Bei Witzen verstand die SED keinen Spaß
Was den Funktionären missfiel, wurde in der DDR als Boykotthetze ausgelegt und hart bestraft



> Wer wollte, konnte das Titelblatt des "Eulenspiegel" als Hinweis auf die Sinnlosigkeit von Parteibeschlüssen, um sich greifende Faulheit und Lustlosigkeit und Zweifeln an den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung interpretieren.



Vor und im Laden anstehen und nett zu den Verkäufern sein, das half DDR-Bewohnern, irgendwie mit den Gebrechen der sozialistischen Planwirtschaft klarzukommen, die alles versprach und wenig erfüllte. Beliebtes Thema der erlaubten Satire war die Selbstgenügsamkeit der Funktionäre, denen Jahr für Jahr durch Verleihung von Orden bescheinigt wurde, dass sie eine gute Arbeit leisten.



Dass Volkseigene Betriebe als Selbstbedienungsladen betrachtet werden, war bekannt und wurde kritisch unter die Lupe genommen, ohne dass sich grundlegend etwas geändert hat. Der jungen Leuten aufgebrummte Bildungszirkel fand Karl Marx langweilig.



Die 1950 in Westberlin gegründete Zeitschrift war ungeachtet aller Gegenmaßnahmen der Staatssicherheit und Polizei auch in der DDR weit verbreitet. Die drastischen Karikaturen kamen bei Ostdeutschen gut an, die mit dem Regime nichts am Hut hatten. Wurde die "Tarantel" pflichtgemäß bei der Volkspolizei und der Stasi abgegeben, zeigten die bunten Hefte deutliche Lesespuren.



Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 beflügelte auch DDR-Karikaturisten. Die Witzblätter zeigen, wie sich westdeutsche Imperialisten, Ostlandreiter und Nazis grün und blau ärgern, als in der DDR der "Neue Kurs" verkündet wird, mit dem der explosive Stimmung die Spitze genommen werden sollte, was aber nicht gelang. Rechts haben die Staatsorgane Provokateure und Diversanten, wie man im Ulbricht-Staat die Aufständischen nannte, für lange Zeit hinter Gitter gebracht. (Repros: Caspar)

Wenn über sie gewitzelt wurde, waren die Genossen im SED-Zentralkomitee, Regierungsmitglieder, Bezirkspotentaten und andere Funktionäre überhaupt nicht amüsiert. Selbst harmlose Sprüche über politische und persönliche Widerwärtigkeiten von Pieck, Ulbricht, Honecker, Grotewohl & Co. wurden in der DDR, sofern sie der Stasi und Polizei zu Ohren kamen, als Boykotthetze und Verunglimpfung des sozialistischen Staates und seiner "führenden Persönlichkeiten" hart bestraft. Im Falle der beiden deutschen Diktaturen waren politische Witze verboten, denn sie rüttelten an ihren Grundfesten. Die Nazis hatten vorgemacht, dass Regimekritiker und Witzerzähler bei ihnen keine Chance haben, sondern der Galgen und das Schafott oder lange Freiheitsstrafen auf sie warten. So weit kam es nach 1945 im zweiten deutschen Staat zwar nicht, aber wer die Ratschlüsse der Partei- und Staatsspitze kritisch hinterfragte und sie durch den Kakao zog, hatte mit harten Sanktionen wie Gefängnisstrafe und Berufsverbot zu rechnen.

Obwohl sich der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht um Volkstümlichkeit bemühte, ja nach der Liebe seiner Untertanen dürstete, blieb er ihnen fern. Das lag nicht nur an seinen geradezu abenteuerlichen Plänen, nach sowjetischem Vorbild schnellstmöglich und kostete es was es wolle den Sozialismus und Kommunismus in der DDR aufzubauen, sondern auch an der Unfähigkeit, mit den sich verschärfenden Zuständen im Lande, die 1953 zum Volksaufstand und 1961 zum Mauerbau führten, auf vernünftige und friedliche Weise fertig zu werden. Von seiner Persönlichkeit war der aus Leipzig stammende, im fernen Funktionärsgetto Wandlitz lebende Ulbricht nicht gerade der Typ, der Menschen für sich einnehmen konnte, von Speichelleckern und Karrieristen abgesehen, die ihn umlagerten und Loblieder auf ihn sangen, solange er der erste Mann im Lande war.

