Eiskalte Mörder in vornehmer Villa
Vor 80 Jahren berieten Nazischergen am Berliner Wannsee über "Endlösung der Judenfrage" / Neuer Film entlarvt Banalität des Bösen









Die 1992 im Haus der Wannseekonferenz eröffnete Gedenkstätte und Ausstellung berichtet nicht nur über die Beratungen am 20. Januar 1942 und was ihnen voran gegangen ist und ihnen folgt, sondern zeigt auch, wie die Nationalsozialisten ihre Mord- und Weltherrschaftspläne kaschierten und ideologisch rechtfertigten. Die Außenaufnahmen für den neue Film wurden hier gemacht, die Besprechung fand im Atelier statt.



Im Haus der Wannseekonferenz sind Dokumente zum Holocaust und auch ein Faksimile des von Eichmann über die Konferenz vom 20. Januar 1942 verfassten Protokolls.



Das Denkmal in der Nähe des S-Bahnhofs Friedrichstraße ist den jüdischen Kindern gewidmet, die nach England ausreisen konnten, aber ihre Angehörigen zurück lassen mussten.



In der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin ehrt ein riesiges Feld aus Betonquadern an die ermordeten Juden Europas. Doch darf es bei Denkälern dieser Art und regelmäßigen Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen nicht bleiben.







Vom Einsatz des Giftgases Zyklon B versprachen sich die braunen Massenmörder einen "humanen und anonymen Tod" ihrer Opfer. Deren Hinterlassenschaften wie diese Schuhe sind in der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen. (Fotos/Repros: Caspar)

In diesen Tagen wird an die Wannseekonferenz erinnert, bei der hohe SS- und Regierungsvertreter in einer vornehmen Villa aus der Kaiserzeit am Berliner Wannsee Einzelheiten der "Endlösung der Judenfrage" berieten. Waren bis zum Zweiten Weltkrieg Juden im Deutschen Reich massiver Verfolgung und Ausgrenzung ausgesetzt, so gingen die Nationalsozialisten nach dem 1. September 1939 zur "Endlösung der europäischen Judenfrage" über. Während die massenhafte Ermordung der Juden bereits in vollem Gange war, kamen am 20. Januar 1942 hohe Ministerialbeamte, Nazifunktionäre und Sicherheitsleute am Großen Wannsee zusammen. Was vor 80 Jahren in der neunzigminütigen Besprechung mit anschließendem Frühstück unter Vorsitz des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich erörtert wurde, hat SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in einem mit erschreckenden Fakten und Zahlen versehenen Protokoll vermerkt. Da das Dokument erst 1947 von Mitarbeitern Robert Kempners, des US-Anklägers in den Nürnberger Prozessen, in Berlin entdeckt wurde, konnte es erst als wichtiges Beweisdokument in den folgenden Verfahren gegen leitende Beamten der Reichsministerien verwendet werden.

Vielbesuchte Gedenk- und Bildungsstätte

In der großbürgerlichen Villa am Berliner Wannsee, vor 80 Jahren Schauplatz der berüchtigten Besprechung von hohen SS-Leuten sowie Polizei- und Ministerialbeamten über die Ziele und Methoden des Völkermords an den deutschen und europäischen Juden, werden die Etappen und Auswirkungen der Judenverfolgung, beginnend im 19. Jahrhundert und endend mit dem Untergang des Nazireiches, anhand zahlreicher Bilder und Dokumente dargestellt. Das von der SS vor 80 Jahren als Gästehaus genutzte Haus der Wannseekonferenz ist seit 1992 eine vielbesuchte Gedenk- und Bildungsstätte. Dass sie hier eingerichtet wurde, ist dem zähen Kampf des Holocaust-Überlebenden und Buchautors Joseph Wulf zu verdanken, der sich 1974 das Leben nahm. Angesichts der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, in der Altazis in wichtigen Ämtern saßen und lassen durften, was sie wollten, schrieb er seinem Sohn David einen Brief mit der Liste seiner vielen Enttäuschungen und stellte fest: "Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht, und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein - und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen." Der 80. Jahrestag der Wannseekonferenz wurde erneut zum Anlass genommen, um darauf hinzuweisen, wie lückenhaft und voller Irrtümer die so genannte Bewältigung der Vergangenheit in der Bundesrepublik war und welcher Anstrengungen es heute bedarf, gegen den in Teilen der Bevölkerung vorhandenen Antisemitismus und das Warten auf einen neuen Führer und einen "dritten Weg" in eine Art Nazidiktatur anzukämpfen.

