Formen, gießen, prägen
Deutsche Gesellschaft für Medaillenkunst lädt mit neuem Buch zu Atelierbesuchen ein



Werke von Anna Franziska Schwarzbach und Wolfgang Friedrich weichen in Form und Inhalt von der traditionellen Medaille ab und eröffnen neue Sichtweisen.



Erst als Flüchtlinge willkommen geheißen und dann abgelehnt - unterm Bundesadler war und ist dies alles möglich, gibt Katrin Pannicke mit ihrer Kunstmerdaille zu verstehen.



Barbara Ruppel erinnert mit einer ermatteten Libelle, einem ausgetrockneten Flussbett und einem Spruch von Rainer Maria Rilke, was uns in einem heißen Sommer blüht.



Agatha Kills Bronzemedaille mit dem Porträt des Malers, Grafikers und Bildhauers Max Ernst ist teilweise blau patiniert.



Die Bronzeplakette von Bernd Göbel auf den von schwerster Strafe bedrohten Whistleblower Edward Snowden, sollte er aus Großbritannien in die USA ausgeliefert werden, zitiert ein chinesisches Sprichwort so: "Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd". (Fotos aus dem besprochenen Buch)

Als in der Renaissance erst in Italien und schon bald in anderen Ländern Medaillen geschaffen wurden, tat man das im Gussverfahren. Die damalige Münztechnik ließ die Prägung großer Formate und hoher Reliefs erst später zu. Wie es in heutigen Künstlerateliers zugeht und was da geformt, gegossen und geprägt wird, ja was als Medaille gilt, wie zeitgenössische Arbeiten aus Metall, Porzellan, Ton und Hartgips von der Tradition abweichen, schildert das von der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst herausgegebene Buch "Kunst im Griff -Contemporary Medal Art" in deutscher und englischer Sprache. Das im Kölner H&S Verlag erschienene Buch mit Beiträgen von Künstlern und Numismatikern hat 222 Seiten und zahlreiche Abbildungen.

Das hervorragend illustrierte Medaillenbuch ist kein Katalog der üblichen Art. Es gewährt Einsichten in aktuelle Schaffensprozesse, enthält praktische Anleitungen zur Herstellung der Kunstobjekte und schildert, was heute auf dem Gebiet der Kunstmedaille möglich ist. Von der Idee zum fertigen Produkt führend, schildern die Autoren und Autorinnen, welche Materialien und Methoden sie verwenden. Wir lernen rückblickend in einem Beitrag von Ulf Dräger (Münzkabinett in Halle an der Saale), wie in Italien und dann bald auch in anderen Ländern vor über einem halben Jahrtausend Medaillen erst im Gussverfahren, dann als Prägungen entstanden sind und sich zu einem beliebten Medium entwickelt haben. Wir kennen und schätzen die auf beiden Seiten mit Bildern und Inschriften versehenen, meist kreisrunden Medaillen aus Metall, die Porträts historischer Persönlichkeiten überliefern und zu allen erdenkbaren Anlässen gefertigt wurden. Sie kommen regelmäßig im Münzhandel vor und werden gern und zielgerichtet gesammelt. Wer sich mit ihnen befasst, bekommt eine Vorstellung von dem, was unsere Vorfahren bewegt hat und wie Medaillen und Münzen auch zu Werbe- und Propagandazwecken ge- und missbraucht wurden.

Texte für das Auge

Die in dem Buch vorgestellten Arbeiten heben sich von dem ab, was wir an Medaillen der herkömmlichen Art schätzen. Viele Schöpfungen liegen schwer in der Hand, sind weder Stilen noch Themen und Genres verpflichtet und lassen sich kaum in Schubfächern, Alben und Schatullen verstauen. Aber alle passen in eine Hand, und so hat man sie im Griff, um den Titel des Buches zu erwähnen, der sich erst beim Lesen erschließt. Manche Arbeiten sind alles andere als Handschmeichler sondern sperrige Gebilde, die nur auf einen Schreibtisch oder in einer Vitrine Platz haben.

Joachim Penzel nennt die Kunstmedaillen von heute "Texte für das Auge". Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts habe der Mantel der Geschichte das künstlerische Medaillenschaffen eingehüllt und vom großen Rest der Gegenwartskunst isoliert, schreibt er. Diese Entwicklung sei von jüngeren Künstlern und Künstlerinnen zugunsten eines unerwarteten Erneuerungsprozesses überwunden worden. Mittlerweile müsse man die Medaillenkunst als eine der innovativsten Kunstgattungen begreifen. So sei nicht nur das klassische Rund zugunsten vielfältiger Formate aufgegeben worden, es würden oft auch die ursprünglich festen Gattungsgrenzen überschritten. Die Übergänge zur Kleinplastik und Objektkunst seien fließend. Angesichts der künstlerischen Experimentierfreude sei es schwierig geworden, einen gemeinsamen Nenner in diesem Metier auszumachen.

Die Autorinnen und Autoren laden zu einer spannenden Reise durch die zeitgenössische Medaillenkunst ein und möchten Neugierde wecken. Das Buch stellt runde, eckige und anders konturierte Medaillen mit Portraits, mit Anspielungen auf historische und aktuelle Ereignisse und mit mahnenden und berührenden Inschriften vor. Es zeigt, wie Modele und Gussformen entstehen und wie Medaillen vervielfältigt und farblich getönt werden. Diese sind keine Massenware, denn jedes Objekt ist ein Einzelstück mit besonderem Charakter, das sich von parallel gefertigten Arbeiten in gestalterischen Details sowie bei den Tönungen, Gewichten und anderen Merkmalen unterscheidet. Indem das Buch dazu aufruft, Kunstmedaillen in die Hand zu nehmen, um sie im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, regt es an, Medaillen selber zu gestalten. Wer auf diesem Gebiet einmal Feuer gefangen hat und die in dem Buch veröffentlichten Beschreibungen, Fotos und Betriebsanleitungen beherzigt, wird so schnell nicht von diesem Genre mehr lassen.

17. August 2022

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