Auf dem Weg in den Abgrund
Vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, gelangte Hitler an die Macht und errichtete ein Terrorregime / Gedenkmünze von 1934 erinnert an „Tag von Potsdam“



Die Reichswehr schießt am Tag von Potsdam im Lustgarten Salut, im Hintergrund die Garnisonkirche aus der Zeit des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I.



Die Ankunft der neu gewählten Reichstagsabgeordneten wurde von der „Wochenschau“ und den Medien genau beobachtet.



Hitler verneigt sich am 21. März 1933 vor seinem Steigbügelhalter, dem in voller Uniform eines kaiserlichen Generalfeldmarschalls erschienenen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Er übergibt offiziell die Regierungsgewalt an Hitler.



Im Vordergrund wohnen in der Garnisonkirche braun gekleidete Abgeordnete der NSDAP der Zeremonie bei, die die Goebbels-Propaganda als Verbindung von alter Kraft und neuer Größe überschwänglich feierte.



Die seinerzeit populäre Grafik stellt Hitler in eine Reihe vom Friedrich dem Großen, Bismarck und Hindenburg, was dem Anführer der Nazipartei gewiss gefallen hat.



Die Gruft des Soldatenkönigs und seines Sohns Friedrich II., des Großen, war schon in der Kaiserzeit ein Wallfahrtsort von Monarchisten, um wie viel mehr avancierte sie zu einer Art „nationalsozialistisches Heiligtum“. Wie der Gottesdienstraum wird auch die Grablege nicht rekonstruiert. (Fotos/Repros: Caspar)

Hitlers so genannte Machtergreifung am 30. Januar 1933, vor nunmehr 90 Jahren, wurde von der Nazipropaganda als Beginn eines Dritten Reiches gefeiert, das tausend Jahre bestehen sollte, es aber nur auf zwölf Jahren brachte und am 8. Mai 1945 nach dem bis dahin furchtbarsten aller Kriege in einem Abgrund von Blut und Tränen unterging. Formal war die Ernennung des „Führers“ der NSDAP zum Reichskanzler durch den ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ein legaler, durch Wahlergebnisse gestützter Akt. Hitler leitete eine Koalitionsregierung mit Vertretern der NSDAP und erzkonservativen Kräften, die gehofft hatten, den neuen Herren in den braunen Uniformen Zügel anlegen zu können und sie würden mit ihrer Großmäuligkeit schon bald abgewirtschaftet haben. Wie gewaltig sollten sich die politischen Träumer getäuscht haben! Unmittelbar nach der Machtübernahme wurden auf dem Verordnungsweg wesentliche Bestandteile der 1919 in Weimar beschlossenen Reichsverfassung außer Kraft gesetzt und die Rechte und Freiheiten der Deutschen ausgehebelt. Der Willkür und dem Terror waren damit Tür und Tor geöffnet.

Dass die Nazis nicht wie bei ihrem von Hitler angeführten Putschversuch vom 9. November 1923 in München durch einen Gewaltstreich an die Macht gelangt waren und Millionen Menschen dem Wechsel zujubelten, hat manche Kritiker im In- und Ausland, die das bisherige Chaos im Reich mit Sorge betrachteten. In dieser Sichtweise spielte es eine untergeordnete Rolle, dass gleich nach dem 30. Januar 1933 eine Terror- und Mordwelle über das Land hinweg ging, zahlreiche Oppositionelle verhaftet und ermordet wurden und entsetzliche Gräuel in Konzentrationslagern und SA-Kasernen geschahen. Viele Zeitgenossen ließen sich blenden und nahmen die unvorstellbare Hetze gegen Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und andere zu Volksfeinden abgestempelte Personen billigend in Kauf. Einzig behielten die Kommunisten behielten mit ihrem Slogan „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ Recht.