Lügen haben kurze Beine, Ulbricht hat besonders kleine

Da der mit sächselnder Fistelstimme gestrafte Ulbricht, der seinen Sätzen gern ein lang gezogenes "nuuuuu" anfügte, mehrfach bei Lügen und falschen Versprechungen ertappt wurde, hing man ihm hinter der vorgehaltenen Hand den Spruch "Lügen haben kurze Beine, Ulbricht hat besonders kleine" an. Eigentlich hatte die DDR-Propaganda dieses Verdikt auf Bundeskanzler Konrad Adenauer, das besondere Hassobjekt der SED, gemünzt, nun fiel es auf die Urheber zurück. Wer sich bei Witzen und Schmährufen in Richtung Ulbricht und ab 1971 Honecker, seinem ebenfalls um Volksnähe bemühten, immer nuschelnde Nachfolger, erwischen ließ, verfiel dem Artikel 6 der DDR-Verfassung, demzufolge militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass als Verbrechen geahndet wurde.

Leichte, auf keinen Fall aber grundsätzliche Kritik am System war im DDR-Satireblatt "Eulenspiegel" und im Kabarett "Pfeffermühle" (Leipzig) oder "Diestel" (Berlin) erlaubt. Man zeriss sich angesichts bürokratischer Auswüchse, frecher Kellner, unhöflicher Verkäufer und Diebe von Volkseigentum zu Recht das Maul. Kritik sei angebracht, gestand die allgegenwärtige Zensur den Kritikern zwar zu, aber soll gefälligst aufbauend wirken. Keineswegs aber durfte man die Verlogenheit und Undurchführbarkeit der Parteitagsbeschlüsse und der Wirtschaftspläne, die Hohlheit des Parteichinesisch, die überall zu beobachtende Doppelzüngigkeit, falsche Moral und auch nicht die Unbeholfenheit der SED-Elite hinterfragen. Schon garnicht war erlaubt, sich über die Partei, die Stasi, die Volksarmee und Polizei, aber auch über die oft unwürdigen Verhältnisse im Wohnungswesen und dem Umweltschutz und ganz allgemein über Korruption und Anarchie in den Ämtern zu ereifern. Auf keinen Fall durften die von Eitelkeit strotzenden "führenden" Persönlichkeiten angegangen oder nachgeahmt werden. Ihre Partei- und staatlichen Titel mussten auch in den Medien langatmig gedruckt und ausgesprochen werden. Nicht erlaubt war, Polizisten als Vollidioten abzustempeln, was aber in unzähligen Witzen geschah. Solche über die Staatssicherheit waren erst nach dem Ende der DDR möglich.

Bloß nicht den "großen Bruder" schlecht machen

Über den "großen Bruder", die Sowjetunion, herzuziehen und deren Unvermögen an den Pranger zu stellen, den Lebensstandard der Bevölkerung spürbar anzuheben, wurde wie in andern Zeiten hart und unerbittlich wie Gotteslästerung. Die Lebenslüge vom antifaschistischen Schutzwall, wie in der DDR die am 13. August 1961 gebaute Berliner und innerdeutsche Mauer genannt wurde, sowie von der sozialistischen Menschengemeinschaft und auch die gebetsmühlenartige Beschwörung des Siegs des Sozialismus war unantastbar. Wer sich über dieses Tabu hinweg setzte, bekam es mit der Stasi und Justiz zu tun. In der Nachkriegszeit wurde bis zum Überdruss der Spruch "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" skandierte und in den Medien verbreitet. Das mögen viele Menschen im deutschen Osten ehrlichen Herzens geglaubt haben. Sie wussten, dass die Rote Armee einen überragenden Anteil an dem Ende des NS-Regimes hatte, und das verlangte Dank und Respekt. Jenseits dieser Bewunderung aber, wurde der Slogan hinter der vorgehaltenen Hand in des Spottvers "Von der Sowjetunion lernen heißt siechen lernen" umgemünzt. Ähnlich verfuhr man mit dem Refrain in einem FDJ-Lied, dessen Motto "Freundschaft siegt" zu "Freundschaft siecht" verändert wurde.

