"Das Schicksal des Menschen ist der Mensch"
Deutschland gibt 2023 zum 125. Geburtstag von Bertolt Brecht eine silberne Gedenkmünze heraus





Katrin Pannnicke würdigt Bertolt Brecht auf der neuen Gedenkmünze wie man ihn kennt - aufmerksam blickend und eine Zigarre rauchend. Die von Winfried Fitzenreiter gestaltete DDR-Ausgabe von 1973 ist weniger (an)mutig.





Versehen mit einem Zitat aus "Leben des Galilei", kam 1968 diese Medaille mit Brechts Kopf heraus, die DDR-Regierung stiftete 1980 die an Theaterleute verliehene Helene-Weigel-Medaille.





Die zu Brechts 80. Geburtstag am 10. Februar 1978 eröffnete, heute zur Akademie der Künste gehörende Brecht-Weigel-Gedenkstätte im Hof des Hauses Chausseestraße 125 in Berlin-Mitte befindet sich neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof, auf dem das Ehepaar Brecht-Weigel bestattet wurde. Die Wohnungen sind weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben. Neben Brechts Nachlass ist in dem Haus auch das Helene-Weigel-Archiv untergebracht.



Auf einer Bank unweit seiner einstigen Wirkungsstätte, dem Berliner Ensemble, hat Bertolt Brecht Platz genommen und lädt Passanten zum Verweilen ein. Gestalter der 1988 eingeweihten Gedenkstätte sind der Bildhauer Fritz Cremer und der Architekt Peter Flierl.



Brechts Erbe wird im Berliner Ensemble hoch gehalten, dessen Fassade die von Pablo Picasso gezeichnete weiße Friedenstaube schmückt. (Fotos/Repros: Caspar)

Im kommenden Jahr wird Bertolt Brecht in der Bundesrepublik Deutschland, und nicht nur dort, auf vielfältige Weise zu seinem 125. Geburtstag geehrt. Angekündigt sind nicht nur Ausstellungen und neue Bücher, sondern auch eine Sonderbriefmarke und eine silberne Gedenkmünze im Wert von 20 Euro. Wir werden sehen, ob zu ihr auch Medaillen erscheinen, der Dichter und Theatermann hätte es verdient. Mit seinen Stücken, Gedichten, Romanen, Prosatexten, Filmskripten, Schriften und Tagebüchern zählt Bertolt Brecht zu den wirkungsmächtigsten deutschsprachigen Autoren und Theatermenschen des 20. Jahrhunderts, schreibt das mit der Ausgabe der deutschen Sondermünzen befasste Bundesverwaltungsamt. Seine Sprache sei unverwechselbar in ihrer kunstvollen Kombination von Poesie, Direktheit, Tradition und Formbewusstheit.

"Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Dass ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land. / Dass die Völker nicht erbleichen / Wie vor einer Räuberin / sondern ihre Hände reichen / uns wie andern Völkern hin" - so beginnt Bertolt Brechts von Hanns Eisler vertonte "Kinderhymne" aus dem Jahr 1950. Nach dem Ende der SED-Herrschaft 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 gab es den Vorschlag, sie anstelle der dritten Strophe des Deutschlandlieds von Heinrich Hoffmann von Fallersleben mit der Zeile "Einigkeit und Recht und Freiheit" zum Lied der Deutschen zu erheben. Doch das wurde von der damaligen Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) abgelehnt, denn der Dichter war konservativen Kräften im deutschen Westen suspekt, weil sie ihn für einen Linken, gar einen verkappten Kommunistenfreund hielten und seine Werke jahrelang boykottierten.

Ändere die Welt - Sie braucht es

Bereits 1973 hatte die DDR Bertolt Brecht anlässlich seines 75. Geburtstages ein von Winfried Fitzenreiter (Bildseite) und Axel Bertram (Wertseite) gestaltetes Zehnmarkstück gewidmet. Darauf ist der Kopf im Profil konventionell wie bei anderen Münzen dieser Art gestaltet, doch diese Form sagt wenig über den berühmten Dichter und Theatermann und sein Werk. Der Jury lagen diesmal Modelle mit Porträts in Vorder- und Seitenansicht sowie mit und ohne Mütze vor. Doch sie wählte eine Umrisszeichnung in der Art einer Grafic novel der Künstlerin Katrin Pannicke aus Halle an der Saale aus, auf der Brecht nach einem Foto, die unvermeidliche Zigarre in der Hand, aufmerksam zum Betrachter schaut. Das etwas schrägt angeordnete Zitat "Ändere die Welt - Sie braucht es" darunter ist Brechts Gedicht "Die Maßnahme" von 1930 entnommen. Die Randschrift "Das Schicksal des Menschen ist der Mensch" entstammt seinem Stück "Die Mutter".

