Anweisungen aus dem Zentralkomitee
Offiziell kannte die DDR keine Zensur, doch jeder sah und las tagtäglich, dass sie funktionierte, und dagegen gab es Widerstand





Das von Walter Womacka für das Haus des Lehrers am Berliner Alexanderplatz geschaffene Wandbild war mit der Verherrlichung des Sozialismus in der DDR ganz nach dem Geschmack von Ulbricht und Genossen. Hier musste die von der SED gesteuerte Kunstzensur nicht eingreifen. Die dem sozialistischem Realismus verpflichtete "Bauchbinde" am Pressecafé neben dem Berliner Verlag wurde nach 1990 verbrettert und kam erst 2021 wieder zum Vorschein





Auf sich und ihre Politik ließen der Oberstalinist Walter Ulbricht und seine Genossen nichts kommen. Alles musste gesprochen, geschrieben, gefilmt und gemalt werden, wie es sich diese Kleinbürger mit großem historischem Anspruch als angeblich bessere Deutsche wünschten. Auf der Verbotsliste standen westliche Tanzmusik ebenso wie Romane von George Orwell, Alexander Solschenizyn und anderen als antisozialistisch eingestuften Autoren.





Ihre Arbeiterklasse (hier Manfred Krug als Balla in der Mitte) stellten sich die SED-Oberen ganz anders als in "Die Spur der Steine" dargestellt vor, erst nachdem die SED im Orkus der Geschichte verschwunden war, waren die Kaninchen- und Kellerfilme öffentlich zu sehen und erhielten großen Beifall.



Was im ehemaligen Reichsbankgebäude am Werderschen Markt in Berlin, das bis Ende 1989 Sitz des SED-Zentralkomitee und schon von weitem an dem riesigen Parteiemblem zu erkennen war, ausgeheckt wurde, musste punkgenau verwirklicht werden. Nach dem Ende der Einparteienherrschaft waren die roten Parteibücher, die bis dahin von den Genossen peinlichst gehütet werden mussten, nichts mehr wert.



Der Schriftsteller Christoph Hein und der Schauspieler Jan Josef Liefers forderten auf der Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz das Ende der Zensur und die Freiheit der Kunst ein.



Als die DDR 1989 bereits ihrem Ende entgegen trudelte, haben die SED-Führung und die Regierung teure, aber nutzlose Feste wie hier auf dem Berliner Alexanderplatz zelebriert, um das Volk bei Laune bei zu halten. Die Anspannung brach sich schon bald in Massendemonstrationen Bahn, die nicht von "oben" angeordnet wurden. Dort gezeigte Plakate und Schilder werden im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden in Berlin, bekannt auch als Zeughaus, gezeigt. (Fotos/Repros: Caspar)

In der angeblich wahrheitsliebenden DDR kam es hin und wieder vor, dass hohe Funktionäre in die Wüste geschickt wurden, ohne dass die wahren Gründe genannt wurden. Prominente Beispiele für die Verschleierung waren SED- und Staatschef Walter Ulbricht 1971 und sein Nachfolger Erich Honecker 1989, die um die Entbindung von allen ihren Ämtern "baten" und dafür gesundheitliche Probleme nannten. Unterhalb der obersten Ebene gab es das auch, so etwa im Zusammenhang mit den Fall des Berliner SED-Chefs Konrad Naumann im Jahr 1985. Als Mitglied des Politbüros des ZK der SED gehörte er zum innersten Machtzirkel. Verhängnisvoll für ihn war nicht, dass er Alkoholiker der Extraklasse und skrupelloser "Weiberheld" war, sondern dass er sich in kleinem Kreis abfällig über Erich Honecker mokierte. In einer Rede vor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED nannte Naumann ihn einen "impotenten Zwerg". Selbstverständlich kamen die beleidigenden Äußerungen dem SED-Chef und Staatsratsvorsitzenden zu Ohren, der mit seinem Widersacher Naumann kurzen Prozess machte und ihn aus dem Politbüro werfen ließ. Was sich im Hintergrund abgespielt hatte, fiel der Zensur zum Opfer. Indes hatte der Sturz tiefere Gründe, denn Naumann hatte sich bei Berliner Parteifunktionären, Intellektuellen und Künstlern unbeliebt gemacht und sich als Konkurrent von Honecker im Poker um die Macht ins Spiel gebracht. Angesichts des von Michail Gorbatschow ausgerufenen neuen Kurses von "Glasnost und Perestroika" in der Sowjetunion duldete der SED-Chef Nörgeleien in der politbürokratischen Altherrenriege nicht.

