Sternstunden und Zeitenwenden
Von markanten Ereignissen, die die Welt nachhaltig verändert haben (Teil 2, Erster Weltkrieg und Oktoberevolution)



Das Attentat in Sarajewo auf das österreichische Thronfolgerpaar wurde im Sommer 1914 zum Anlass für den Ersten Weltkrieg genommen. So einfach und lustig, wie auf der deutschen Postkarte demonstriert, war es nicht, den französischen "Erbfeind" zu rupfen und zu besiegen, denn in Wahrheit hielt der Tod auf den Schlachtfeldern furchtbare Ernte.



Monarchisten, Militaristen und Imperialisten fantasierten auf "Europas Zukunftskarte" von einem deutschen Großreich, in dem ihm Anrainerstaaten untertan sind. Die von rechtsradikalen Gruppierungen sowie später von der Nazibewegung in immer neuen Varianten wiederholte Dolchstoßlegende war einer der Nägel am Sarg der Weimarer Republik.



In der Novemberrevolution 1918 versanken Kronen und alte Gewissheiten im Orkus der Geschichte, das Deutsche Reich wurde Republik. Viele Menschen akzeptierten nicht bedrückenden Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags. Vor allem Frankreich bestand auf deren punktgenaue Erfüllung. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, besetzten französische und belgische Truppen von 1923 bis 1925 das Ruhrgebiet, was zu aktivem und passivem Widerstand führte.





In der Propaganda spielten die Verluste des Deutschen Reichs durch den Ersten Weltkrieg und die Bestimmungen des Weimarer Vertrags ebenso eine Rolle wie die Errungenschaften der jungen Republik. Das Plakat von 1919 wirbt für die Wahl zur Nationalversammlung, zeigt aber nur Männer, als besäßen nicht auch Frauen das Wahlrecht.



Über Berge von Leichen und Trümmer und einem Meer voller Blut schreiten Militaristen und Kriegsgewinnler frohgemut in die Zukunft, will die antideutsche Propaganda sagen. Die 1923 beendete Inflation in Deutschland hat selbst Bettler zu Milliardären gemacht, doch mit den Bergen von Geldscheinen konnte niemand etwas anfangen.



Der blutbefleckte Zar Nikolaus II. wurde während der Februarrevolution 1917 abgesetzt und ein Jahr später mit seiner Familie von den Bolschewiki ermordet. Stalin, auf dem Gemälde hinter seinem Vorgänger Lenin, baute seine Diktatur mit brachialer Gewalt aus und ließ Millionen Menschen ermorden beziehungsweise schickte sie in die Straflager. Erst nach Stalins Tod 1953 wurden seine Verbrechen offenbar.



Zwei Erzfeinde schlossen im August 1939 Freundschaft und steckten im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes ihre Interessenssphären in Osteuropa ab.



Das Sowjetwappen über der Russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin stammt noch aus der Stalinzeit und unterstreicht das große Ziel der kommunistischen Herrschaft über die Welt. (Foto/Repros: Caspar)

Als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg begann, herrschte in vielen Ländern Jubel, auch und vor allem im Deutschen Reich. Doch schon bald wich hier die Begeisterung darüber, es dem "Erbfeind" Frankreich und anderen Staaten mal richtig zu zeigen, großem Entsetzen. Umjubelte Soldaten zogen in der Erwartung ins Feld, schon "zu Weihnachten" wieder zu Hause zu sein. Doch wie sollten sie sich irren, und wie kurz war ihr Leben! Das Wort der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner "Die Waffen nieder" wollte in der aufgeheizten Stimmung kaum jemand hören. Die wenigen Warner wie der linke SPD-Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht wurden mundtot gemacht oder kamen ins Gefängnis. Die damaligen geistigen und künstlerischen Eliten, die sich vor der Ausrufung des Kriegszustandes durch Wilhelm II. auf einem Friedenskurs befand, schwenkten um und bliesen begeistert in die Kriegsfanfare. Der Kaiser sprach aus, was viele dachten: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche". Als sich aber die Todesmeldungen und die Nachrichten über die erfolglosen Materialschlachten häuften und sich im Reich von Kaiser Wilhelms II. Not und Unterernährung mit verheerenden Folgen auch für die Volksgesundheit breit machten, griff Kriegsmüdigkeit um sich.