In seiner Begründung für die Wahl dieses Entwurfs stellt das Preisgericht fest, so wie Brecht sich künstlerisch auf neue Wege begeben habe, so gebe es bei der Gestaltung der Münze eine lebensbejahende und gleichzeitig zurückhaltende Bildsprache. Die scheinbare Verdrehung des Porträts und des Schriftzugs aus der Bildachse führe zu einer subtil-produktiven Irritation. Der fein gezeichnete Adler in Form eines Strahlenkranzes ergänze die Bildseite in identischer Bildsprache. "Der prämierte Entwurf ist künstlerisch wie inhaltlich eine herausragende Lösung", stellt die Jury fest. Man darf nun gespannt sein, ob die in Hamburg mit dem Kennbuchstaben J geprägte Ausgabe in der Öffentlichkeit ebenso gut ankommt wie bei der Jury. Denn es gibt bei den bundesdeutschen Münzen Beispiele, bei denen das nicht der Fall war. Das Zitat unter dem Porträt ist das einzige bei allen eingereichten Vorschlägen. Die anderen verzichten auf zusätzliche Aussagen. In einem besonderen Fall erkennt man außer dem Porträt in Dreiviertelansicht eine Szene aus Brechts "Mutter Courage", bei der Brechts Frau Helene Weigel die Titelrolle spielte. Dieses von Bodo Broschat eingereichte Modell errang den zweiten Platz.

Den Nazis entkommen, SED-Funktionären ein Ärgernis

Am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren, hatte Brecht zunächst Medizin studiert, doch wechselte er das Metier und ging als Regisseur erst nach München und dann nach Berlin, wo er seit den frühen zwanziger Jahren als freischaffender Schriftsteller von Erfolg zu Erfolg eilte. Seine erste Gedichtsammlung erschien 1927 unter dem Titel "Bertolt Brechts Hauspostille", im Jahr darauf hatte die "Dreigroschenoper" im Theater am Schiffbauerdamm Premiere, an einem an einem Ort, wo Brecht nach dem Zweiten Weltkrieg überaus erfolgreich tätig war. Nach der Errichtung der Nazi-Diktatur 1933 musste Brecht nach Dänemark, Schweden, Finnland und schließlich in die USA ins Exil gehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sogenannter unamerikanischer Gesinnung bezichtigt, verließ er die USA und ging mit Helene Weigel in die Schweiz. Dort schrieb er Stücke wie "Das Leben des Galilei", "Der gute Mensch von Sezuan", "Der kaukasische Kreidekreis" sowie Schriften wie "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit".1948 folgte das Ehepaar einer Einladung von Wolfgang Langhoff nach Ostberlin, wo es alsbald am Theater am Schiffbauerdamm, dem heutigen Berliner Ensemble, mit Theaterstücken und Inszenierungen große Beifall erntete, aber auch im Mittelpunkt von Anfeindungen engstirniger SED-Funktionäre stand.

In den Verdacht, gegen die dogmatischen Vorgaben der ganz und gar dem Stalinismus verfallenen SED zu verstoßen, konnten damals unangepasste Schriftsteller, Theaterleute, Musiker, Maler und andere Kulturschaffende geraten. Der Blitzstrahl traf Künstler wie Ernst Barlach, Bertolt Brecht, Marc Chagall, Fritz Cremer, Paul Dessau, Karl Hofer, Max Lingner, Arno Mohr, Karl Orff, Pablo Picasso, Hans Scharoun, Karl Schmitt-Rottluff, Igor Strawinsky und viele andere, denn was sie schufen, wurde ganz oder nur zum Teil als "Formalismus" und antisozialistisch abgelehnt. Formalistisch war in der Sicht der SED unter anderem die Oper "Das Verhör des Lukullus" von Paul Dessau nach einem Libretto von Bertolt Brecht. Das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND unterstellte Brecht einen "Rückfall in Zweifel und Schwächen", die er eigentlich längst überwunden haben müsste, und Paul Dessaus Musik wurde als dünn, bruchstückhaft und mit kabarettistischen Unarten behaftet abgetan. Die Oper wurde sie am 17. März 1951 an der Berliner Staatsoper probeweise aufgeführt, doch organisierte die SED einen Misserfolg.

Regierung möge sich anderes Volk suchen

Nolens volens nahm Brecht kleinere Änderungen wegen vermeintlicher "pazifistischer Tendenzen" vor, und auch Dessau musste seine Musik überarbeiten, so dass die Uraufführung unter dem Titel "Die Verurteilung des Lukullus" am 12. Oktober 1951 stattfinden konnte. Was der oberste Kunstbanause im Lande, SED-Chef Walter Ulbricht, von moderner Kunst hielt, formulierte er, keinen Widerspruch zulassend, so: "Wir wollen in unseren Kunstschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen. Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs ist, steht im schroffsten Widerspruch zum heutigen Leben in der DDR."

Auch ein so bedeutender Literat und Theatermann wie Bertolt Brecht stand zeitweilig im Verdacht, "formalistisch" zu schreiben und Regie zu führen. Das ließ er nicht auf sich sitzen. Der von der Roten Armee und den Sicherheitsorganen der DDR niedergeschlagene Volksaufstand vom 17. Juni 1953 löste heftige Reaktionen unter Intellektuellen und Künstlern im zweiten deutschen Staat aus. Brecht schickte Walter Ulbricht, der eben noch um seine Stellung gebangt hatte, einen Brief, aus dem das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND nur diesen Satz "Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken", übernahm. Freunde des Dichters im Westen nahmen ihm seine Worte als Kotau vor dem SED-Regime übel, weshalb er aus westdeutschen Spielplänen genommen wurde und lange Zeit als Kommunistenfreund galt.