Mit der Übernahme der Macht durch Michail Gorbatschow 1985 in der Sowjetunion erhielt der Slogan eine neue, den SED-Politbürokraten höchst unangenehme neue Bedeutung. Der sowjetische Partei- und Staatschef war im Politbüro wie ein rotes Tuch, man verbat sich Belehrungen aus Moskau und behauptete, in der DDR werde der bessere Sozialismus praktiziert. Derweil entwickelte sich bei vielen DDR-Bewohnern ein regelrechter Gorbi-Kult, gegen den anzugehen die Staatsmacht ideologische Verrenkungen anstellte, denn offizielle galt die Sowjetunion als leuchtendes Vorbild. Höhepunkte der Anti-Gorbataschow-Kampagne waren das Verbot des sowjetischen Magazins SPUTNIK im Oktober 1988 sowie die Unterdrückung von sowjetischen Filmen und systemkritischer Literatur. Was sich wirklich in der Sowjetunion unter dem Stichwort Glasnost und Perestroika ereignete, erfuhr man in der DDR nur aus den Westmedien beziehungsweise aus illegal eingeführter oder insgeheim vervielfältigter Literatur.

Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille

Einige Witze und Spottverse seien hier stellvertretend für hunderte andere zitiert: "Spitzbart, Bauch und Brille, ist nicht des Volkes Wille" (Anspielung an Ulbricht, Pieck und Grotewohl auf Plakaten am 17. Juni 1953), "Keine Kartoffeln im Keller, keine Kohle im Sack, es lebe des 20. Jahrestag" (in Anspielung auf die Jubelfeiern 1969), "Kein Paradies ohne Schlangen" (Kritik an der schlechten Versorgungslage im Arbeiter-und-Bauern-Paradies DDR), das Versprechen "Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben" auf eine bessere Zukunft nach harter Arbeit wurde nicht geglaubt, weshalb die Umkehr "Wie wir heute leben (wohnen), werden wir morgen arbeiten" die Runde machte. Unter Anspielung auf den damals sehr bekannten und hochdotierten Maler Willi Sitte hieß es "Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt."

"Mach mit" war das Motto einer von der SED gesteuerte Kampagne, um möglichst viele DDR-Bewohner für Initiativen und Anstrengungen am Arbeitsplatz, aber auch im Wohngebiet und persönlichen Umfeld zur Planerfüllung und Leistungssteigerung zu gewinnen. Wie stets bei solchen Unternehmungen kehrte sich die Mach-mit-Bewegung wegen ständiger Aufrufe und penetranter Berichterstattung in den Medien, aber auch weit verbreiteter Lustlosigkeit und Orientierung auf private Probleme ins Gegenteil. So war es nicht verwunderlich, dass der Partei wenig genehme Sprüche wie "Jeder macht was er kann, keiner macht was er soll, aber alle machen mit" die Runde machten. "Im Mittelpunkt steht der Mensch" war eine schöne, aber nicht realisierbare Losung in der DDR. Je öfter diese eigentlich überflüssige, weil für ein sich Arbeiter-und-Bauern-Staat nennendes Gemeinwesen selbstverständliche Absichtserklärung beschworen wurde und auf Plakaten stand, umso schwieriger war es, sie in die Tat umzusetzen. Hätte man die Parole ernst genommen, dann hätte man die DDR in einen wirklichen demokratischen Staat verwandelt und die Alleinherrschaft der SED abgeschafft, die von sich behauptete, die Avantgarde der Geschichte zu sein und für alle zu sprechen.

Bei der Hetze gegen die verhasste Bundesrepublik Deutschland und generell das imperialistische, von den USA dominierte Weltsystem war man in der DDR wenig pingelig. Hier konnte die Lüge nicht dick genug aufgetragen sein. Da wurde schon mal Bundeskanzler Konrad Adenauer gemeinsam mit Franz Josef Strauß gezeichnet, wie sie eine Atomrakete in der Krippe anbeten, und Bundeskanzler Willy Brandt wird mit einem Glas Schnaps in der Hand als "Willy Weinbrand" verunglimpft. Überdies treiben Alt und Neonazis überall in der BRD, so die in der DDR verwendete Abkürzung, ihr Unwesen. Der Dritte Weltkrieg kommt in Gestalt von so genannten Ostlandreitern daher, US-Generale und solche der Bundeswehr bringen ihre Atomwaffen gegen das friedliche sozialistische Lager in Stellung.

15. Februar 2022

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