Nicht Wilhelm Tell, sondern Hirtenkopf
Hanspeter Koch dokumentiert Geschichte des seit 100 Jahren geprägten Fünfliber und ehrt den Gestalter



Das in Bern geprägte Fünffrankenstück, auch Fünfliber genannt, löste vor einhundert Jahren die klassizistisch-strenge Symbolfigur der Confoederatio Helvetica ab. Der Jahrgang 1928 ist sehr selten und wird hoch bezahlt.



Helvetia, die Symbolfigur der Schweiz, mal stehend, mal sitzend und auch nur mit ihrem Kopf wurde seit dem 19. Jahrhundert auf zahlreichen Münzen verewigt.



Paul Burkhard war ein vielseitiger Künstler, das Foto zeigt ihn bei der Arbeit am Fünfliber, der seit 1922 unverändert geprägt wird. Aus dem 1918 publizierten Wettbewerb ging er als Sieger hervor.



Paul Burkhards gravierter Entwurf mit dem Hirtenjungen, der seinen Fuß selbstbewusst auf einen kleinen Berg stellt, kam nicht zur Prägung. Bei der Wert- und Wappenseite mit dem Edelweiß- und Alpenrosenzweig nahm er noch Veränderungen vor.



Die Eidgenössische Münze in Bern heißt sein 1998 Swissmint und ist in einem von Theodor Gohl entworfenen und 1906 in Betrieb genommenen Gebäude im Berner Kirchenfeldquartier untergebracht.



Das neue Buch wirft auch einen Blick in die Werkstätten der Berner Münze wie hier in die Prägerei, in der Kniehebelpressen eingesetzt sind.



Paul Burkhart, der als junger Mann seinen Lebensunterhalt als Geigenbauer verdiente und dieses Instrument auch spielte, schuf sehenswerte Medaillen wie die von 1930 auf den Bau der vierspurigen Lorrainebrücke in Bern.



Der nur als eine von Burkhart angefertigte Gravur in einer Schiefertafel existierende Entwurf des Alpenhirten mit der Fahne kam auf der anlässlich des Berner Kantonschützenfestes von 1991 geprägten Goldmedaille zu neuen Ehren, allerdings ergänzt durch ein Gewehr.



Dass die Schweizer ein wehrhaftes Volk sind, das sich von niemandem ins Bockshorn jagen lässt, unterstreichen die vielen mit Allegorien, Stadtansichten, Wappenschildern und Waffen geschmückten Schützentaler.



Bis in die Gegenwart feiern die kleinen Werte Helvetia in antikisierender Gestalt. (Fotos aus dem besprochenen Buch und Caspar)

Die Schweiz gehörte lange Zeit zum Römisch-deutschen Reich. Ihre offizielle Loslösung erfolgte nach dem Dreißigjährigen Krieg im Westfälischen Frieden von 1648. Lange davor hatten sich verschiedene Kantone sowie einige Städte die Reichsfreiheit erkämpft. Der Zusammenschluss der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden im Jahr 1291 spielte in der Geschichte der Alpenrepublik eine große Rolle und ist ein beliebtes Thema auf ihren Münzen und Medaillen. Dieser Ewige Bund vergrößerte sich im Laufe der Zeit durch Beitritt von Luzern, Zürich, Glarus und Zug. Indem sich ihm zu Beginn des 16. Jahrhunderts Basel, Schaffhausen und Appenzell anschlossen, entstand die Eidgenossenschaft der 13 Orte. Sie wurde so stark und selbstbewusst, dass sich die Habsburger zu ihrer Anerkennung bequemen mussten. Treue Katholiken, wie es die römisch-deutschen Kaiser waren, taten dies mit Zähneknirschen. Denn inzwischen fanden in der deutschen Schweiz die Thesen der Kirchenreformatoren Calvin und Zwingli große Anerkennung, und es kam zu heftigen Spannungen zwischen ihnen und den Katholiken. Im Zusammenhang mit den französischen Revolutionskriegen entstanden 1798 die Helvetische Republik und 1803 ein Staatenverbund aus 19 souveränen Kantonen, zu denen alsbald noch drei weitere hinzu traten. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde die Schweiz als souveräner Staat anerkannt. Sie verpflichtete sich zu dauernder Neutralität und bewahrte diesen Status ungeachtet zweier Weltkriege bis heute.

