDR schon gesiegt, da ist alles eitel Sonnenschein, die Einheit des Volkes mit der führenden Partei, der SED, ist unverbrüchlich. Die Wirklichkeit sah anders aus, der Unmut war auch mit Stasi-Methoden nicht einzudämmen. Es bedurfte am Abend des 9. November 1989 eines unvorsichtigen Satzes, dass das auf wackligen Füßen stehende Regime in sich zusammenfiel, die deutsch-deutsche Grenze überwunden und ein Jahr später "Deutschland einig Vaterland" war, wie es in der DDR-Hymne heißt.

14. Februar 2022

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