Florale Motive, fließende Linien
Wie der Jugendstil um 1900 die Münz- und Medaillenkunst beeinflusste



Reinster Jugendstil ist auf den Medaillen von 1918 auf die französische Münzstätte Rochefort und von 1900 auf das neue Jahrhundert zu erkennen.



Die österreichische Hundertkronenmünze aus Gold von 1908 ist unverkennbar von Elementen der Art Nouveau geprägt, die bei uns Jugendstil genannt wird.





Mit dem Fünfmarkstück von 1906 auf die Goldene Hochzeit des badischen Großherzogpaars beschritten Designer neue Wege. Die Prägung dieser sowie der Gedenkmünze von 1910 auf die Hundertjahrfeier der Berliner Universität und weiterer Ausgaben dieser Art war eine künstlerische und technische Herausforderung. Zu beachten ist, dass die Münze von 1910 einen der Vorderseite angepassten Reichsadler zeigt, während die Rückseite der Ausgabe von 1906 das Staatswappen in der üblichen Form präsentiert.



Das jugenstilig gestaltete Fünfundzwanzigpfennigstück von 1909 stieß im Deutschen Reich auf wenig Gegenliebe. Es floss bald wieder an die Kassen zurück und ist heute eine begehrte Rarität.



Die französische und die österreichische Plakette im damals noch ungewöhnlichen Hochformat zeigt, dass der Jugendstil die klassizistisch-steife Manier früherer Generationen überwunden hat. (Fotos: Caspar)

Die oft gestellte Frage, ob es sich lohnt, systematisch nach Münzen und Medaillen mit Merkmalen des Jugendstils Ausschau zu halten, kann man nur mit einem klaren "Ja" beantworten. In den Angeboten des Münzhandels, auf Messen und an anderen Orten werden numismatische Belege für die um 1900 aufblühende Kunstrichtung oft recht preiswert angeboten, so dass man mit der Zeit eine schöne Sammlung aufbauen kann. Der Jugendstil, auch Art nouveau oder Neue Kunst genannt, war eine relativ kurze Epoche vor und nach 1900. Ihr deutscher Name geht auf die in München herausgegebene Zeitschrift "Jugend" zurück, die mit anderen Publikationen gegen den damals üblichen, als steif, unnahbar und als Mischmasch alter und, wie man meinte, verbrauchter Kunststile verachteten Historismus sowie gegen seelen- und einfallslose Maschinenkunst polemisierte und ihr neue Formen und Themen entgegen stellte.

Bis heute erfreuen sich Möbel, Porzellane, Gläser, Metallarbeiten und andere Objekte aus dieser Zeit mit ihren floralen Motiven, fließenden Linien, ungewöhnlichen Farben und Materialkombinationen, aber auch des unbekleideten Menschen in der freien Natur großer Beliebtheit. Neu war auch das Spiel mit Formaten. Kannte man bis dahin nur viereckige Münzen meist im Gewicht von Talern, die man Klippen nannte, so kamen jetzt hoch- und querformatige Plaketten hinzu, auf denen man wunderbar Szenen aus der Landes- und Kunstgeschichte oder vornehme Personen darstellen konnte. Ein Blick auf die Malerei, Skulptur und Architektur sowie auf das Kunsthandwerk und Design und nicht zuletzt auf Münzen und Medaillen zeigt, dass der Jugendstil schnell populär wurde. Wer durch alte Städte geht, sieht überall noch von ihm beeinflusste Häuser und auch gut erhaltene Inneneinrichtungen. In Kunstgewerbemuseen kann man bewundern, was in damaligen Haushalten auf dem Tisch und den "guten Stuben" stand. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Richtung von der Neuen Sachlichkeit und dem Expressionismus abgelöst.

Wiedererweckung der Medaille

Frankreich, Österreich und Italien waren Vorreiter des Jugendstils. Diese Länder trugen wesentlich zur "Wiedererweckung der Medaille" bei, so der Titel eines Buches von 1897 des deutschen Kunsthistorikers und Kunstpädagogen Alfred Lichtwark, das der Erneuerung der Münze und Medaille im Deutschen Reich wichtige Impulse gab. Bei der Betrachtung der vor 120 Jahren gepflegten Münz- und Medaillenkunst sehen wir, dass viele Arbeiten ungewöhnlich geschwungene Schriften und Ornamente aufweisen, die man bis dahin nicht kannte. Auch zeigt sich, dass bei Kurs- und Gedenkmünzen viel experimentiert wurde. Manche erwecken den Anschein, als seien sie gegossen und nicht geprägt. Auffällig ist das bis dahin unbekannte Spiel zwischen konkaven und konvexen Formen und Reliefs, das die Prägeanstalten bisweilen vor erhebliche technische Probleme stellte. Entdeckt wurden in der Medaillenkunst der arbeitende Mensch, aber auch die Natur mit ihren Pflanzen und Tieren.

Mit der Frage, wie das Aussehen des zeitgenössischen deutschen Hartgeldes verbessert werden kann, befasste sich 1912 auch der Gothaer Numismatiker Behrendt Pick. Sein Beitrag in der "Internationalen Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik" reiht sich in Überlegungen namhafter Numismatiker, Kunsthistoriker und Designer darüber ein, wie man die Münz- und Medaillenkunst den Erfordernissen der Gegenwart anpassen kann. Pick unterzog die Gestaltung der deutschen Reichsmünzen einer fundierten, auch heute noch lesbaren Analyse und Kritik. Ausgangspunkt seiner Klagen über die "Unschönheit unserer Reichsmünzen" war das Fünfundzwanzig-Pfennig-Stück aus Nickel. Die zu einem 1907 vom Dürer-Bund ausgeschriebenen Preisausschreiben eingesandten Modelle unterstreichen nach Picks Meinung eine übertriebene Furcht vor Neuerungen.

Zwar bemerkte Pick bei den aktuellen französischen Münzen mit der Säerin von Roty und badischen Münzen mit dem Bildnis des Großherzogs Friedrich I. eine "weiche Modellierung", die in stempelfrischem Zustand sehr gut aussieht. Aber wenn diese Münzen einige Zeit im Verkehr waren, seien sie ganz verwischt und würden sich unangenehm fettig anfühlen, während viele alte Münzen der napoleonischen Zeit mit ihrem scharfen Gepräge noch sehr gut erhalten sind. Pick und weitere Experten konnten fordern und kritisieren wie sie wollten und die schönsten Vorschläge unterbreiten, regierungsamtliche Entscheidungsträger verhielten sich zögerlich, und wenn im damaligen Münzwesen neue Wege wie bei den Drei-Mark-Münzen von 1910 und 1911 auf das Berliner und das Breslauer Universitätsjubiläum beschritten wurden, mussten sie manche Kritik einstecken. Aber solche Reaktionen auf Ungewöhnliches, waren nicht neu, wir kennen sie ja auch in unserer Zeit.

20. März 2022

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