Töten, eliminieren, vernichten

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sagte am 18. Januar 2022 bei der Premiere eines Films über die Wannseekonferenz, wir wüssten nicht genau, was und wie dort gesprochen wurde. "Es wurde vom Töten, Eliminieren und Vernichten gesprochen und dazu Cognac gereicht. Matti Geschonnecks Film ist eine in vielen Passagen wortgetreue, vielleicht die genaueste Adaption des Protokolls der Wannseekonferenz. Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich - abgesehen vom Inhalt der Besprechung - in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt. Es ist das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert. Was Geschonneck gelingt, ist eine Inszenierung der Banalität des Bösen."

In der Tat demaskiert der vor und in der Wannseevilla gedrehte Film das Böse und zeigt seine Banalität, um mit Hanna Arendt zu sprechen, die nach der Teilnahme am Prozess in Jerusalem gegen Adolph Eichmann ein Buch mit diesem Titel verfasst hat. Die Diskussion im Film ist fiktiv, doch sie ist eigentlich keine wirkliche Diskussion, denn die Herren in Uniform und Zivil sind sich einig im Ziel "Der Jude muss weg". Sie sind überzeugt, dass das der Gesundung des deutschen Volkskörpers gut tut, wie man damals sagte. Sie können sich auf Hitler berufen, der verlangt hat, mit den Juden "reinen Tisch" zu machen, wie einer der Teilnehmer sagt. Ein anderer bemängelt, dass französische Juden mit der Eisenbahn in das von deutsch besetzte "Generalgouvernement" gebracht werden, wo doch dieses bis 1939 zu Polen gehörende Gebiet noch voller Juden ist, und er wolle, dass es als erstes "judenrein" wird.

In dem Film "Die Wannseekonferenz", der am 24. Januar 2022 anschließend mit einer Dokumentation in der ARD gezeigt wird, ist zu sehen, wie 15 Nazifunktionäre und SS-Führer mit Reinhard Heydrich an der Spitze in einer Klarheit, die keinen Zweifel zulässt, darüber sprechen, wie Juden ausfindig gemacht, zusammengetrieben, auf LKW verladen, erschossen und verscharrt werden. Bei den Wortmeldungen gibt es nicht die geringste Spur von Empathie und Reflexion über den Sinn der Mordaktion. Man bedient sich einer Bürokratensprache, zitiert Statistiken, wägt das Für und Wider einzelner Maßnahmen ab. Da und dort wird zur Vorsicht gemahnt, weil der "Entzug" von jüdischen Arbeitskräften der Kriegswirtschaft schaden könnte. Es gebe auch Probleme, weil der winterliche Boden gefroren ist und man deshalb die Leichen der erschossenen Menschen irgendwie zwischenlagern muss.

Verschleierung und Täuschung

In der von Heydrich geleiteten Konferenz ist von vollständiger Ausrottung des Judentums bis zum Ural, von Judenfreimachung, von der Suche nach "gewissen angenehmen und anonymen Mitteln und Techniken", also Giftgas, die Rede, die die deutsche Soldaten belastenden Massenerschießungen ablösen. Die Teilnehmer reden bei Schnittchen, Kaffee und Cognac darüber, wie man "geordnete Abläufe" bei der Liquidierung der Juden gewährleisten kann, aber auch wie man den zur Deportation bestimmten Menschen und ihren zurückgebliebenen Angehörigen und Freunden glauben macht, sie seien in den östlichen "Verschickungsgebieten" gut aufgehoben und hätten nichts zu befürchten.

Für die Konferenzteilnehmer war die Ermordung der "jüdischen Untermenschen", wie es im NS-Jargon hieß, so selbstverständlich, dass im Protokoll konkreten Maßnahmen nicht extra vermerkt werden mussten. Es ist dort lediglich von Evakuierung und Behandlung, von natürlicher Verminderung, Überstellung oder straßenbauenden Arbeitseinsätzen die Rede. In langen Zahlenkolonnen listet das Protokoll auf, wer in welchen Ländern von der Endlösung, so der euphemistische Begriff für den Holocaust, betroffen ist. In Eichmanns Mitschrift heißt es, nach dem Verbot der "Auswanderung" von Juden sei nach Kriegesbeginn (1939), "als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender Genehmigung die Evakuierung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind. Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund elf Millionen Juden in Betracht". Diese Zahl wurde zum Leidwesen der Nationalsozialisten nur zur Hälfte erreicht. Etwa sechs Millionen Menschen fielen dem NS-Rasenwahn zum Opfer.