Alte Kraft und neue Größe

Am 21. März 1933 inszenierte Goebbels den auch im Rundfunk landesweit übertragenen so genannten Tag von Potsdam, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg in einer feierlichen Zeremonie in der Potsdamer Garnisonkirche die Regierungsmacht an den Führer der NSDAP und neuen Reichskanzler Adolf Hitler übergab. Die vom Propagandaminister gleichgeschaltete Presse beschwor die „Einheit von alter Kraft und neuer Größe“. Zu dem Staatsakt waren Hohenzollernprinzen sowie hochrangige Militärs und andere Vertreter des altpreußischen Staates erschienen. Deren Beteiligung an dem Spektakel kam der Naziführung gelegen, denn sie konnte damit demonstrieren, dass ihr Regime auf preußischen Traditionen wie Gottvertrauen, Nähe zum Volk und Staat, aber auch Verlässlichkeit, Ordnung und Pünktlichkeit beruht und sich damit fundamental von der Weimarer Republik unterscheidet, die von den Nazis und der extremen Rechten als chaotisch sowie jüdisch-bolschewistisch verseucht verteufelt wurde. Hitler erklärte später in internem Kreis, er habe 1933 die Potsdamer Garnisonkirche eigentlich nur als Kulisse gebraucht.

An der Bahre des großen unsterblichen Friedrich beginne das neue Werk des Wiederaufbaues, versprach Hitler bei dem Staatsakt anlässlich der Eröffnung des unter terroristischen Bedingungen neu gewählten Reichstags und meinte damit die unbarmherzige Verfolgung jedweder Opposition und die Errichtung seines Führerstaates. „Die Regierung der nationalen Erhebung ist entschlossen, ihre von dem deutschen Volke übernommene Aufgabe zu erfüllen. Sie tritt daher heute hin vor den Deutschen Reichstag mit dem heißen Wunsch, in ihm eine Stütze zu finden für die Durchführung ihrer Mission. Mögen Sie als gewählte Vertreter des Volkes den Sinn der Zeit erkennen, um mitzuhelfen am großen Werk der nationalen Wiedererhebung“, sagte Hitler und verbeugte sich vor Hindenburg. Goebbels fand in seinem Tagebucheintrag vom 22. März 1933 pathetische Worte: „Ein geschichtlicher Augenblick. Das Schild der deutschen Ehre ist wieder reingewaschen. Die Standarten mit unseren Adlern steigen hoch.“

„Gemeinnutz geht vor Eigennutz“

Die barocke Garnisonkirche an der Breiten Straße in Potsdam verlieh dem Staatsakt vom 21. März 1933 eine besondere Weihe und Wirkung. Sie wurde zu einem Wallfahrtsort von Menschen, die hier in Ehrfurcht vor den Särgen der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich I. verharrten und den Prunk preußischer Militärherrlichkeit bewunderten. Symbolisch grüßte Hindenburg am 21. März 1933 den leeren Sessel, auf dem Kaiser Wilhelm II. bei Gottesdiensten saß, dies aber nicht mehr, ins niederländische Exil vertrieben, tun konnte. Statt seiner ließen sich preußische Prinzen feiern, und Hitler nutzte die Gelegenheit, sich in ihrem Licht zu sonnen. Das unter der Regierung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. von 1731 bis 1735 nach Plänen von Philipp Gerlach erbaute Gotteshaus besaß innen und außen einen reichem, seine Funktion als Hof- und Garnisonkirche unterstreichenden Skulpturenschmuck. In preußisch-deutschen Kriegen eroberte Fahnen dienten der preußisch-deutschen Traditionspflege.

Das Gotteshaus war für die von Hitler geführte und mit brutalen Terrormaßnahmen befasste „Regierung der nationalen Revolution“ so wichtig, dass sie 1934, zum ersten Jahrestag des Tags von Potsdam, silberne Zwei- und Fünf-Mark-Münzen mit der Gebäudeansicht prägen ließ. Auf dem Rand ist die aus dem Programm der NSDAP von 1920 entnommenen Randschrift „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ zu lesen. Mit der demagogisch gemeinten Parole sollte die so genannte Volksgemeinschaft nach dem Motto „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ geschmiedet werden. Außerdem erklang im Reichsrundfunk regelmäßig das Glockenspiel der Garnisonkirche mit der von Wolfgang Amadeus Mozart komponierten Melodie zum Choral „Üb immer Treu und Redlichkeit“ als Pausenzeichen.