Das Attentat von Sarajewo

Ausgangspunkt des europäischen Kriegs war das Attentat serbischer Nationalisten auf das österreichische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajewo. Österreich-Ungarn erklärte Serbien daraufhin den Krieg, britische Vermittlungsversuche wurden von Wien und Berlin abgelehnt. Das Deutsche Reich sah die Gunst der Stunde gekommen, sich endlich den ersehnten "Platz an der Sonne" zu sichern, wie Wilhelm II. es seit Jahren gefordert hatte, und seinen Landbesitz stark auszuweiten. Russland machte mobil, worauf der deutsche Kaiser seinem bisherigen Freund Zar Nikolaus II., genannt Nicki, den Krieg erklärte. Als deutsche Truppen das neutrale Belgien besetzten, um von dort unter Umgehung der schwer befestigten deutsch-französischen Grenze in Frankreich einzufallen, kam England seiner Pflicht als Garantiemacht Belgiens nach und erklärte Deutschland den Krieg. Das alles ereignete sich binnen kürzester Zeit. So war ein Zweifrontenkrieg, eigentlich der Schrecken aller Militärstrategen, eröffnet.

Weder die verlustreichen Schlachten noch der Einsatz von Giftgas und der von Deutschland begonnene U-Bootkrieg, bei dem völkerrechtswidrig auch neutrale Handelsschiffe versenkt wurden, brachten die erhoffte Wende. Im Gegenteil, die USA fühlten sich bedroht und traten in den Krieg gegen das Deutsche Reich und seine Verbündeten ein. An seinem Ende 1918 war nichts mehr so wie früher. Manche Staaten vor allem auf dem Balkan erlangten ihre Souveränität, andere wie das in Republiken umgewandelte Deutsche Reich und die Habsburger-Monarchie trauerten verlorener Größe nach und hatten mit schweren innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, vom Verlust an Selbstbewusstsein und daraus folgend Hass auf die früheren Feindstaaten ganz zu schweigen.

Kriegsschuld allein Deutschland zugeschoben

Der am 28. Juni 1919 von einer deutschen Delegation unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles hatte verhängnisvolle Folgen und spielte in den politischen Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere in der Agitation von Hitler und seiner NSDAP eine. Das Deutsche Reich musste erhebliche Gebiete abgeben, verlor seine Kolonien und musste und hohen Entschädigungsforderungen zustimmen. Der Vertrag schob ihm und seinen Verbündeten die alleinige Schuld an dem bis dahin schlimmsten aller Kriege zu. Im Artikel 231 heißt es: "Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben. Die alliierten und assoziierten Regierungen erkennen an, dass die Hilfsmittel Deutschlands unter Berücksichtigung ihrer dauernden, sich aus den übrigen Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrags ergebenden Verminderung nicht ausreichen, um die volle Wiedergutmachung aller dieser Verluste und Schäden sicherzustellen."

Die Abstempelung der Mittelmächte mit Deutschland an der Spitze als Schuldige am Ersten Weltkrieg und die Forderung der Siegermächte nach Auslieferung der deutschen Hauptkriegsverbrecher belasteten sachorientierte Debatten über das Weiterleben nach dem Krieg und zwischen den ehemaligen Gegnern. Zwar verzichteten die Alliierten auf die Auslieferung von Militärs und Politikern einschließlich des im holländischen Exil komfortabel lebenden Ex-Kaisers Wilhelm II., doch waren die zwischenstaatlichen Beziehungen lange Zeit vergiftet. Frankreich beharrte auf seinem Schuldvorwurf und forderte die buchstabengetreue Umsetzung des Friedensvertrags, während sich Großbritannien die Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland bemühte.