Münzreformen schaffen Durcheinander ab

Die Münzen der Schweiz zwischen Aargau und Zürich sind gut dokumentiert und finden sich regelmäßig in den Angeboten des Münzhandels. Wie das Münzwesen des Römisch-deutschen Reiches bieten das der Schweiz ein buntes Bild. Alles, was vor Jahrhunderten Rang und Namen hatte, brachte Münzen heraus. Grafen und Barone, Bischöfe und Äbte sowie Städte und weitere Inhaber des Münzrechts übten das einträgliche Privileg mehr oder weniger intensiv aus. Das entsprechende Vorrecht zu erteilen, war Angelegenheit des Kaisers, der sich sein Entgegenkommen bezahlen ließ. Wie im Römisch-deutschen Reich wurden auch in der Schweiz sowohl guthaltige als auch minderwertige Münzen aus Gold, Silber und Kupfer geprägt. Dargestellt sind auf ihnen Bildnisse von geistlichen und weltlichen Fürsten, aber auch die Madonna und verschiedene Heilige als Schutzpatrone von Städten und Herrschaften. In neuerer Zeit erscheint Helvetia, die Symbolfigur der Schweiz, auf Münzen mal stehend, mal sitzend oder nur mit ihrem Kopf. Wir finden auf ihnen ferner stehende Männer mit wehenden Fahnen und solche auf dem Pferd reitend. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat man in deutschen Landen, aber auch in der benachbarten Schweiz mithilfe von Münzreformen das Durcheinander abgeschafft und schuf die Einheitswährungen Mark und Pfennig im Deutschen Reich beziehungsweise Franken und Rappen in der Schweiz, die sich 1865 der vom französischen Kaiser Napoleon III. ins Leben gerufenen Lateinischen Münzunion anschloss und ihr bis 1926 angehörte.

Viele Münzfreunde, und nicht nur sie, glauben, in dem Mann mit der Kapuze und der eingedrückten Nase auf den schweizerischen Münzen zu fünf Franken aus den Jahren nach 1922 Wilhelm Tell zu erkennen. Aber es ist nicht der Nationalheld der Alpenrepublik, der auf anderen Prägestücken verewigt ist, sondern ein Alphirte. Mit diesem ebenso schlicht gestalteten wie populären und daher bis heute unverändert in der Eidgenössischen Münze zu Bern geprägten Geldstück, seiner Entstehungsgeschichte und dem beteiligten Künstler befasst sich Hanspeter Koch in seinem Buch "Paul Burkhards Fünfliber - 1922-2022. Ein Klassiker wird hundert. Illustrierter Bericht zum 100-Jahr-Jubiläum des Fünffrankenstücks mit dem Alphirten". Das in Zusammenarbeit mit Jürg Richter, Ruedi Kunstmann und dem Versteigerungshaus SINCONA AG Zürich verfasste Buch erschien 2021 im Battenberg Gietl Verlag Regenstauf, hat 129 Seiten und kostet 24,90 Euro (ISBN 978-3-86646-216-8).

Innenansichten der Berner Münzanstalt

Hanspeter Koch, dem Experten auf dem Gebiet der Edelmetallkontrolle und Fachbeamten bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung in Bern, gelingt es, sein Thema tief auszuloten, und er tut das in einer verständlichen, durch zahlreiche Bildbeispiele ergänzten Sprache. Er setzt mit seinem Buch dem berühmten Geldstück und seinem Gestalter, dem Bildhauer Paul Burkhard, ein würdiges Denkmal. Von keiner Schweizer Umlaufmünze gebe es so viele Vorentwürfe und Probeabschläge wie von dem ab 1922 in riesigen Auflagezahlen geprägten Fünfliber, schreibt er und betont, sein Bericht wolle Licht auf einen weitgehend unbekannten Künstler werfen, "dessen wichtigstes Hauptwerk uns tagtäglich durch den Alltag begleitet." Das Buch besticht durch seine hervorragenden Bilder, die nicht nur einzelne Ausgaben und Proben zeigen, sondern auch Innenansichten der Berner Münzstätte sowie Paul Burkhard bei der Arbeit und mit seinem Werk. Vorgestellt werden von ihm geschaffene Skulpturen, die man in Museen und auf Friedhöfen betrachten kann, ergänzt durch eine Auswahl von Grafiken, die ihn als genauen Beobachter von Menschen und der Natur ausweisen.