Die näheren Umstände für die von Alfred Vocke (Vorderseite) und Reinhard Kullrich (Rückseite) gestalteten Sondermünze und das Zusammenspiel von Reichskanzlei, Propagandaministerium, Finanzministerium und NSDAP bei ihrem Zustandekommen könnten durch aufwändige Recherchen im Bundesarchiv, in dem die Akten der Reichsregierung und weiterer Gremien liegen, geklärt werden, die hier aber nicht möglich ist. Vocke muss einen guten Stand bei der Regierung und Parteiführung gehabt haben, denn er war auch Gestalter der silbernen Kursmünzen zu zwei und fünf Reichsmark mit dem Kopf des 1934 verstorbenen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der vor allem als Steigbügelhalter von Adolf Hitler unrühmlich in die Geschichte einging. Von der Ausgabe mit der Garnisonkirche gibt es auch Versionen von 1934 und 1935 ohne Datum und Hakenkreuze auf der Vorderseite. Warum und für wen sie hergestellt wurden, könnten Aktenstudien im Bundesarchiv und an anderen Orten klären. Hier gibt es noch Forschungsbedarf.

Die Jahrgänge von 1934 und 1935 kommen auf der Vorderseite auch ohne das Datum 21. März 1933 zwischen den beiden Hakenkreuzen vor. Es wird berichtet, dass Regimegegner die freie Fläche nutzten, um Parolen wie „Hitler verrecke“ oder „Brandstifter Nazis und Mörder“ zu gravieren, ein Verfahren, das man bereits in anderer Form bei Münzen beobachten kann, etwa bei umgravierten Silbermünzen mit dem Kopf des 1918 ins Exil gegangenen Kaisers Wilhelm II. Da die Reichsbank und die Gestapo die vor allem im Stuttgarter Raum kursierenden Münzen mit der Garnisonkirche einsammelte, um sie zu vernichten, dürften Originale äußerst selten sein. Dass Nazigegner bei ihrer Verbreitung verhaftet und danach aufgrund des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 angeklagt wurden, ist denkbar und müsste durch Aktenstudien geklärt werden.

Demokratische Rechte brutal ausgehebelt

Während der „Tag von Potsdam“ zelebriert wurde, füllten sich die Folterhöhlen der SS und der Polizei sowie die ersten Konzentrationslager, wo Antifaschisten, Gewerkschafter und andere Oppositionelle gequält und ermordet wurden. Am 1. April 1933 organisierten die Nazis im ganzen Reich einen Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen, mit dem die Ausgrenzung und Verfolgung aller Bürger eingeleitet wurde, die nicht ins rassistische und völkische Weltbild der neuen Machthaber passten. Die Diktatur etablierte sich in atemberaubender Geschwindigkeit und hebelte brutal die nach dem Ende der Monarchie errungenen demokratischen Rechte aus. Hitler wusste bei seinem Vorgehen die große Masse der in einen nationalistischen und völkischen Rausch verfallenen Deutschen hinter sich. Regimegegner verloren ihre Arbeit und oft genug Freiheit und Leben. Juden wurden systematisch ausgegrenzt und mithilfe der Nürnberger Rassegesetze von 1935 in ein unwürdiges Außenseiterdasein abgedrängt und nach Beginn des Zweiten Weltkriegs der „Endlösung“ zugeführt, womit ihre millionenfache Ermordung in den Vernichtungslagern und durch die im Rücken der Wehrmacht wütenden Erschießungskommandos gemeint war.

Grundlage für die Terrormaßnahmen bildete das so genannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, durch das sich Hitler zwei Tage nach dem „Tag von Potsdam“ unumschränkte Vollmachten sicherte. Während kommunistische Reichstagsabgeordnete von den Nazis daran gehindert wurden, ihr Mandat in dem unter terroristischen Bedingungen am 5. März 1933 neu gewählten Reichstag auszuüben, stimmten am 24. März 1933 einzig die Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz, das angeblich der „Behebung der Not von Volk und Reich“ dienen sollte, in Wirklichkeit aber die demokratischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte und den Weg in den „Führerstaat“ freimachte. Gewalt und Terror, Rassenhetze und Ausgrenzung waren von jetzt ab ungehindert Tür und Tor geöffnet. In seiner letzten Rede im Reichstag sprach sich der SPD-Vorsitzende Otto Wels mit flammenden Worten am 23. März 1933 gegen die Entmachtung des Parlaments aus. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, sei die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Nach den Verfolgungen, welche die Sozialdemokratische Partei erfahren habe, werde niemand von ihr erwarten und verlangen können, dem Gesetz zuzustimmen. „Freiheit und Leben kann man uns nehmen – Die Ehre nicht“, betonte Wels, der kurz nach seiner Rede nach Paris emigrierte und 1939 starb. Die Kommunisten kamen im Reichstag nicht mehr zu Wort, ihre Abgeordnetenmandate waren bald nach dem 30. Januar 1933 annulliert worden, und die KPD ging nach ihrem Verbot in den Untergrund. Zahlreiche Mitglieder und Funktionäre waren, wie die von der SPD und den Gewerkschaften, in den Gefängnissen und Konzentrationslagern dem blutigen Terror der Nazischergen ausgeliefert.Was viele Deutsche und Beobachter im Ausland für unmöglich hielten, dass sich die von Hitler geführten braunen Horden längere Zeit halten könnten, trat nicht ein.