Siegreiches Heer von hinten erdolcht

Zwar war Ende 1918 "Wilhelm der Letzte" gegangen, doch seine Generale blieben. Einer von ihnen, Erich Ludendorff, die rechte Hand des als "Held von Tannenberg" gefeierten kaiserlichen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg und Hitler-Sympathisant, setzte die "Dolchstoßlegende" in Umlauf und behauptete, das "im Felde siegreiche deutsche Heer" sei von den eigenen Leuten in der Heimat im Stich gelassen und von hinten "erdolcht" worden. Als Hindenburg, der 1925 als Reichspräsident die Nachfolge des Sozialdemokraten Friedrich Ebert wurde und 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte, Ende 1919 vor einem Untersuchungsausschuss zur Kriegsschuldfrage vernommen wurde, stellte er wie auch Ludendorff die Behauptung auf, das deutsche Heer und seine Kampfkraft seien ab 1916 von revolutionären Umstürzlern "zersetzt" worden. Ohne diese Zermürbung wäre der deutschen Armee der Sieg sicher gewesen.

Weite Kreise in der Bevölkerung empfanden die dem Deutschen Reich auferlegten Bestimmungen - hohe Kontributionen, Verlust von Territorien und Kolonien, Reduzierung der Reichswehr auf 100 000 Mann, Besetzung des Rheinlandes durch fremde Truppen - als schmachvoll und ungerecht. Letztlich förderte das "Diktat von Versailles" den Aufstieg der NS-Bewegung und enthielt den Keim für den Zweiten Weltkrieg. Verhängnisvoll wirkte sich die erst Ende 1923 beendete Inflation auf das die Wirtschaft und das soziale Gefüge der jungen Republik aus. In seinem Buch "Die Welt von gestern" beurteilte Stefan Zweig den "Hexensabbat der Irrsinnszahlen" mit diesen Worten: "Nichts hat das deutsche Volk so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation. Denn der Krieg, so mörderisch er gewesen, er hatte immerhin Stunden des Jubels geschenkt mit Glockenläuten und Siegesfanfaren" und meint damit die Verhältnisse sowohl in Deutschland als auch in seiner österreichischen Heimat. Während Kriegsgewinnler und dubiose Geschäftemacher in vornehmen Clubs feiern und sich in teuren Autos mit Halbweltdamen durch Wien und andere Städte kutschieren lassen, muss sich der Rest der Bevölkerung in die lange Schlange der Sozialhilfeempfänger einreihen und den Gürtel so eng schnallen, bis es nicht mehr geht. Das Geld, das man heute bekam, war schon morgen wertlos.

Zarenherrschaft hat abgewirtschaftet

Blicken wir nach Russland, das sich in der Februarrevolution von 1917 der Zarenherrschaft entledigte und damit eine Zeitenwende einläutete. Ursache dieser Entwicklung waren die gewaltigen Belastungen durch den Ersten Weltkrieg und die Weigerung von Zar Nikolaus II., längst überfällige politische, wirtschaftliche und soziale Reformen durchzuführen. Die im Vergleich zum Westen rückständige Wirtschaft machte es seinem Land unmöglich, den Krieg gegen das wirtschaftlich und militärisch starke Deutschland durchzuhalten, geschweige zu gewinnen. Russland hatte zwar praktisch unerschöpfliche Ressourcen an Arbeitskräften und Bodenschätzen, in der Industrie fehlten aber ausreichende Kapazitäten für die Produktion von Waffen, Ausrüstung und Versorgungsgütern für die Millionen Soldaten. Außerdem war das Schienennetz noch äußerst unzureichend, und schließlich ging die Agrarproduktion in Folge des Krieges stark zurück. In den Schützengräben hungerten die Soldaten und hatten oft weder Schuhe noch Munition, manchmal nicht einmal Waffen. Die Verluste der Russen waren so hoch wie nie zuvor. Hinter der Front wurden die Waren knapp, die Preise stiegen rapide an. 1917 standen vor allem die großen Städte vor einer Hungersnot. Die Verbitterung der Zivilbevölkerung wuchs zusehends, und auch in der Armee litt die Moral unter der katastrophalen Versorgungslage und zusätzlich noch unter militärischen Niederlagen. Proteste der Duma, des russischen Parlaments, gegen die inkompetente Kriegsführung und die Willkürherrschaft der zaristischen Regierung fanden weder bei Nikolaus II. noch bei den meisten seiner Minister Gehör.