Adolf Eichmann, der Mann im Hintergrund

Im Film erscheint SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann nur als kleines Licht, als Mann im Hintergrund. Er hat viel zu berichten und entwickelt nach seiner Meinung ganz wunderbare Pläne, wie der Massenmord geräuschlos sowie in Ruhe und Ordnung über die Bühne gehen kann. Dankbar nimmt er das Lob seiner Vorgesetzten an. Im Wannseeprotokoll notiert der Chef des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt, Europa werde im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung von Westen nach Osten durchgekämmt. "Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden [...] In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist."

In keiner Zeile des Wannseeprotokolls finden sich Wörter wie Tötung oder Erschießung, die bereits seit Kriegsbeginn im Osten stattfanden und von denen die Teilnehmer der Tagung wussten. Das Dokument und weitere Aufzeichnungen, die ihm folgten, bedienten sich euphemistischer Umschreibungen wie Ausschaltung, Regelung des Problems im Sinne der Nürnberger Gesetze, Säuberung des deutschen Lebensraums, Evakuierung, Überstellung und Heranziehung der Juden zu Arbeitsvorhaben. Aber jeder im Saal wusste, dass Massenmord gemeint war. Wie Eichmann bei Verhören und vor dem Gericht in Jerusalem erklärte, sei während der Besprechung in unverblümten Worten von Töten, Eliminieren und Vernichten gesprochen worden. Heydrich habe sich sehr "delikat" ausgedrückt und bei der Wannseekonferenz nicht von Töten gesprochen, sondern nur von Arbeitseinsatz.

Spediteur des Todes redet Massenmord klein

Gegenüber seinem Vernehmer Avner Less versuchte Eichmann, den Massenmord an den Juden klein zu reden und sich selber als unbedeutendes Rädchen im Getriebe des NS-Staates hinzustellen. Er habe sich gewundert, überhaupt zu der Besprechung der hohen Herren hinzugezogen worden zu sein. Dort den Mund aufzumachen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Etwas gegen die Maßnahmen der "Päpste", wie er seine Vorgesetzten einmal nannte, einzuwenden, wäre Befehlsverweigerung gewesen und hätte für ihn Konzentrationslager und das Ende bedeutet. Dem Richter Itzchak Raveh sagte er am 21. Juli 1961 ins Gesicht: "Trotz allem weiß ich natürlich, dass ich meine Hände nicht in Unschuld waschen kann, weil die Tatsache, dass ich ein absoluter Befehlsempfänger war, heute sicherlich nichts mehr bedeutet." Selbstverständlich war der "Spediteur des Todes" viel mehr als ein bloß ausführendes Organ, sondern ein fanatischer Schreibtischtäter, der noch 1944 persönlich dafür sorgte, dass 44 000 ungarische Juden nach Auschwitz in die Gaskammern verschleppt wurden. In seinem Abschiedsbrief an seine Frau behauptete der zum Tod verurteilte, bis zum Schluss uneinsichtige Eichmann: "Ich bin das Opfer eines Fehlschlusses. Meine Schuld war mein Gehorsam."

Adolf Eichmann machte es sich damit wie viele andere Deutsche einfach, die sich auf Befehlsnotstand beriefen oder sich darauf zurückzogen, sie seien einem Demagogen und der tagtäglich auf sie einprasselnden Propaganda auf den Leim gegangen. Dass es auch anders ging und dass unzählige Gegner des Regimes den "Aufstand des Gewissens" wagten und dabei Freiheit und Leben verloren, sollte nicht vergessen werden.

Der Film lässt den Zuschauer mit dem Eindruck zurück, als müssten nur Befehls- und Stichwortgeber vom Schlage eines Hitler, Himmler, Göring, Goebbels oder Heydrich für ihre Verbrechen verantwortlich sein. Dabei standen Millionen fanatische "Volksgenossen" hinter ihnen, die, wenn sie nicht selber schossen oder vergasten, so doch die Maßnahmen des Regimes als willige Helfer unterstützten. Wie das geschehen konnte und welche Lehren aus der Geschichte der NS-Diktatur für uns heute zu ziehen sind, schildert die Dokumentation im Anschluss an den Film über die Tagung im Haus am Wannsee.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat anlässlich des 80. Jahrestages der Wannseekonferenz eine Resolution gegen die Leugnung des Holocausts und die Verfälschung seiner Geschichte verabschiedet. Die Resolution wurde von Deutschland und Israel eingebracht und von 114 der 193 Mitgliedstaaten unterstützt. Einwände kamen aus dem Iran. Alle Nationen und die sozialen Medien werden darin aufgefordert, aktiv Maßnahmen gegen Geschichtslüge und Verfälschungen des Massenmordes an den Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zu ergreifen. Bundesaußenministerin Baerbock und ihr israelischer Kollege Lapid betonten, der Beschluss zeige, dass die internationale Gemeinschaft bei diesem Thema zusammenstehe.

21. Januar 2022

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