Erst nach Brechts Tod wurde bekannt, dass er kein Telegramm mit jenem kurzen Satz, sondern einen langen Brief geschrieben und Ulbrichts falsche Politik für den Aufstand verantwortlich gemacht hatte. In dem Schreiben betonte der Dichter seine Forderung nach Reformen, die auch diesen Namen verdienen. Unterdrückt wurde auch Brechts Gedicht "Die Lösung", in dem es heißt: "Nach dem Aufstand des 17. Juni / ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes / in der Stalinallee Flugblätter verteilen, / auf denen zu lesen war, dass das Volk / das Vertrauen der Regierung verscherzt habe / und es nur durch verdoppelte Arbeit / zurückerobern könne. Wäre es da / nicht einfacher, die Regierung / löste das Volk auf / und wählte ein anderes?" Das Gedicht war eine Reaktion auf die von der SED und der DDR-Regierung ausgegebene Behauptung, der Aufstand sei ein vom Westen organisierter faschistischer Putschversuch gewesen, auf den das Volk wie eine dumme Hammelherde hereingefallen sei. Dagegen wandte sich Brecht auf einer Tagung der Akademie der Künste mit diesen Worten: "Ich habe eine Resolution vorzuschlagen. Da sich herausgestellt hat, dass unser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen."

Dichter lädt zum Verweilen ein

Als Bertolt Brecht am 14. August 1956 an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben war, bereitete die Regierung dem Stalinpreis- und Nationalpreisträger sowie Mitglied der Akademie der Künste ein Staatsbegräbnis, bei dem Walter Ulbricht und seinesgleichen Krokodilstränen vergossen, insgeheim aber froh waren, einen unbequemen Mahner und Warner losgeworden zu sein, einen Mann, der sich das Wort nicht verbieten ließ und daher bis heute viele Bewunderer hat. Längst aber hat die DDR-Führung Brecht seine "Abweichungen" von der Linie der Partei, deren Mitglied er nie war, verziehen. Sie schmückte sich gern mit ihm und seinem Werk, was im Westen mit Missmut beobachtet wurde und ihm bei manchen Zeitgenossen Sympathien kostete.

Am 10. Februar 1988, seinem 90. Geburtstag, wurde vor dem Berliner Ensemble ein Brecht gewidmetes Bronzedenkmal eingeweiht. Gestalter der Anlage waren der Bildhauer Fritz Cremer und der Architekt Peter Flierl. Cremer gelang ein eindrucksvolles Porträt seines Freundes, der wortmächtig und mit Hintersinn in die geistigen und politischen Kontroversern seiner Zeit eingriff und bei aller Geschmeidigkeit, die ein Künstler zum Überleben in einer Diktatur benötigt, bei SED-Politbürokraten und Leuten unter seinem Niveau aneckte. Versonnen-lächelnd schaut er geradeaus, die Hände entspannt in den Schoß gelegt. Wer möchte, kann neben dem Mann der Widersprüche und des Zweifels aus Bronze Platz nehmen. Blank geputzte Stellen zeigen, dass von dieser Möglichkeit gern Gebrauch gemacht wird. Die Schlichtheit des Denkmals entspricht dem, was der Dichter einmal über sein Nachleben sagte: "Ich benötige keinen Grabstein, aber / wenn ihr einen für mich benötigt / wünschte ich, es stünde darauf: / Er hat Vorschläge gemacht. Wir / haben sie angenommen. Durch eine solche Inschrift wären / wir alle geehrt". Wie ein Besuch von Brechts Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof gleich beim Brecht-Weigel-Haus in der Berliner Chausseestraße zeigt, hat die SED- und Staatsführung diesen Wunsch ignoriert. Der Stein trägt nur Brechts Namen und ein zweiter neben ihm den von Helene Weigel.

Das nur etwas überlebensgroße Denkmal steht zu ebener Erde auf einer kreisförmigen Fläche mit einem Durchmesser von sechs Metern. Sie hat die Höhe einer Stufe und erinnert an die Drehbühne eines Theaters. In polierte Steine auf dem Rand sind Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" eingemeißelt, die auch auf einem Bronzerelief von Werner Stötzer (1961) im Hof der Staatsbibliothek Unter den Linden stehen. Zur Anlage gehören drei runde Säulen aus schwarzem Stein. Die Inschriften zitieren Brechts Auffassungen über Philosophie, Ästhetik und Politik wie diese: "Ja, ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen. Sie können ihr auf die Dauer nicht widerstehen", "Wirklicher Fortschritt ist nicht Fortschrittlichsein, sondern Fortschreiten" oder "Das Alte sagt: So wie ich bin ich seit je. / Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh."

9. August 2022

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