Gleich eingangs geht der Verfasser, der sich vor seiner Pensionierung mit der Planung von Sondermünzen befasst hat und viele Jahre bei der Swissmint in Bern beschäftigt war, auf den volkstümlichen Namen der Münze mit dem Schweizer Wappen, der Wertbezeichnung 5 F. auf der Rückseite und der Randeschrift DOMINUS PROVIDEBIT (Der Herr wird vorsorgen) ein. In der Deutschschweiz wird das in zwei Größen geprägte Geldstück Fünfliber genannt, abgeleitet von dem Wert fünf Franken und dem Wort Liber, das von dem bis zur Revolution von 1789 in Frankreich geprägten Nominal Livre = Pfund bezieht. Da die französischen Fünffrancstücke auch in der Schweiz kursierten, bürgerte sich die Bezeichnung für die einheimischen Fünfer ein.

Helvetia mit Speer und vor einer Bergkulisse

Der Verfasser zeichnet die Entwicklung in aller Kürze nach und zeigt auch, was vor dem Fünfliber von 1922 in der Münze zu Bern geprägt wurde. Im Stil der Zeit hat man die Eidgenossenschaft als Helvetia in antikisierendem Kostüm mit einem Speer in der Hand und Landeswappen zu den Füßen dargestellt. Die Symbolfigur kommt auf anderen Geldstücken sitzend vor, wie sie mit ausgestreckter Hand auf eine Bergkulisse zeigt. Weitere Münzen zeigen nur ihren Kopf, wie man ihn ähnlich auf antiken Münzen findet, oder auf den Vreneli genannten Goldmünzen in einer Bergkulisse. Von dieser konventionellen, noch ganz dem Klassizismus des 19. Jahrhunderts verpflichteten Bildsprache rückte man nach dem Ersten Weltkrieg ab. 1916 begannen erste Vorarbeiten für die Beschaffung neuer Stempel, die man zur Prägung von Silbermünzen benötigte, weil die alten Werkzeuge verbraucht waren und nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen. Bei dem neuen Münzbild sollten leere Flächen vermieden werden, wie man sie von den alten Geldstücken nach Entwürfen von Albert Walch kennt, für die Antoine Bovy die Stempel schnitt.

Auf der Suche nach Entwürfen für neue Münzen wurde 1918 ein Wettbewerb "zu einem einheitlichen neuen Münzbilde in Vorder- und Rückseite für Zweifranken, Einfranken und Fünfzigrappenstücke" ausgeschrieben, an dem sich bildende Künstler aus der Schweiz beteiligen sollten. 268 Einwürfe wurden eingereicht, doch von ihnen kamen nur wenige Vorlagen in die engere Wahl. Dem Preisgericht sagten die Ideen von Paul Burkhard am meisten zu. Er hatte seine Modelle in Schiefertafeln graviert, nach denen er Abgüsse in Gips oder Bronze anfertigte und dem Preisgericht einreichte. Die Jury befand, dass sich die Vorlagen auch gut für ein neues Fünffrankenstück eigenen würden. Hanspeter Koch stellt die Schiefertafeln vor, und man erkennt darauf unter anderem den Alphirten, wie er seinen Fuß selbstbewusst auf einen kleinen Berg stellt beziehungsweise mit der Kapuze auf dem Kopf zur Seite schaut. Weitere Vorlagen zeigen einen Mann, wie er Getreidekörner aussät oder die Landesfahne schwingt.

Ausgabe von 1928 extrem selten

Gewiss hätte alle Entwürfe die Ausführung verdient, denn sie wirken ausgesprochen lebendig und zeitgemäß. Doch dann hat man sich für den Hirten entschieden, der ab 1922 in großen Stückzahlen nach manchen Veränderungen im Detail zur Ausprägung gelangte. Der Verfasser zeigt an Modellen, Proben und Stempel, wie intensiv an de Gestaltung gearbeitet wurde. Welche enormen Prägezahlen der Fünfliber in den vergangenen hundert Jahren erreichte, zeigt einer Tabelle am Ende des Buches. Alles in allem kamen 266.816.000 Stück zusammen. Das wäre etwa die Menge, die der bekannte Maria-Theresien-Taler seit 1780 erzielt hat. Der Auflistung ist zu entnehmen, dass es 25 Jahre gab, in denen keines von den Schweizer Fünfliber geprägt wurde. Der Jahrgang 1928 ist wegen seiner relativ geringen Auflage bei Sammlern besonders begehrt und erzielt Höchstpreise. Die 23.791 Exemplare dieser Ausgabe dienten der Staatskasse als Ersatz für abgelieferte, beschädigte oder abgenutzte Fünffrankenstücke.