Kaninchen- und Kellerfilme im Giftschrank

Angeblich gab es in der DDR keine Zensur. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat brauchte sie nicht, er gab sich ja als weltoffen und modern aus und behauptete, das ganze Land stehe "wie ein Mann" hinter der Führung. Das war natürlich kompletter Unsinn, denn die Gängelung und Überwachung der Medien sowie der Schriftsteller und Künstlererfolgte ebenso subtil wie brutal, und das 24 Stunden rund um die Uhr. Die SED, die Regierung und die Staatssicherheit taten alles, dass unbotmäßige Gedanken sowie missliebige Bilder und Filme zu unterdrücken. Für die auf den Index verbannten Filme gab es sogar speziellen Begriff "Kaninchen- oder Kellerfilme", benannt nach dem Streifen "Das Kaninchen bin ich" (Regie: Kurt Maetzig), in dem es um "staatsgefährdende Hetze" sowie Strafjustiz und Rechtsbeugung in der DDR und um Sanktionen gegen unangepasste DDR-Bürger geht. Auf der Verbotsliste wegen angeblich antisozialistischer Tendenzen ganz oben stand Frank Beyers "Spur der Steine", eine bittere Satire auf den Obrigkeitsstaat DDR und wie sich seine Bürger mit Mut und Witz dagegen wehren.

Vor dem Hintergrund des Machtwechsels in der Sowjetunion von Nikita Chruschtschow zu Leonid Breschnew und im Zeichen einer neu einsetzenden politischen und kulturellen Eiszeit wurde der mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte Film wegen angeblich antisozialistischer Tendenzen und verzerrter Darstellung des Kampfes der SED für das Wohl des Volkes verboten und kam ins Archiv. Die Zuschauer hatten sich sehr zum Ärger der völlig humorlosen Politbürokraten mit Ulbricht und Honecker an der Spitze etwa an der Stelle amüsiert, wo der Zimmermann Balla (Manfred Krug) einen Volkspolizisten in einen Teich schubst und dem Parteisekretär, mit dem er um eine Frau buhlte, seine Verachtung ins Gesicht schleudert. Erst im Wendeherbst 1989 wurde "Die Spur der Steine" aus dem Giftschrank geholt und in der DDR mit großem Erfolg aufgeführt. Die DDR-Presse lobte ihn jetzt, und mancher Schreiber wird sich seiner Schmähungen von 1966 ungern erinnert haben.

Linientreue Hofberichterstattung

Was den Führern des zweiten deutschen Staats nicht in den Kram passte, fiel unter den Tisch, wurde nicht publiziert, gefilmt oder fotografiert, kam nicht in Ausstellungen vor und wurde auch nicht in den Medien erwähnt. Auf der anderen Seite sorgten linientreue Hofberichterstatter dafür, dass ihre Jubelberichte schnell und wortwörtlich veröffentlicht wurden. Erich Honecker, der von "seinen" Fotografen verlangte, ihn niemals von hinten wegen seiner dort gelichteten Haare abzulichten, kümmerte sich persönlich um offizielle und offiziöse Meldungen und verschärfte gelegentlich den Wortlaut von Kommentaren. So leistete er sich einen schlimmen Lapsus, als er Anfang Oktober 1989 in einen Kommentar des Neuen Deutschland zur Fluchtbewegung über die bundesdeutschen Botschaften in Warschau, Prag und Budapest dem Satz "Sie alle haben durch ihr Verhalten die moralischen Werte mit Füßen getreten und sich selbst aus unserer Gesellschaft verabschiedet" hinzu fügte "Man sollte ihnen deshalb keine Träne nachweinen". Diese als zynisch empfundene Einstellung wurde selbst von linientreuen Genossen bedauert und brachte verzweifelte DDR-Bewohner in Rage.

Erich Honecker und Genossen sorgten dafür, dass geistige Konterbande die DDR-Bewohner nicht erreichte. Aber da war der Westen, der sich nicht den Mund verbieten ließ und der unerwünschte Informationen an das Ohr der DDR-Bewohner schickte, weshalb den als Feinde eingestuften Korrespondenten Arbeit und Leben so schwer wie möglich gemacht wurde. Wie es im Inneren hinsichtlich der Zensur und Meinungsmanipulation aussah, vermittelte einer der besten Kenner und Akteure des Zensurbetriebs, der ehemalige Chefredakteur des "Neuen Deutschland" und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin Günter Schabowski in seinem Buch "Der Absturz" von 1991 interessante Einsichten. Er beschrieb die ständigen Eingriffe der SED-Führung in die DDR-Presse und das Funktionieren der sich wie eine Schlammschicht auf das ganzer Land legenden Zensur so: "Allwöchentlich donnerstags nach der Sitzung des Politbüros (dienstags) und nach der Beratung des ZK-Sekretariats (mittwochs) versammelten sich die Chefredakteure der in Berlin ansässigen Zeitungen der SED und der Massenorganisationen, aber auch der Leiter des Presseamtes der Regierung und der Abteilung Agitation zur politischen Tränke. Dort wurden die politischen Sprachregelungen ausgegeben für die Propagierung der Parteibeschlüsse, für die aktuelle innen- und außenpolitische Berichterstattung und Kommentierung."

