Die Wahrheit muss ans Licht
Kommentar von Helmut Caspar im Money trend Heft 3-2022, Seite 1





Leo Spik, Chef des Auktionshauses Union in der Tiergartenstraße 6, nur zwei Häuser von der im Geheimen arbeitenden NS-Zentralstelle zur Ermordung kranker Menschen (Aktion T 4) entfernt, und andere Händler profitierten von dem, was die Nationalsozialisten den in die Vernichtungslager deportierten Juden und generell in den von der Wehrmacht besetzten Ländern geraubt habe.



Die meisten Einnahmen aus den Zwangsverkäufen wie hier von Handwerkszeug verfielen der Reichskasse, doch blieb bei den Händlern noch genug kleben. Nach Ende der Nazidiktatur haben viele ohne Gewissensbisse in ihrem Metier weiter gemacht.



Die Topographie des Terrors zeigt in ihrer Außenausstellung, was Leo Spik und sein Versteigerungshaus "Union" in der Tiergartenstraße 6 als "freiwillig gebraucht wegen Auseinandersetzung aus nichtarischem Besitz" zur Auktion aufrief. Fotos/Repro: Caspar

Während in anderen Regionen der Welt die Abhaltung von Messen wieder zum alltäglichen Alltag gehört, hindert die Politik in Europa weiterhin die Rückkehr zu einer wirtschaftlichen Normalität. Unter diesen Rahmenbedingungen steht fest: Die NUMISMATA München muss 2022 erneut eine Pause machen. Das ist ein schwerer Rückschlag für die gesamte Branche, ist doch die Numismata in München immer Stimmungsbarometer für das laufende Jahr.

Ein weiteres Ereignis prägt das Frühjahr des Jahres 2022: Anlässlich der Versteigerung der Salton Collection haben das Auktionshaus Künker (Osnabrück) und Stack's Bowers Galleries (New York) die Historikerin und Numismatikerin Dr. Ursula Kampmann damit beauftragt, die Geschichte der in Berlin ansässigen Münzenhändlerdynastie Hamburger-Schlessinger zu untersuchen. Ihre Erkenntnisse erweitern unser Wissen über den deutschen Münzenhandel und geben hoffentlich auch einen Anstoß, in öffentlichen Einrichtungen und Museen begangenes Unrecht festzustellen und zu bereinigen. Angesichts der Tatsache, dass die Diskussion bereits über die noch länger zurückliegende Kolonialzeit bereits voll im Gange ist, ist diese Forderung nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Jüdischer Besitz profitabel vermarktet

Ein Dokumentarfilm von Jan N. Lorenzen und Michael Schönherr im Mitteldeutschen Rundfunk schildert, wie während der Zeit des Nationalsozialismus Wohnungen von Juden ausgeräumt und wie Möbel, Bettwäsche, Kleidung von geschäftstüchtigen Auktionatoren vermarktet wurden und was auch heute, aus solchen Quellen stammend, überall zu finden ist. Es ging um Betten und Schränke, Tische und Stühle, Wäsche, Kleidung, Musikinstrumente und Spielzeug. Was aus Kunstgegenständen und Sammlungen wurde, ließ der Film unerwähnt.

Konkret geht es in der Dokumentation um den Leipziger Versteigerer Hans Klemm, der akribisch jeden Schrank, jeden Stuhl und jeden Löffel dokumentiert hat, der ihm unter die Finger kam. Die meisten Leute fragten bei den Auktionen nicht lange, denn sie kamen billig an Dinge, die sie sich sonst nicht leisten konnten. Als deren Auftraggeber fungierten die Geheime Staatspolizei oder die Oberfinanzdirektion, die das Geld zugunsten der Reichskasse einzogen. Doch auch der Versteigerer selbst erzielt gewaltige Gewinne, denn zehn Prozent der Erlöse bekam er. Klemms Gewinne stiegen von etwa 10.000 im Jahr 1933 auf über 100.000 Reichsmark gegen Kriegsende. Deutlich wurde in dem Film, dass Klemm und seinesgleichen nur wenige Tage, nachdem ein "Judenzug" in Richtung Osten abgegangen war, Auktionen veranstalteten.

Münzen und Medaillen aus Reichsbesitz

Die Leute, die daran teilnahmen, haben die Ankündigungen in der örtlichen Tagespresse gelesen und gesehen, aus welchen Quellen Klemm, und nicht nur er, schöpfte. Der Film war für mich Anlass zu fragen, ob und wie staatliche Münzkabinette und Sammler in der Zeit des Nationalsozialismus an numismatische Objekte aus jüdischem Besitz gelangten. Es gibt Auktionskataloge renommierter Häuser aus dieser Zeit, die hochkarätige Münzen und Medaillen "aus Reichsbesitz" anboten. In der hier vorliegenden Ausgabe wird über einen solchen Fall berichtet, und er ist nicht der einzige, der nach Aufklärung und Wiedergutmachung ruft.

Bereits 2011 gab es im Berliner Centrum Judaicum eine Ausstellung darüber, wie das NS-Regime 14 Kunsthandlungen aus rassistischen Gründen zur Aufgabe zwang. Wer Glück hatte, floh unter Zurücklassung seines Besitzes ins Ausland, andere kamen in den Vernichtungslagern ums Leben. Es gab skrupellose Kunsthändler, die vom Schicksal ihrer verfemten Kollegen und ganz allgemein von der Judenverfolgung profitierten und dabei prächtig verdienten. Die Ausstellung zeigte, wer dem Fiskus erhebliche Summen in Reichsmark sowie Devisen durch den Verkauf von Gemälden und Skulpturen, aber auch von Silbersachen, Porzellan, Gobelins, Möbeln, Münzen und Medaillen und vielen anderen Antiquitäten verschaffte. Sie zeigte ferner, wie durch wertvolle Geschenke eine Art "Landschaftspflege" zwischen Kunsthändlern und Nazi-Funktionären betrieben wurde.

Suche nach dubiosen Quellen

Nicht in der Ausstellung, dafür aber im Begleitbuch wurde dargelegt, dass auch Berliner Münzhändler von den "Marktveränderungen" betroffen waren, wie Berichterstatter Patrick Golenia schreibt. Im Unterschied zu Gemälden und Skulpturen gebe es bei manchen Grafiken sowie Münzen und Medaillen Schwierigkeiten bei der Wiedererkennung. Daher habe die Provenienzforschung den meist in Serie gefertigten Münzen und Medaillen bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In dem Aufsatz wird an Berliner Münzhändler erinnert, die von der "Arisierung" betroffen waren. Über ihr Schicksal hinaus wäre es wünschenswert zu erfahren, ob zwischen 1933 und 1945 unsere großen Kabinette und Museen von der Ausplünderung jüdischer Münzsammler und -händler profitiert haben und woher die in "Reichsbesitz" befindlichen Münzen und Medaillen stammten, die versteigert wurden und wer sie bekam. In entsprechenden Zugangsbüchern müssten sich Hinweise finden lassen.

Da Münzen und Medaillen in der Regel keine konkreten Aussagen über ihre Besitzer ermöglichen, wird man nur ausnahmsweise und wenn es sich um ganz besondere, in der Fachliteratur beschriebene und abgebildete Raritäten handelt einen solchen Nachweis führen können. Um das Andenken an die verfolgten und ermordeten Vorbesitzer zu ehren, wäre diese Mühe aber wünschenswert, denn die Wahrheit muss ans Licht. Wie aus dem Berliner Münzkabinett verlautet, hat es dort keine Zugänge dubioser Art gegeben.

25. Februar 2022

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