Nach einem Kapitel über Probeprägungen und die Versorgung der Schweiz mit Münzen während des Zweiten Weltkriegs geht der Verfasser auf die Münzreform von 1952 ein, die auch die Ausgabe von Goldmünzen vorsah und bestimmte, dass der traditionelle Fünfliber unverändert weiter geprägt werden soll. Wegen der ansteigenden Silberpreise auf dem Weltmarkt gab es bei den Silbermünzen der Eidgenossenschaft signifikante Veränderungen. Der Bundesrat erließ am 25 März 1968 ein Export-, Schmelz- und Hortverbot für sie, um zu vermeiden, dass sie zu Spekulationen missbraucht werden. Man tat das zur gleichen Zeit, als in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR silberne Gedenkmünzen prägte und das westdeutsche Fünfmarkstück überall in den Geldbörsen klapperte.

Warnung vor Fälschungen

In der Schweiz hat man im Zusammenhang mit der Abkehr vom Silber Versuchsprägungen aus Kupfernickel sowie solche aus reduziertem Feingehalt hergestellt, von denen das Buch einige Beispiele zeigt. Als am 1. September 1969 der neue Fünfliber aus Kupfernickel auf den Markt kam, verschwanden die guten alten Silberfünfer aus der Öffentlichkeit. Sie liegen wie bei uns die Gedenkmünzen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in vielen Sammlungen und werden vom Münzhandel zu meist mäßigen Preisen angeboten.

Da der Fünfliber mit seiner hohen Kaufkraft auch gefälscht wurde und wird, rät der Verfasser zu sorgsamer Prüfung und zeigt an Beispielen, dass man diese Machwerke etwa an unsauberer Randschrift, abweichendem Metall und Gewicht sowie am missratenen Kopf des Hirten und Landeswappen erkennt. "Während gute Fälschungen zunehmend Sorge bereiten, gibt es auch immer wieder solche, die ein Schmunzeln hervorrufen", schreibt Koch. Indem er eine solche Prägung von 1994 vorstellt, betont er, heute komme es kaum noch vor, "dass ein Fälscher seine Fälschungswerkzeuge (Prägestempel) im konventionellen Verfahren von Grund auf selbst herstellt. Zu kompliziert und aufwendig ist diese Arbeit. Und da nicht jeder ein so geschickter Graveur ist, wie Paul Burkart es war, erstaunt es nicht, dass im vorliegenden Fall aus dem strammen Sennen ein schmächtiges Bürschchen wurde."

Trauriges Ende eines großen Künstlers

Hanspeter Koch geht am Ende seines Buches auf den weiteren Lebensweg des 1964 verstorbenen Künstlers ein und würdigt ihn als Bildhauer, Zeichner und geselligen, humorvollen Menschen. Er schildert auch, dass es ihm an seinem Lebensende alles andere als gut ging. Burkhart muss ein sehr gebildeter Mann gewesen sein, der sich in Geschichte, Fauna und Flora, Musik, Anatomie und Literatur gut auskannte und von Kunst, Mineralogie und Technik mehr als ein Durchschnittsmensch verstand. Er zog krankheitsbedingt 1923 ins Tessin, doch scheint es dort einen Bruch in seiner künstlerischen Laufbahn gegeben zu haben. Der Verfasser vermutet, dass ihm das Umfeld fehlte, das ihn und seine Kunst verstand und sein Können zu würdigen wusste. Naheliegender sei allerdings, dass der Künstler wie viele Zeitgenossen ein Opfer der Weltwirtschaftskrise wurde, die 1929 im New Yorker beim Börsencrash ihren Anfang nahm und bald auch die Schweiz mit voller Wucht erfasste. Wie ein Zeitgenosse berichtet, waren die letzten Lebensjahre des Künstlers von Demenz überschattet, die möglicherweise auf seinen jahrelangen überhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen war. Wer einen Fünfliber mit dem Hirtenbildnis zur Hand nimmt, kommt seinem Schöpfer durch das neue Buch sehr nahe. Bei seiner Lektüre mag der Wunsch aufkommen, die eine oder andere Münze beziehungsweise Münzenserie hierzulande möge ebenso intensiv erforscht werden, wobei neben allen numismatischen Aspekten auch die Biographien der handelnden Personen und die Zeitumstände nicht zu kurz kommen sollten.

7. Juni 2022

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