Öde Langeweile, Lüge, Schönfärberei

Das Ergebnis dieser Reglementierung, an der Schabowski als ND Chefredakteur und Parteifunktionär so lange mitmachte bis es nicht mehr ging, war öde Langeweile, Lüge und Schönfärberei, und wenn man eine DDR-Zeitung gelesen hatte, dann wusste man im Prinzip schon, was in anderen steht. Neben der offiziell immer in Abrede gestellten Unterdrückung unerwünschten Informationen gab es die nicht weniger gefährliche und effektive Zensur in den Köpfen. Sie sicherte, dass bestimmte Beiträge in voraus eilendem Gehorsam nicht geschrieben und Bilder nicht aufgenommen wurden, von denen man wusste, dass die Autoren "anecken" könnten. Die Selbstzensur hatte den Vorteil, dass etwas, das nicht auf den Redaktionstisch kam, auch nicht zensiert oder umgeschrieben werden musste.

Um die Vorgaben der SED-Führung bei Veröffentlichungen von Büchern und journalistische journalistischer Publizistik wurden in der DDR strenge Zensurmaßnahmen ergriffen. In einem vertraulichen Dossier vom Jahr 1960 wird erklärt, dass die Lektoren in den Verlagen ihrer Aufgabe nicht wirklich gerecht werden, bei den Autoren den Klassenstandpunkt durchzusetzen und sie parteilich schreiben zu lassen. Um ernste ideologische Fehler, die in letzter Zeit wiederholt aufgetreten sind, zu vermeiden und alle bestehenden Schwächen und Mängel auf diesem Gebiet unverzüglich zu überwinden müsse das gesamte Begutachterwesen ernsthaft geprüft und auf eine höhere Stufe gehoben werden. Dabei sei von dem Grundsatz auszugehen, dass sich die die staatliche Kontrollfunktion in erster Linie auf die politisch ideologische Richtigkeit und Nützlichkeit literarische Arbeiten bei gleichzeitiger Beachtung des Prinzips der Übereinstimmung von Inhalt und Form erstreckt. Fragen der künstlerischen Gestaltung und des ästhetischen Gehalts müssen Gegenstand der täglichen praktischen Arbeit des Lektors sein, heißt es in den "Grundsätze zur Verbesserung der Begutachtung im Sektor Schöne Literatur des Ministeriums für Kultur vom 21. März 1960." 15 Jahre später erklärte das Ministerium für Staatssicherheit, es habe bei der Festlegung der konkreten Maßnahmen zur Durchsetzung der Kulturpolitik keine bestimmende oder entscheidende Funktion. Die Aufgabe des MfS bestehe darin, die Partei und die zuständigen Staatsorgane über das Verhalten von Künstlern im Ergebnis unserer operativen Arbeit zu informieren.

Maulkorb- und Antikunst-Plenum von 1965

Beim 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965, das man insgeheim auch Maulkorb- und Antikunst-Plenum nannte, wurde nicht nur Künstlern, sondern auch deren Kontrolleuren "Versagen" vorgeworfen. Berichterstatter Erich Honecker verteufelte nicht konformen Autoren als Nihilisten, Skeptizisten und Pornografen. Im Ergebnis der Zusammenkunft, die schlagartig kleine Lockerungsübungen auf geistig-kulturellem Gebiet beendete, wurden zahlreiche Filme, Theaterstücke, Bücher und Musikgruppen verboten. Als sozialismusfeindlich wurden so genannte Kaninchenfilme, benannt nach "Das Kaninchen bin ich" von Kurt Maetzig, "Denk bloß nicht, ich heule" von Frank Vogel, "Der Bau" von Heiner Müller, "Die Spur der Steine" von Frank Beyer. Diese und weitere "Kaninchenfilme" verschwanden im Keller, weshalb man sie auch Kellerfilme nannte. Nach dem Ende der SED-Herrschaft konnten die in der SED-Presse in den 1960er Jahren geschmähten, aber nie vergessenen Filme mit viel Beifall gezeigt werden. Auf den Index gelangten auch der Roman "Fünf Tage im Juni", in dem Stefan Heym den Aufstand vom 17. Juni 1953 thematisierte, und weitere regimekritische Werke.