Seit Jahresbeginn 1917 riss in der russischen Hauptstadt Petrograd (später Leningrad, heute wieder Sankt Petersburg) die Welle der Hungerdemonstrationen und Streiks nicht mehr ab. Am 3. März (dem 18. Februar nach dem julianischen Kalender) traten die Arbeiter des Putilow-Werkes, einer der größten Industriebetriebe des Landes, in den Ausstand. Schon bald schlossen sich Zehntausende Frauen der sich ausweitenden Protestbewegung an und demonstrierten gegen Hunger, Krieg und Zarenherrschaft und für den Friedensschluss so schnell wie möglich. Auf Befehl des Zaren wurden schließlich zur Niederschlagung der Demonstrationen die gefürchteten Kosaken mobilisiert, die sich aber neutral verhielten und sich mit den Aufständischen verbrüderten.

Bolschewiki errichten ihre Diktatur

Die Regierung erkannte ihre Machtlosigkeit und trat geschlossen zurück. Etwa gleichzeitig mit dem Provisorischen Komitee konstituierte sich auf Initiative der Menschewiki (siehe Bolschewismus) ein Provisorisches Exekutivkomitee des Arbeiterdeputiertenrates, und bereits am 13. März wurde in Petrograd ein Arbeiter- und Soldatenrat (Sowjet) gewählt. Im Verlauf der bürgerlichen Februarrevolution, die am 23. Februar 1917 begann (nach gregorianischem Kalender am 8. März) musste Nikolaus II. abdanken. Russland wurde Republik ausgerufen, mit seiner Familie wurde Oberst Romanow, wie der Zar jetzt hieß, ins ferne nach Jakaterinenburg verbannt und dort am 17. Juli 1918 von den inzwischen im Land herrschenden Bolschewiki ermordet.

Nach der Absetzung des Zaren teilten sich im Frühjahr 1917 die Macht zunächst eine von Adligen und Großbürgern geführte Provisorische Regierung und der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten. Wladimir Iljitsch Lenin, der aus dem schweizerischen Exil nach Petrograd zurück gekehrte Führer der Bolschewiki, forderte im April 1917 das sofortige Ende des Krieges sowie die Enteignung der Grundbesitzer, die Kontrolle der Fabriken durch die Sowjets und die Verstaatlichung von Grund und Boden. Allerdings hatten die Bolschewiki zunächst keine Möglichkeit, ihrem Verlangen Nachdruck zu verleihen. Sie ließen der bürgerlichen Februarrevolution im Oktober des gleichen Jahres eine weitere, bolschewistisch beeinflusste Revolution folgen. Die Kriegsgegner wurden von den Bolschewiki aufgefordert, mit Russland einen Waffenstillstand abzuschließen, außerdem wurden Großgrundbesitz entschädigungslos enteignet und das Selbstbestimmungsrecht der Völker Russlands verkündet. Da die revolutionären Ereignisse die staatliche Ordnung gefährdeten und das Land in Chaos auszubrechen drohte, ging Lenin gewaltsam gegen seine Gegner im eigenen Lager und konterrevolutionäre Umsturzversuche vor, was bei der Sicht auf die Verbrechen seines Nachfolgers Josef Stalin oft übersehen wird.