Nationale Weihe in edlem Ambiente

In der Potsdamer Garnisonkirche und der Nikolaikirche erhielten Hitler und seine Leute die dringend benötigte nationale Weihe. Das unterm Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erbaute Gotteshaus prägte gemeinsam mit der mächtigen Kuppel der Nikolaikirche und der barocken Heiliggeistkirche lange die Potsdamer Stadtsilhouette. Die Garnisonkirche war der geistliche Mittelpunkt des in der Garnisonstadt stationierten Militärs und insbesondere des in der Nähe stationierten Infanterieregiments Nummer 9, aus dem viele Mitglieder des christlich-konservativen Widerstands gegen das Hitlerregimes hervorgingen und nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 ihr Leben verloren. Im Zweiten Weltkrieg wurden die in der Gruft aufgestellten Särge der Könige Friedrich Wilhelm I. und seines Sohns Friedrich II., des Großen, auch Sicherheitsgründen ausgelagert und gelangten über Zwischenstationen auf die Burg Hohenzollern. Sie kehrten 1991 wieder nach Potsdam zurück. Während der Sarg des Soldatenkönigs im Mausoleum der Friedenskirche im Park von Sanssouci aufgestellt wurde, hat man die Gebeine Friedrichs II. feierlich in die von ihm noch zu Lebzeiten gebaute Gruft in Sichtweite von Schloss Sanssouci gesenkt, so wie es der Wunsch des 1786 verstorbenen Königs war.

Zerstörung drei Wochen vor Kriegsende

Drei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 14. April 1945 die alte preußische Residenz- und Garnisonstadt Potsdam von britischen Bombern zerstört. Ganze Straßenzüge der Innenstadt lagen in Trümmern und verschwanden in den folgenden Jahrzehnten aus dem Bild der Stadt. Tausende Menschen starben im Feuersturm, wertvolles Kulturgut ging zu Grunde. Bei der Erstürmung der von den Nationalsozialisten kurz vor Toresschluss noch zur „Festung“ erklärten Stadt durch die Rote Armee wurden Ende April 1945 weitere Gebäude zerstört. Zwar begann in den 1950er-Jahren der zaghafte Wiederaufbau der barocken Innenstadt, doch wurde er aus ideologischen Gründen vom SED-Chef Walter Ulbricht gestoppt. Die nur noch mit Teilen des Turms und den Umfassungsmauern erhalten gebliebene Garnisonkirche musste für den Missbrauch durch Nazis, Monarchisten und Militaristen büßen. In der „sozialistischen Bezirkshauptstadt“ Potsdam sollte nach dem Willen des sächsischen Bilderstürmers Ulbricht nichts mehr an die alte Preußenzeit erinnern.

In der von der Staatspartei SED dominierten Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, die formal über den Abriss der Garnisonkirche abstimmen musste, regte sich nur verhaltener Widerstand, um so lauter waren die Proteste im deutschen Westen. Die Beseitigung der Kriegsruine, in deren Turm bis dahin Gottesdienste gefeiert wurden, hat die SED als Schlag gegen den preußischen Militarismus und den Faschismus begründet. Ulbricht hatte bereits 1959 den Abriss des von brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Königen erbauten Stadtschlosses veranlasst, das 2014 als Landtagsgebäude seine Wiedergeburt erlebte.

28. Dezember 2022

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