Die Unterdrückung von Geist und Information ging einher mit von oben verordneten Festlichkeiten nach dem Motto "Fröhlichsein und singen", wie der Titel einer Kinderzeitschrift lautete. Die Gängelung und Unterdrückung der Kunst im weitesten Sinne war in der Endphase der DDR eine der wichtigsten Forderungen von Schriftstellern, Publizisten und Journalisten. Wer sich mit Forderungen zur Abschaffung der Zensur aus dem Fenster lehnte, verlor seine Arbeit, wurde eine Persona non grata und geriet ins Visier der Staatssicherheit. Vielen Schriftstellern, Schauspielern, bildenden Künstlern haben engstirnige Bürokraten das Leben in der DDR so schwer gemacht, dass sie in den Westen gingen. Andere blieben und mussten Berufsverbot, Ausgrenzung, Bespitzelung und große Entbehrungen für sich und ihre Familien erdulden. Wer im Westen ohne Genehmigung der staatlichen Stellen publizierte, bekam es mit der DDR-Justiz zu tun. Eine gewisse Prominenz schützte manche Betroffene vor dem Gefängnis, andere Dissidenten aber machten mit ihm leidvolle Bekanntschaft.

Menschenfeindliche Machenschaften

Auf dem X. Schriftstellerkongress im November 1987, zwei Jahre vor dem Mauerfall und dem Ende der SED-Herrschaft, sprach der Schriftsteller Christoph Hein aus, was viele dachten und am eigenen Leib erlebten. "Das Genehmigungsverfahren, die staatliche Aufsicht, kürzer und nicht weniger klar gesagt: die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar", sagte er. Sie sei nutzlos, denn sie könne Literatur nicht verhindern, allenfalls ihre Verbreitung verzögern. "Wir haben es wiederholt erlebt, dass nicht genehmigte Bücher Jahre später die Genehmigung erhalten mussten. Und daher wissen wir alle, dass Bücher, die uns heute noch nicht zugänglich sind, etwa einige der Bücher von Stefan Heym oder die von Monika Maron, in DDR-Verlagen erscheinen werden. Hein zufolge verschwinde das zensierte Objekt verschwinde nicht, sondern werde unübersehbar und erscheine lediglich als ein umsatzsteigernder Einfall der Werbeabteilung des Verlages. "Die Zensur ist menschenfeindlich, feindlich dem Autor, dem Leser, dem Verleger und selbst dem Zensor. Unser Land hat in den letzten zehn Jahren viele Schriftsteller verloren, unersetzliche Leute, deren Werke uns fehlen, deren Zuspruch und Widerspruch uns bekömmlich und hilfreich war. Diese Schriftsteller verließen gewiss aus sehr verschiedenen Gründen die DDR. Einer der Gründe, weshalb diese Leute und ihr Land einander vermissen - das eine weiß ich, das andere vermute ich: denn wie die Engländer sagen: ,You can take the boy out of the country, but you can't take the country out of the boy' (Du kannst den Jungen aus dem Land nehmen, aber man kann das Land aus dem Jungen nicht nehmen) - einer der Gründe heißt Zensur. Und der Autor, dem es nicht gelingt, aus seiner Arbeit die ihr folgende Zensur herauszuhalten, wird gegen seinen Willen und schon während des Schreibens ihr Opfer: Er wird Selbstzensur üben und den Text verraten oder gegen die Zensur anschreiben und auch dann Verrat an dem Text begehen, da er seine Wahrheit unwillentlich und möglicherweise unwissentlich polemisch verändert."

Seine bis dato vor diesem auch von der SED und der Stasi überwachten Gremium noch nie gehörte Anklage fasste Christoph Hein so zusammen: "Das Genehmigungsverfahren, die Zensur, muss schnellstens und ersatzlos verschwinden, um weiteren Schaden von unserer Kulturpolitik abzuwenden, um nicht unsere Öffentlichkeit und unsere Würde, unsere Gesellschaft und unseren Staat weiter zu schädigen." Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann (SED) lehnte die Zensurdebatte ab und erklärte, das Genehmigungsverfahren werde nicht verändert oder zeitlich verkürzt. Es sei nicht vorgesehen, die vorgeschlagenen Änderungen im Druckgenehmigungsverfahren beim Schriftstellerverband, Verlagen bzw. anderen gesellschaftlichen oder staatlichen Institutionen zur Diskussion zu stellen noch sie nach erfolgter Bestätigung im Gesetzblatt zu veröffentlichen.

2. Juni 2022

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