Zehn Tage, die die Welt erschütterten

Dem Deutschen Reich kam die politische Entwicklung in Russland entgegen. Da Wilhelm II., Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und die Oberste Heeresleitung an einem Zweifrontenkrieg nicht interessiert war und ihre Truppen von der Ostfront an die Westfront abziehen wollte, um dort die militärische "Wende" herbeizuführen, ließen sie sich auf Verhandlungen mit der von Lenin geführten Regierung ein. Folgerichtig wurden die Kampfhandlungen Anfang Dezember 1917 an der russischen und der ukrainischen Front eingestellt. Die Friedensverhandlungen im polnischen Brest-Litowsk gestalteten sich schwierig, weil die Mittelmächte von der sowjetrussischen Regierung bedeutende Gebietsabtretungen und hohe Reparationszahlungen forderten. Auf der sowjetischen Seite spielte der Verhandlungsführer Leo Trotzki auf Zeit in der Hoffnung, dass der Funken der russischen Revolution nach Deutschland und Österreich-Ungarn überspringt, dessen Völker kriegsmüde, ausgeblutet und fast verhungert waren und nichts anderes herbei sehnten als Frieden. Mit seiner Reportage über die Oktoberevolution "Zehn Tage, die die Welt erschütterten" wurde der US-amerikanische Journalisten und überzeugte Sozialisten John Reed weltberühmt. Das Buch, zu dem Lenin ein positives Vorwort schrieb, erschien 1919 und wurde in der russischen Ausgabe später von Stalin wegen angeblichen Sympathien des Verfassers für seinen Widersacher Leo Trotzki zensiert. i

Landverluste und neue Begehrlichkeiten

Der Waffenstillstand und dann der teuer erkaufte Vertrags von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 entlasteten die Lage an der deutschen Ostfront und auch in Russland selbst. Sowjetrussland verzichtete darin auf Polen, Finnland, Litauen, Estland und Lettland sowie auf die Ukraine und Bessarabien. Alle diese Länder wurden selbstständige Staaten, waren aber zum Teil vom Deutschen Reich und den anderen Mittelmächten abhängig und wurden von ihnen wirtschaftlich ausgebeutet. Sowjetrussland trat weitere Landesteile an das Osmanische Reich ab und verpflichtete sich zur Demobilisierung seiner Truppen. In einem Zusatzvertrag vom 27. August 1918 erkannte das "Land Lenins", wie man später sagte, die Unabhängigkeit Georgiens, Estlands und Livlands an. Insgesamt verlor das ehemalige Zarenreich über 400 000 Quadratkilometer mit etwa 60 Millionen Einwohnern. Diese Fläche schloss wichtige Getreidegebiete, aber auch Ölquellen und Abbaugebiete von Kohle und Eisenerz ein.

Von dem in Sowjetrussland als Diktat- und Raubfrieden bezeichneten Vertrag versprach sich Lenin eine Atempause und Handlungsfreiheit zum Ausbau der bolschewistischen Herrschaft und für den Kampf gegen innere und äußere Feinde. Im August 1939, kurz vor dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, sah Lenins Nachfolger Josef Stalin die Gelegenheit gekommen, mit dem deutschen Diktator Adolf Hitler Interessensphären abzustecken und die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen sowie Teile von Polen zu okkupieren. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 22. Juni 1941 haben diese Länder, allen voran die damalige Ukrainische Sowjetrepublik, unter der deutschen Herrschaft furchtbar leiden müssen. Wenn jetzt das Putin-Regime über einhundert Jahre später versucht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, indem er seinen Herrschaftsbereich auf die Länder ausweitet, die sich 1990 und später von der Sowjetunion gelöst haben, riskiert er einen neuen Weltenbrand.

12. Mai 2022

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